Referendum in der Sowjetunion 1991

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Resultat in den Sowjetrepubliken
  • 95–100 % Ja
  • 90–95 % Ja
  • 85–90 % Ja
  • 80–85 % Ja
  • 75–80 % Ja
  • 70–75 % Ja
  • boykottierende Republiken
  • Stimmzettel des Referendums

    Ein Referendum in der Sowjetunion über den neuen Unionsvertrag und damit über die Zukunft der Sowjetunion fand am 17. März 1991 statt. Es war das einzige nationale Referendum in der Geschichte der Sowjetunion, wobei es von den Behörden in sechs der fünfzehn Sowjetrepubliken boykottiert wurde. Bei dem Referendum ging es um die Frage, ob ein neuer Unionsvertrag zwischen den Republiken angenommen werden sollte, der den Vertrag von 1922, mit dem die UdSSR gegründet wurde, ersetzen sollte. Die Frage, die den meisten Wählern gestellt wurde, lautete:

    Halten Sie den Erhalt der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken als erneuerte Föderation gleichberechtigter souveräner Republiken, in der die Rechte und Freiheiten des Menschen jeglicher Nationalität in vollem Umfang garantiert werden, für notwendig?[1]

    In Kasachstan wurde der Wortlaut des Referendums geändert, indem „gleichberechtigte souveräne Republiken“ durch „gleichberechtigte souveräne Staaten“ ersetzt wurde.

    In Usbekistan, der Ukraine und Kirgisien wurden zusätzliche Fragen zur Souveränität und Unabhängigkeit dieser Republiken gestellt.

    Während die Abstimmung in Armenien, Estland, Georgien (allerdings nicht in den abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien), Lettland, Litauen und Moldawien (allerdings nicht in Transnistrien oder Gagausien) von den Behörden boykottiert wurde, lag die Wahlbeteiligung im Rest der Sowjetunion bei 80 %.

    In allen anderen neun Republiken, die an dem Referendum teilnahmen, stimmten fast 80 % der Wähler der Frage zu. Der Augustputsch in Moskau von Hardlinern der Kommunistischen Partei im August 1991 verhinderte jedoch die für den nächsten Tag geplante Unterzeichnung des neuen Unionsvertrags. Obwohl der Putschversuch scheiterte, schwand das Vertrauen in Gorbatschows Zentralregierung. Es folgten eine Reihe von Unabhängigkeitsreferenden in den einzelnen Republiken, die am 26. Dezember 1991 zur Auflösung der Sowjetunion führten.

    Überblick[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Der innere Zerfallsprozess der Sowjetunion begann nach den liberalisierenden Reformen von Michail Gorbatschow in den 1980er Jahren. Im Laufe des Jahres 1990 erklärten alle Unionsrepubliken ihre Souveränität (außer Armenien) und die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen erklärten ihre Unabhängigkeit.[2] Infolge der Reformdiskussionen wurde ein neuer Unionsvertrag ausgehandelt, um die Sowjetunion zu retten und zu reformieren, der die UdSSR in eine Föderation aus souveränen Republiken machen sollte. Der Oberste Sowjet der UdSSR verabschiedete am 16. Januar 1991 eine Resolution zur Durchführung einer Volksabstimmung, welche die neue Unionsverfassung legitimieren sollte. Das Referendum sollte auf Beschluss des Obersten Sowjet gleichzeitig in allen Unionsrepubliken stattfinden, wurde aber von den sechs Republiken, die den Unionsvertrag zuvor bereits abgelehnt hatten, boykottiert.

    Das Referendum wurde vorher als nicht bindend angekündigt. Nach der Durchführung des Referendums wurde es allerdings dennoch vom Obersten Sowjet für bindend erklärt.[1]

    Frage[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Die folgende Frage wurde in dem Referendum (mit leichter Abänderung in Kasachstan) gestellt.

