Sonderzug nach Moskau

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Salonwagen Adenauers, ehemals im Sonderzug, heute im Haus der Geschichte in Bonn
Rückkehr der Delegation aus Moskau am 14. September 1955 auf dem Flughafen Köln/Bonn.

Der Sonderzug nach Moskau („Zug M[1]) wurde von der Bundesregierung 1955 eingesetzt, um bei den Verhandlungen in der Sowjetunion um die Rückkehr der letzten deutschen Kriegsgefangenen eine abhörsichere Beratungsmöglichkeit in Moskau vor Ort zu haben.

Ausgangslage[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Schicksal der Kriegsgefangenen gehörte zu den drängenden Problemen im Deutschland der Nachkriegsjahre. 1955 befanden sich noch knapp 10.000 frühere deutsche Wehrmachts-Soldaten und ehemalige Angehörige der Waffen-SS sowie rund 20.000 politisch inhaftierte Zivilisten in sowjetischer Gefangenschaft.

Diplomatische Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR bestanden damals (noch) nicht und es gab keine Botschaften des jeweils anderen Staates in Bonn oder Moskau. Deshalb nahm die sowjetische Botschaft in Paris im Juni 1955 mit der dortigen bundesdeutschen Botschaft Kontakt auf, um eine Einladung an Bundeskanzler Konrad Adenauer nach Moskau zu übergeben. Diese Einladung war damals eine Sensation. Adenauer sah die Chance, auch hinsichtlich der Kriegsgefangenen etwas zu bewegen und nahm die Einladung an. Am 8. September 1955 flogen er und seine Delegation mit einem Flugzeug der Lufthansa zu dem Staatsbesuch nach Moskau.[2]

Da die Bundesrepublik Deutschland in Moskau keine Botschaft besaß, wurde für die Verhandlungen eine mobile, vorübergehende Lösung vereinbart: Ein Sonderzug, der eine abhörsichere Beratung für die deutsche Delegation sicherstellen sollte und mit eigenen Funkfernschreibern zum direkten Kontakt nach Deutschland ausgestattet war.[3] Rechtlich wurde für den Zug – analog zu einem Botschaftsgebäude – Exterritorialität vereinbart.[4]

Vorbereitung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hauptzug[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Delegation wohnte in Moskau in einem Hotel.[5] Für die Zugbildung war deshalb nur erforderlich, dass in Moskau ausreichend Konferenz- und Aufenthaltsraum zur Verfügung stand.[6] Ab dem 29. Juli 1955 bereitete die Deutsche Bundesbahn den Zug vor.[7] An den vorgesehenen Wagen mussten zahlreiche Umbauten und Renovierungen vorgenommen werden. Am 22. und 23. August 1955 fanden Besprechungen in der Sowjetischen Botschaft in Ost-Berlin statt, in der zahlreiche technische Punkte hinsichtlich des Zuges vereinbart wurden:[8] Fahrpläne, Einzelheiten zur Umspurung in Brest, Probefahrt nach der Umspurung, Kompatibilität der Bremssysteme, Kupplungen und Heizung, Versorgung mit Wasser, Außenreinigung und Abstellung in Moskau. Für den Hauptzug wurden 700 Tonnen Gewicht, 52 Achsen und 85 km/h vereinbart.[9]

Für diesen Einsatz wurden alle Wagen des Zuges besonders ausgerüstet: Die Fenster der Wagen erhielten als Sichtschutz besonders schwere Vorhänge. Weiter wurden Drehgestelle in russischer Spurweite beschafft[Anm. 1], die von Westwaggon hergestellt wurden.[10] Erst am 22. August 1955 stellte das Auswärtige Amt die Forderung nach dem Einbau einer schalldichten Kabine in den Zug. Innerhalb weniger Tage wurde daraufhin von Siemens eine entsprechende Kabine in den Bahnpostwagen 105685, einen Wagen älterer Bauart, eingefügt.[11]

Der Zug wurde im Ausbesserungswerk Frankfurt am Main zusammengestellt. Die Probefahrt erfolgte am 27. August 1955 von dort nach Elm und zurück, wobei 120 km/h gefahren wurden. Unter großem Zeitdruck wurden noch Nachbesserungen vorgenommen. Dann fuhr der Zug am 3. September 1955 nach Bonn.

