Amalie Dietrich

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Amalie Dietrich an ihrem 60. Geburtstag, gezeichnet von Christian Wilhelm Allers, 1881

Concordia Amalie Dietrich (* 26. Mai 1821 in Siebenlehn, Königreich Sachsen; † 9. März 1891 in Rendsburg, Provinz Schleswig-Holstein), geborene Nelle, war eine bedeutende deutsche Australien- und Naturforscherin, Botanikerin, Zoologin und Pflanzenjägerin im 19. Jahrhundert. Sie sammelte ein Jahrzehnt lang auf dem „Fünften Kontinent“ (Australien), der damals als britische Kolonie Neuholland hieß, Pflanzen, Tiere, ethnographische Objekte, menschliche Schädel und Skelette für das Museum Godeffroy.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Siebenlehn, Markt 25 (letzte Wohnstätte Amalie Dietrich)

Amalie Dietrich stammte aus einer sehr armen Beutlerfamilie in Siebenlehn/Sachsen. Sie erhielt eine dürftige Volksschulbildung und musste anschließend ihrem Vater in der Beutlerwerkstatt helfen. 1846 heiratete sie den Apotheker und Botaniker Wilhelm Dietrich, der sie zunächst mit den Grundbegriffen der Botanik vertraut machte. Er lehrte sie, wie man Pflanzen sammelt, bestimmt und präpariert und wie man Herbarien anlegt. Später bildete sie sich autodidaktisch fort.

1848 wurde ihre Tochter Charitas geboren. Wilhelm Dietrich hatte mittlerweile seine Apothekerstellung aufgegeben und versuchte, vom Handel mit botanischen Artikeln zu leben, was jedoch kaum Geld einbrachte. Infolge der materiellen Not kam es zu Zerwürfnissen zwischen den Ehepartnern, in deren Folge Amalie 1852 ihre erste größere Reise antrat: nach Bukarest, wo sich ihr älterer Bruder als Beutler niedergelassen hatte. Erst nach einem Jahr kehrte sie nach Siebenlehn und zu Wilhelm Dietrich zurück.

In den folgenden Jahren unternahm Amalie Dietrich zu Fuß weite Reisen durch ganz Deutschland und Österreich. Sie verkaufte ihre Produkte an Apotheken oder botanische Gärten; gleichzeitig dienten diese Reisen auch zum Sammeln nichtheimischer Pflanzen, also zur „Sortimentserweiterung“. Ihre Tochter Charitas wurde indessen bei Pflegefamilien untergebracht.

Im Jahre 1861 erkrankte sie in Holland schwer an Typhus und lag monatelang im Spital. Wilhelm Dietrich, der sie für tot hielt, gab das botanische Geschäft auf und nahm eine Stelle als Hauslehrer an. Nach Amalies Dietrichs Rückkehr kam es zum Bruch zwischen den Ehepartnern, worauf Amalie das Geschäft mit den Herbarien allein weiterführte. Inzwischen war sie durch ihre zahlreichen Wanderreisen in der Fachwelt ziemlich bekannt geworden. 1862 lernte sie durch die Vermittlung des Fabrikbesitzers und Freizeitbotanikers Heinrich Adolph Meyer den hamburgischen Kaufmann Cesar Godeffroy kennen, den so genannten „König der Südsee“, der in Amerika und Australien sowohl verschiedene Handelsunternehmen als auch wissenschaftliche Erkundungen betrieb. Bei ihm bewarb sich Amalie Dietrich um eine Stelle als Forschungsreisende. Godeffroy plante damals ein Museum für Natur- und Völkerkunde der Südsee und betraute sie mit einem 10-jährigen Forschungsauftrag in Australien.

1863 landete die nun 43-jährige Amalie Dietrich in Brisbane. Sie schickte Kiste um Kiste von Präparaten nach Europa. Von 1864 an gab das Museum Godeffroy „Catalog(e) der zum Verkauf stehenden Doubletten…“ heraus. Einige der von ihr entdeckten Pflanzen- und Tierarten tragen ihren Namen. Dietrich sammelte nicht nur Pflanzen, sondern auch Insekten und andere Kleintiere. Außerdem hat sie für die Sammlung des Museum Godeffroy in Hamburg acht Skelette und zwei Schädel von Aborigines aus Queensland nach Deutschland gesendet.[1][2] In Australien wird sie deswegen auch „Angel of Black Death“ genannt.[3] In Deutschland war diese Seite von Dietrichs Tätigkeit seit dem Kaiserreich bekannt und wurde bis in die Gegenwart auch immer wieder (durchaus positiv) erwähnt. Die kritische Auseinandersetzung begann erst relativ spät und ist bei weitem noch nicht abgeschlossen.[4]

