Benutzer:Andibrunt/Britischer Stummfilm

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Der britische Film erweckt den Anschein, dass er sich völlig ohne Wurzeln in der Stummfilmzeit entwickelt hatte.[1] Nur Filmhistoriker sind mit der Geschichte des britischen Stummfilms vertraut, und selbst unter ihnen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Großbritannien nur in den Anfangsjahren der Filmgeschichte eine wichtige Rolle spielte. Britische Filme aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg blieben dagegen ohne größere Bedeutung. So wird allgemein der Film Rescued by Rover von 1905 als der Höhepunkt der britischen Stummfilmzeit betrachtet [2]. Erst mit den frühen Erfolgen von Alfred Hitchcock zwanzig Jahre später wurden wieder beachtenswerte britische Filme produziert.

Die Anfänge[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Birt Acres bei Filmaufnahmen während des Epsom Derbys 1895

Auch wenn viele die ersten Aufführungen der Brüder Lumière im Dezember 1895 als die Geburt des Kinos betrachten, so begann die Entwicklung des Mediums Film schon einige Jahre vorher. Während die Illusion bewegter Bilder durch das schnelle Darstellung von gezeichneten Einzelbildern seit der Entwicklung der Laterna magica bekannt war, gelang es 1872 dem aus England stammenden Eadweard Muybridge in Kalifornien, mit Hilfe der Serienfotografie Bewegungen fotografisch aufzuzeichnen. Aus dieser Erfindung wurden verschiedene Vorläufer der Filmkamera entwickelt. Die ersten filmischen Aufnahmen stammen von dem Franzosen Louis Le Prince, der 1888 in Leeds zwei Filme fertigstellte, von denen heute noch fotografische Kopien existierten. Unabhängig von Le Prince entwickelten William Friese-Greene und Wordsworth Donisthorpe eigene Kameras, mit denen sie 1889 und 1890 in London Straßenszenen filmten. Der entscheidende Durchbruch in der Aufnahmetechnik gelang aber in den Laboratorien von Thomas Alva Edison, in denen der schottische Ingenieur William K. L. Dickson den Kinetographen und das Kinetoskop entwickelte. Die ersten Filme wurden von Edison im Jahr 1893 in den USA veröffentlicht, ein Jahr später eröffnete in London am 17. Oktober 1894 der erste Salon mit Kinetoskopen.

Da Edison seine Filmkamera nicht in Großbritannien patentiert hatte, versuchten sich dort mehrere Erfinder an dem Nachbau des Kinematographen. Am erfolgreichsten waren dabei Robert W. Paul und Birt Acres, die im Frühjahr 1895 ihre ersten Filmaufnahmen machten. Acres bereiste Europa und filmte unter anderem die Eröffnung des Nord-Ostsee-Kanals am 21. Juni 1895. Nach dem Erfolg der Brüder Lumière entwickelten Paul und Acres getrennt ihre eigenen Filmprojektoren. Acres' erste öffentliche Vorführung mit seinem Projektor fand am 10. Januar 1896 statt, Paul folgte am 21. Februar und damit nur einen Tag nach dem ersten Auftritt der Lumières in London. Paul erkannte am besten das Potential der Filme als neues Unterhaltungsmedium und wurde zum erfolgreichsten britischen Filmproduzenten in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts. 1896 drehte er mit The Soldier's Courtship den ersten narrativen Film Englands, sein erfolgreichster Film war aber ein Aktualitätenfilm von dem Derby 1896, als ein Pferd des Prince of Wales sensationell gewann.

Der erste Höhepunkt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Extreme Nahaufnahme aus dem Film The Big Swallow von 1901

Aufgrund seiner erfolgreichen Filmpräsentationen gründete Robert W. Paul das erste britische Filmstudio in London. Schon bald folgten weitere Studios in London, Brighton und Yorkshire. Zur Jahrhundertwende hatte sich so Großbritannien nach den Vereinigten Staaten und Frankreich zur dritten bedeutenden Filmnation entwickelt. Neben Paul waren George Albert Smith und Cecil Hepworth die wichtigsten Filmproduzenten in England.

