Orgellandschaft Litauen

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Die Orgellandschaft Litauen umfasst heute mehr als 400 Orgeln, darunter über 100 historische Instrumente.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die älteste erhaltene Nachricht über eine Orgel in Litauen ist von 1408 über ein Portativ als Geschenk für Ona, die Ehefrau des Großfürsten Vytautas durch den Hochmeister des Deutschen Ordens Ulrich von Jungingen. Aus den folgenden Jahrhunderten gibt es nur wenige erhaltene Informationen über Orgeln und Orgelbauer in Litauen.

Im 18. Jahrhundert prägten deutsche Orgelbauer die Herstellung, besonders Gerhard Arend Zelle, ein Schüler Georg Casparis aus Königsberg, und dessen Schüler Nicolaus Jentzen (Jantzon) aus Hamburg. Von Adam Gottlob Casparini aus Königsberg und dessen Schüler Johann Preuß sind einzelne Instrumente erhalten.[1] Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts gab es überwiegend nur Positive, meist einmanualig mit etwa 7 bis 15 Registern und ohne Pedal. Besonderheiten waren fast immer ein Zimbelstern und ein Paukenregister (zwei schwebende große Holzpfeifen).

Der romantische Orgelbau im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde in Litauen durch Juozapas Radavičius, Jonas Garalevičius, der bei Barnim Grüneberg in Stettin gelernt hatte, und Martynas Masalskis dominiert. Es entstanden auch einzelne Instrumente durch bekannte Orgelbauer wie Friedrich Ladegast, E. F. Walcker und Franz Rieger. Im 20. Jahrhundert wurden zahlreiche historische Orgeln durch neuere ersetzt.

Nach der Eingliederung in die Sowjetunion 1944 verfielen zunächst viele Instrumente auf Grund von Kirchenschließungen. Seit den 1960er Jahren wurden einige wieder verstärkt genutzt, häufiger in Konzertsälen. Es wurden einige neue gebaut, unter anderem von Schuke Orgelbau aus Potsdam. 1972 wurde auf staatliche Anordnung eine einheimische Orgelbauwerkstatt durch Rimantas Gučas in Vilnius gegründet, die sich seitdem der Pflege, Restaurierung und Dokumentation der Orgeln im Land widmet.[2] Seit 1992 entstanden zahlreiche neue Instrumente.

Orgeln[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von den über 400 Orgeln in Litauen sind über 100 aus dem 17. bis 20. Jahrhundert erhaltene, dazu einige historische Gehäuse.

Die bedeutendste ist die fast vollständig erhaltene Orgel von Adam Gottlob Casparini von 1776 in der Heilig-Geist-Kirche in Vilnius, weitere Barockorgeln befinden sich in der Klosterkirche und der lutherischen Kirche in Kretinga, sowie in Tytuvėnai, Linkuva und Adakavas.

Die Instrumente sind nach der Anzahl der Register sortiert, ein großes „P“ bedeutet ein selbstständiges Pedal, ein kleines „p“ ein angehängtes.

