Benutzer:Toter Alter Mann/Gute Artikel schreiben

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Diese Seite soll Benutzern dabei helfen, gute Artikel zu schreiben. Anders als bei WP:GA soll der Schwerpunkt dabei auf dem gut liegen, weniger auf dem Schreiben.

Was macht einen Artikel gut?

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Ein Artikel ist gut, wenn ich aus ihm mehr ziehen kann, als ich zuvor wusste. Ein guter Artikel fügt also etwas hinzu. Gleich ob man das jetzt Wissen, Verständnis, Empathie, Begeisterung, Können oder sonstwie nennen mag: Die Maxime muss sein, etwas zu formen, das vorher noch nicht da war. Wenn das gelingt, kann der Artikel gut werden. Gegencheck zur Sicherheit: Schlechte Artikel nehmen etwas weg, sie ziehen unter dem Strich etwas ab. "Der Artikelgegenstand ist nur ein Sonderfall von X." ist ein Paradebeispiel für einen schlechten Artikel. "Der Artikelgegenstand existiert überhaupt nicht/ist nur eine Lüge." ein weiteres. Wegnehmen und hinzufügen muss nicht streng materiell gedacht werden: Der Schliff gibt einer Ansammlung eines bestimmten Kohlenstoffmoleküls erst das gewisse Etwas, das es über durchschimmernde Kohle erhebt. Man muss also u.U. auch etwas wegnehmen, damit man mehr bekommt. Was aber wegnehmen, was hinzufügen?

Nichts ist einfach. Nichts ist einfach. Nichts ist einfach.

Die Dinge sind kompliziert. Alle Dinge. Jeder der 2.920.172 in der deutschen Wikipedia, der etwas Einfaches beschreibt, ist ein schlechter Artikel.

  • Nichts ist einfach: Es gibt nichts, was einfach so da ist. Alles hat eine Geschichte; alles war einmal noch nicht und wird eines Tages nicht mehr sein. Wirklich alles? Ja, wirklich alles: Staaten, Eishockeyspieler, Fahrräder, Rassenlehren, Fischarten, Verwaltungsvorschriften, Atome, Filme, Terroranschläge, Gesteinsformationen, Gravitationstheorien, Bibelinhalte etc. pp.. Dass alles eine Geschichte hat, heißt auch, dass es sich fortwährend ändert.
  • Nichts ist einfach: Nichts ist einfach gestrickt. Schon allein, weil es eine Geschichte hat. Die Donau von heute ist nicht die von 1900, 1000, 0, 1000 v. Chr., 15 mya usw.. (Man meditiere einfach mal über den Artikel Urdonau, falls das unverständlich sein sollte). Dass etwas stets seine Form ändert, heißt aber auch, dass aus verschiedenen teilen besteht, von denen es einige gewinnt und einige verliert. Diese Teile sind sehr unterschiedlich, denn sonst bliebe die Form die gleiche. Dinge zerfallen nicht in Substanz und Form: Die Donau hat keinen harten Kern, der über Jahrmillionen gleich bleibt, während der Rest vergeht und entsteht. Substanzen haben – s.o. – keine Geschichte, jedenfalls nicht in einem philosophischen Sinn. In einem chemischen Sinn haben sie aber sehr wohl eine Geschichte (man denke z.B. an das Haber-Bosch-Verfahren). Ein guter Wikipedia-Artikel ist also wie eine chemische Substanz, ein schlechter wie eine philosophische: Ein guter Chemiker nennt alle Bestandteile, aus denen eine Substanz gewonnen werden kann; eine gute Philosophin nennt eine einzige, eine schlechte zwei.
  • Nichts ist einfach: Es ist einfach, sich keine Mühe zu geben. Wer alles voraussetzt und als stabil und gegeben nimmt, der tut sich natürlich leicht, einen Artikel zu schreiben. Genauso einfach ist es, ein bestimmtes Ding auf ein anderes zu reduzieren. Wein? Eine Ansammlung von Molekülen. Kapitalismus? Ein Ausfluss des Protestantismus. Schizophrenie? Eine Stoffwechselkrankheit. Liebe? Ein paar Neuronen und Hormone. Der Zweite Weltkrieg? Nur die logische Folge von Versailles. Behinderung? Eine soziale Konstruktion. Kunst? Fortsetzung der Ökonomie mit anderen Mitteln. So lässt sich freilich leicht Hase und Igel spielen. Schwierig wird es erst, wenn ich anfange zu fragen, warum z.B. Kunst und Ökonomie so unterschiedlich aussehen oder warum eine Liebende weder Hormone noch Neuronen kennen muss, um sich zu verlieben.