George Albert Smith, Mitbegründer der „Schule von Brighton“, entwickelte als ehemaliger Bühnenkünstler früh ein Interesse daran, Theatereffekte im Film umzusetzen und wurde so zu einem der wichtigsten Neuerer in der noch jungen Filmgeschichte. 1899 veröffentlichte er einen Film namens The Kiss in the Tunnel. Für diesen Film verwendete er Material aus einem sogenannten Phantom Ride. Diese vor allem in Großbritannien populären Eisenbahnfilme zeigten Zugfahrten aus der Perspektive des Lokführers. Cecil Hepworth hatte einen Phantom-ride-Film veröffentlicht, in dem ein Zug aus einem Tunnel fuhr. Smith drehte dazu im Atelier eine komische Szene, die zeigte, was in einem Zugabteil während der Durchfahrt des Tunnels passierte und fügte diese Szene in die Mitte des Filmes ein. Dieser Film, eines der frühesten Beispiele für die Montage eines Films, war ein großer Erfolg, der sofort von anderen britischen Studios imitiert wurde. Smith experimentierte mit den Möglichkeiten des Filmschnitts und veröffentlichte 1900 eine Reihe von Filmen, in denen Großaufnahmen und Point-of-View-Shots als erzählerische Mittel eingesetzt wurden. Mit den damals sehr populären Stop-Action- und Stop-Motion-Effekten gelangen so spektakuläre Filme, die eher als komische Unterhaltungsfilme anzusehen waren. Ein berühmtes Beispiel, eine der ersten ironischen Auseinandersetzungen mit dem Medium Film, war der Film The Big Swallow (1901) von James Williamson. In diesem Film nähert sich ein Mann aufgebracht einer Filmkamera; er kommt immer näher und wird so größer und größer, bis er die Kamera ganz verschluckt.

Die von den Filmpionieren konsequent weiterentwickelten Techniken ermöglichten aber auch dramatische Erzählformen. A Daring Daylight Burglary von 1903 zeigt die Verfolgung eines Einbrechers mit hohem Erzähltempo über mehrere Einstellungen. Von diesem Film wurden über 500 Kopien verkauft, davon etwa 100 in die Vereinigten Staaten. A Daring Daylight Burglary gilt als Inspiration für Edwin Porters Der große Eisenbahnraub, den wohl einflussreichsten amerikanischen Film des ersten Jahrzehnts.

Noch erfolgreicher war 1905 der von Cecil Hepworth produzierte Film Rescued by Rover. Die Geschichte eines Hundes namens Rover, der ein von einer Zigeunerin entführtes Baby rettet, war so populär, dass Hepworth den Filmdreh zweimal wiederholen musste, um genug Kopien zu produzieren, da die Originalnegative zu schnell verschlissen (damals wurden Filme noch verkauft anstatt nur verliehen; dies erklärt, warum so viele Filme aus der Zeit von 1890 bis 1910 heute noch existieren). Das Thema des Films wurde von vielen anderen Filmemachern (auch von Hepworth selbst) immer wieder aufgegriffen und blieb über Jahre populär. So war D. W. Griffiths erster Film eine einfache Variation dieses Themas.

Technisch zählte Rescued by Rover damals trotz des niedrigen Budgets von etwas mehr als sieben Pfund zu den fortschrittlichsten Filmen. Bei einer Laufzeit von nur knapp sieben Minuten setzt sich der Film aus 21 Einstellungen zusammen. Zwar wird die Geschichte streng linear erzählt (die Parallelmontage wurde schon in Der große Eisenbahnraub eingesetzt, wurde aber erst durch Griffith populär), doch mit dem konsequenten Einsatz der Kamera als dramaturgisches Mittel stellt dieser Film den Übergang zwischen dem reinen Amüsement der frühen primitiven Filme und der Filmkunst als „siebte Kunstform“ dar [3].

