Naltrexon

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Strukturformel
Strukturformel von Naltrexon
Allgemeines
Freiname Naltrexon
Andere Namen
  • (5R,9R,13S,14S)-17-Cyclopropylmethyl-3,14-dihydroxy-4,5-epoxymorphinan-6-on (IUPAC)
  • Naltrexonum (Latein)
Summenformel
  • C20H23NO4 (Naltrexon)
  • C20H23NO4·HCl (Naltrexon·Hydrochlorid)
Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer
EG-Nummer 240-649-9
ECHA-InfoCard 100.036.939
PubChem 5360515
ChemSpider 4514524
DrugBank DB00704
Wikidata Q409587
Arzneistoffangaben
ATC-Code

N07BB04

Wirkstoffklasse

Opioidantagonist, Antidot

Wirkmechanismus

Kompetitive Hemmung aller Opioidrezeptoren

Eigenschaften
Molare Masse 341,40 g·mol−1
Schmelzpunkt
  • 168–170 °C (Naltrexon)[1]
  • 274–276 °C (Naltrexon·Hydrochlorid)[2]
Löslichkeit

Wasser: 1,63 g·l−1 (25 °C)[1]

Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[3]

Achtung

H- und P-Sätze H: 302
P: keine P-Sätze[3]
Toxikologische Daten

551 mg·kg−1 (LD50Mauss.c.)[1]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Naltrexon ist ein verschreibungspflichtiger Arzneistoff und wie Naloxon ein reiner Opioidantagonist, der als kompetitiver Antagonist an allen Opioidrezeptoren wirkt.

Anwendung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Opioidabhängigkeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Naltrexon ist in Deutschland zur medikamentösen Unterstützung bei der psychotherapeutisch oder psychologisch geführten Entwöhnungsbehandlung Opioid-Abhängiger nach einer erfolgten Opioid-Entgiftung zugelassen. Nach systematischen Übersichtsarbeiten u. a. der Cochrane Collaboration ist allerdings die Datenlage für die Erhaltungstherapie bei Opioid-Abhängigen bislang unzulänglich, während es Belege für eine Wirksamkeit bei der Behandlung Alkoholabhängiger gibt.[4][5][6]

Gelegentlicher Cannabiskonsum scheint bei opioidabhängigen Personen im Gegensatz zu keinem oder andauerndem Konsum den Verbleib in einem Naltrexonprogramm und somit dessen Erfolg signifikant zu begünstigen. Auch scheint durch die Abschwächung der Entzugserscheinungen Schlaflosigkeit und Agitiertheit gelegentlicher Cannabiskonsum in den frühen Wochen eines Entzugs die Naltrexonverträglichkeit zu erhöhen.[7]

Alkoholabhängigkeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den USA und zahlreichen europäischen Ländern ist Naltrexon bereits zur Alkoholrückfallprävention zugelassen. Unter dem Handelsnamen Adepend® (50 mg) wurde in Deutschland die Zulassung zur Reduktion des Rückfallrisikos, Unterstützung der Abstinenz und Minderung des Verlangens nach Alkohol (Craving) als Teil einer umfassenden Therapie am 17. Mai 2010 an das Pharmaunternehmen Desitin erteilt. Die Markteinführung erfolgte am 1. August 2010. Es ist damit neben Naltrexon-HCl neuraxpharm eines der wenigen Naltrexon-Präparate in Deutschland mit der Indikation Rückfallprophylaxe bei Alkoholabhängigkeit.

Die Datenlage bei jüngeren Alkoholikern ist begrenzt.[8]

Adipositas[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Naltrexon-Bupropion (N-B) ist ein Kombinationspräparat, das zusätzlich zu körperlicher Betätigung und einer kalorienreduzierten Ernährung als Behandlungsoption für die langfristige Behandlung von Übergewicht und Adipositas eingesetzt wird. Naltrexon wirkt durch Autoinhibition von Pro-Opiomelanocortin-Neuronen im Hypothalamus, während Bupropion die Wirkung von Dopamin an bestimmten Stellen im Gehirn verstärken soll. Es wird angenommen, dass die kombinierte Wirkung von Naltrexon und Bupropion das Verlangen nach Essen reduziert.