In den meisten Fällen nehmen wir Relevanz als gegeben an. Alle chemischen Verbindungen sind relevant, alle Tierarten, alle Nationalspieler, alle Kinofilme …. Das ist zwar praktisch, weil es uns eine bestimmte Arbeit erspart, es ist aber auch gefährlich und für gute Artikel enttäuschend. Wer sich nicht überlegt, wie etwas für wen relevant ist und was Relevanz zwischen diesen beiden heißt, der versäumt es, sich eingehend mit etwas auseinanderzusetzen. Auch Relevanz muss erklärt werden, man kann sie nicht einfach voraussetzen und nur bei Pornosternchen, Mittelständlern und Straßen in Dresden verlangen, dass sich der Artikel auch mit Relevanz auseinandersetzt. Das gebietet schon die Demut, die bekanntlich der Gegenentwurf zur Arroganz ist.

Wenn sich Relevanz aber aus Beziehungen ergibt, also aus Relationen, dann ist sie relativ. Keine Sorge, ich bin kein Relativist: Ich werde nicht fordern, dass Wikipedia Artikel über alles Denkbare aufnehmen soll, weil es ja für irgendwen und damit für uns alle relevant ist. Genau genommen werde ich das nicht tun, weil Relevanz relativ ist und nicht absolut: Ich kann nicht erst behaupten, dass sich Relevanz unterschiedlich verhält, um dann im nächsten Atemzug zu sagen, dass man alle Formen von Relevanz deshalb in einen Topf werfen soll. Relevanz ist weder absolutistisch (also von sich aus vorhanden, unabhängig von Beziehungen zwischen bestimmten Dingen), noch relativistisch (also beliebig wählbar, völlig unstetig und damit nichtssagend). Anders ausgedrückt: Es gibt nicht vom Anbeginn der Zeiten an ein universelles Maß für Relevanz noch gibt es überhaupt kein Maß für Relevanz – richtig ist, dass das Maß für Relevanz erst geschaffen und dann stets neu verhandelt werden muss.

Erkenntnistheorie, zumal auf Wikipedia, ist in meinen Augen eine Zeitverschwendung, zumindest in der Form, wie sie Immanuel Kant populär gemacht und gegen alle Zweifel fortifiziert hat. Sie führt zu nichts und dreht sich lediglich im Kreis. Müssen wir ungebräuchliche Taxa löschen, weil sie schon immer falsch waren? Ist Geschlecht eine natürliche Größe oder eine gesellschaftliche Fiktion? Wie lässt sich die unfassbare Dummheit von Franzosen oder Argentiniern so drastisch darstellen, dass sich der Leser auf dem Gipfel der Erkenntnis wähnt? Wie lässt sich die Geschichte so umschreiben, dass es nie eine Geschichte gegeben hat?

