Wundballistik

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Wundballistik ist die Lehre vom Verhalten der Geschosse beim Eindringen in den Körper eines Menschen oder Tieres. Insbesondere wird das Verhalten des Geschosses beschrieben sowie die von ihm bewirkten Verletzungen an Geweben oder Organen. Die Wundballistik ist ein interdisziplinärer Bereich mit Verbindungen zur Medizin, Forensik, Physik und Militärforschung. Grundsätzlich können das Verhalten des Geschosses im Körper (Actio, physikalisch-ballistischer Aspekt) und die Auswirkungen auf das Gewebe und andere Körperbestandteile (Reactio, medizinisch-biologischer Aspekt) betrachtet werden. Man unterscheidet in der Ballistik zwischen Innen-, Außen- und Endballistik (auch Zielballistik genannt). Die Wundballistik ist ein Teilgebiet der Endballistik. Die Innenballistik hat bei der Untersuchung von aufgesetzten und nahen Schüssen eine große Mitbestimmungskraft auf den Wundbildungsmechanismus, genauso wie Nutations- und Präzessionsbewegungen eher beim kurzen Schuss eine Rolle spielen. Mit zunehmender Schussdistanz wird die Länge des geraden Schusskanals größer. Für die Wundballistik spielt die Untersuchung des temporären Wundkanals eine besonders große Rolle. Dieser tritt hauptsächlich bei Langwaffen, weniger bei Kurzwaffen, auf. Entscheidend ist nicht die Gesamtenergie des Geschosses, sondern wie viel davon im beschossenen Körper abgegeben wird. Durch Überschlag des Geschosses oder „Aufpilzen“ (bei Teilmantel- und Hohlspitzgeschossen) wird die Energieabgabe erhöht bzw. maximiert. Die Durchschlagskraft sinkt, die sogenannte Mannstoppwirkung erhöht sich.

Todesursachen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es kommen drei Todesursachen bei Schussverletzungen in Betracht. Erstens der Kreislaufstillstand durch Zerstörung des Herzens oder von Hauptblutgefäßen. Nach etwa 15 Sekunden tritt Bewusstlosigkeit aufgrund von mangelhafter Sauerstoffversorgung des Gehirns ein. Es folgt der Hirntod nach etwa sieben Minuten. Das unmittelbare Zusammenbrechen von durch Herzschuss getroffenen Personen lässt sich aufgrund eines nervösen Reflexes erklären.

Zweite mögliche Ursache ist eine Zerstörung wichtiger Hirnzentren selbst. Dabei führt insbesondere die Zerstörung des Stammhirns unmittelbar zum Tod, aber Verletzungen am und Verlust von Teilen des Stirnhirns, wo keine animalischen Funktionen ausgeführt werden, können durchaus, teils unter Persönlichkeitsveränderungen, überlebt werden.

Drittens kann ein sogenannter Schocktod eintreten. Bei Hasen wurde beobachtet, dass deren Tod eintritt, obwohl eine große Zahl von Schrotkugeln nur unter die Haut und in Muskelgewebe, aber nicht in vitale Organe eindringt und somit an sich keine tödlichen Verletzungen hervorruft.

Forschungsbereiche[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Bereich der Forensik werden alle Umstände, die mit der Schussabgabe in Zusammenhang stehen, untersucht. Insbesondere die Untersuchung von Schussspuren und Schmauchspuren können wichtige Hinweise zu einem Verbrechen liefern.

Methoden[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Erforscht wird die Wundballistik mit Hilfe von ballistischer Gelatine oder Glyzerinseife, wobei ersteres verbreiteter ist. Durch die plastische Verformung des letzteren, der den temporären Wundkanal quasi „einfriert“, kann dieser für die Wundballistik entscheidende Aspekt entsprechend gut analysiert werden. Durch Vergleich wurde hinreichend nachgewiesen, dass sich diese Materialien unter Beschuss annähernd gleich verhalten wie menschliches Gewebe. Knochen können durch eingebettete Kunststoffe simuliert werden. Im Übrigen spielt das unterschiedliche elastoplastische Verhalten der beiden Stoffe für die Herausbildung der Verletzungen eine minder wichtige Rolle. Entscheidender sind Dichte, Viskosität und Fließfähigkeit, in der sich beide Materialien untereinander wie auch im Vergleich zur Muskulatur sehr ähneln. Gelegentlich finden auch noch Tierversuche statt (meist anästhesierte Schweine, worauf die Projektile abgeschossen werden).[1] Allerdings gibt es genug reale Schussverletzungen (Rechtsmedizin, Kriegs-Chirurgie), sodass auf Tier- und Leichenversuche weitgehend verzichtet werden kann.