Aktualitätenfilm von Mitchell and Kenyon: Employees at Walker Engineering Works (1900)

Neben neuen erzählerischen Formen gewannen aber auch die actuality films an Bedeutung. Die Beisetzung von Königin Victoria im Februar 1901 und die Krönung von Edward VII. ein Jahr später waren Medienereignisse, die Filmteams aus der ganzen Welt anlockten. Einer der wichtigsten Produzenten für diese frühen Dokumentarfilme war der US-Amerikaner Charles Urban, der sich 1897 in London niederließ. Ein für lange Zeit unbeachteter Bereich der actuality films dokumentierte das Alltagsleben im edwardianischen England. Die Bedeutung dieser Filme wurde Anfang 2005 deutlich, als die BBC in einer Fernsehreihe die zwischen 1897 und 1913 produzierten Filme der Firma Mitchell and Kenyon vorstellte. Über 800 dieser Kurzfilme wurden in den 1990er-Jahren in einem Nachlass wiederentdeckt. Sie zeigen typische Straßenszenen, aber auch Fußballspiele und sonstige Freizeitvergnügen.

Stagnation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Szene aus dem Dokumentarfilm Die Schlacht an der Somme von 1916

Der Erfolg von Rescued by Rover zeigte, dass die britische Filmindustrie um 1905 herum international konkurrenzfähig war. Man war der Ansicht, dass „die Mehrzahl der Filme, die in den Vereinigten Staaten produziert wurden, nicht mit dem Niveau der britischen Filme mithalten konnte“ [4]. Allerdings entwickelte sich gegen Ende der 1900er Jahre der britische Film künstlerisch nicht weiter. Während in anderen Ländern komplexere Filme entstanden, blieb man in Großbritannien zu lange bei den schon etablierten Formen. Sich entwickelnde neue Filmgenres wie der Western in den USA oder die Slapstickkomödie in Frankreich wurden von britischen Filmemachern nicht adaptiert, einzig die Serienfilme (serials) mit Abenteurern wie „Lieutenant Daring“ wurden übernommen. Auch Spionagefilme, die die angespannte politische Situation vor dem Ersten Weltkrieg widerspiegelten, waren erfolgreich. Die meisten dieser Filme wurden von der British and Colonial Kinematograph Company hergestellt. Die Serials zogen Anfang der 1910er Jahre eine Vielzahl von Parodien mit sich, am bekanntesten waren die Pimple-Filme von Fred und Joe Evans, zwei ehemaligen Varieté-Künstlern.

Mitte der 1910er Jahre war Cecil Hepworth der einzige der britischen Filmpioniere, der noch neue Filme produzierte. Robert W. Paul hatte sich vollständig aus dem Filmgeschäft zurückgezogen, George Albert Smith schloss sich mit den Produzenten Charles Urban zusammen und entwickelte eines der ersten funktionsfähigen Farbfilmsysteme, den Kinemacolor-Prozess, um den es aber 1914 zu Patentstreitigkeiten mit William Friese-Greene kam. Doch auch Hepworth, der im Bereich der Filmdramen der führende Produzent Großbritanniens blieb, hatte mit Problemen zu kämpfen. 1908 hatte sich die amerikanische Filmindustrie zu einem Kartell, der Motion Picture Patents Company, zusammengeschlossen und schottete sich zunehmend gegen ausländische Filme ab. Gleichzeitig wurden die amerikanischen Filme in Großbritannien immer populärer. Der heimische Film wurde dagegen mangels neuer Talente und Ideen immer unattraktiver. So kommentierte die Zeitschrift Motion Picture World Anfang 1912, britische Filme hätten nicht einmal mehr auf dem kanadischen Markt eine Chance.[5] 1914 waren nur noch 15 % der in den Kinos gezeigten Filme britischen Ursprungs, viele Filmtheater hatte Exklusivverträge mit amerikanischen Verleihern abgeschlossen. Etabliert Produzenten wie Hepworth blieben dagegen in den USA auf ihren Filmen sitzen, da sie den Ansprüchen des Publikums nicht mehr entsprachen.[6]

