Ratinger Hof

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Der Ratinger Hof auf der Ratinger Straße in Düsseldorf 1978

Der Ratinger Hof war eine Düsseldorfer Künstlerkneipe[1] der 1970er und frühen 1980er Jahre und Szenetreffpunkt der Undergroundkultur in Deutschland. Der Ratinger Hof wird häufig als Geburtsort des deutschen Punks angesehen.[2] Die Kneipe liegt auf der Ratinger Straße Nr. 10 in der Düsseldorfer Altstadt.

Entwicklung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Ratinger Hof, der bis Ende 1975 eine gemütlich eingerichtete Kneipe mit Sternenhimmel an der Decke, teppichbedeckten Tischen und Musikbox war, trafen sich Punks, Rocker, Mods und auch Psychedeliker wie in der Bar Creamcheese.[3] Vergleichbare Institutionen in Berlin waren das SO36 und der Dschungel.

Von 1974 bis 1979 wurde der Ratinger Hof von Carmen Knoebel (der Frau Imi Knoebels) und Ingrid Kohlhöfer (der Frau Christof Kohlhöfers) betrieben. 1976 erfuhr der Ratinger Hof durch den Künstler Imi Knoebel eine radikale Umgestaltung. Alle Wände wurden weiß gestrichen und grelle Neonbeleuchtung angeschafft. Dies sorgte dafür, dass sich das Stammpublikum veränderte. Rocker und so genannte Althippies zogen es vor, andere Lokale aufzusuchen. Im von der Szene nur „Hof“ genannten Club fanden regelmäßig Konzerte von bekannten Punkbands wie 999, Wire, XTC, Dexys Midnight Runners, Pere Ubu, S.Y.P.H., Mittagspause, Fehlfarben, Male, Charley’s Girls, Family 5, der West-Berliner Band DIN A Testbild, Minus Delta t, Die nachdenklichen Wehrpflichtigen und anderen Bands statt. ZK, die Vorgängerband von Die Toten Hosen, spielte dort ihr erstes Konzert. Weitere wichtige Bands, die im Umfeld des Ratinger Hofs gegründet wurden, sind KFC, DAF – Deutsch-Amerikanische Freundschaft, Fred Banana Combo, Mania D und Östro 430.

Carmen Knoebel ermöglichte es den Musikern, im Bierkeller des „Hofs“ tagsüber zu proben, was beispielsweise von der Band ZK mit Sänger Campino genutzt wurde und dazu führte, dass sich viele junge Musiker dort regelmäßig ab dem frühen Nachmittag trafen. Auch Bands wie Kraftwerk, Neu und La Düsseldorf gehörten zu den Gästen. Die damaligen Germanistikstudenten Hubert Winkels, heute Literaturkritiker, Peter Glaser und der 2005 verstorbene Dichter Thomas Kling trafen sich dort ebenso wie die frühen Düsseldorfer Punks zum Pogo. Die Musik dazu wurde zwischen 1979 und 1984 von den Discjockeys Markus Oehlen, Jimmy Radant, Detlef Lamprecht, dem „dicken Reinhold“, Xaõ Seffcheque, Waldi (Waldemar Jaeger) und Ziggy P (Siegfried Abrolat) präsentiert. Im März 1981 berichtete das Magazin Stern über den Ratinger Hof und stellte ihn als Geheimtipp vor. Zur gleichen Zeit begann sich die Neue Deutsche Welle auszubreiten.[4]

Nach Schließung des Hofs 1989 beherbergte das Gebäude zeitweise eine Technodisco, die von Rolf Maier-Bode geführt wurde.

Erst seit 2003 wurde der Ratinger Hof unter dem Namen Stone wieder Auftrittsort für Musiker. Betreiber Timo und Judith Sen veranstalteten Rock- und Indie-Konzerte, gaben das Lokal aber 2020 während der Corona-Epidemie auf.[5] Schon vorher war der Clubbetrieb stark rückläufig. Konzerte wurden auch vom Düsseldorfer Konzertveranstalter Nico Spielmann (Beer & Musik, B&M Concerts) organisiert, mit Bands wie Abstürzende Brieftauben, Agnostic Front, Mad Sin, Dog Eat Dog, The Dickies, Terry Hoax, Nothington & Get Dead, Boppin'B, Liedfett, Paskow, Zebrahead, Demented Are Go, Crowbar, H2O, Adolescents, Das Pack, Hed PE & Crazy Town, Madball, Terror, The Peacocks, Jaya the Cat, Kapelle Petra, Dora und anderen. Auch Vom Ritchie, Schlagzeuger der Toten Hosen, stand mit mehren Bands zusammen dort auf der Bühne (Spitting Vikars, Buster Shuffle, Dick York bzw. Cryssis)[6]

Seit November 2020 setzen sich die Kulturbanausen e.G. für den kulturhistorisch relevanten Ort ein. In Form einer Genossenschaft arbeitet das Kollektiv daran, dort ein Soziokulturelles Zentrum zu etablieren.