N-B wurde von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA; Mysimba) und der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA; Contrave) im September bzw. Dezember 2014 für die Behandlung von Adipositas zugelassen.[9]

Andere[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Off-Label wird Naltrexon mit Erfolg bei der Behandlung von selbstschädigendem Verhalten bei dissoziativen Störungen und Borderline-Persönlichkeitsstörungen eingesetzt.[10] Auch bei selbstschädigendem Verhalten im Rahmen von Autismus[11] und mentalen Entwicklungsstörungen wurde ein Nutzen von Naltrexon gesehen.[12]

Nebenwirkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Naltrexon kann ein akutes Entzugssyndrom auslösen, wenn der Behandelte vor Beginn der Therapie nicht opiatfrei ist. Es wird deshalb empfohlen, vor Behandlungsbeginn durch eine Urinprobe oder einen Test mit Naloxon die Opiatfreiheit zu überprüfen.

Als sehr häufige Nebenwirkungen sind Schlafstörungen, Angstzustände und gesteigerte Erregbarkeit beschrieben. Auch Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, Gelenk- und Muskelschmerzen sowie Kopfschmerzen treten sehr häufig auf. Besondere Vorsicht ist bei Patienten mit eingeschränkter Leber- oder Nierenfunktion geboten.

Abhängigkeit bzw. Toleranzentwicklungen sind bei Naltrexonbehandlungen bisher nicht beobachtet worden.

Wechselwirkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Während der Einnahme von Naltrexon sollten keine opioidhaltigen Medikamente (wie Codein oder Loperamid) eingenommen werden. In Notfallsituationen können Opioid-Analgetika nicht in der gleichen Weise wirksam sein, die Dosis muss erhöht werden. Dies kann zu Komplikationen führen. Bei gleichzeitiger Verwendung von Opioiden kann es bei Nachlassen der antagonistischen Naltrexon-Wirkung zu einer Opioid-Überdosierung und dadurch zu verstärkter, potentiell tödlicher Atemdepression kommen.

Pharmakologische Eigenschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

150 mg Naltrexon pro Tag blockieren den Effekt von 25 mg Heroin für circa 72 Stunden. Die Halbwertszeit der Opiatrezeptoren-Blockade liegt im Allgemeinen zwischen 72 und 108 Stunden. Bei einer Dosis von 50 mg pro Tag, jeden zweiten Tag eingenommen, sind nach 48 Stunden immer noch 70–80 % der Opiatrezeptoren blockiert.

Low Dose Naltrexone (LDN)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den letzten Jahren gab es zahlreiche Entdeckungen bei der Off-Label-Verwendung von Low Dose Naltrexone oder LDN. LDN wird in Dosen zwischen 0,5 und 4,5 mg täglich verschrieben[13]. Es wird vermutet, dass LDN bei Autoimmunkrankheiten und Krebs als Immunmodulator wirken kann. In-vitro-Studien haben gezeigt, dass LDN die Fähigkeit hat, die Sekretion von Entzündungszytokinen wie IL6 und TNFα als Reaktion auf intrazelluläre Toll-like-Rezeptoren zu modulieren.[14] LDN scheint modulierende Eigenschaften bei Neuroinflammation zu haben, insbesondere bei der Modulation von Gliazellen und der Freisetzung von Zytokinen im zentralen Nervensystem.[15]

Einige Studien haben gezeigt, dass LDN bei Krankheiten wie Fibromyalgie[16], entzündlicher Darmerkrankung[17] und Morbus Crohn[18], Multipler Sklerose[19], myalgischer Enzephalomyelitis/CFS[20] und komplexem Schmerzsyndrom[21] von Nutzen ist, aber seine Verwendung ist in der medizinischen Fachwelt noch weitgehend unbekannt.

