Zündhütchenfabrik Empelde

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Die Zündhütchenfabrik Empelde,[1][2] auch Lindener Zündhütchenfabrik Empelde genannt, war eine Fabrik in Empelde bei Hannover, in der jahrzehntelang Munition für Feuerwaffen hergestellt wurde.[3] Die zeitweilig auch unterirdisch betriebene Produktion der sogenannten „Zündhütchen“,[4] die auch als Kriegsmittel in der Rüstungsindustrie eingesetzt wurden,[5] erfolgte während des Zweiten Weltkrieges für die Firma Dynamit AG Fabrik Empelde, die mehrere Zwangsarbeiterlager in der Umgebung unterhielt.[4] Auf dem rund 270.000 Quadratmeter großen Fabrikgelände begannen in den späten 1970er Jahren die Planungen zum Bau des Wohnparks am See.[6]

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Empelder Zündhütchenfabrik ging aus der Lindener Zündhütchen- und Thonwarenfabrik hervor, für die laut der Zeitschrift für das gesamte Schiess- und Sprengstoffwesen um 1911 zum Zwecke der Vergrößerung ein Neubau in der Gemeinde Empelde geplant war, „während die alte Anlage innerhalb des Stadtgebietes Linden abgebrochen“ werden sollte.[7]

Bereits vor dem Ende des Ersten Weltkrieges waren in der Empelder Zündhütchenfabrik Kriegsmittel produziert worden.[5] Auf dem Fabrikgelände lag auch die später unter Wasser liegende Grube der Egestorffschen Ziegelei, in der Tone des Unteren und Mittleren Lias ausgebeutet worden waren und aus der der Geologe Wilhelm Hoyer verschiedene Fossilien ausgewertet hat.[2]

Nach den Abrüstungsbedingungen entsprechend dem Versailler Vertrag war die Fabrik in der Weimarer Republik zunächst stillgelegt worden, doch wurde ein Vertrag mit den Besitzern ausgehandelt, durch den die Fabrik für Zwecke der Reichswehr und vor allem für spätere Hülsen- und Geschossfertigungen bereitgehalten werden sollte.[3] Nachdem die Reichswehr im Gebiet der Stadt Hannover mehr als 20 Unternehmen zu Herstellern von Kriegsgerät und Zubehör auserkoren hatte, wurden ab 1927 vor allen anderen Firmen die Hanomag und die Zündhütchenfabrik „mit illegalen Aufträgen“ gefördert. Privilegiert wie nur wenige andere Firmen, konnten Hanomag und die Zündhütchenfabrik „mit großer finanzieller Unterstützung der Reichswehr“ zum Beispiel Pressen für „harte Rüstungsgüter“ anschaffen,[8] erhielten nach gründlicher Überholung „schwarze Maschinen“ der Reichswehr[3] und konnten mithilfe des Waffenamtes ihre Werke für weitere Rüstungskapazitäten ausbauen. „Im Bedarfsfall“ sollte die Lindener Zündhütchen- und Patronenfabrik AG monatlich bis zu 9,5 Millionen Infanterie-Patronen und 15 Millionen Zündhütchen produzieren können.[8]

Ehemaliges Verwaltungsgebäude der Dynamit AG Werk Empelde

Zur Zeit des Nationalsozialismus firmierte die vormalige Zündhütchenfabrik als Dynamit AG Fabrik Empelde, die während des Zweiten Weltkrieges in der Umgebung insbesondere für sowjetische Zwangsarbeiterinnen mehrere Zwangsarbeiterlager unterhielt. Eines davon war am Benther Berg eingerichtet.[4]

Das „Lager auf dem Gelände der Dynamit Nobel AG“,[9] auch als „Lager 169“[10] oder „Camp 169“ bezeichnet, diente zeitweilig zur Unterbringung von bis zu 1500 Menschen.[11]

Nach Ende des 2. Weltkriegs kamen zunächst Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen in dem auf dem Fabrikgelände errichteten DP-Lager unter. Nachdem diese das Lager im Mai 1946 verlassen hatten, diente es zunächst als Notunterkunft für Geflüchtete und Vertriebene aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie sowie für Ausgebombte. Aufgrund der Wohnungsnot verblieben die Menschen ungewollt länger unter schwierigen Bedingungen in dem nun entstandenen Flüchtlingslager.[12] Im Jahre 1948 lebten hier 1300 Personen. Der letzte Bewohner verließ das Lager 1958.[13][14]

In der Folgezeit nutzten verschiedene Firmen die Gebäude der Fabrik. Zwischen 1961 und 1964 produzierte die Verwertchemie Empelde, eine Tochtergesellschaft der Dynamit AG, Munition und Munitionshülsen auf dem Gelände. Anfang der achtziger Jahre wurden die Fabrikgebäude und Baracken abgerissen, es entstand das Wohngebiet Wohnpark am See.[6][15]

Persönlichkeiten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zu den mit der Empelder Zündhütchenfabrik verbundenen Personen zählten beispielsweise