Epistemologie ist völlig unbrauchbar für die Wikipedia-Arbeit. Wie viele Diskussionen habe ich schon gesehen, bei denen sich zwei Fraktionen virtuell die Köpfe einschlugen und unheimliche Massen an Journalartikeln, Buchkapiteln und Doppelblindstudien mobilisierten, um die gegnerische Seite zur Kapitulation zu zwingen? Klar, meistens ist es einfach: Die Gefechte wurden woanders schon geschlagen und man kann ohne Anstrengungen oder Sorgen Kary Mullis als Genie, Barry Goldwater als Versager und die Steady-State-Theorie als gerührten Quark präsentieren. Nichts davon wird aber dazu führen, dass der Leser einen der Artikelgegenstände besser versteht, geschweigedenn von ihm bewegt wird. Wer diese Art der Epistemologie betreibt, geht nicht nur davon aus, dass bereits alles verteilt ist, sondern dass auch immer schon alles so verteilt war, wie es ist. Wer verstehen will, warum das scheitern muss, der muss sich nur Diskussion:Globale Erwärmung, Diskussion:Neoliberalismus oder Diskussion:Weibliche Genitalverstümmelung ansehen. Erkenntnistheorie ist kein Mittel, um über etwas zu sprechen. Sie ist vielmehr ein Mittel, um über bestimmte Dinge nicht sprachen zu müssen oder anderen das Wort zu verbieten. Sie zwingt mich dazu, mich zu entscheiden: Ist Sarcorhamphus sacer nun eine schludrige Feldnotiz, ein ausgestorbener Geier, eine Zeichnung oder ein Tongefäß? Darauf haben Epistemologen immer erst dann eine Antwort, wenn jemand anderes die Frage schon entschieden hat, und diese Antwort hat dann nicht das geringste mit dieser Entscheidung zu tun. Spar dir also die Mühe solcher Grabenkämpfe, die Geschosse treffen immer nur den Artikel.

Wie aber soll ich sonst über schwierige Artikelgegenstände schreiben? Was ist denn nun Sarcorhamphus sacer, wenn ich nicht nach dem Tongefäß, der Zeichnung oder dem ausgestorbenen Geier fragen soll? Die Antwort ist, dass S. sacer nichts von diesen Dingen ist, sondern die Linie, die sie verbindet, oder der Knoten, der sie zusammenhält. Wem das zu verrückt klingt, der soll es einfach mal ausprobieren um zu sehen, ob ihm oder ihr das Resultat gefällt. Ein gelungenes Beispiel ist Augsburger Straße (Berlin) von Benutzer:Denis Barthel. Hier wird schnell klar, warum die Frage „Ist die wahre Augsburger Straße die des 19., 20. oder 21. Jahrhunderts?“ keine vernünftigen Antworten ermöglicht, und dass erst die Kontinuität der Linie „Augsburger Straße“ den Artikelgegenstand und alle seine Bestandteile (Berlin, Prostitution, Wohnungsbau, Bohème, Kalter Krieg, Stadtplanung, Autoverkehr) zu Tage treten lässt.[1]

In einer klassischen Enzyklopädie ist Liebe fehl am Platz: Gefühle stören nur bei der Arbeit; je weniger ich davon habe, desto eher kann meine „Vernunft“, meine „Rationalität“ das arbeiten anfangen (so glauben zumindest die erwähnten Epistemologen). deshalb bin ich froh, dass wir keine klassische Enzyklopädie schreiben müssen.