Eine retrospektive Studie aus dem Jahr 2023 zeigte, dass LDN die mit Long COVID verbundenen Symptome (Fatigue, Post-exertionelle Malaise, Schlaflosigkeit) und die Funktionsfähigkeit verbessern kann.[22]

Andere vielversprechende Indikationen wie Krebs, HIV, oder Psoriasis wurden noch nicht ausreichend erforscht.[23]

Handelsnamen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Monopräparate: Adepend (D), Dependex (A), Ethylex (A), Naltrexin (A, CH), Nemexin (D, A), Revia (A) sowie Generika (D, A)

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c Eintrag zu Naltrexone in der ChemIDplus-Datenbank der United States National Library of Medicine (NLM) (Seite nicht mehr abrufbar)
  2. The Merck Index. An Encyclopaedia of Chemicals, Drugs and Biologicals. 14. Auflage, 2006, S. 1101–1102, ISBN 978-0-911910-00-1.
  3. a b Datenblatt Naltrexone hydrochloride bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 12. April 2011 (PDF).
  4. Lobmaier P, Kornør H, Kunøe N, Bjørndal A: Sustained-release naltrexone for opioid dependence. In: Cochrane Database Syst Rev. Nr. 2, 2008, S. CD006140, doi:10.1002/14651858.CD006140.pub2, PMID 18425938.
  5. Minozzi S, Amato L, Vecchi S, Davoli M, Kirchmayer U, Verster A: Oral naltrexone maintenance treatment for opioid dependence. In: Cochrane Database Syst Rev. Nr. 1, 2006, S. CD001333, doi:10.1002/14651858.CD001333.pub2, PMID 16437431.
  6. Adi Y, Juarez-Garcia A, Wang D, et al.: Oral naltrexone as a treatment for relapse prevention in formerly opioid-dependent drug users: a systematic review and economic evaluation. In: Health Technol Assess. 11. Jahrgang, Nr. 6, Februar 2007, S. iii–iv, 1–85, PMID 17280624 (hta.ac.uk (Memento des Originals vom 17. November 2011 im Internet Archive) [abgerufen am 1. Juli 2009]).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.hta.ac.uk
  7. Wilfrid Noel Raby, PhD, MD, Kenneth M. Carpenter, PhD, Jami Rothenberg, PhD, Adam C. Brooks, PhD, Huiping Jiang, PhD, Maria Sullivan, MD, Adam Bisaga, MD, Sandra Comer, PhD, and Edward V. Nunes, MD: "Intermittent Marijuana Use Is Associated with Improved Retention in Naltrexone Treatment for Opiate-Dependence" Am J Addict. 2009 Jul–Aug; 18(4): 301–308. doi:10.1080/10550490902927785; PMC 2753886 (freier Volltext).
  8. Minozzi S, Amato L, Davoli M: Detoxification treatments for opiate dependent adolescents. In: Cochrane Database Syst Rev. Nr. 2, 2009, S. CD006749, doi:10.1002/14651858.CD006749.pub2, PMID 19370651.
  9. Igho J. Onakpoya, Joseph J. Lee, Kamal R. Mahtani, Jeffrey K. Aronson, Carl J. Heneghan: Naltrexone–bupropion (Mysimba) in management of obesity: A systematic review and meta‐analysis of unpublished clinical study reports. In: British Journal of Clinical Pharmacology. Band 86, Nr. 4, April 2020, S. 646–667, doi:10.1111/bcp.14210, PMID 31918448, PMC 7098870 (freier Volltext).
  10. Gottfried Fischer, Peter Riedesser (2003): Lehrbuch der Psychotraumatologie. Ernst Reinhardt Verlag, S. 246.
  11. Novel and emerging treatments for autism spectrum disorders: A systematic review – AACP. Abgerufen am 3. April 2024 (amerikanisches Englisch).
  12. Symons FJ, Thompson A, Rodriguez MC: Self-injurious behavior and the efficacy of naltrexone treatment: a quantitative synthesis. In: Ment Retard Dev Disabil Res Rev. 10. Jahrgang, Nr. 3, 2004, S. 193–200, doi:10.1002/mrdd.20031, PMID 15611982.