Britische Filme waren sehr viel kürzer als europäische oder amerikanische Filme, und die durch Griffith und den italienischen Filmen weiterentwickelten Montagetechniken blieben ungenutzt. Man filmte weiterhin im starren Tableau-Stil, in dem Schauspieler zu lebenden Bilden arrangiert wurden. So beklagte später Alfred Hitchcock, dass die britischen Filme zu dieser Zeit eintönig fotografiert und ausgeleuchtet waren. [7] Auch vom schauspielerischen Niveau her war der britische Filme der 1910er Jahre eher rückständig. Den vom Theater kommenden Schauspielern gelang es nicht, einen eigenen Stil für die Leinwand zu entwickeln.[8] Anders als in den führenden Filmnationen gab es nur wenige Filmstars. Der beliebteste britische Filmschauspieler der 1910er Jahre war Charles Chaplin, der zwar in der Heimat als Star von Fred Karnos Theatertruppe erfolgreich war, aber erst in den Vereinigten Staaten für den Film entdeckt wurde (ähnlich erging es Chaplins Nachfolger bei Karno, Stan Laurel). Die bei Hepworth engagierten Schauspieler Alma Taylor und das Leinwand- und spätere Ehepaar Henry Edwards und Chrissie White hatten zwar beim englischen Publikum große Zugkraft, doch erst mit Betty Balfour, der „britischen Mary Pickford“, gab es Anfang der 1920er Jahre einen internationalen Filmstar in Großbritannien.

Der einzige Bereich, in dem der britische Film weiterhin Erfolge aufzeigen konnte, waren die Dokumentarfilme. Seit 1910 wurden regelmäßig Wochenschauen aufgeführt. Während des Ersten Weltkriegs entstanden eine Reihe Propagandafilme. Das herausragendste Beispiel ist Die Schlacht an der Somme (The Battle of the Somme) von 1916, der erste Dokumentarfilm in Spielfilmlänge, der die Schrecken des Krieges mit authentischen Bildern aus den Schützengräben zeigte. Der Film wurde 2005 in die Liste des Weltdokumentenerbes der UNESCO aufgenommen. Die meisten Dokumentarfilme der 1910er Jahre entstanden aber als Begleitmaterial zu Vorträgen von Forschungsreisenden. Beinahe jede Expedition wurde von einem Kameramann begleitet, am berühmtesten wohl die gescheiterte Südpolexpedition von Ernest Henry Shackleton, die durch den Film South (1919) verewigt wurde.

Einbruch der Filmproduktion[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Aus dem Ersten Weltkrieg ging die britische Filmwirtschaft – wie auch alle übrigen Filmwirtschaften Europas mit Ausnahme Deutschlands und Österreichs, die von der kriegsbedingten Isolierung von britischen, französischen und amerikanischen Filmprodukten profitieren konnten – geschwächt hervor. Den Tiefpunkt erreichte die britische Filmindustrie im „schwarzen November“ 1924, als sich kein einziger Film in der Produktion befand. Im Jahr 1925 erreichte der Anteil britischer Filme in den Kinos nur noch 5 %.[9] Auch 1927 betrug der britische Anteil an den in den in britischen Kinos gezeigten Filmen lediglich 4,85 % (44 Filme), während die USA ihre nach dem Krieg gewonnene Vorherrschaft über den britischen Filmmarkt weiter ausbauen konnte, und 723 Filme (81 %) in die britischen Kinos brachte. Seit diesen Jahren ist der britische Markt der wichtigste Auslandsmarkt der amerikanischen Filmindustrie. 1927 verzeichnete sie 30 % ihrer Auslandsumsätze in Großbritannien.[10]

