Vorschulerziehungsprogramm

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Als Vorschulerziehungsprogramm werden Rundfunksendungen bezeichnet, die für Kinder im Vorschulalter eine altersgerechte Unterhaltung darstellen und dabei gleichzeitig zu ihrer Bildung oder Erziehung beitragen. Die Zielsetzung solcher Produktionen kann sehr verschieden sein. Das Spektrum reicht von der Sprachförderung über eine erste politische Bildung bis hin zur Vermittlung von Werten wie beispielsweise Toleranz.

In Deutschland wurde in den 1960er-Jahren über Fernsehsendungen für Kinder noch sehr kontrovers und überwiegend ablehnend diskutiert und bis Ende der 60er-Jahre galt – maßgeblich geprägt durch die Empfehlungen auf mehrere mehreren Studien (1958–1966) des im Gutachtergremium der Ständigen Programmkonferenz der ARD seit 1956 tätigen Pädagogen Horst Wetterling[1] und eine Studie der Pädagogen Fritz Stückrath und Georg Schottmayer aus dem Jahr 1967, die „eine nachhaltige Störung der familialen Privatheit und eine Beeinträchtigung, wenn nicht Retardierung der psychisch-kognitiven Entwicklung der Kinder“[2] befürchtete – die Empfehlung, Kinder bis zum Alter von mindestens acht bis neun Jahren sollten möglichst gar nicht fernsehen.[3][4]

Daraufhin wurden im Juni 1960 die bereits gefassten Grundsätze als „Empfehlungen für ein Nachmittagsprogramm unter besonderer Berücksichtigung der Kinder- und Jugendsendungen“[1] bekräftigt und mehrfach in den 1960er Jahren verschärft. Bis zur Wende im Jahre 1969 und zum Start der für damalige Verhältnisse sehr mutigen Produktion der pädagogischen Kinderfernsehserie Spielschule des BR, die bei den ersten Ausstrahlungen immer noch bei Fachleuten wie auch bei der Bevölkerungsmehrheit sehr umstritten war, „soll[t]en Kinder bis zum Alter von acht Jahren möglichst nicht fernsehen, mindestens [sollten] für sie explizit keine Sendungen ausgestrahlt [werden], und dies ungeachtet der wachsenden Kenntnisse über die Sehgewohnheiten von Kindern.“[5][6] Dementsprechend herrschten bei den deutschen Fernsehanstalten große Vorbehalte gegenüber Fernsehproduktionen für Kinder unter sechs Jahren, bis die Bundesarbeitsgemeinschaft „Aktion Jugendschutz“ sich am 10. Februar 1969 dem Thema „Fernsehen für Kinder unter sechs Jahren“ widmete und „die Fernsehanstalten ermutigt, qualifizierte und kurze Sendungen auch für jüngere Kinder zu produzieren“.[3][7]

Ausgerechnet der sonst eher konservative Bayerische Rundfunk begann bereits 1967 unter der Leitung von Harald Hohenacker mit der Konzeption und Produktion einer Vorschulkinder-Sendereihe: Spielschule (1. Pilotfolge: Oktober 1967), die ab 27. September 1969 regelmäßig auf Sendung ging und als „erste[s] Beispiel bundesdeutschen Kinderfernsehens mit primär pädagogischen Intentionen zu bezeichnen ist“.[3][7][8][9][10] Erst nach der Empfehlung der Bundesarbeitsgemeinschaft „Aktion Jugendschutz“ und dem externen Anstoß durch den großen Erfolg der Sesamstrasse in den USA erfolgte in der Ständigen Programmkonferenz der ARD auf breiter Font ein Umdenken und die verschiedenen Sendeanstalten der ARD und das ZDF begannen, Konzepte für ein pädagogisches Kinder-Fernsehprogramm für Kinder unter acht Jahren zu entwickeln.[11][12][13][3]

Bekannte Beispiele für deutsche Vorschulerziehungsprogramme sind die auf verschiedenen öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern regelmäßig ausgestrahlten pädagogischen Kinder-Fernsehserien für Kinder ab dem Vorschulalter: Spielschule (ab 1969), Die Sendung mit der Maus (seit 1971), Das feuerrote Spielmobil (1972–1981), Rappelkiste (1973–1984), Sesamstraße (seit 1973), Kli-Kla-Klawitter (1974–1976) und Löwenzahn (seit 1981).[11][12][3][1][4][5][14]

