Solfeggietto

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Solfeggietto ist eine gebräuchliche Bezeichnung für das Solfeggio in c-Moll (Wq 117/2, H. 220), ein kurzes Solopianostück von Carl Philipp Emanuel Bach.[1] Die Komposition für Tasteninstrument entstand 1766 und wurde 1770 im Musikalischen Vielerley[2] (S. 19) von Michael Christian Bock[3] in Hamburg verlegt. Das Musikalische Vielerley greift als Zusammenstellung von neuartigen Musikstücken des Empfindsamen Stils die Idee des Musikalischen Allerleys[4] von 1761 und 1763 (verlegt von Friedrich Wilhelm Birnstiel[5] in Berlin) und des Musikalischen Mancherleys[6] von 1762 (verlegt von George Ludewig Winter in Berlin[7]) auf bzw. führt diese fort. Enthalten sind 71 Stücke verschiedener Gattungen, wie Klaviersonaten, Triosonaten, Fantasien, Arien, Menuette u. a. Als Komponisten treten neben Bach Johann Gottlieb Graun, Carl Friedrich Christian Fasch, Johann Philipp Kirnberger, Johann Christoph Friedrich Bach u. a. Vertreter der sogenannten Berliner Schule in Erscheinung. Adressat ist das geneigte Bürgertum (insbesondere auch Frauen) mit seinem erwachten Bedürfnis nach musikalischer Betätigung. Das Solfeggietto trägt die Tempobezeichnung Prestissimo und zeichnet sich durch eine vergleichsweise einfache Spielweise aus, die darauf beruht, dass im Wesentlichen beide Hände abwechselnd und kaum zusammen spielen. Möglicherweise soll es so zumindest den Charakter eines Singstücks aufweisen, um innerhalb der o. g. Sammlung exemplarisch für die Gattung stehen zu können.

Neben dem Solfeggio in c-Moll schuf Bach fünf weitere etüdenähnliche Stücke, die er – in Anlehnung an die im vokalen Bereich gebräuchliche Bezeichnung für kurze Übungsstücke ohne Text – Solfeggio nannte[8]. Zwei davon sind ebenfalls im o. g. Vielerley enthalten (das Solfeggio in Es-Dur Wq.117/3, H. 221, S. 156 und Solfeggio in A-Dur Wq 117/2, H. 222, S. 78). Interessanterweise sind beide Stücke umfänglich kürzer, womit das gebräuchliche Diminutiv in der Bezeichnung eher als Bekundung des Wohlgefallens aufgefasst werden kann.[1]

Etymologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Solfeggietto ist das Diminutiv von Solfeggio (italienisch) bzw. Solfège (französisch), die dem mittellateinischen Verben solmisatio/solmizatio bzw. solfare entstammen, die in den Solmisationssilben der 5. und 3. bzw. 4. Tonstufe im Tonsystem (qualitas) sol und mi bzw. fa ihren Ursprung finden. Ab dem Ende des 15. Jahrhunderts sind diese Wortbildungen belegbar, wobei das Solmisationsverfahren selbst früher verortet werden kann. Im abendländischen Raum ist es erstmals durch Guido von Arezzo und als pädagogisches Hilfsmittel innerhalb der mittelalterlichen klösterlichen Gesangsausbildung nachweisbar. Im 18. Jahrhundert differenziert sich der Terminus Solfège/Solfeggio von Frankreich und Italien ausgehend dahingehend, dass es eine Art Etüde für die Gesangsausbildung bezeichnet, wobei dessen Intention wohl auf dem Erlernen des Blattsingens bei sauberer Lautbeherrschung lag. Im romanischen Sprachraum beschreibt der Terminus Solfège bis heute auch funktional den deutschsprachigen Begriff der Musiktheorie.[9]

Aufbau[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bach bedient in diesem einfach strukturierten Stück die klassischen tonartlichen Stufen der Ritornellform. Beginnend von der Tonika c-Moll folgt die Dominante g-Moll, die Subdominante f-Moll, und wiederum die Tonika. Vorherrschend sind dabei Dreiklangsbrechungen, überwiegend im Wechsel von Molltonika und Durdominante, wodurch sich für diverse Läufe die entsprechenden melodischen Molltonleitern ergeben. Die zweite tonartliche Stufe wird unkompliziert über eine Quintfallsequenz erreicht. Nach c-Moll, f-Moll, B-Dur und Es-Dur erscheint As-Dur als grundtonloser Septnonenakkord. Umgekehrt und variiert ergibt sich die Doppeldominante D-Dur (Takt 7 und 8[10]), und schließlich die Auflösung g-moll. Das f-Moll als dritte tonartliche Station wird dann über eine kurze Quintfallsequenz erreicht, jedoch mit Hilfe der Durvarianten als Zwischendominanten (g-Moll → G-Dur7, c-Moll → C-Dur7 → f-Moll, Takt 13 und 15). Diese können, ebenso wie auch die eingestreuten Nachschläge (Takt 14 und 16), welche dann im letzten Drittel (Takt 26 ff.) weiter verarbeitet werden, als typisch galante Ausdrucksdetails gesehen werden. Die vierte tonartliche Stufe wird über einen übermäßigen f-Moll-Dreiklang (neapolitanischer Sextakkord) und über die Durdominante G erreicht. Die Rückkehr zur ursprünglichen Tonika c-Moll wird mittels einer kurzen Kadenz zelebriert (Takt 25). Durch Variation der Nachschläge werden nun noch diverse harmonische Wendungen vollführt, bis das Stück schließlich mit den typischen gebrochen Dreiklangsfolgen des Anfangs beschließt. Sicherlich nicht zufällig eröffnet diese recht durchsichtige Struktur auch dem Laien einen Einblick in Modulationstechniken bzw. Stilmittel der Zeit, wobei überwiegend auf Traditionelles zurückgegriffen wurde. Das Solfeggio aus dem Musikalischen Vielerley hat das interessierte wie gebildete Bürgertum – von Bach regelmäßig als „Liebhaber“ bzw. „Kenner“[11] tituliert – zum Adressaten.[12]

