Personanz (Musik)

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Personanz (von lateinisch per ‚hindurch‘ und lateinisch sonare ‚klingen‘) entstand als Begriff der musikwissenschaftlichen Analyse im Zuge der Entstehung der sogenannten Neuen Musik des 20. Jahrhunderts und bezeichnet den Sonanzcharakter eines Mehrklanges (Zwei-, Drei-, Vier-, Fünfklang) als Begriff zwischen Konsonanz und Dissonanz.

Begriffsgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Begriff Personanz entstand in den 1950er-Jahren. Der Universitätsprofessor und Komponist Wilhelm Keller legte ihn 1959 auf dem Kieler Kongress des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung in Darmstadt dar. Der Sender Freies Berlin strahlte die Referate dieses Kongresses 1960 aus. Sie erschienen ebenso als Kongressbericht in der Reihe Stilkriterien der Neuen Musik.

Bestimmung und Stilmerkmale[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die moderne Tonalität ist primär personant (hinduchtönend) orientiert. Wie die elementare-, modale- und kadenzierende Tonalität als unterschiedliche Prägung der tonalen Verwandtschaften auf der Grundlage der Terz-, Quint- und Oktav-Verhältnisse in Erscheinung tritt, ist die moderne Tonalität vom funktionalen Dreiklang unabhängig und kadenzfrei darstellbar. Sie ist ein auf Schwerpunkte und zentrale Tonfelder hingeordnetes Kräftespiel verwandtschaftlicher Tonelemente. In diesem Zusammenhang erschien die Einführung des Begriffs «Personanz», zwischen Konsonanz und Dissonanz relevant und geboten. Unter diesem Begriff wird ein Sonanzcharakter (Maß an Rauigkeit einerseits und Verschmelzung anderseits) verstanden, der einerseits Tonverwandtschaften zweiten Grades ergibt, die nicht-mehr-konsonanten Klänge. Andererseits tönen durch sie die Elementarbezüge durch ihre Maske hindurch (personare). Sie kennzeichnen so die Gestalt eines spannungshaltigen, aber dennoch klaren Mehrklangs bzw. Sukzessivfeldes.

Der Begriff Personanz bezeichnet alle nichtkonsonanten Mehrklänge, die nur „reine“, „große“ sowie „kleine“ Intervalle, jedoch nicht „verminderte“ oder „übermäßige“ Intervalle enthalten.[1][2] Nach Keller sind diatonische Sekunden und Septimen personant, weil bei c-d die Doppelquinte (c-g-d) beziehungsweise bei C-h der Quint-Terz-Klang c-g/e-h „durchtöne“.[3]

Als Stilmerkmal bewussten Komponierens treten personante Strukturen erstmals nach Arnold Schönberg auf und zwar zunächst bei Igor Strawinsky und sukzessive bei Béla Bartók, Sergei Sergejewitsch Prokofjew und weiteren Komponisten dieser Generation. Zum ausgeprägten Personalstil werden sie dann bei Vertretern wie Joseph Suder,[4] Carl Orff,[5] Paul Hindemith, Johann Nepomuk David und Harald Genzmer.[6][7] Personanzklänge unterscheiden sich wesentlich von der atonalen Struktur der Schönberg-Schule und sind weder ein Negativbegriff der Konsonanz noch Funktionsdissonanz.[8]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Wilhelm Keller: Handbuch der Tonsatzlehre. Band I: Tonsatzanalytik und Band II: Tonsatztechnik. Bosse, Regensburg 1957/1959.
  • Stilkriterien der Neuen Musik (= Veröffentlichungen des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung Darmstadt. Band 1). Merseburger Verlag, Berlin 1961.
  • Gitarre + Laute. Volume 4. Köln 1982, S. 232.
  • Gerd Lisken: Personanz. In: Musica. Monatsschrift für alle Gebiete des Musiklebens. Volume 36, 1982, ISSN 0027-4518.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Wilhelm Keller: Tonsatzanalytische Verfahren zur Darstellung von Stilkriterien Neuer Musik. In: Stilkriterien der Neuen Musik. Berlin 1961, S. 70.
  2. Elisabeth Buck: Erlebnisfeld Musik im bewegten Religionsunterricht. Stile im Bewegten Religionsunterricht. In: Kommt und spielt. Bewegter Religionsunterricht. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1999, 2001, 2004, ISBN 3-525-61388-1, S. 26–35.
  3. Wilhelm Keller: Handbuch der Tonsatzlehre. Band I: Tonsatzanalytik. Bosse, Regensburg 1957, S. 67.
  4. Siegfried Gmeinwieser: Joseph Suder. Schneider Verlag, Hohengehren 1987, ISBN 3-7952-0533-6, S. 77.
  5. Thomas Rösch: Die Musik in den griechischen Tragödien von Carl Orff. Schneider Verlag, Hohengehren 2003, ISBN 3-7952-0976-5, S. 165.
  6. Hermann Müllich: Die A-Cappella-Chorwerke Harald Genzmers. Musikverlag Ries & Erler, Berlin 1984.
  7. Hermann Müllich, Peter Revers: Harald Genzmer. Schneider Verlag, Hohengehren 1999, ISBN 3-7952-0963-3.
  8. Wilhelm Keller: Tonsatzanalytische Verfahren zur Darstellung von Stilkriterien Neuer Musik. In: Stilkriterien der Neuen Musik. Berlin 1961, S. 79.