Auch wenn der Begriff Vorschulerziehungsprogramm dazu verleitet, dürfen Vorschulkinder nicht mit dem Fernsehgerät allein gelassen werden, da sie noch nicht über eine ausreichende Medienkompetenz verfügen.[15] Aus diesem Grund ist das eingeschaltete Fernsehgerät auch kein geeigneter Babysitterersatz, auch wenn sich Kinder durch Fernsehsendungen eine Zeit lang ablenken und ruhigstellen lassen.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literaturliste[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Sandra Caviola: Vorschulkinder und Gewalt im Kinderprogramm. Eine qualitative Untersuchung zur Rezeption gewalthaltiger Fernsehinhalte durch Vorschulkinder. Lit, Münster u. a. 2000, ISBN 3-8258-5225-3 (= Aktuelle Medien- und Kommunikationsforschung. Nr. 14).
  • Christian Grüninger, Frank Lindemann: Vorschulkinder und Medien. Eine Untersuchung zum Medienkonsum von drei- bis sechsjährigen Kindern unter besonderer Berücksichtigung des Fernsehens. Leske und Budrich, Opladen 2000, ISBN 3-8100-2621-2 (=Schriftenreihe der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur in der Bundesrepublik e. V. Nr. 12).
  • Erentraud Hömberg (Bearb.): Vorschulkinder und Fernsehen. Empirische Untersuchung in 3 Ländern. Verlag Dokumentation Saur, München und New York 1978, ISBN 3-7940-7049-6.
  • Peter Wilhelm, Michael Myrtek, Georg Brügner: Vorschulkinder vor dem Fernseher. Ein psychophysiologisches Feldexperiment. Huber, Bern u. a. 1997, ISBN 3-456-82855-1.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c Michael Schmidbauer: Die Geschichte des Kinderfernsehens in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Dokumentation (Internationales Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen, München. Schriftenreihe. 21). Walter De Gruyter · Saur-Verlag, München 1987. ISBN 3-598-20761-1.
  2. Michael Schmidbauer, Paul Löhr: Kinderfernsehen in der Bundesrepublik Deutschland: eine Dokumentation von Forschungsergebnissen 1959–1988 (Schriftenreihe Internationales Zentralinstitut für das Jugend – und Bildungsfernsehen, Band 22). Walter De Gruyter · Saur-Verlag, 1988, ISBN 3-598-20762-X.
  3. a b c d e Sandra Caviola: Vorschulkinder und Gewalt im Kinderprogramm. Eine qualitative Untersuchung zur Rezeption gewalthaltiger Fernsehinhalte durch Vorschulkinder. LIT Verlag, Münster, Berlin, Leipzig, Wien, Hamburg, London, Zürich, New York 2001, ISBN 3-8258-5225-3, S. 58: »Das Fernsehen wurde, ausgelöst durch Erfolgsmeldungen aus dem Ausland, plötzlich als Instrument zur Frühförderung entdeckt und aus dem „Sündenbock“ wurde ein „bildungspolitischer Nothelfer“ … 1969 führte der Bayrische Rundfunk die „Spielschule“ ein [aus der später als zweites Vorschulprogrammangebot „Das feuerrote Spielmobil“ entwickelt wurde und parallel ab 1972 auf Sendung ging], der WDR ein Jahr später die „Lach- und Sachgeschichten“ [woraus später „Die Sendung mit der Maus“ hervorging]. … Insgesamt erlebte das Kinderfernsehen in den 70er Jahren einen enormen Aufschwung, so daß in diesem Zusammenhang häufig von der Blütezeit dieses Genres gesprochen wird.«
  4. a b Bernd Schorb: Bildungsfernsehen. In: Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland, Band 3, Informationssendungen und Dokumentarsendungen. (Hrsg.: Peter Ludes, Heidemarie Schumacher, Peter Zimmermann), Verlag Wilhelm Fink, München 1994, ISBN 3-7705-2802-6, S. 203–212.
  5. a b Hans-Dieter Kübler: Fernsehen für Vorschulkinder. Anspruch, Realität, Verarbeitung. Erschienen im Sammelwerk: Kinder und Jugendliche im Spannungsfeld der Massenmedien. Martin Furian (Hrsg.), Bonz-Verlag, Stuttgart 1977, ISBN 3-87089-145-9, Seite 56–77.
  6. Wolfgang Geisler, Peter E. Kalb: Fernsehvorschule (Sammelband). Beltz Verlag, Weinheim 1975, ISBN 3-407-83009-2.
  7. a b Dirk Ulf Stötzel: Das Magazin „Die Sendung mit der Maus“ : Analyse einer Redaktions- und Sendungskonzeption. O. Harrassowitz, Wiesbaden 1990, ISBN 978-3-447-02991-9.