    Deutsch Russisch
    „Halten Sie den Erhalt der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken als erneuerte Föderation gleichberechtigter souveräner Republiken, in der die Rechte und Freiheiten des Menschen jeglicher Nationalität in vollem Umfang garantiert werden, für notwendig?“ „Считаете ли Вы необходимым сохранение Союза Советских Социалистических Республик как обновлённой федерации равноправных суверенных республик, в которой будут в полной мере гарантироваться права и свободы человека любой национальности?“

    Ergebnis[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Gesamtergebnis[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Endergebnis des Referendums:[1]

    Stimmen %
    Ja 113.512.812 77,85
    Nein 32.303.977 22,15
    Gesamt 145.816.789 100,00
    Gültige Stimmen 145.816.789 98,14
    Ungültige oder leere Stimmzettel 2.757.817 1,86
    Gesamt 148.574.606 100,00
    Registrierte Wähler/Wahlbeteiligung 185.647.355 80,07
    Quelle: SUDD

    In den teilnehmenden Republiken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Die Stimmenanteile beziehen sich auf den Anteil der gültigen Stimmen.

    Unionsrepublik oder Autonome Sowjetrepublik Ja-Stimmen Nein-Stimmen Ungültige
    Stimmen
    Gesamte
    Stimmen
    Registrierte
    Wähler
    Beteiligung
    (%)
    Stimmen % Stimmen %
    Russland Sozialistische Foderative Sowjetrepublik Russische SFSR 56.860.783 73,00 21.030.753 27,00 1.809.633 79.701.169 105.643.364 75,44
    Baschkirische ASSR 1.908.875 87,65 269.007 12,35 43.276 2.221.158 2.719.637 81,67
    Burjatische ASSR 447.438 85,13 78.167 14,87 10.197 535.802 668.231 77,85
    Dagestanische ASSR 670.488 82,60 131.522 16,40 9.999 812.009 1.008.626 80,51
    Kabardino-Balkarische ASSR 290.380 78,97 77.339 21,03 4.888 372.607 489.436 76,13
    Kalmückische ASSR 148.462 89,28 17.833 10,72 2.829 169.124 204.301 82,78
    Karelische ASSR 317.854 77,42 92.703 22,58 7.544 418.101 551.644 75,79
    ASSR der Komi 412.842 77,53 119.678 22,47 10.883 543.403 797.049 68,18
    ASSR der Mari 333.319 81,19 77.239 18,81 8.041 418.599 525.685 79,63
    Mordwinische ASSR 459.021 81,84 101.886 18,16 10.724 571.631 677.706 84,35
    Nordossetische ASSR 331.823 91,01 32.786 8,99 3.249 367.858 428.307 85,89
    Tatarische ASSR 1.708.193 88,98 211.516 11,02 32.059 1.951.768 2.532.383 77,07
    Tuwinische ASSR 126.598 93,09 9.404 6,91 2.494 138.496 171.731 80,65
    Udmurtische ASSR 622.714 77,55 180.289 22,45 16.137 819.140 1.103.083 74,26
    Tschetscheno-Inguschische ASSR 318.059 77,05 94.737 22,95 6.216 419.012 712.139 58,84
    Tschuwaschische ASSR 616.387 84,48 113.249 15,52 18.784 748.420 900.913 83,07
    Jakutische ASSR 415.712 78,07 116.798 22,93 9.483 541.993 688.679 78,70
    Weißrussland Sozialistische Sowjetrepublik Belarussische SSR 5.069.313 83,72 986.079 16,28 71.591 6.126.983 7.354.796 83,31
    Ukraine Sozialistische Sowjetrepublik Ukrainische SSR 22.110.899 71,48 8.820.089 28,52 583.256 31.514.244 37.732.178 83,52
    Aserbaidschan SSR Aserbaidschanische SSR 2.709.246 94,12 169.225 5,88 25.326 2.903.797 3.866.659 75,10
    ASSR Nachitschewan 31.328 89,64 3.620 10,36 918 35.866 174.364 20,57
    Kasachstan Sozialistische Sowjetrepublik Kasachische SSR 8.295.519 95,00 436.560 5,00 84.464 8.816.543 9.999.433 88,17
    Kirgisien Sozialistische Sowjetrepublik Kirgisische SSR 2.057.971 95,98 86.246 4,02 30.377 2.174.593 2.341.646 92,87
    Tadschikistan Sozialistische Sowjetrepublik Tadschikische SSR 2.315.755 96,85 75.300 3,15 16.497 2.407.552 2.549.096 94,45
    Turkmenistan Sozialistische Sowjetrepublik Turkmenische SSR 1.766.584 98,26 31.203 1,74 6.531 1.804.310 1.846.310 97,66
    Usbekistan Sozialistische Sowjetrepublik Usbekische SSR 9.196.848 94,73 511.373 5,27 108.112 9.816.333 10.287.938 95,42
    Karakalpakische ASSR 563.916 98,23 10.133 1,77 3.668 577.717 584.208 98,89
    Quelle: SUDD