  13. LDN Research Trust: LDN 2020 Dosing Information for Prescribers. Abgerufen am 3. April 2024 (englisch).
  14. Rachel Cant, Angus G. Dalgleish, Rachel L. Allen: Naltrexone Inhibits IL-6 and TNFα Production in Human Immune Cell Subsets following Stimulation with Ligands for Intracellular Toll-Like Receptors. In: Frontiers in Immunology. Band 8, 2017, doi:10.3389/fimmu.2017.00809, PMID 28744288, PMC 5504148 (freier Volltext).
  15. Natalia Kučić, Valentino Rački, Roberta Šverko, Toni Vidović, Irena Grahovac, Jasenka Mršić-Pelčić: Immunometabolic Modulatory Role of Naltrexone in BV-2 Microglia Cells. In: International Journal of Molecular Sciences. Band 22, Nr. 16, Januar 2021, S. 8429, doi:10.3390/ijms22168429, PMID 34445130, PMC 8395119 (freier Volltext).
  16. Yang J, Shin KM, Do A, Bierle DM, Abu Dabrh AM, Yin Z, Bauer BA, Mohabbat AB: The Safety and Efficacy of Low-Dose Naltrexone in Patients with Fibromyalgia: A Systematic Review. J Pain Res, abgerufen am 3. April 2024 (englisch).
  17. Lie, M.R.K.L., van der Giessen, J., Fuhler, G.M. et al.: Low dose Naltrexone for induction of remission in inflammatory bowel disease patients. J Transl Med, abgerufen am 3. April 2024 (englisch).
  18. Jill P. Smith, Heather Stock, Sandra Bingaman, David Mauger, Moshe Rogosnitzky, Ian S. Zagon: Low-Dose Naltrexone Therapy Improves Active Crohn's Disease. In: Official journal of the American College of Gastroenterology | ACG. Band 102, Nr. 4, April 2007, S. 820, doi:10.1111/j.1572-0241.2007.01045.x (lww.com [abgerufen am 3. April 2024]).
  19. M Gironi, F Martinelli-Boneschi, P Sacerdote, C Solaro, M Zaffaroni, R Cavarretta, L Moiola, S Bucello, M Radaelli, V Pilato, Me Rodegher, M Cursi, S Franchi, V Martinelli, R Nemni, G Comi, G Martino: A pilot trial of low-dose naltrexone in primary progressive multiple sclerosis. In: Multiple Sclerosis Journal. Band 14, Nr. 8, September 2008, S. 1076–1083, doi:10.1177/1352458508095828.
  20. Olli Polo, Pia Pesonen, Essi Tuominen: Low-dose naltrexone in the treatment of myalgic encephalomyelitis/chronic fatigue syndrome (ME/CFS). In: Fatigue: Biomedicine, Health & Behavior. Band 7, Nr. 4, 2. Oktober 2019, S. 207–217, doi:10.1080/21641846.2019.1692770.
  21. Jarred Younger, Luke Parkitny, David McLain: The use of low-dose naltrexone (LDN) as a novel anti-inflammatory treatment for chronic pain. In: Clinical Rheumatology. Band 33, Nr. 4, 1. April 2014, S. 451–459, doi:10.1007/s10067-014-2517-2, PMID 24526250, PMC 3962576 (freier Volltext).
  22. Hector Bonilla, Lu Tian, Vincent C. Marconi, Robert Shafer, Grace A. McComsey, Mitchel Miglis, Philip Yang, Andres Bonilla, Lauren Eggert, Linda N. Geng: Low-dose naltrexone use for the management of post-acute sequelae of COVID-19. In: International Immunopharmacology. Band 124, November 2023, S. 110966, doi:10.1016/j.intimp.2023.110966.
  23. Eine Übersicht zur Anwendung niedrig dosierten Naltrexons bei Josef Pies: LDN - Niedrig dosiertes Naltrexon - eine vielversprechende Therapie bei: MS, Morbus Crohn, HIV, Krebs, Autismus, CFS und anderen Autoimmun- und neurodegenerativen Erkrankungen. VAK Verlags GmbH Kirchzarten bei Freiburg 2010, ISBN 978-3-86731-077-2.