Die britische Regierung reagierte und erließ ein Gesetz zur Förderung der Filmindustrie. Der Cinematographic Films Act von 1927 verbot Exklusivverträge britischer Kinos mit den amerikanischen Studios (sogenanntes „Blocksystem“) und führte Filmkontingente ein: Diese legten fest, dass zunächst 7,5 %, später sogar 20 % der gezeigten Filme in Großbritannien produziert worden sein mussten. Dies führte dazu, dass amerikanische Filmstudios in Großbritannien Filme herstellten oder finanzierten (sogenannte Quota Quickies), um dadurch mehr eigene Filme importieren zu können. Warner Bros. und Paramount investierten in eigene Produktionsstätten in Großbritannien, in denen die Quote an britischen Produktionen erfüllt werden sollte. Die anderen Studios finanzierten dagegen nur Quota Quickies, die pro Filmmeter bezahlt wurden. Außerdem förderte die Regierung nach amerikanischem Vorbild die vertikale Integration der Filmindustrie. Das heißt, dass die großen Studios auch Verleiher und Kinobetreiber wurden. Diese Regelungen hatten zunächst aber nicht den gewünschten Effekt. Erst die Einführung des Tonfilms sorgte für den erhofften Qualitäts- und Popularitätsschub.

Bis 1928 stieg die Zahl der britischen Filmproduktionsgesellschaften auf 25 an, darunter 11 größere. Die bedeutendste hiervon war die British International Pictures (BIP), gefolgt von den Gesellschaften des Gaumont-Verbandes und einigen neuen Gesellschaften, die jährlich mehrere Filme herstellten. Die Zahl der Filmproduktionen stieg von fünf im Jahre 1926 auf über 100 im Jahr 1928. In Elstree, nahe von London, entstanden acht neue, im Hangar-System angelegte Filmateliers. Der britische Filmtheoretiker und -produzent L'Estrange Fawcett bezeichnete 1928 „die Wiedergeburt des englischen Filmes“ als „eines der bemerkenswertesten Ereignisse auf dem Weltfilmmarkt“.[9]

Eine neue Generation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach dem Niedergang des Großteils der bisher etablierten britischen Filmindustrie Mitte der 1920er Jahre erlebte der britische Film die überfällige Erneuerung. Zu einer Zeit, als in Hollywood eine perfekt organisierte Filmindustrie hochgezogen wurde und der europäische Film zwischen Kunst und Kommerz pendelte, begann man endlich auch in Großbritannien den Film ernst zu nehmen.[8] Nachdem Cecil Hepworth 1924 nach einem spektakulären Flop Konkurs anmelden musste, existierte von den Produktionsfirmen, die vor dem Ersten Weltkrieg gegründet worden waren, nur noch die Gaumont-British Picture Corporation, eine Tochtergesellschaft der französischen Gaumont. Neue Produzenten nutzten ihre Chance, die Lücken aufzufüllen, litten aber auch unter der kontinuierlich sinkenden Nachfrage nach britischen Filmen.

Schon 1918 gründete der Theaterimpresario Sir Oswald Stoll eine Produktionsfirma, in der er bevorzugt Geschichten moderner britischer Autoren verfilmte und die Serials mit seinen Sherlock-Holmes-Verfilmungen wiederbelebte. Auch war es Stoll zu verdanken, dass im Laufe der 1920er Jahre der einzelne Spielfilm mehr im Mittelpunkt stand als ganze Filmprogramme. So war der Film The Prodigal Son 1923 mit einem Budget von 30.000 Pfund der bisher teuerste britische Film.