    In den boykottierenden Republiken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    In Estland wurde am 3. März 1991 ein offizielles Referendum über die Wiederherstellung der 1940 von der Sowjetunion besetzten estnischen Republik abgehalten. Das Ergebnis war 77,8 % für die Wiederherstellung der estnischen Republik. Auch in Lettland fand am 3. März 1991 ein offizielles Referendum statt, bei dem sich die überwältigende Mehrheit für die Wiederherstellung der unabhängigen lettischen Republik aussprach. Litauen hatte am 9. Februar 1991 ein Referendum abgehalten, bei dem 93 % der Wähler für die Unabhängigkeit stimmten.

    Georgien sollte sein eigenes Unabhängigkeitsreferendum zwei Wochen später abhalten, und Armenien am 21. September 1991.

    Folglich organisierten in diesen Republiken prosowjetische Organisation mithilfe des Militärs freiwillige Volksabstimmungen ohne offizielle Sanktion.[3] Die Wahlbeteiligung lag hier deutlich unter 50 % der Wahlberechtigten dieser Länder.

    Die Stimmenanteile beziehen sich auf den Anteil der gültigen Stimmen.

    Unionsrepublik oder Autonome Sowjetrepublik Ja-Stimmen Nein-Stimmen Ungültige Stimmen Gesamte
    Stimmen
    Registrierte Wähler
    (nicht gleichzusetzen mit Wahlberechtigten)
    Beteiligung
    (der registrierten Wähler, nicht der Wahlberechtigten)
    Stimmen % Stimmen %
    Armenien Sozialistische Sowjetrepublik 1952 Armenische SSR 2.541 72,46 966 27,54 42 3.549 4.923 72,09
    Georgien Sozialistische Sowjetrepublik Georgische SSR 43.950 99,98 9 0,02 53 44.012 45.696 96,31
    Abchasische ASSR 164.231 98,5 1.566 0,9 747 166.544 318.317 52,3
    Adscharische ASSR
    Moldau Sozialistische Sowjetrepublik Moldauische SSR 688.905 98,72 8.916 1,28 3.072 700.893 841.507 83,29
    Estland Sozialistische Sowjetrepublik Estnische SSR 211.090 95,46 10.040 4,54 1.110 222.240 299.681 74,16
    Lettland Sozialistische Sowjetrepublik Lettische SSR 415.147 95,84 18.015 4,16 3.621 436.783 670.828 65,11
    Litauen Sozialistische Sowjetrepublik Litauische SSR 496.050 99,13 4.355 0,87 970 436.783 582.262 86,11
    Quelle: SUDD

    Zusätzliche Fragen in den Unionsrepubliken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    In mehreren Republiken wurden zusätzliche Fragen in den Stimmzettel aufgenommen. In Russland wurde zusätzlich die Frage gestellt, ob das Amt des Präsidenten Russlands geschaffen werden soll. In Kirgisien, der Ukraine und Usbekistan ging es um die Souveränität der jeweiligen Republiken als Teil einer neuen Union.

    Russland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    In der Russland wurden die Wähler auch gefragt: „Halten Sie es für nötig, das Amt des Präsidenten der RSFSR einzuführen, der in allgemeiner Wahl gewählt wird?“ Der Vorschlag wurde mit einer Mehrheit von 71,4 % angenommen, was Boris Jelzin ermöglichte zum ersten Präsidenten der RSFDR bzw. später der Russischen Föderation zu werden. In der Nordossetischen, Tschetschenisch-Inguschischen und Tuwinischen ASSR wurde dieses Referendum aufgrund eines Boykotts der lokalen Behörden nicht abgehalten.

