Vergonha

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
„Sprecht französisch, seid sauber“, geschrieben an einer Schulwand in Ayguatébia-Talau
Karte der Sprachen und Dialekte Frankreichs; rot die ursprünglich okzitanischen Varietäten

La vergonha (okzitanische Aussprache: [berɣuɲɔ, veʀɡuɲɔ], deutsch: „Schande“) nennen die Okzitanier die Auswirkungen verschiedener Maßnahmen der französischen Politik auf Bürger, deren Muttersprache eine andere Sprache als Französisch ist.[1] Vor allem ab dem 16. Jahrhundert wurden okzitanische Muttersprachler in Verbindung mit Art. 111 des Edikts von Villers-Cotterêts dazu gebracht, durch offizielle Ausgrenzung, Erniedrigung in der Schule und Ablehnung durch die Medien, die eigene Muttersprache (oder die der Eltern) abzulehnen und sich ihrer zu schämen. Vergonha, das immer noch ein Tabuthema in Frankreich ist[2], wird von einigen Wissenschaftlern als Ergebnis eines versuchten Linguizids angesehen.[2] Im Jahr 1860, vor Einführung der allgemeinen Schulpflicht, repräsentierten okzitanische Muttersprachler mehr als 39 %[3], der französischsprachige Bevölkerungsanteil betrug 52 %. Ihr Anteil sank in den 1920er Jahren auf 26–36 %[4] und fiel dann 1993 auf weniger als 7 %.[5]

19. Jahrhundert[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den 1880er Jahren führte Jules Ferry eine Reihe strenger Maßnahmen durch, um die Regionalsprachen in Frankreich weiter zu schwächen, wie ein Bericht Bernard Poignants von 1998 an Lionel Jospin zeigt.[6] Dazu zählte, dass Kinder von ihren Lehrern bestraft wurden, wenn sie eine andere Sprache als Standardfranzösisch, also etwa Okzitanisch oder Bretonisch in der Schule sprachen. Bei Verstoß drohten verschiedene Maßnahmen wie das so genannte „le symbole“, bei denen Kindern und Jugendlichen zur Strafe ein Klotz um den Hals gehängt wurde.[7]

Mitte des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Noch im Jahr 1972 erklärte Georges Pompidou als damaliger französischer Präsident, dass es keinen Raum für Regionalsprachen in einem Frankreich gebe, dessen Schicksal sei, Europa seinen Siegel aufzudrücken.[8] In einer Wahlrede in Lorient am 14. März 1981 behauptete François Mitterrand:[9]

„Die Zeit ist gekommen, den Sprachen und Kulturen Frankreichs einen offiziellen Status zu geben. Es ist an der Zeit, die Schultüren für sie zu öffnen, regionale Radio- und Fernsehsender zu schaffen, damit sie ausgestrahlt werden können, damit sie im öffentlichen Leben die Rolle spielen, die sie verdienen.“

Diesen Erklärungen folgten jedoch kaum wirksamen Maßnahmen: Die Regionalsprachen sind in unterschiedlichem Maße in Schulen und Medien präsent, jedoch hat keine von ihnen einen offiziellen Status. Zuletzt lehnte der französische Senat am 27. Oktober 2015 einen Gesetzentwurf zur Ratifizierung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen ab, der regionalen Sprachen wie Okzitanisch in Verbindung mit einer Verfassungsreform einen offiziellen Status verliehen hätte.[10]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Aurélie Joubert: A Comparative Study of the Evolution of Prestige Formations and of Speakers’ Attitudes in Occitan and Catalan. In: https://www.research.manchester.ac.uk. 2010;.
  2. a b Llengua Nacional, Catalan linguistic review (Memento des Originals vom 16. Juli 2011 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.reocities.com, Text verfügbar unter http://fpl.forumactif.com/Forum-Occitan-f11/Le-patois-des-vieux-el-patues-dels-vells-p11914.htm@1@2Vorlage:Toter Link/fpl.forumactif.com (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Februar 2023. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  3. Louis de Baecker, Grammaire comparée des langues de la France, 1860, p. 52: parlée dans le Midi de la France par quatorze millions d'habitants ("gesprochen in Südfrankreich von vierzehn Millionen Einwohnern"). [1] + [2]
  4. Yann Gaussen, Du fédéralisme de Proudhon au Félibrige de Mistral, 1927, p. 4: [...] défendre une langue, qui est aujourd'hui la mère de la nôtre, parlée encore par plus de dix millions d'individus [...] ("schützt eine Sprache, die immer noch von mehr als zehn Millionen Menschen gesprochen wird"). [3]
  5. Stephen Barbour & Cathie Carmichael, Language and nationalism in Europe, 2000, p. 62
  6. LANGUES ET CULTURES REGIONALES - Rapport de Monsieur Bernard Poignant - Maire de Quimper A Monsieur Lionel Jospin - Premier Ministre Le 1er juillet 1998, chez.com
  7. Nicolas de la Casinière: Ecoles Diwan, la bosse du breton. 1. Oktober 1998, archiviert vom Original am 14. Oktober 1999; abgerufen am 28. Juni 2008 (französisch).
  8. Conséquences sociales, économiques et politiques de la discrimination linguistique. Audition au Parlement européen, groupe ALDE. La République française : non-droit au nom de l'égalité pour les locuteurs des langues régionales ou minoritaires Tangi Louarn, président d'EBLUL-France@1@2Vorlage:Toter Link/www.eurominority.eu (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Mai 2019. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  9. Le temps est venu d’un statut des langues et cultures de France, at pactedeslangues.com (Memento des Originals vom 8. September 2009 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/pactedeslangues.com
  10. Le Sénat dit non à la Charte européenne des langues régionales. Abgerufen am 1. November 2015