  8. Bernd Schorb: Bildungsfernsehen. In: Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland, Band 3, Informationssendungen und Dokumentarsendungen. (Hrsg.: Peter Ludes, Heidemarie Schumacher, Peter Zimmermann), Verlag Wilhelm Fink, München 1994, ISBN 3-7705-2802-6, S. 203–212.
  9. Dieter Schäfer: Die Entwicklung der Gameshow im Kinderfernsehen des Bayerischen Rundfunks. Diplomica, 1997, ISBN 978-3-8324-0167-2.
  10. Melchior Schedler: Kinderfernsehen anders. Entwürfe zu einem emanzipatorischen Fernsehen. DuMont Verlag, 1975, ISBN 3-7701-0777-2.
  11. a b Hans Dieter Stötzel, Dirk Ulf Erlinger: Geschichte des Kinderfernsehens in der Bundesrepublik Deutschland. Entwicklungsprozesse und Trends. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Spiess, Berlin 1991, ISBN 3-89166-123-1.
  12. a b Hans-Dieter Kübler: Vom Fernsehkindergarten zum multimedialen Kinderportal. 50 Jahre Kinderfernsehen in der Bundesrepublik Deutschland. TELEVIZION. Ausgabe 14/2001/2, Internationales Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen IZI. (Archiv).
  13. Vorschul-TV: Es rappelt in der Kiste (Memento vom 18. September 2015 im Internet Archive) Der Spiegel vom 1. Oktober 1973. (PDF, 2 S., 333kB, Archiv).
  14. Elke Schlote: Bildungsfernsehen historisch (1,3 MB). Internationales Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI), München, abgerufen am 1. September 2017 (Archiv). „Den Vorschulformaten Die Spielschule (1969) und Das feuerrote Spielmobil (1972–1981) lag ein Erzählkonzept im 30-Minuten-Format zugrunde, das die reale Welt dokumentieren wollte und ohne Studioanteile auskam. Eine Situation sollte in einem ruhigen Erzählfluss erlebbar werden. Das feuerrote Spielmobil wollte ein permanentes Experiment in »kritischem Erleben« sein. Die Kamera folgt dem feuerroten Wagen, der herumfährt und filmt. Es war wie ein Befreiungsschlag gegen die bisherigen Kinderprogramme: ohne festen Schauplatz, »draußen«, »kein Ghetto mit einer geschlossenen Puppen- oder Menschengesellschaft«“ (S. 17).
  15. Bayerischer Rundfunk – Winterprogramm 1970/71.Herausgegeben vom Bayerischen Rundfunk, München (PDF, 129 Seiten, 3,6 MB): »Spielschule I: Im Herbst 1969 hat das Kursprogramm sieben Sendungen der pädagogisch konzipierten Reihe für Vorschulkinder und ihre Eltern als Experiment ausgestrahlt. In Zusammenarbeit mit Kindergärtnerinnen, Pädagogen, Psychologen und Medienwissenschaftlern aus ganz Deutschland sind die ersten Sendungen noch einmal kritisch überprüft und auf insgesamt 13 erweitert worden. Wieder erleben die Kinder zusammen mit Joschi, Pingeline und Krautkopf die Phänomene der uns umgebenden Welt in zugleich poetischer wie realistischer Weise. Durch die Kombination mit den Elterninformationen zur Spielschule, die das Kursprogramm jeweils zwei Tage vorher am Abend anbietet, werden den Eltern Hinweise und Hilfen gegeben, wie sie die Sendungen mit den Kindern zusammen ansehen können, was sie daraus entnehmen sollen. Damit ist dem Programm eine breite pädagogische Wirkung ermöglicht. … Spielschule – Elterninformation zur Sendereihe: Wie mehrere tausend Zuschriften von Eltern zur »Spielschule«, der ersten experimentellen Sendereihe für Vorschulkinder in der Bundesrepublik, zeigen, sind viele Eltern willens, aktiv an der Erziehung ihrer Kinder zu arbeiten. Die parallel zur Spielschule entwickelte Reihe besteht aus 13 Sendungen zu je 15 Minuten; sie erläutert an Beispielen authentisch-dokumentierter Spielprozesse der 3 bis 6-jährigen die methodisch-didaktischen Gesichtspunkte, nach denen die Spielschule gestaltet wurde. Sie zeigt, wie Kinder sich in ihrer Spielarbeit mit ihrer Umwelt auseinandersetzen, welche Hilfen wir den Kindern dabei anbieten können und mit welchen praktischen Spielaufgaben sich die Spielschule auswerten läßt. Dabei werden die Probleme der geistigen Entwicklung eines Kindes ebenso Umrissen, wie die Aufgaben.«