    Stimmen %
    Ja 53.385.275 71,38
    Nein 21.406.152 28,62
    Gesamt 74.791.427 100,00
    Gültige Stimmen 74.791.427 97,86
    Ungültige oder leere Stimmzettel 1.633.683 2,14
    Gesamt 76.425.110 100,00
    Registrierte Wähler/Wahlbeteiligung 101.776.550 75,09
    Quelle: SUDD

    Kirgisien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    In Kirgisien wurden die Wähler auch gefragt: „Sind Sie damit einverstanden, dass die Republik Kirgisistan der erneuerten Union als souveräne und gleichberechtigte Republik angehören sollte?“ Dem stimmten 62,2 % zu, obwohl die Wahlbeteiligung mit 81,7 % niedriger war als bei dem unionsweiten Referendum mit 92,9 %.[4]

    Stimmen %
    Ja 62,20
    Nein 37,80
    Gesamt 100,00
    Registrierte Wähler/Wahlbeteiligung 81,7
    Quelle: SUDD

    Ukraine[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    In der Ukraine wurden die Wähler auch gefragt: „Sind Sie damit einverstanden, dass die Ukraine Teil einer Union sowjetischer souveräner Staaten auf der Grundlage der Erklärung der staatlichen Souveränität der Ukraine sein sollt?“ Der Vorschlag wurde mit einer Mehrheit von 81,7 % angenommen. Die Ukraine hielt nach dem Augustputsch ihr eigenes Unabhängigkeitsreferendum am 1. Dezember ab, bei dem 92 % für die Unabhängigkeit stimmten.

    Stimmen %
    Ja 25.224.687 81,69
    Nein 5.655.701 18,31
    Gesamt 30.880.388 100,00
    Gültige Stimmen 30.880.388 98,14
    Ungültige oder leere Stimmzettel 584.703 1,86
    Gesamt 31.465.091 100,00
    Registrierte Wähler/Wahlbeteiligung 37.689.767 83,48
    Quelle: SUDD

    Am selben Tag wurde die Bevölkerung in den galizischen Oblasten Iwano-Frankiwsk, Lwiw und Ternopil gefragt, ob sie „Wollen, dass die Ukraine ein unabhängiger Staat wird, der die unabhängig in inneren und äusseren Angelegenheiten entscheidet und allen Bürgern gleiche Rechte ohne Rücksicht auf nationale oder religiöse Zugehörigkeit gewährleistet?“. 88 % der Wähler sprachen sich in den Oblasten dabei für die Unabhängigkeit der Ukraine aus.[5]

    Usbekistan[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    In Usbekistan wurden die Wähler auch gefragt: „Sind Sie einverstanden, dass Usbekistan als souveräne, gleichberechtigte Republik Teil einer erneuerten Union bleiben soll?“ Bei einer Wahlbeteiligung von 95,5 % sprachen sich 94,9 % dafür aus.[6] Am 29. Dezember würden 98 % der Usbeken für die vollständige Unabhängigkeit in einem Unabhängigkeitsreferendum stimmen.[7]

    Stimmen %
    Ja 94,90
    Nein 5,10
    Gesamt 100,00
    Registrierte Wähler/Wahlbeteiligung 95,50
    Quelle: SUDD

    Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Commons: Referendum in der Sowjetunion 1991 – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

    Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    1. a b c Beat Müller: Sowjetunion, 17. März 1991 : Weiterbestand der UdSSR als Föderation gleichberechtigter und souveräner Staaten. In: sudd.ch. 17. März 1991, abgerufen am 31. Dezember 2023 (englisch).
    2. Historischer Überblick: Auflösung der Sowjetunion | Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Abgerufen am 31. Dezember 2023.
    3. "Время" №5(2001). Abgerufen am 31. Dezember 2023.
    4. Beat Müller: Kirgisische Sozialistische Sowjetrepublik (Kirgisistan), 17. März 1991 : Gleichberechtigte souveräne Republik. In: sudd.ch. 17. März 1991, abgerufen am 31. Dezember 2023 (englisch).
    5. Beat Müller: Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik (Ukraine), 17. März 1991 : Gleichberechtigter souveräner Staat. In: sudd.ch. 17. März 1991, abgerufen am 31. Dezember 2023 (englisch).
    6. Beat Müller: Usbekische Sozialistische Sowjetrepublik (Usbekistan), 17. März 1991 : Gleichberechtigte souveräne Republik. In: sudd.ch. 17. März 1991, abgerufen am 1. Januar 2024.
    7. Beat Müller: Usbekistan, 29. Dezember 1991 : Unabhängigkeit. In: sudd.ch. 29. Dezember 1991, abgerufen am 31. Dezember 2023.