Altlasten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bereits im Zuge der Abbrucharbeiten waren in dem auf dem Gelände befindlichen Teich Munitions- und Phosphorrückstände sowie chlorierte Kohlenwasserstoffe gefunden worden. Sanierungsmaßnahmen wurden zunächst nicht ergriffen. 1990 gab das Niedersächsische Umweltministerium eine Untersuchung des Baugebiets in Auftrag. Es wurden gebietsweise hohe Konzentrationen vor allem von Quecksilber gefunden, sodass an die Bevölkerung des Baugebiets die Empfehlung erging, selbst angebaute Gartenfrüchte nicht zu verzehren.[18] Im Dezember 1991 wurde ein Baustopp verhängt. Im Jahr 1992 ließen Stadt und Landkreis Bodenaushub abtransportieren, sieben und säubern.[6] Eine erneute Untersuchung der Böden in den Jahren 1996/1997 förderte Phosphorspritzen, Munition und weitere Schadstoffe zutage, sodass wiederum Boden ausgetauscht bzw. aufwendig gesiebt werden musste.[19] Im Jahr 2000 erklärten die Stadt Ronnenberg und der Landkreis Hannover die Sanierung des Wohnparks für abgeschlossen.[6]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Frank Hasselhorst: Wie es wirklich war in Empelde von einer Munitionsfabrik zum Wohnpark. Der Versuch einer Rekonstruktion in der Zeit zwischen 1831 bis 1992, 1. Auflage, Ronnenberg/Empelde: Hasselhorst 1992
  • Otto Bertram, Hermann Deiters, Hans-Erich Wilhelm: Beiträge zur Chronik des Dorfes Benthe. Selbstverlag der Autoren, Ronnenberg 1990, S. 153–157[4]
  • Uwe Repinski: Wohnpark am See, in Peter Hertel, Hans-Hermann Fricke, Wilhelm Kuhlke, Uwe Repinski (Hrsg.), Peter Hertel (Red.): Ronnenberg. Sieben Traditionen – Eine Stadt. 7 Richtige Ronnenberg, 1. Auflage, Ronnenberg: [Stadt Ronnenberg], 2010, ISBN 978-3-00-030253-4, S. 310–311

