Bühnenwatch

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Bühnenwatch ist ein 2011 entstandener Zusammenschluss von Personen aus Kunst, Wissenschaft und Journalismus, der in der Öffentlichkeit mit Kritik an rassistischen bzw. so verstandenen Praktiken und Aufführungen in der deutschen Theaterlandschaft in Erscheinung tritt.[1] Vorsitzende oder sonstige offizielle Sprecher gibt es nicht, einzelne Mitglieder haben aber verschiedenen Medien Interviews gegeben.[2][3]

Entstehung: „Ich bin nicht Rappaport“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ende 2011 / Anfang 2012 sah sich Dieter Hallervorden als Künstlerischer Leiter des Berliner Schlosspark Theaters Rassismus-Vorwürfen ausgesetzt. Für die Aufführung des Stücks „Ich bin nicht Rappaport“ des US-amerikanischen Autors Herb Gardner war die Figur des schwarzen Midge Carter mit dem weißen Darsteller Joachim Bliese besetzt worden. Es wurde behauptet, das Werbeplakat, das Hallervorden und den schwarz geschminkten Bliese zeigte, werde teilweise als anstößig empfunden. Einen daraufhin von Kritikern verfassten Brief beantworteten die Theaterleiterin Evangelia Epanomeritaki und der Regisseur Thomas Schendel dahingehend, dass die Besetzung eines schwarzen Amerikaners durch einen weißen Schauspieler im deutschsprachigen Raum einer langen, nicht rassistischen Tradition folge. Zudem gehörten kaum einem Ensemble im deutschsprachigen Raum schwarze Schauspieler an, da das Stückerepertoire der Theater zu wenige Rollen biete, die eine Festanstellung rechtfertigten.[4]

Der bis dahin wenig wahrgenommene Protest wuchs nunmehr beträchtlich an. Es folgte eine ausführliche Medienberichterstattung.[5][6][7][8][9] Während Fürsprecher des Theaters darauf verwiesen, dass es prinzipiell möglich sein müsse, dass jeder Schauspieler jede Figur spiele, und das Stück selbst eine antirassistische Botschaft habe,[10][11] hoben die Kritiker hervor, dass die in dem Brief des Theaters ungewollt eingestandene Besetzungspolitik an deutschen Theatern diesen Grundsatz eben nicht beherzige. Vielmehr würden weiße Darsteller prinzipiell für alle Rollen, sogar schwarze, als geeignet angesehen, umgekehrt schwarze Darsteller aber nur für ausdrücklich schwarze Rollen.[12][13][14] Andere Autoren machten darauf aufmerksam, dass diese Problematik in Deutschland nicht nur für Schwarze, sondern generell für Bürger mit Migrationshintergrund bestehe.[15] Die Auseinandersetzung drehte sich des Weiteren um die Frage, ob es sich bei der Inszenierung um einen Fall des Blackface handelte. Blackface ist eine rassistisch geprägte Theater- und Unterhaltungsmaskerade, die in den Minstrel Shows des 19. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten entstand. Die Debatte fand auch in ausländischen Medien Beachtung.[16][17]

Während der Debatte wurde Bühnenwatch von Kritikern, die über ihre gemeinsame Haltung zueinander fanden, gegründet.[18] Die Gruppe kam mit kontrovers diskutierten Aktionen ins Gespräch.

Störaktion im Deutschen Theater[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei der Aufführung des Stücks „Unschuld“ von Dea Loher am Deutschen Theater (Regie: Michael Thalheimer) verließ in der ersten Szene, in der der schwarz geschminkte Schauspieler Andreas Döhler als der afrikanische Immigrant Elisio auftrat,[19] ein Teil des Publikums demonstrativ den Zuschauerraum. Anschließend wurden Handzettel an die später herausströmenden Zuschauer verteilt, in denen die Aktion als Protest gegen die nach Auffassung von Bühnenwatch rassistische Inszenierung erklärt wurde. Die Maske entspreche der rassistischen Tradition des Blackface. Ein solches rassistisch konnotiertes Stilmittel könne nicht einfach umgedeutet und zu antirassistischen Zwecken eingesetzt werden. Die anwesende Chefdramaturgin des Deutschen Theaters, Sonja Anders, suchte unmittelbar nach der Aktion das Gespräch und lud die Kritiker zu einem Gespräch ins Deutsche Theater, das wenige Wochen später auch stattfand.