Bedingt durch die im Juni 2023 angemeldete Insolvenz der Kulturbanausen e.G. leitet seit Juli 2023 Stanislava Balueva als alleinige Geschäftsführerin den neu gegründeten Hof.[7]

Kulturelle Relevanz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Ratinger Hof trafen sich viele Künstler, von denen einige in der ca. 300 Meter entfernten Kunstakademie Düsseldorf studierten oder unterrichteten. Dazu gehörten unter anderem Blinky Palermo, Imi Knoebel, Katharina Sieverding, Sigmar Polke, Thomas Ruff, Thomas Schütte, Axel Hütte, Trini Trimpop, Muscha, Christof Kohlhöfer, Klaus Mettig, A. R. Penck, Markus Oehlen, Jörg Immendorff und Joseph Beuys. Der Hof blieb bis zur Polizeistunde um ein Uhr morgens geöffnet, wobei das größte Gedränge sich häufig draußen auf der Ratinger Straße abspielte.[8]

Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zeigte 2010 die Ausstellung Auswertung der Flugdaten, Kunst der 80er. Eine Düsseldorfer Perspektive, die Arbeiten von heute international bekannten Künstlern präsentierte, die im Ratinger Hof Stammgast waren.[9] Der Titel der Ausstellung Auswertung der Flugdaten stammt von Thomas Kling, einem Düsseldorfer Dichter, der in seinem Gedicht „Ratinger Hof, Zettbeh (3) – o nacht! ich nahm schon flugbenzin ..“[10] die nächtliche Atmosphäre im Hof poetisch verdichtet.

Die Ratinger-Hof-Szene ist Thema eines Dokumentarfilmes von Reda El Scherif und Konstantin Koewius mit Peter Hein, Andi Meurer, Carmen Knoebel, Jonny Bauer, Kurt Dahlke, Jürgen Krause, Monique Maaßen, Armin Campari und Eva Maria Goessling u. a.[11] Auch ist die Szene im Ratinger Hof zentrales Thema in Jürgen Teipels Doku-Roman Verschwende Deine Jugend über Punk und New Wave in Deutschland.

Dokumentarfilm[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Ralf Zeigermann (Hrsg.): Ratinger Hof – Fotos und Geschichten. Wiegner, Königswinter 2010, ISBN 978-3-931775-13-1.
  • Xao Seffcheque: Watergate Düsseldorf – Business-Fick und Neue Musik. Geschichte des Düsseldorfer Punk und Wave. In: Walter Hartmann, Gregor Pott (Hrsg.): 6. Rock session. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1982, ISBN 3-499-17463-4.
  • Enno Stahl: Ratinger Hof – Thomas Kling und die Düsseldorfer Punkszene. In: Dirk Matejovski (Hrsg.): Pop in R(h)einkultur. Oberflächenästhetik und Alltagskultur in der Region.Klartext, Essen 2008, ISBN 978-3-8375-0005-9, S. 205–226 (im Anhang Interviews mit Franz Bielmeier und Carmen Knoebel).
  • Enno Stahl: Bolz, Hörisch, Kittler und Winkels tanzen im Ratinger Hof. Was körperlich-sportiv begann, setzt sich auf anderer Ebene fort: Diskurs-Pogo. In: Kultur & Gespenster. Heft 6, Winter 2008, S. 107–117.
  • Stephan von Wiese (Vorw.): Brennpunkt 2. Die Siebziger Jahre, Entwürfe, Joseph Beuys zum 70. Geburtstag, 1970 1991, Kunstmuseum Düsseldorf im Ehrenhof, Düsseldorf 1991.
  • Theo Lücker: Die Düsseldorfer Altstadt Wie sie keiner kennt. I. Band Vom Ratinger Tor bis Kurze Straße. 2. Auflage. Verlag der Goethe-Buchhandlung, Düsseldorf 1985, ISBN 3-924331-06-5, S. 63 ff.
  • Karl Böcker (Autor), Addi Hansen (Autor) Die Ratinger Straße: Geschichte und Geschichten der Kunst- und Kultmeile in der Düsseldorfer Altstadt Bachem Verlag April 2010, ISBN 978-3-7616-2373-2.
  • Rüdiger Esch: Electri_City. Elektronische Musik aus Düsseldorf 1970–1986. Suhrkamp, Berlin 2014, ISBN 978-3-518-46464-9.
  • Sven-André Dreyer, Michael Wenzel, Thomas Stelzmann: Keine Atempause – Musik aus Düsseldorf, Droste, Düsseldorf 2018, 192 S., ISBN 978-3-7700-2067-6
  • ar/gee Gleim: Guter Abzug. No Time Music Entertainment E.K, 1982.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Stephan von Wiese (Vorw.): Brennpunkt 2. Die Siebziger Jahre, Entwürfe, Joseph Beuys zum 70. Geburtstag, 1970 1991, Kunstmuseum Düsseldorf im Ehrenhof, Düsseldorf 1991, S. 128
  2. Harald Hordych: Auf der Suche nach dem verlorenen Krach. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 111, 14./15. Mai 2011, S. V2/
  3. Spiegel-online: Legendäres Drecksloch, abgefragt am 15. September 2010
  4. Samstag Nacht im Ratinger Hof, Stern-Magazin, 3/1981, Seite 40–58.
  5. stone-duesseldorf. Abgerufen am 10. November 2023.
  6. Stoneimratingerhof/events. Abgerufen am 10. November 2023.
  7. [1]
  8. Stephan von Wiese (Vorw.): Brennpunkt 2. Die Siebziger Jahre, Entwürfe, Joseph Beuys zum 70. Geburtstag, 1970 1991, S. 130
  9. Ausstellungsinformation. Abgefragt am 31. Mai 2015.
  10. Frieder von Ammon: Poetische Psychonautik: Thomas Klings Gedicht RATINGER HOF, ZETTBEH (3). In: parapluie, Nr. 23, Sommer 2006. Abgefragt am 31. Mai 2015.
  11. Wecken und geweckt werden. Abgerufen am 22. Mai 2018

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Ratinger Hof – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Koordinaten: 51° 13′ 46,3″ N, 6° 46′ 30,9″ O