Vorzug[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Außerdem war ein Vorzug, ein Werkstattzug, erforderlich, der die Drehgestelle in russischer Breitspur zum Umspurbahnhof Brest bringen sollte. Für diesen Vorzug wurden ca. 400 Tonnen Gewicht, 30 Achsen und eine Geschwindigkeit von 75 km/h vereinbart.[12] Der Vorzug bestand aus Personenwagen für das Begleitpersonal und Güterwagen, vor allem 13 Flachwagen zum Transport der Drehgestelle in russischer Spurweite.

Fahrt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vorzug[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Vorzug war wie folgend zusammengestellt:[13]

Nummer Beschreibung Bezeichnung Betriebsnummer
01 Dienstwagen der DR[Anm. 2] 080 1 442
02 Wagen 1. / 2. Klasse AB4ü 11 493 Hmb
03 Salonwagen Salon 4ü 10 202
04 Kühlwagen Nr. 42 (für Lebensmittel der Mitarbeiter im Vorzug) Trhs 305 867[Anm. 3]
05-17 Flachwagen, mit je zwei Breitspurdrehgestellen beladen Rm
18 Gepäckwagen als Begleiterwagen Pwg 795 041

Der Vorzug verließ den Hauptgüterbahnhof Frankfurt (Main) am 2. September 1955, erreichte mittags den innerdeutschen Grenzbahnhof Helmstedt und wechselte dort auf das Netz der Deutschen Reichsbahn. Über Magdeburg ging es weiter bis Frankfurt (Oder), wo der Zug von den Polnischen Staatsbahn (PKP) übernommen wurde, die ihn nach Brest beförderte, wo er am Vormittag des 4. September ankam. Hier hatten die Mitarbeiter der Sowjetischen Staatsbahn (SZD) nun Gelegenheit, an dem Salonwagen 10202 das Umspuren an dem für sie fremden Fahrzeugtyp zu üben.[14]

Hauptzug[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 4. September 1955 um 23:00 Uhr fuhr der Hauptzug, bespannt mit zwei Dampflokomotiven der Baureihe 01, von Bonn in Richtung Brest in folgender Zusammensetzung ab:[15]

Nummer Beschreibung Bezeichnung Betriebsnummer
01 Salonautoreisezugwagen SdrPw4ü 10 293 Ffm
02 Salonwagen des Bundeskanzlers Salon 4ü 10 205 Köl
03 Salonwagen Salon 4ü 10 390
04 Gepäckwagen Pw4ü-37 105 685
05 Bahnpostwagen mit abhörsicherer Kabine Post4ü-b1/21 4796
06 Schlafwagen WLAB4üe-37 DSG 20 990
07 Speisewagen WR4üe-39 DSG 1157
08 Schlafwagen WLAB4üe-37 DSG 20 992
09 Schlafwagen WLAB4üe-37 DSG 20 991
10 Generatorwagen 8904
11 Generatorwagen 8903
12 Gepäckwagen[Anm. 4] 1393
13a Personenwagen 2. Klasse für örtliches Begleitpersonal[Anm. 5] B4i-30 25 046
13b SZD-Wagen für örtliches Begleitpersonal[Anm. 6] 1241

Im Zug fuhr fast ausschließlich technisches Personal mit: 6 Mitarbeiter der DB[Anm. 7], 16 der DSG[Anm. 8] und 9 der Post.[16]

Der Weg führte am 5. September 1955 über Köln und Hannover zunächst zum Grenzbahnhof Helmstedt. Mit der Deutschen Reichsbahn ging die Fahrt nun über Magdeburg und Köpenick bis Frankfurt (Oder), wo der Zug von den PKP übernommen wurde, die ihn über Warschau nach Brest beförderte. Dort wurde er am Vormittag des 6. September umgespurt. Mit der SZD ging es in einer weiteren Nachtfahrt über Minsk. Der Zug erreichte am 7. September 1955 gegen 13:30 Uhr den Bahnsteig im Leningrader Bahnhof[Anm. 9] (Ленинградский вокзал) in Moskau,[17] an dem er in den nächsten Tagen stand.[18]

Heimkehr der Zehntausend[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Trotz der politisch prekären Situation kam es bereits nach wenigen Tagen, am 12. September, zu einer Einigung zwischen beiden Parteien: Die 10.000 Kriegsgefangenen sollten entlassen werden.