Die Störaktion fand ein ähnliches Medienecho wie der Protest gegen die Aufführung am Schlosspark Theater. Angefeuert wurde die Debatte durch die Tatsache, dass kurz zuvor der US-amerikanische Autor Bruce Norris die Aufführung seines Stücks „Clybourne Park“ am Deutschen Theater untersagt hatte, weil die ausdrücklich als schwarze Figur beschriebene Francine von einem weißen Mitglied des Ensembles dargestellt werden sollte;[20] seit der Uraufführung am Hamburger Thalia Theater wurden die schwarzen Rollen des Stücks weit überwiegend von weißen Schauspielern gespielt, obwohl der Text grundsätzlich schwarze Darsteller für diese Rollen vorsieht. Das Deutsche Theater entschied sich, auf die Kritik zu reagieren, und wählte für die weiteren Aufführungen von „Unschuld“ eine andere Maske.[21] Intendant Ulrich Khuon erklärte in Interviews, sich in einem Reflexionsprozess zu befinden.[22] Schwarze Künstler nahmen die Debatte zum Anlass, das Thema Rassismus und deutsches Sprechtheater grundsätzlich zu beleuchten.[23]

Atif Hussein, Mitglied von Bühnenwatch, kritisierte auch Lohers Einleitung zum Stück „Unschuld“ als „Rassismus in reinster Form“. Weiße Schauspieler seien grundsätzlich unmarkiert und könnten nach der Meinung von Loher grundsätzlich alles spielen. Schwarze Schauspieler müssten hingegen „ausgezeichnet“ sein.[24]

Weitere Aktionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mit Pressemitteilungen und Briefen wandte sich Bühnenwatch gegen die Verwendung des Wortes „Neger“ im Untertitel für eine Othello-Inszenierung am neuen theater Halle. Bei dem Begriff handele es sich um eine rassistische Beleidigung, die nicht nach Gutdünken oder abstrahiert verwendet werden könne, zumal aus einseitiger weißer Perspektive.[25] Das Neue Theater Halle wies die Kritik zurück. Weiterhin führt Bühnenwatch einzelne Informationsveranstaltungen durch.

