Viehverstellung

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Die Viehverstellung oder Viehpacht (franz. bail à cheptel, ital. soccida[1]), im Deutschen auch Kuhleihe ist eine vorwiegend auf Hausrinder, seltener auch auf Pferde, angewandte Pachtform. Der „Versteller“ ist der Eigentümer und Verpächter, der „Einsteller“ der Pächter. Der Einsteller darf das Vieh nutzen, etwa Milch, Dünger und Nachzucht, muss aber die Fütterung und Pflege übernehmen sowie dem Verpächter oder Versteller einen Zins in Geld oder einen Teil des Nutzens (Käse, Butter) entrichten.

Die Viehverstellung ist zu unterscheiden von der Herdenpacht (auch Eisern-Vieh-Vertrag oder contractus socidae), der Viehsömmerei (in der Schweiz Alpage des vaches) und der Lohnmästerei.[2][3]

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Schweiz kam die Viehverstellung mit der Intensivierung der Viehwirtschaft im 14. und 15. Jahrhundert auf. Auf eine Verlagerung der ländlichen Gewerbe in die Städte im 14. Jahrhundert war seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine Reagrarisierungstendenz gefolgt. Städtische Exportgewerbe verloren an Bedeutung und wurden teilweise aufs Land verschoben, wo zugleich der durch städtisches Kapital etwa in Form von Viehverstellungen begünstigte Übergang zur Grossviehproduktion Arbeitskräfte freisetzte. Begleitet war dieser Vorgang von einem Bevölkerungsrückgang in den Städten und einer Bevölkerungszunahme auf dem Land.[4] Die Viehverstellung ist heute im Schweizer Obligationenrecht geregelt (Art. 302–304 OR).[5][6]

Ursprünglich wurde sie wohl aus dem jüdischen Recht abgeleitet.[7][8][9] Urkunden belegen, dass die Viehverstellung bereits im babylonischen Recht bekannt war.[10]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA), 2. Aufl. 1999: Viehverstellung (Bd. 35, S. 445)
  • Roger Sablonier: Innerschweizer Gesellschaft im 14. Jahrhundert. Sozialstruktur und Wirtschaft, in: Innerschweiz und frühe Eidgenossenschaft. Jubiläumsschrift 700 Jahre Eidgenossenschaft, Bd. 2: Gesellschaft – Alltag – Geschichtsbild, Olten 1990, S. 5–233, insbes. 143, 152f., 158, 226ff.
  • Martin Pauls, Wolfgang Druckenmüller: Die Kuhleihe: ein Mietvertrag aus dem Jahre 1848 In: Heimatkalender / Landkreis Bitburg-Prüm (1993), S. 154–156. - Ill.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Fulvio Maroi: Soccida Enciclopedia Italiana (1936)
  2. Informationen, Checklisten und Muster zum Pachtrecht in der Schweiz, Abgrenzungen
  3. Viehverstellungsvertrag retrobibliothek.de
  4. Hans-Jörg Gilomen: Stadt-Land-Beziehungen in der Schweiz des Spätmittelalters, in: Ulrich Pfister (Hg.), Stadt und Land in der Schweizer Geschichte. Abhängigkeiten – Spannungen – Komplementaritäten, Basel 1998 (Itinera 19), S. 10–48
  5. Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) vom 30. März 1911 (Stand am 1. Juli 2015)
  6. Eugen Bucher: § 8 PACHT (OR 275-304)
  7. Viehverstellung Wörterbuch des jüdischen Rechts. Neudruck 1980 der im "Jüdischen Lexikon" (1927–1930) erschienenen Beiträge von Marcus Cohn
  8. Katharina Kaiser, Christoph Hauser: „Hamma neischt ze handeln?“ (Haben wir nichts zu handeln?) Jüdischer Viehhandel im Saarburger Land. Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte um den Preis des Bundespräsidenten 2000 /2001
  9. Hermann Magin: Viehhandel in Mutterstadt: Ehrlichkeit unter jüdisch-nichtjüdischen Nachbarn judeninmutterstadt.org
  10. Julius Augapfel: Babylonische Rechtsurkunden Wien 1917, S. 82 ff.