1873 kehrte Amalie Dietrich auf dem Schiff Susanne Godeffroy nach Deutschland zurück. Sie fand mit ihren beiden gezähmten Adlern erst bei der Familie Godeffroy Unterkunft, wo sie ihre Sammlungen betreute und verwaltete. 1879 fand sie eine Stelle als Kustodin im Botanischen Museum von Hamburg. Sie starb 1891, knapp 70-jährig, in der Obhut ihrer Tochter Charitas Bischoff, die ihr mit der Biografie Amalie Dietrich – Ein Leben ein Denkmal setzte. Die von der Natur begeisterte Amalie äußerte vor ihrem Tode den Wunsch „Setzt mir ein Efeu aufs Grab.“

Würdigung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Amalie Dietrich war nach Maria Sibylla Merian die bedeutendste Naturforscherin und Forschungsreisende Deutschlands. Die Sammlung botanischen und zoologischen Materials, die Amalie Dietrich im Zuge ihres Australienaufenthalts zusammentrug, gilt als die umfangreichste einer Einzelperson. Sie war Entdeckerin von annähernd 640 Pflanzenarten.[5]

Nach Amalie Dietrich wurden die von ihr entdeckte Algenart Sargassum amaliae, der Sonnentau-Art Drosera dietrichiana, die Moosart Endotrichella dietrichiae und die Wespenart Odynerus dietrichianus benannt. Einige dieser Namen werden nur noch als Synonym verwendet.[6]

Ehrungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Frauenorte Sachsen, Infotafel Concordie Amalie Dietrich vor dem Rathaus Siebenlehn
  • Der Amalie-Dietrich-Stieg in Hamburg-Barmbek-Nord wurde 1968 nach ihr benannt.[7]
  • Der Amalie-Dietrich-Platz in Dresden-Gorbitz wurde nach ihr benannt.
  • Die Amalie-Dietrich-Straße liegt in Rendsburg.
  • In Siebenlehn tragen u. a. eine Straße und eine Kindertagesstätte ihren Namen. Auf der Amalie-Dietrich-Höhe wurde 1928 ein Gedenkstein errichtet. Wo ihr Elternhaus stand, befindet sich heute eine Gedenktafel. Am einstigen Rathaus von Siebenlehn erinnert eine Gedenktafel der Initiative Frauenorte Sachsen an Amalie Dietrich.
  • Eine weitere Gedenktafel wurde zum 195. Geburtstag am Standort des ehemaligen Forsthofes in Siebenlehn eingeweiht. Hier lebten und arbeiteten Amalie und Wilhelm Dietrich seit ihrer Hochzeit 1846 bis ins Jahr 1861. Am 7. März 1848 erblickte hier die gemeinsame Tochter Charitas das Licht der Welt. Im Jahr 1901 brannte das Gebäude bis auf die Grundmauern nieder und wurde nicht wieder aufgebaut.
  • Die „Wilthener-Gebirgskräuter“-Liköre der Fa. Hardenberg-Wilthen werben mit und erinnern dadurch an Amalie Dietrich.[8]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Stefanie Affeldt: „Kein Mensch setzt meinem Sammeleifer Schranken.“ Amalie Dietrich zwischen Herbarium und Leichenraub. In: Jürgen Zimmerer, Kim Sebastian Todzi (Hrsg.): Hamburg: Tor zur kolonialen Welt. Erinnerungsorte der (post-)kolonialen Globalisierung. Wallstein, Göttingen 2021, ISBN 978-3-8353-5018-2, S. 213–228.
  • Stefanie Affeldt, Wulf D. Hund: From ‘Plant Hunter’ to ‘Tomb Raider’. (pdf; 902 kB) In: Australian Studies Journal / Zeitschrift für Australienstudien. 33/34 (2019/2020); (englisch).
  • F. Bandermann: Ein Frauenleben im Dienste der Wissenschaft. In: Otto Krancher (Hg.): Entomologisches Jahrbuch, Jg. 35, Leipzig 1926, (PDF)
  • Georg Balzer: Dietrich, Konkordie Amalie geborene Nelle. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 3, Duncker & Humblot, Berlin 1957, ISBN 3-428-00184-2, S. 695 (Digitalisat).
  • Charitas Bischoff: Amalie Dietrich – Ein Leben. Grote, Berlin 1909; 49. Tsd. 1918 (Digitalisat); Neuausgabe, hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Günter Wirth: Evangelische Verlagsanstalt, Berlin 1977, 1979, 1980 sowie Calwer, Stuttgart 1980, ISBN 3-7668-0640-8 – (Die Autorin war die Tochter von Amalie Dietrich. Das Buch verkaufte sich vielfach, die Biographie gilt als unzuverlässig.)
  • Hans Doderer: Zum 185. Geburtstag von Amalie Dietrich. Die Pflanzenjägerin – Teil 1 (PDF, 3,6 MB) und Teil 2 (PDF, 4,0 MB), in: Nossner Rundschau, Nr. 205 (Juli 2006), S. 26 f. (Seiten nicht mehr abrufbar)
  • Gertraud Enderlein: Die Frau aus Siebenlehn. Aus Amalie Dietrichs Leben und Werk. Altberliner Verlag Lucie Groszer, Berlin 1955
  • Michael Geyer: Eine Entdeckung im Völkerkundemuseum in Leipzig (= Michael Geyer [Hrsg.]: Comparativ. Band 10). Schädel und Skelette als Objekte und Subjekte einer Welt- und Menschheitsgeschichte. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2012, ISBN 3-935693-06-0, S. 8–27 (comparativ.net [PDF]).
  • Matthias Glaubrecht: Als Sammlerin in Australien – Das dunkle Geheimnis der Amalie Dietrich. In: Der Tagesspiegel. 23. Juni 2013;.
  • Kej Hielscher, Renate Hücking: Die „Frau Naturforscherin“ Amalie Dietrich (1821–1891). In: Pflanzenjäger. Piper, München 2002, ISBN 3-492-04424-7 (Rezension in der ZEIT, Nr. 51/2002)
  • Nicole Hoffmann: Eine Naturforscherin zwischen Fake, Fakt und Fiktion. Multidisziplinäre Perspektiven zu Werk und Rezeption von Amalie Dietrich. Hrsg.: Wiebke Waburg. Springer VS, Wiesbaden 2021, ISBN 978-3-658-34143-5, S. 250.
  • Augustin Lodewyckx (Hrsg.): Australische Briefe von Amalie Dietrich. With a biographical sketch, exercises and a vocabulary. Melbourne University Press, 1943
  • Margarete Maurer: Amalie Dietrich (1821–1891): Hausfrau und Forscherin (PDF). In: PCNEWS, Nr. 64, Sept. 1999, S. 31–32 – mit umfangreicher Literaturliste
  • Birgit Scheps: Die Australien-Sammlung aus dem Museum Godeffroy im Museum für Völkerkunde zu Leipzig. In: Jahrbuch des Museums für Völkerkunde zu Leipzig. Band XL, Münster und Hamburg 1994, S. 194–209
  • Ray Sumner, Hilary Howes: The demonisation of Amalie Dietrich/Die Verteufelung der Amalie Dietrich. In: Federkiel No. LXVIII, April 2019. S. 1–6, online (PDF 2,1 MB)@daszentrum.org.au (Australian-German Institute)
  • Ray Sumner: A Woman in the Wilderness. The Story of Amalie Dietrich in Australia. University of New South Wales Press, 1993, ISBN 0-86840-197-8
  • Thomas Theye: „…ein Blick für alles Bemerkenswerthe…“ – einige wissenschaftsgeschichtliche Aspekte der Queensland-Photographien Amalie Dietrichs in der anthropologischen Sammlung des Museums Godeffroy. In: Jahrbuch des Museums für Völkerkunde zu Leipzig. Bd. 42, 2004, S. 161–280 (mit 46 Abbildungs-Tafeln)
  • Paul Turnbull: Ancestors, not Specimens: Reflections on the Controversy over the Remains of Aboriginal People in European Scientific Collections The Electronic Journal of Australian and New Zealand History (Memento vom 31. Dezember 2010 im Internet Archive)
  • Christa Riedl-Dor: Amalie Dietrich. Ein Leben für die Natur. In: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte. 39 (2001), S. 38–43.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Amalie Dietrich – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Ray Sumner: A Woman in the Wilderness, S. 43
  2. Birgit Schepps: Die Australien-Sammlung aus dem Museum Godeffroy im Museum für Völkerkunde zu Leipzig. S. 197.
  3. vgl. David Monaghan: Angel of Black Death. (pdf; 1,3 MB) In: The Bulletin. 12. November 1991, S. Titelseite, abgerufen am 12. Februar 2022 (Fotografische Abbildung ohne Namensnennung; wiedergegeben auf gooriweb.org).
    Paul Turnbull: Die Leichen- und Seelenfledderer. In: Michael Geyer (Hrsg.): Schädel und Skelette als Objekte und Subjekte einer Welt- und Menschheitsgeschichte, S. 51–53 (ausführliche, differenzierte Darstellung).
  4. Stefanie Affeldt, Wulf D. Hund: From ‘Plant Hunter’ to ‘Tomb Raider’. (pdf; 902 kB) In: Australian Studies Journal / Zeitschrift für Australienstudien. 33/34 (2019/2020), abgerufen am 12. Februar 2022 (englisch).
  5. Jürgen Lucht: Amalie Dietrich. In: siebenlehn.de. Abgerufen am 12. Februar 2022.
  6. Stephan Imhof: Pflanzenjagd: Amalie Dietrich. In: uni-marburg.de. Ehemals im Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 12. Februar 2022.@1@2Vorlage:Toter Link/www.online.uni-marburg.de (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)
    Amalie Dietrich. In: sachsen.de. 1. Februar 2022, abgerufen am 12. Februar 2022.
  7. Horst Beckershaus: Die Hamburger Straßennamen, Verlag Die Hanse, Hamburg, ISBN 978-3-86393-009-7
  8. Amalie Dietrich (1821–1891). In: wilthener-gebirgskraeuter.de. Abgerufen am 12. Februar 2022.