Verletzungen durch Pfeile[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Wundballistik bei Pfeilverletzungen wurde 2004 von Hubert Sudhues untersucht. In diesem Rahmen wurde festgestellt, dass die Ballistik von Pfeilen und deren wundballistisches Potential erheblich von Schusswaffenprojektilen abweicht.[2]

Verletzungen durch Splitter[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auch Verletzungen durch Splitter werden in der Wundballistik untersucht. Dabei bestehen keine grundsätzlichen großen Unterschiede zu denen der Projektile. Der einzige nennenswerte Unterschied ist, dass Splitter ungezielt durch eine Treibladung beschleunigt werden (z. B. eine Handgranate), wohingegen Projektile eine gezielte Bewegungsenergie durch die Treibladung im Gewehrlauf erfahren. Splitter können aber auch durch Geschossfragmentation entstehen, wenn das Geschoss auf eine harte Oberfläche trifft. Die für die Wundballistik relevanten Splittermassen reichen von einigen hundertstel Gramm bis zu einigen 10 Gramm, wobei Geschwindigkeiten bis zu 2.000 m/s auftreten können. Daraus ergeben sich Energien von 1 J bis 60 kJ.

Erwünschte Wirkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Bereich des Militärs gilt: Die Schussverletzungen sollen so schwer sein, dass die getroffene Person nicht mehr in der Lage ist, weiterzukämpfen beziehungsweise ihren Auftrag zu erfüllen. Hierbei spricht man im Allgemeinen von Kampfunfähigkeit. Dabei kann es von Vorteil sein, dass der Gegner „nur“ schwer verletzt statt getötet wird, weil dann weitere Soldaten mit dessen sanitätsdienstlicher Versorgung gebunden sind und nicht mehr unmittelbar am Kampf teilnehmen können.

Im Bereich der Jagd gilt: Die entstehenden Schussverletzungen sollen das Wild möglichst auf der Stelle töten und bewegungsunfähig machen (Blattschuss), um einerseits dem Tier unnötige Qualen zu ersparen und andererseits zu verhindern, dass das getroffene Tier noch flüchten kann. Des Weiteren sollte ein sicherer Ausschuss gewährleistet sein, um ein geflüchtetes Tier anhand seiner Schweißfährte schnell wiederzufinden. Dennoch sollte das Projektil so wenig wie möglich Schaden am Gewebe verursachen, um den Wert des Felles und des Fleisches nicht zu mindern.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Thomas Enke: Grundlagen der Waffen- und Munitionstechnik. Walhalla Fachverlag, 4., aktualisierte Auflage, Regensburg, 2023, ISBN 978-3-8029-6198-4, S. 81 ff.
  • Bernd Brinkmann, Burkhard Madea (Hrsg.): Handbuch gerichtliche Medizin. Band 1. Springer, Berlin 2004, ISBN 3-540-00259-6.
  • Silke M. C. Brodbeck: Postmortale Computertomographie von Schussverletzungen im Vergleich zu Obduktionsbefunden. Verlag für Polizeiwissenschaft, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-86676-039-4 (zugleich: Frankfurt am Main, Univ., Diss., 2005).
  • Vincent J. M. DiMaio: Gunshot Wounds. Practical Aspects of Firearms, Ballistics, and Forensic Techniques. 2. Auflage. CRC, Boca Raton 1999, ISBN 0-8493-8163-0.
  • Beat Kneubuehl (Hrsg.), Robin Coupland, Markus Rothschild, Michael Thali: Wundballistik. Grundlagen und Anwendungen. 4. Auflage. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg 2022, ISBN 978-3-662-64858-2.
  • Beat Kneubuehl, K. Sellier: Wundballistik und ihre ballistischen Grundlagen. 2. völlig überarbeitete und ergänzte Auflage. Springer, Berlin / Heidelberg / New York 2001, ISBN 3-540-66604-4
  • C. Giannou, M. Baldan: War Surgery. (PDF; 6,7 MB) Chapter 3.2, S. 62 ff. International Committee of the Red Cross, 2010.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: forensische Ballistik – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Bettina Jakob: Der Schuss auf den Seifen-Block. (Memento vom 1. November 2014 im Internet Archive; PDF; 353 kB) In: UniPress, 133, 2007, S. 21–23 (Bericht über ballistische Versuche von Beat Kneubuehl); abgerufen am 3. Oktober 2009.
  2. Hubert Suedhues: Wundballistik bei Pfeilverletzungen. Universität Münster, Münster 2004; abgerufen am 22. November 2009.