Putzgruppe

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Putzgruppe (auch: Putztruppe[1]) war eine linksradikale Gruppe junger Männer, die von etwa 1971 bis 1976 in Frankfurt am Main mit Helmen und Knüppeln bewaffnet Straßenkämpfe mit Polizisten führten. Die Gruppe war der militante Teil der Gruppierung Revolutionärer Kampf und wurde überregional ab 2000 bekannt, als ihr früherer Anführer Joschka Fischer als deutscher Bundesaußenminister amtierte.

Aktionen der Gruppe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein typisches Einsatzgebiet der Gruppe war die gewaltsame Verteidigung von besetzten Häusern gegen polizeiliche Räumungen im Rahmen des sogenannten Frankfurter Häuserkampfs.[2] Zur Vorbereitung auf ihre innerstädtischen Einsätze gegen die Polizei fuhren Gruppenmitglieder häufig in ländliches Gelände im Frankfurter Umland, um dort unerkannt Trainingseinheiten zu absolvieren, bei denen auch im Straßenkampf erbeutete Polizei-Ausrüstungsgegenstände wie Schilde und Schlagstöcke verwendet wurden.[3] Beim Angriff auf das spanische Generalkonsulat im September 1975, bei dem rund 200 vermummte Demonstranten außer Farbbeuteln auf das Gebäude auch Steine und Molotow-Cocktails auf Polizisten warfen, soll die Putzgruppe um Fischer maßgeblich beteiligt gewesen sein.[3] Die Putzgruppe soll unter anderem auch für die Verwendung von Molotow-Cocktails bei einer Demonstration im Mai 1976 verantwortlich gewesen sein, bei der der Polizist Jürgen Weber schwere, 60-prozentige Hautverbrennungen erlitt. Nachdem Fischer unter dem Eindruck der eskalierten Gewalt dieser Demonstration seine Haltung geändert hatte und bei einem Kongress zu Pfingsten 1976 öffentlich für eine Abkehr vom bewaffneten Kampf eintrat, endeten damit auch die Aktivitäten der Putzgruppe.[3]

Vermutete Mitglieder[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Gruppe hatte bis zu 40 Mitglieder,[3] als ihr Kopf gilt der spätere Bundesaußenminister Joschka Fischer.[4][5] Des Weiteren sollen neben anderen Hans-Joachim Klein, Johnny Klinke, Matthias Beltz,[6] Ralf Scheffler,[7] Raoul Kopania,[8] Georg Clemens Dick und Tom Koenigs Mitglieder gewesen sein.[9] Kopania, Dick und Koenigs unterstützten Fischer ab den 1980er Jahren als enge Mitarbeiter bei dessen politischem Aufstieg und erhielten verschiedene Anstellungen im Staatsdienst, darunter im hessischen Umweltministerium oder im Auswärtigen Amt.[10][11] In einem Frankfurter Gerichtsprozess 2006 gab Fischer als Zeuge an, die „Putzgruppe“ habe weder einen festen Mitgliederkern gehabt, noch habe es sich um eine festgefügte Organisation gehandelt.[12]

Terminus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Über den Ursprung des Namens gibt es unterschiedliche Theorien. Zum einen steht „Putz“ für Randale,[9] es kann aber auch als Abkürzung für „Proletarische Union für Terror und Zerstörung“ beziehungsweise „Proletarische Union für Theorie und Zerstörung“ gelesen werden.[13] Der Begriff „Putzgruppe“ wurde laut Arno Luik vom ehemaligen SDS-Bundesvorstand und Mitglied des „Revolutionären Kampfes“ Udo Riechmann geprägt.[13]

Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Putzgruppe und damit insbesondere die Rolle Joschka Fischers in der gewaltbereiten linksradikalen Szene im Frankfurt der 1970er Jahre wurde ab 2000 im Zusammenhang des Strafprozesses gegen Hans-Joachim Klein und Rudolf Schindler zu einem Thema breiter öffentlicher Wahrnehmung.[3] Klein war ein früherer Mitkämpfer der Gruppe, der sich 1974 den terroristischen Revolutionären Zellen angeschlossen hatte.[7] In einem Interview mit dem Stern im Januar 2001 angesichts der Wiederveröffentlichung eines Fotos vom April 1973, auf dem Klein und Fischer auf einen am Boden liegenden Polizisten einschlagen,[14] und kurz vor seiner geplanten Zeugenaussage im Klein-Prozess sagte Fischer zu der Zeit: „Ja, ich war militant […] Wir haben Steine geworfen.“[15] Zuvor hatte bereits eine 1998 veröffentlichte polemische[16] Biografie Fischers, in der die Putzgruppe und das gewalttätige Vorleben des Politikers thematisiert worden war, Aufmerksamkeit erregt.[17][18] Der Journalist Klaus Rainer Röhl legte im Januar 2001 Bundesaußenminister Fischer in einem Artikel in der Neuen Revue wegen dessen Rolle in der seiner Meinung nach antisemitischen Gruppe den Rücktritt nahe.[19] Laut Daniel Cohn-Bendits Aussage von 2005 habe sich dieser Personenkreis „mit Helmen gegen die Staatsmacht schützen wollen, die die Auseinandersetzung gesucht“ habe.[7]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Christian Schmidt: Wir sind die Wahnsinnigen. Joschka Fischer und seine Frankfurter Gang. Aktualisierte Taschenbuchausgabe, Econ-und-List-Taschenbuchverlag 1999, ISBN 3-612-26628-4

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Rot-grüne Putztruppe neues-deutschland.de
  2. Putzgruppe gegen „Focus“: Fischer sagt aus. In: n-tv vom 21. März 2006, abgerufen am 29. Oktober 2013
  3. a b c d e Dirk Kurbjuweit und Gunther Latsch: Ich hab gekämpft. In: Der Spiegel vom 8. Januar 2001, abgerufen am 30. Oktober 2013
  4. Klaus Schroeder: Rezension: Sachbuch: Blutgrätsche unter Genossen. In: FAZ vom 30. September 1998, abgerufen am 29. Oktober 2013
  5. Thomas Zorn u. a.: Kumpane: „Gute Wünsche von ‚Janie‘“. In: Focus vom 12. Februar 2001, S. 30–33
  6. Christian Schmidt: „Wir sind die Wahnsinnigen...“: Joschka Fischer und seine Frankfurter Gang. S. 82
  7. a b c Widersprüchliches über Fischers „Putzgruppe“ In: FAZ vom 1. Juni 2005, abgerufen am 29. Oktober 2013
  8. Reinhard Mohr: Die Turnschuh-Revolution, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 2. Februar 2014, S. 6
  9. a b Lexikon: Putzgruppe (Memento des Originals vom 17. September 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.berliner-zeitung.de berliner-zeitung.de, abgerufen am 17. September 2014
  10. Organisiert wie eine Fritten-Bude, in: Spiegel vom 17. März 1986, abgerufen am 17. September 2014
  11. Paul Hockenos: Joschka Fischer and the Berlin Republic: An alternative history of postwar Germany. Oxford University Press, Oxford 2008, S. 176 u. a.
  12. Thomas Kirn: Fischer als Zeuge vor Gericht: Wiedersehen mit der Putzgruppe, in: FAZ.net vom 21. März 2006, abgerufen am 17. September 2014
  13. a b Arno Luik: Joschka Fischer und das große Schweigen, in: Stern.de vom 11. April 2013, abgerufen am 17. September 2014
  14. Gerd Langguth: Mythos '68. Die Gewaltphilosophie von Rudi Dutschke – Ursachen und Folgen der Studentenbewegung. München 2001, S. 163.
  15. Holger Stark: Joschka Fischer: Der Außenminister bekennt: Wir haben Steine geworfen. In: Tagesspiegel. 3. Januar 2001 (Online).
  16. Hans Riebsamen: Majestätsbeleidigung an einem grünen Denkmal: Warum ein Buch über die Vergangenheit Joseph Fischers die alternative Szene erregt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. Juli 1998, S. 41
  17. Grüne: Joschka und seine Putzgruppe, in: Spiegel vom 13. Juli 1998, abgerufen am 17. September 2014
  18. Susanne Gaschke: Abrechnung mit viel Häme, in: Die Zeit vom 20. August 1998, abgerufen am 17. September 2014
  19. Presseerklärung: „Publizist Dr. Klaus Rainer Röhl in NEUE REVUE: Fischers ‚Putztruppe‘ war antisemitisch“ (Memento vom 11. Mai 2009 im Internet Archive)