Gegenleistung war die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Staaten, womit der Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik Deutschland insoweit aufgegeben wurde. Die Freilassung auch der Zivilgefangenen wurde kurz vor dem Ende der Gespräche persönlich zwischen Adenauer und Nikolai Bulganin vereinbart.

Am 7. Oktober 1955 kamen die ersten 600 Heimkehrer der „Zehntausend“ am innerdeutschen Grenzbahnhof Herleshausen an und wurden in das Lager Friedland weitergeleitet. Am 16. Januar 1956 trafen dann die letzten aus sowjetischen Lagern heimkehrenden Kriegsgefangenen dort ein.[19]

Rückfahrt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Rückfahrt des Hauptzuges erfolgte am Morgen des 16. September 1955, Brest wurde etwa 24 Stunden später erreicht. Der Vormittag verging dort mit dem Umspuren des Hauptzuges. Am Morgen des 18. September wurde in Helmstedt wieder die Bundesrepublik Deutschland und das Netz der Deutschen Bundesbahn erreicht. In Bonn kam der Zug am Spätnachmittag des gleichen Tages an. Er wurde am folgenden Tag als Leerzug nach Frankfurt (Main) Süd überführt.[20]

Der ursprüngliche Vorzug bildete nun einen Nachzug. Er verließ Brest am 18. September und erreichte Frankfurt am Main am 20. September.[21]

Museumsobjekte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Salonwagen des Kanzlers, Bestandteil des Sonderzuges nach Moskau, ist heute das größte und schwerste Ausstellungsobjekt im Haus der Geschichte in Bonn.[22]

Er wurde schon während der Bauphase des Hauses ab dem 5. Oktober 1990 im Untergeschoss des Museums „eingemauert“.[23][24] Auch der Mercedes 300 des Kanzlers steht dort, auf dem „Bahnsteig“ vor dem Salonwagen.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Angeblich nur 14 breitspurige Drehgestelle (Weigelt, S. 109) was bei 12 umzuspurenden Wagen vermutlich ein Druckfehler ist. Zutreffend: 24.
  2. nur zwischen Rzepin und Brest
  3. Haberling, S. 436; auf S. 435 nennt er 306 867
  4. Ladeliste bei Haberling, S. 438.
  5. nur bis und von Brest
  6. nur zwischen Brest und Moskau
  7. 2 Wagenmeister und je ein Maschinenmeister, Schlosser, Elektriker und Aufsichtsführender.
  8. 7 Mann Speisewagenpersonal, 6 Schlafwagenschaffner und je ein Schlosser, Hilfsarbeiter und Aufsichtsführender.
  9. Haberling, S. 435, gibt hier abweichend den Belarussischen Bahnhof (Белорусский вокзал) als Abstellort an, auf S. 436 dann allerdings auch den Leningrader Bahnhof.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Haberling, S. 435.
  2. Weigelt, S. 108.
  3. Eckardt, S. 381.
  4. Andreas Rödder: Konrad Adenauer in Moskau. Museumsmagazin online, 2008, abgerufen am 27. Dezember 2014.
  5. Eckardt, S. 387.
  6. Weigelt, S. 108.
  7. Haberling, S. 435.
  8. Haberling, S. 435.
  9. Haberling, S. 435.
  10. Haberling, S. 435.
  11. Haberling, S. 435.
  12. Haberling, S. 435.
  13. Haberling, S. 436.
  14. Haberling, S. 436.
  15. Haberling, S. 435.
  16. Weigelt, S. 108.
  17. Haberling, S. 435f.
  18. Eckardt, S. 388.
  19. Siegfried Löffler: Heimkehr an einem sonnigen Herbstsonntag, in: Werratal-Bote. 16. Jg. Nr. 48 vom 2. Dezember 2005, S. 8f.
  20. Haberling, S. 436.
  21. Haberling, S. 437.
  22. Hans Walter Hütter in: Gottwaldt, S. 4.
  23. Gottwaldt, S. 6, 43.
  24. Aktualität verdrängt Adenauer. Kölnische Rundschau, 9. März 2010, abgerufen am 27. Dezember 2014.