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Klaus Mlynek: Politische Lageberichte in den Anfangsjahren der NS-Diktatur am Beispiel von Stadt und Landkreis Hannover (Teil 1), in: Hannoversche Geschichtsblätter, Neue Folge Band 33 (1979), S. 187–238; hier: S. 213; eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  2. a b Curt Dietz: Erläuterungen zur geologischen Karte von Niedersachsen 1:25000, Blatt Hannover Nr. 3624, 1959, S. 15, 53 u.ö.; eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  3. a b c Ernst Willi Hansen: Reichswehr und Industrie. Rüstungswirtschaftliche Zusammenarbeit und wirtschaftliche Mobilmachungsvorbereitungen 1923 - 1932 ( = Wehrwissenschaftliche Forschungen, Abteilung Militärgeschichtliche Studien; Bd. 24), zugleich Dissertation 1974 im Fachbereich Philosophie, Psychologie, Sozialwissenschaften der Universität Hamburg, Boppard am Rhein: Boldt, 1978, ISBN 978-3-7646-1686-1 und ISBN 3-7646-1686-5, S. 98, 99, 217 u.ö.; eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  4. a b c d Inge F.: Erinnerungen an Nina, Auszug aus einem Interview in Janet Anschütz, Irmtraud Heike: Feinde im eigenen Land. Zwangsarbeit in Hannover im Zweiten Weltkrieg. 2. Auflage. Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2000, ISBN 3-89534-372-2, S. 137–142; hier: S. 142 und Anmerkung 69 auf S. 226
  5. a b Wolfgang Spyra, Manfred Kurka et al.: Rüstungsaltlasten. Erfassung, Erstbewertung, Erkundung und Gefährdungsabschätzung, Sanierung. Mit 8 Tabellen ( = Kontakt & Studium, Bd. 520), Renningen-Malmsheim: expert-Verlag, 1997, ISBN 978-3-8169-1426-6 und ISBN 3-8169-1426-8, S. 12; eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  6. a b c d Uwe Repinski: Wohnpark am See, in Peter Hertel, Hans-Hermann Fricke, Wilhelm Kuhlke, Uwe Repinski (Hrsg.), Peter Hertel (Red.): Ronnenberg. Sieben Traditionen – Eine Stadt. 7 Richtige Ronnenberg, 1. Auflage, Ronnenberg: [Stadt Ronnenberg], 2010, ISBN 978-3-00-030253-4, S. 310–311
  7. Wirtschaftliche Rundschau / Linden-Hannover, in: Zeitschrift für das gesamte Schiess- und Sprengstoffwesen, Bände 7–8 (1912), S. 101; eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  8. a b Frank Baranowski: Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 bis 1945. Südniedersachsen mit Braunschweiger Land sowie Nordthüringen einschließlich des Südharzes. Eine vergleichende Betrachtung des zeitlich versetzten Aufbaus zweier Rüstungszentren, Bad Langensalza: Rockstuhl, 2013, ISBN 978-3-86777-530-4; als E-Book: eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  9. Herbert Voges: Nachkriegsalltag in den Dörfern, Abschnitt Empelde, in Peter Hertel, Hans-Hermann Fricke, Wilhelm Kuhlke, Uwe Repinski (Hrsg.), Peter Hertel (Red.): Ronnenberg. Sieben Traditionen – Eine Stadt. 7 Richtige Ronnenberg, 1. Auflage, Ronnenberg: [Stadt Ronnenberg], 2010, ISBN 978-3-00-030253-4, S. 189
  10. Bernhard Gelderblom, Mario Keller-Holte: Die Opfer unter den Kindern, Kapitel 3.11.3: „Ausweichkrankenhaus“ Nienstedt, Abschnitt Kucharska, Danuta Wladislawa, in dies.: Dokumentation der Opfer der NS-Herrschaft in der Stadt Hameln und im Landkreis Hameln-Pyrmont. Die Opfer unter den jüdischen Bürgern. Die Opfer unter den Gefangenen des Zuchthauses Hameln. Die Opfer unter den ausländischen zivilen Zwangsarbeitern sowie den Kriegsgefangenen. Die Opfer unter weiteren Verfolgtengruppen, Hameln 2013, S. 375; Volltext-durchsuchbares Digitalisat
  11. Empelde Krs. Hannover Brit. Zone L 53/X 31, in Martin Weinmann (Hrsg.): Das nationalsozialistische Lagersystem (CCP), Nachdruck des dreibändigen Catalogue of camps and prisons in Germany and German-occupied territories. Sept. 1939 - May 1945" [CCP], 2. Auflage, mit zusätzlich eingelegten Registern, Zeittafel, Literaturhinweisen und Ersatzbeschaffungen, Frankfurt am Main: Zweitausendeins, 1990, S. 468; Google-Books
  12. Uwe Kranz: Kein Brennmaterial, kein fließend Wasser, keine Toiletten. So lebten die Vertriebenen im Empelder Barackenlager nach dem Zweiten Krieg. In: Verlagsgesellschaft Madsack GmbH & Co. KG (Hrsg.): Neue Presse vom 13. April 2024, Beilage Ronnenberg. S. 3 (https://www.neuepresse.de/lokales/umland/ronnenberg/ronnenberg-so-lebten-die-vertriebenen-im-empelder-lager-nach-dem-krieg-RDO7QB6BPNDXDIC72DNJ2WK5WY.html Hinter Bezahlschranke).
  13. Peter Hertel und Else Hinze-Dückering: Der Flüchtlingsminister blickt über den Horizont. In: Peter Hertel, Hans-Hermann Fricke, Wilhelm Kulke, Uwe Repinski (Hrsg.): Ronnenberg. Sieben Traditionen - Eine Stadt. 7 Richtige Ronnenberg. 1. Auflage. Stadt Ronnenberg, Ronnenberg 2010, ISBN 978-3-00-030253-4, S. 182.
  14. Else Hinze-Dückering: Phönix aus der Asche. In: Peter Hertel, Hans-Hermann Fricke, Wilhelm Kuhlke, Uwe Repinski (Hrsg.): Ronnenberg. Sieben Traditionen – Eine Stadt. 7 Richtige Ronnenberg,. 1. Auflage. Stadt Ronnenberg, Ronnenberg 2010, ISBN 978-3-00-030253-4, S. 176.
  15. Manfred Tegge: Die Munitionsfabrik Dynamit AG, Werk Empelde. In: relikte.com. Manfred Tegge, abgerufen am 19. August 2023.
  16. Henning Rischbieter: Schreiben, Knappwurst, abends Gäste. Erinnerungen. zu Klampen, Springe 2009, ISBN 978-3-86674-042-6, S. 11; eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  17. Wilhelm Kulke: Erinnerungen, Als Paul Wenig nach Empelde kam. In: Peter Hertel, Hans-Hermann Fricke, Wilhelm Kulke, Uwe Repinski (Hrsg.): Ronnenberg. Sieben Traditionen - Eine Stadt; 7 Richtige Ronnenberg. 1. Auflage. Stadt Ronnenberg, Ronnenberg 2010, ISBN 978-3-00-030253-4, S. 201.
  18. Niedersächsisches Umweltministerium: Antwort der Landesregierung auf eine kleine Anfrage des Abgeordneten Gansäuer DS 12/2541. In: www.landtag-niedersachsen.de. Niedersächsischer Landtag, 18. Dezember 1991, abgerufen am 19. August 2023.
  19. Jürgen Gansäuer: Kleine Anfrage mit Antwort, Wortlaut der Anfrage,281998-08-18 DS 14/183. In: www. landtag-niedersachsen.de. Niedersächsischer Landtag, 18. August 1998, abgerufen am 19. August 2023.

Koordinaten: 52° 20′ 35,5″ N, 9° 40′ 36,7″ O