Ort Gebäude Jahr Erbauer Bild Manuale Register Bemerkungen
Vilnius St. Johanneskirche 1983–2000 Rimantas Gučas III/P 64 in historischen Gehäuse von 1765/66 von Nicolaus Jantzon
Kaunas Kathedrale St. Peter und Paul 1882 Juozapas Radavičius
III/P 63 nach französischem romantischem Vorbild
Vilnius Nationalphilharmonie 1963 Schuke, Potsdam
III/P 52
Vilnius Kathedrale 1969 Schuke, Potsdam III/P 49 in historischen Gehäuse von 1785 von Nicolaus Jantzon
Vilnius Klosterkirche St. Kasimir 1968/2003 Oberlinger III/P 45 ursprünglich in Durlach, Stadtkirche, 2003 in Vilnius neu zusammengesetzt, mit neuem Gehäuse
Kaunas Kirche St. Michael 1939 E. F. Walcker III/P 39 2008 von Ugale restauriert
Klaipėda Franziskanerklosterkirche 2013 Rieger III/P 37
Vabalninkas Kirche Mariä Himmelfahrt um 1890 Juozapas Radavičius III/P 32
Vilnius Dominikanerklosterkirche Heilig Geist 1775/1776 Adam Gottlob Casparini
III/P 31 fast vollständig original erhalten, bedeutendste Barockorgel im Baltikum, 1995–2005 durch Gučas restauriert – Orgel
Vilnius Lutherische Kirche 2008 Klais II/P 29
Šiauliai Kathedrale St. Peter und Paul 1973 E. F. Walcker II/P 29 ursprünglich in Bargteheide, 1995 durch Gučas umgesetzt[3]
Tytuvėnai St. Marien 1789 Nicolaus Jantzon II 24 ohne Pedal[4]
Švėkšna St. Jakobus 1906 Bruno Goebel II/P 24 2005 restauriert durch Šauklys
Linkuva Kirche Maria Scapula 1764 Nicolaus Jantzon II/p 23 älteste erhaltene Barock-Orgel in Nordlitauen, 1897 erweitert durch Emil Martin[5]
Vilnius Kirche St. Peter und Paul 1905 Juozapas Radavičius II/P 22 Orgelprospekt nach Aristide Cavaillé-Coll in Madeleinekirche in Paris
Pumpėnai St. Marien 1898 Modest Masalskis II/P 20 2007 restauriert durch Šauklys
Kretinga Lutherische Kirche 1785 Johann Preuß, Königsberg II/P 14 ursprünglich in Werden (Verdaine), Kirche, 1899 umgesetzt
Dotnuva Klosterkirche St. Maria 1827 Michniewicz I/P 12 1996 restauriert durch Gučas
Griškabūdis Kirche 1804 Georg Adam Neppert I/P 13 im 19. Jhd. Erweiterung[6][7]
Kartena Kirche Mariä Himmelfahrt 1774 Paul Gerhard Zelle I 11 Barock-Orgel, 1805 umgebaut und von 2007 bis 2009 restauriert[8]
Vilnius Musikakademie 1990–2000 Orgelbau Pirchner I/P 11 ursprünglich für Mozarteum gebaut, 2008 nach Vilnius verlegt[9]
Vilnius Kirche St. Johannes, Oginski-Kapelle 1974 Rimantas Gučas I/p 8 in historischem Gehäuse von 1778 , mit historischer Disposition
Kretinga Klosterkirche Mariä Verkündigung 1680 ? I 8 älteste erhaltene Orgel in Litauen, ursprünglich in Gintališkė, Kirche, 2004 restauriert durch Gučas, Kalnins
Adakavas Kirche Johannes der Täufer um 1780? ? I 7 Positiv, Casparini oder seiner Umgebung zugeschrieben, 1986 restauriert durch Gučas[10]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Rimantas Gučas: Lietuvos vargonai: katalogas (Litauische Orgeln. Katalog). Vilnius 2009.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Orgeln in Litauen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Zum Königsberger Einfluss in Litauen siehe Rimantas Gučas: Die Orgelbautradition Königsberg-Litauen. In: Acta Organologica. Band 30. 2008. S. 35–66.
  2. Zur Geschichte auch Orgelbarock in Vilnius Baltisches Orgelcentrum
  3. Šiauliai, Kathedrale St. Peter und Paul Organindex, mit Disposition und Foto (deutsch)
  4. Tytuvėnai, Klosterkirche St. Marien Organindex, mit Disposition
  5. Orgel Linkuva vargonai.lt, mit Disposition und Foto (litauisch)
  6. Rimantas Gučas: Die Orgelbautradition Königsberg-Litauen. In: Acta Organologica. Band 30. 2008. S. 35–66, hier S. 46–52.
  7. Griškabūdis vargonai.com, mit Fotos und Dispositionen
  8. Orgel in Kartena vargonai.com, mit Disposition (litauisch)
  9. Orgel in der Musikakademie vargonai.lt, mit Disposition und Foto (litauisch)
  10. Instandsetzung und Dokumentation der Casparini-Orgel in Adakavas Baltisches Orgelcentrum