Stimmen zur Rassismus-Debatte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • „Wir haben übrigens auch ein Problem bei der Auseinandersetzung mit dem Rassismus. Wir bearbeiten ihn mit Toleranz, aber Toleranz ist keine Lösung für Rassismus … Weil es keine Rolle spielt, ob unsere besten Freunde Migranten sind, wenn wir Hamlet, damit er ‚richtig‘ verstanden werden kann, nicht mit einem Schwarzen besetzen. Das Problem des Rassismus ist in erster Linie das Problem der Repräsentation. Vor allem im Theater.“ René Pollesch[26]
  • „Ich glaube nicht, dass unsere Gesellschaft so weit ist, einen schwarzen Faust im Theater zu akzeptieren – leider.“ Christian Tombeil[27]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Selbstdarstellung der Gruppe (Memento vom 18. Januar 2013 im Webarchiv archive.today)
  2. Jasmin Kalarickal: Rassismus im Theater: „Ein vergiftetes Mittel“. In: taz Online. 10. Mai 2012, abgerufen am 19. März 2017.
  3. Nochmal: Warum die Werbung mit dem N-Wort für ein Theaterstück rassistisch genannt werden kann. Radio Corax, 28. Mai 2012, abgerufen am 19. März 2017.
  4. Blackface in 2012, das Schloßpark Theater in Berlin bietet eine armselige Vorstellung mit Wortlaut auf beatsandpicturesandlifeandstuff.tumblr.com, abgerufen am 23. Juli 2012
  5. Konstantin Zurawski: Rassismusvorwurf – Die Grenzen der Theaterschminke. DRadio Wissen (Memento vom 29. Juli 2012 im Webarchiv archive.today)
  6. Umstrittene Inszenierung: Hallervorden weist Rassismus-Vorwürfe zurück. In: Spiegel Online. 10. Januar 2012, abgerufen am 19. März 2017.
  7. Peter Laudenbach: Rassismus-Vorwürfe gegen Hallervorden: Schwarze anmalen verboten. In: Sueddeutsche.de. 10. Januar 2012, abgerufen am 19. März 2017.
  8. Video Wutbürger Paul zu Didi Hallervorden: A-propos Rappaport und Hallervorden in der ZDFmediathek, abgerufen am 23. Juni 2012. (offline)
  9. Katrin Bettina Müller: Rassismusvorwurf an Berliner Theater: Schwarze Schminke. In: taz Online. 12. Januar 2012, abgerufen am 19. März 2017.
  10. Hallervorden über die Rassismus-Kritik. In: B.Z. Online. 10. Januar 2012, abgerufen am 19. März 2017.
  11. Joachim Bliese über den Rassismusvorwurf. In: B.Z. Online. 12. Januar 2012, abgerufen am 19. März 2017.
  12. Marie-Claude Bianco: Rassismus im Theater: „Ein rassistisches Ausgrenzungstool“. In: taz Online. 11. Januar 2012, abgerufen am 19. März 2017.
  13. Dihia Wegmann: Alte Tradition: Dunkle Schuhcreme und deutsches Theater. In: Gazelle Online. 14. Februar 2012, abgerufen am 19. März 2017.
  14. Andrej Reisin und Andreas Strippel: Alltagsrassismus: Alles nur Theater? In: MiGAZIN. 25. Januar 2012, abgerufen am 19. März 2017.
  15. Özgür Uludag: Migranten spielen auf den Sprechbühnen keine Rolle: Wenn der Hintergrund im Vordergrund steht. In: Nachtkritik.de. 10. Mai 2011, abgerufen am 19. März 2017.
  16. Germany’s Schlosspark Theatre defends ‘blackface’ actor. In: BBC News. 10. Januar 2012, abgerufen am 19. März 2017.
  17. Black Voices: German Play, ‘I’m Not Rappaport’, Angers Critics With Blackface Actor. In: The Huffington Post. 10. Januar 2012, abgerufen am 19. März 2017.
  18. Joanna Itzek: Debatte um Blackfacing am Theater: Eine Frage der künstlerischen Freiheit. In: taz Online. 22. März 2012, abgerufen am 19. März 2017.
  19. Die nachstehende Seite ist nicht mehr abrufbar, festgestellt im März 2017. (Suche in Webarchiven.) @1@2Vorlage:Toter Link/www.tip-berlin.de Beispielhafte Aufnahme einer späteren Szene. Tip Berlin, abgerufen am 2. August 2012.
    Szenenfoto des Deutschen Theaters mit Barbara Schnitzler (Frau Zucker), Sven Lehmann, Andreas Döhler (Elisio), Gabriele Heinz (Frau Habersatt), Olivia Gräser (Rosa)
  20. Nikolaus Merck: Debatte am Deutschen Theater: Wo fängt Rassismus auf der Bühne an? In: Berliner Zeitung. 14. Februar 2012, abgerufen am 19. März 2017.
  21. Kein Blackfacing mehr am Deutschen Theater: Aus Schwarz wird Weiß. In: Nachtkritik.de. 22. März 2012, abgerufen am 19. März 2017.
  22. Aktuell: Das Deutsche Theater sieht weiß und/oder Schwarz? (Memento vom 2. Februar 2014 im Webarchiv archive.today), Metropolis, arte.tv, 12. April 2012.
  23. Lara-Sophie Milagro: Die Blackfacing-Debatte III – Man muss kein Neonazi sein, um rassistisch zu handeln: Die Bequemlichkeit der Definitionshoheit. In: Nachtkritik.de. 28. März 2012, abgerufen am 19. März 2017.
  24. Till Schmidt: „Auch wenn es nicht aus bösen Absichten erfolgt, ist es rassistisch“. In: Bayerischer Flüchtlingsrat (Hrsg.): Hinterland. Nr. 21, Dezember 2012, ISSN 1863-1134, S. 31–34 (hinterland-magazin.de [PDF; 5,7 MB]).
  25. Radio Corax: BühnenWatch zur Werbung für Othello am Neuen Theater. In: freie-radios.net. 24. Mai 2012, abgerufen am 19. März 2017.
  26. Tobias Haberl: »Toleranz ist keine Lösung für Rassismus.« Interview mit René Pollesch über Liebe und Rücksicht. In: Süddeutsche Zeitung Magazin. Nr. 17, 2012 (online auf SZ-Magazin.de).
  27. Nikolaos Georgakis: Rassismusdebatte um Schwarze auf Schauspielbühnen. In: Neue Ruhr Zeitung. 16. Februar 2012, abgerufen am 19. März 2017.