Interpreten (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Toby Philpott / Classical Piano: Top 10 Greatest Songs
  • Samantha Dougherty / The Absolut Best Classical Piano
  • Ricardo Castro / Famous Piano Music - From Bach to Bartok
  • Eugen Cicero (Jazz Version) / Swinging the Classics[13]
  • Eugen Cicero: Solfeggietto II[14]
  • The Swingle Singers (vokale Version) / Solfetietto, En Ut Mineur von der LP Anyone For Mozart, Bach, Handel, Vivaldi?[15]
  • Marc-André Hamelin Solfetietto à cinque, das eigentlich homophone Stück auf 5 Stimmen erweitert[16]
  • Bud Powell Bud on Bach, Jazzpiano-Improvisation über das Solfeggietto[17]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Editorische Anmerkungen zur Neuen Gesamtausgabe der Werke von C.P.E. Bach des Packard Humanities Institute. Einsehbar unter: [1] (PDF-Datei; 230 kB), abgerufen am 29. September 2012.
  2. Vollständig gescannte Partitur aus dem Bestand der Universität Michigan (USA) [2] (PDF-Datei; 73,5 MB), abgerufen am 24. September 2021.
  3. Werke von und über Michael Christian Bock in der Deutschen Digitalen Bibliothek
  4. Musikalisches Allerley: Noten und Audiodateien im International Music Score Library Project
  5. SL, Rudolf Elvers: Birnstiel, Friedrich Wilhelm. In: Ludwig Finscher (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Zweite Ausgabe, Personenteil, Band 2 (Bagatti – Bizet). Bärenreiter/Metzler, Kassel u. a. 1999, ISBN 3-7618-1112-8 (Online-Ausgabe, für Vollzugriff Abonnement erforderlich)
  6. Vollständig gescannte Partitur bzw. Ausgaben unter https://gdz.sub.uni-goettingen.de/id/PPN683337351, abgerufen am 24. September 2021.
  7. Bemerkenswert ist hierbei, dass Bach samt Familie ab 1758 in dem Haus seines Verlegers - weitab vom Dienstort Potsdam - wohnte. Durch fruchtbare Zusammenarbeit wurde nicht nur im gleichen Jahr die Liedsammlung Herrn Professor Gellerts geistliche Oden und Lieder mit Melodien, eine der populärsten Liedersammlung der Zeit und gleichzeitig ein Beitrag zur sogenannten Berliner Liederschule, veröffentlicht. In unmittelbarer Nähe wohnte auch der Aufklärer Gotthold Ephraim Lessing, der einen Zirkel von Intellektuellen und Künstlern um sich scharte. Die Möglichkeit zum regen intellektuellen Austausch bot weiterhin der Weinkeller Baumannshöhle in der Brüderstraße, Treffpunkt lokaler aufklärerischer Geister. Vgl. dazu einen Artikel anlässlich des 300. Geburtstages Bachs von Deutschlandfunk Kultur [3], abgerufen am 24. September 2021.
  8. Eine erste Werkgruppe komponiert 1759: Solfeggio G-Dur, Wq. 112/4 (117/5), H. 145, Solfeggio C-Dur Wq. 112/10 (117/6), H. 147, Solfeggio G-Dur, Wq. 112/18 (117/7), H. 149, als auch die spätere Werkgruppe komponiert 1766 bestehend aus dem hier behandelten Solfeggietto, außerdem dem Solfeggio Es-Dur, Wq. 117/3, H. 221, Solfeggio A-Dur, Wq. 117/4, H. 222.
  9. Vgl. zu diesem gesamten Abschnitt: Wilibald Gurlitt, Hans Heinrich Eggebrecht: Solfège. In: Riemann Musiklexikon. 12. Auflage. 1967 als auch: Wolfgang Ruf, Annette van Dyck-Hemming: Solfège. In: Riemann Musiklexikon 13. Auflage. 2012.
  10. Vgl. Notentext [4] (PDF-Datei, 97 kB), abgerufen am 24. September 2021.
  11. Vgl. dazu die Vorwörter der gen. Publikationen.
  12. Vgl. zu dem gesamten Abschnitt: Alexander Krause: Die Claviermusik von Carl Philipp Emanuel Bach. Hausarbeit Universität Halle 2005.
  13. Aufnahme mit Peter Witte (b) und Charly Antolini (dr)
  14. Eugen Cicero Trio (ab 0:21:00) auf YouTube (live im Subway Köln 1997)
  15. Youtube-Video, aufgerufen am 9. April 2022 [5]
  16. Youtube-Video, aufgerufen am 27. April 2022 [6]
  17. Youtube-Video, aufgerufen am 27. April 2022 [7]