  1. Ein anderes schönes Beispiel sind die häufig geführten Debatten um die Existenz wissenschaftlicher Objekte: Gene, Atome oder auch Arten. Sind Gene DNA, RNA oder Proteine? Sind Atome Fiktionen, weil man sie nur auf den Bildschirmen verworrener technischer Geräte sehen kann oder muss die Verstrahlung der Bewohner von Tschernobyl alle Zweifler Lügen strafen? Gibt es überhaupt Arten, wenn wir kein Konzept finden, an das sich alle Lebewesen halten? Die Lösung zu diesem Rätsel ist das, was Alfred North Whitehead die Fallacy of misplaced concreteness genannt hat: Wenn Probleme auftreten, dann müssen wir untersuchen, was konkret und was abstrakt ist. Das heißt nicht, dass es ein konkretes Ding „an sich“ auf der einen Seite und ein abstraktes Ding „für sich“ (oder „für uns“) auf der anderen – es heißt lediglich, dass manchmal aus einem Paar Schuhe zwei werden, die man auseinanderhalten muss. Wenn ich vor meinem Fenster eine Elster sehe, dann sehe ich zunächst einmal einen schwarz-weißen Vogel mit einem langen Schwanz. Will ich mich mit anderen Leuten über ihn unterhalten, die gerade nicht da sind, dann brauche ich eine Abstraktion dieses individuellen Vogels. Ich könnte ihn z.B. zeichnen oder mit Worten beschreiben, die wahrscheinlich für andere das gleiche bedeuten wie für mich (so, wie ich es hier tue). Eine Abstraktion zieht also etwas aus einer bestimmten Sache und gießt es in eine neue Form, um das, worauf es ankommt, transportieren zu können. (Und weil ich natürlich auch Abstraktionen von Abstraktionen anfertigen kann, gibt es keine absolute, sondern immer nur eine relative Unterscheidung zwischen abstrakt und konkret.) Wikipedia ist genau dieser Versuch: Tiere, Bücher, Orte und Gedanken zugänglich zu machen, die ohne Abstraktionen für niemanden greifbar wären. Eine besondere Form von Abstraktionen sind Ideen, wie etwa Atome, Gene oder Arten: Sie weisen uns auf besondere Eigenschaften eines konkreten Objekts hin, etwa auf die Verteilung von Widerstand in einem Körper; auf den Transport von Information zwischen Molekülen, in Organismen und Abstammungslinien; oder den Umstand, dass bestimmte Gemeinschaften von Lebewesen etwas zum Fließen bringen, das von ihrer Gestalt, ihrer räumlichen Nähe zu einander und ihrer physiologischen Ausstattung abhängt. Der Vogel vor meinem Fenster lässt sich also mit der Abstraktion Pica pica unheimlich gut beschreiben, weil ich nicht scharf zwischen dem individuellen Vogel und der Art Pica pica unterscheiden muss; ich kann so tun, als seien sie das selbe, obwohl ihre physische Existenz sehr unterschiedlich ist: Der Vogel besteht aus Federn, Haut und Knochen, die Art u.a. aus sehr viel Beschreibungen auf Papier, Statistiken, Tabellen, DNA-Analysen, einem Typusexemplar, der Vorstellung unheimlich vieler individueller Vögel, Beobachtungsprotokollen solcher Vögel und einem Namen. erst, wenn ich merke, dass ich mit dieser Abstraktion auf Widersprüche stoße, muss ich zurückgehen und sehen, wo die Abstraktion einen konkreten Gegenstand falsch übersetzt. Epistemologie sollte also die Lehre von der Vielfalt der Abstraktionen sein, die nötig sind, um Wissen über einen konkreten Gegenstand zu erhalten und zu vermitteln – nicht das Lamento, dass die Abstraktion unendlich weit entfernt und unendlich verschieden von diesem Gegenstand ist. Sie ist nur relativ weit von ihm entfernt und nur relativ verschieden von ihm. Diese Relativität hat nichts mit Unschärfe (Reibungsverlusten) zu tun, sondern mit Fokus (Konzentration auf einen schmalen Bereich). Wer ein Haus aus Marmor sieht, beschwert sich ja auch nicht darüber, dass es kaum Ähnlichkeit mit einem bestimmten Marmorsteinbruch hat, sondern bewundert, wie kunstvoll die Eigenschaften des Marmors durch vielfache Bearbeitung zur Geltung gebracht wurden. Genauso sagt die Existenz eines Steinbruches nichts darüber aus, ob das Haus eingebildet oder real ist: Tatsächlich war das Haus zuerst nur die Einbildung eines Architekten, aber heute ist es ein Gebäude aus Marmor.