Andere Produzenten versuchten, durch Kooperationen mit dem Ausland die britische Filmindustrie zu beleben. Michael Balcon und Herbert Wilcox, die beiden wichtigsten Produzenten der späten 1920er und frühen 1930er Jahre, engagierten Hollywood-Stars für ihre Filme. So trat Dorothy Gish in mehreren Wilcox-Filmen auf, und Betty Compson spielte die Hauptrolle in den ersten beiden von Balcon produzierten Filmen. Balcon erkannte aber sehr schnell, dass man nicht nur ausländische Schauspieler importieren musste, sondern auch neue Ideen. Als er 1924 Gainsborough Pictures mit Unterstützung von Gaumont-British gründete, strebte er eine Zusammenarbeit mit Erich Pommer von der deutschen Ufa an. Zu einer Zeit, als der deutsche Film zur Neuen Sachlichkeit fand, lernten britische Filmschaffende die deutsche Arbeitsweise kennen. Vor allem der von Balcon geförderte Alfred Hitchcock profitierte von den Koproduktionen, er wurde von Regisseuren wie Friedrich Wilhelm Murnau und Fritz Lang so sehr geprägt, dass die britische Presse ihn später wegen seines deutschen Stils kritisierte[11]. Auch Hitchcocks erste Regiearbeiten, die Filme Irrgarten der Leidenschaft (The Pleasure Garden) und Der Bergadler (The Mountain Eagle) von 1926 und 1927 waren deutsch-britische Koproduktionen. Erst danach drehte Hitchcock seinen ersten Film in England, den Thriller Der Mieter (The Lodger), der ihm den künstlerischen Durchbruch brachte.

Nicht nur mit der Ufa sucht man in Großbritannien die Zusammenarbeit. Herbert Wilcox gründete mit Unterstützung amerikanischer Produzenten die British National, die 1927 in der British International Pictures (BIP) aufging. John Maxwell, der Besitzer der BIP, versuchte von Anfang an, seine Film in den USA zu veröffentlichen (wie schon der Name der Firma andeutete), und bot Hitchcock einen lukrativen Vertrag an. Sein Film Erpressung (Blackmail) von 1929 wurde der erste große Erfolg der BIP. Andere Filmschaffende gingen direkt in die USA, um dort die Arbeitsbedingungen kennenzulernen. Anthony Asquith verbrachte sechs Monate in Hollywood, bevor er 1927 mit Shooting Stars sein Regiedebüt bei der BIP gab. Auch John Grierson studierte die amerikanische Filmindustrie bevor er seine Theorie zum Einfluss des Dokumentarfilms auf Gesellschaft und Kultur formulierte.

Ivor Montagu wiederum entdeckte auf seinen Reisen durch Europa den Avantgarde-Film und wurde 1925 zu einem der Begründer der Film Society, die sich eindringlich für die Förderung von Film als Kunstform einsetzte. Ende der 1920er Jahre brachte Montagu die russischen Regisseure Sergei Eisenstein und Wsewolod Pudowkin nach London und stellte so ihre Arbeiten erstmalig einem größeren Publikum vor.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Charles Barr: Before Blackmail: Silent British Cinema in The British Cinema Book, British Film Institute, London 2001
  2. Georges Sadoul: Histoire générale du cinéma, vol. iii. Denoël, Paris 1951.
  3. Michael Brooke: http://www.screenonline.org
  4. zitiert nach Projection Lantern and Cinematograph, Juli 1906
  5. Motion Picture World, 20. Januar 1912.
  6. Cecil Hepworth: Came the Dawn: Memories of a Film Pioneer. Phoenix House, London 1951.
  7. Francois Truffaut: Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?, Wilhelm Heyne Verlag, München 2003.
  8. a b Rachael Low: The History of the British Film 1918-1929, George Allen & Unwin, London 1971.
  9. a b L'Estrange Fawcett: Die Welt des Films. Amalthea-Verlag, Zürich, Leipzig, Wien 1928, S. 137 (übersetzt von C. Zell, ergänzt von S. Walter Fischer)
  10. Ruth Vasey: Die weltweite Verbreitung des Kinos. In: Geoffrey-Nowell Smith (Hrsg.): Geschichte des internationalen Films. J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2006, ISBN 3-476-02164-5, S. 53–55
  11. Close Up Nr. 5, 2. August 1929.