Kälberbluthämodialysat

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Kälberbluthämodialysat ist ein aus dem Blutserum von Kälbern gewonnenes und von Eiweißstoffen befreites Filtrat („proteinfreies Hämodialysat“). Es kommt als Arzneimittel im Bereich von Durchblutungsstörungen und trophischen Störungen zum Einsatz, unter anderem in der Sportmedizin bei Muskelverletzungen.[1]

Anwendungsgebiete[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der parenteralen Verwendungsform (Injektionslösung für die intravenöse oder intramuskuläre Injektion) ist Kälberbluthämodialysat zugelassen zur symptomatischen Behandlung von Demenz und diabetischer Polyneuropathie,[2][3] von Wundheilungsstörungen durch variköse Geschwüre der unteren Extremitäten[3][4] und Dekubitus sowie von Verbrennungen, Haut- und Schleimhautschäden durch Bestrahlung.[4] Die orale Verabreichung in Form von Tabletten zur unterstützenden Behandlung der Symptome von Demenz oder diabetischer Polyneuropathie ist ebenfalls möglich. Es gehört zur pharmakologischen Gruppe der anderen Hämatologika (ATC-Code B06AB).

In der lokalen, äußerlichen Anwendung ist Kälberbluthämodialysat (etwa als Paste, Salbe oder Gel) zugelassen zur Unterstützung der Wundheilung nach leichteren Verbrennungen[5] oder in Kombination mit Lauromacrogol 400 zur Behandlung schmerzhafter und entzündlicher Erkrankungen der Mundschleimhaut (Stomatitis, Aphthen), Prothesendruckstellen (Dekubitus) und zur unterstützenden Wundheilung nach zahnärztlichen Behandlungen.[6]

Außerhalb der zugelassenen Anwendungsgebiete werden Präparate aus Kälberbluthämodialysat in der Sportmedizin eingesetzt, um Reparaturmechanismen des Körpers an verletzten Muskelfasern zu fördern. Sie werden dann in der Regel intramuskulär verabreicht.[7][8]

Wirkung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Laut Fachliteratur führt das Kälberblutpräparat zu einer stimulierenden Aktivität beim Glucosetransport, bei Glucose- und Sauerstoffverwertung.[9][10][11] In einer Studie konnte bei isolierten Muskelfasern eine Verstärkung der aeroben Oxidation durch die Gabe des Hämodialysats beobachtet werden.[10][11]

Zwei Studien kamen zu dem Ergebnis, dass das Hämodialysat entzündungshemmend wirkt.[12][13] Einer der beiden Studien zufolge mildert Actovegin bzw. Solcoseryl durch progressive Muskelatrophie verursachte Entzündungen.[13] Laut einem Arzneimittelhersteller steigert es die Durchblutung im Gehirn und kommt bei Demenz und Diabetes mellitus zur Anwendung.[2]

Einer Studie zufolge hat das Hämodialysat einen positiven Einfluss auf die Proliferation von Muskelzellen, wobei diese Wirkung jedoch gegenüber der vom menschlichen Blut ausgehenden zellwachstumverstärkenden Wirkung geringer ausfällt.[12][7]

Herstellung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kälberbluthämodialysat wird aus Kalbsblut in mehreren Schritten durch Ultrafiltration unter Verwendung verschiedener Fällungstechniken und Filter hergestellt. Die Analyse des Endprodukts zeigt, dass es eine Mischung natürlicher Substanzen enthält: anorganische Komponenten wie Blutelektrolyte z. B. Chlorid, Phosphat, Natrium, Kalium, Calcium und Magnesium, verschiedene Quellen für Stickstoff, Aminosäuren, Peptide, Glucose, Acetat und Lactat sowie organische Komponenten wie Aminosäuren, Oligopeptiden, Nukleosiden, Glycosphingolipiden und Produkte des Intermediärstoffwechsels.[2]

Das Kälberbluthämodialysat wird seit der Übernahme von Nycomed im Jahr 2011 von Takeda Pharmaceutical hergestellt.[14]

Dopingdebatte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es gibt eine seit 60 Jahren andauernde Kontroverse über angebliche leistungssteigernde Wirkungen, die in einer Meta-Analyse nicht eindeutig bestätigt werden konnten.[15][16] Für die Verwendung im Sport stand Actovegin zeitweise auf der Dopingliste, ist aber zur intramuskulären Verabreichung im Profisport durch WADA und IOC freigegeben.[7][14][17] Das Hämodialysat enthält keine zellulären Bestandteile, die eine Verbesserung der Sauerstofftransportkapazität bewirken könnten.[14]

Handelsnamen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Parenteral/oral

Actovegin (AT, LV, RO), Solcoseryl (PL)

Äußerlich

Actihaemyl (DE), Solcoseryl (AT, BG, CZ, DE, LV, PL)

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • F. Buchmayer, J. Pleiner, M. W. Elmlinger, G. Lauer, G. Nell, H. H. Sitte: Actovegin®: a biological drug for more than 5 decades. In: Wiener medizinische Wochenschrift. Band 161, Nummer 3–4, Februar 2011, S. 80–88, doi:10.1007/s10354-011-0865-y, PMID 21404144 (Review).

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. P. Lee, A. Kwan, L. Nokes: Actovegin–Cutting-edge sports medicine or "voodoo" remedy? In: Current sports medicine reports. Band 10, Nummer 4, Juli 2011, S. 186–190, doi:10.1249/JSR.0b013e318223cd8a, PMID 23531892.
  2. a b c Florian Buchmayer, Johannes Pleiner, Martin W. Elmlinger, Gereon Lauer, Gerfried Nell: Actovegin®: a biological drug for more than 5 decades. In: Wiener Medizinische Wochenschrift. Band 161, Nr. 3, 1. Februar 2011, S. 80–88, doi:10.1007/s10354-011-0865-y.
  3. a b Actovegin 200 mg/5 ml šķīdums injekcijām, Stand Januar 2020.
  4. a b Solcoseryl, 42,5 mg/ml, roztwór do wstrzykiwań, Stand März 2020.
  5. Mylan GmbH: GebrauchsinformationSolcoseryl Gel. Stand September 2020. Abgerufen am 27. Mai 2021.
  6. Gebrauchsinformation Solcoseryl akut, Meda Pharma, Stand Spteber 2013. Abgerufen am 27. Mai 2021.
  7. a b c Sebastian Krause Ulrich Hagmann: "Fit machen" im Spitzensport: Neue Studie zum „Wundermittel“ Actovegin. 6. Dezember 2016 (br.de [abgerufen am 16. Mai 2021]).
  8. Müller-Wohlfahrt: Der Arzt, dem die Fußballstars vertrauen – zu Recht? Blog Archive. In: WAZ Rechercheblog. 5. August 2013, archiviert vom Original am 5. August 2013; abgerufen am 18. Mai 2021.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.derwesten-recherche.org
  9. Institut für Biochemie, Deutsche Sporthochschule Köln: Actovegin. Abgerufen am 2. Mai 2021.
  10. a b Stine D. Søndergård, Flemming Dela, Jørn W. Helge, Steen Larsen: Actovegin, a non-prohibited drug increases oxidative capacity in human skeletal muscle. In: European Journal of Sport Science. Band 16, Nr. 7, Oktober 2016, S. 801–807, doi:10.1080/17461391.2015.1130750, PMID 26744809.
  11. a b Alexander Kirillovich Gulevsky, Yelena Sergeevna Abakumova, Natalya Nikolaevna Moiseyeva, Yevgeniy Gennadievich Ivanov: Influence of Cord Blood Fraction (below 5 kDa) on Reparative Processes during Subchronic Ulcerative Gastropathy. 5. September 2011, abgerufen am 2. Mai 2021 (englisch).
  12. a b Franz-Xaver Reichl, Lesca Miriam Holdt, Daniel Teupser, Gregor Schütze, Alan J. Metcalfe: Comprehensive Analytics of Actovegin® and Its Effect on Muscle Cells. In: International Journal of Sports Medicine. Band 38, Nr. 11, Oktober 2017, S. 809–818, doi:10.1055/s-0043-115738, PMID 28895623.
  13. a b Franz-Xaver Reichl, Christof Högg, Fangfang Liu, Markus Schwarz, Daniel Teupser: Actovegin® reduces PMA-induced inflammation on human cells. In: European Journal of Applied Physiology. Band 120, Nr. 7, Juli 2020, S. 1671–1680, doi:10.1007/s00421-020-04398-2, PMID 32447451.
  14. a b c Infiltrationstherapie. In: Muskelverletzungen im Sport. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Thieme Verlag, 2014, ISBN 978-3-13-146752-2, doi:10.1055/b-0034-96058.
  15. J. Brock, D. Golding, P. M. Smith, L. Nokes, A. Kwan, P. Y. Lee: Update on the Role of Actovegin in Musculoskeletal Medicine: A Review of the Past 10 Years. In: Clinical Journal of Sport Medicine. Band 30, Nummer 1, 01 2020, S. 83–90, doi:10.1097/JSM.0000000000000566, PMID 31855916.
  16. T. Hotfiel, R. Seil, W. Bily, W. Bloch, A. Gokeler, R. M. Krifter, F. Mayer, P. Ueblacker, L. Weisskopf, M. Engelhardt: Nonoperative treatment of muscle injuries - recommendations from the GOTS expert meeting. In: Journal of experimental orthopaedics. Band 5, Nummer 1, Juni 2018, S. 24, doi:10.1186/s40634-018-0139-3, PMID 29931565, PMC 6013414 (freier Volltext).
  17. Matthias Fiedler: Fußball-Doc Müller-Wohlfahrt und seine sehenden Hände: Der ewige Medizinmann. In: Der Spiegel. Abgerufen am 2. Mai 2021.