Benutzer:Khatschaturjan/Militärdiktatur in Chile

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Die chilenische Junta. Vordere Reihe, von links nach rechts: César Mendoza, José Toribio Merino, Augusto Pinochet, Fernando Matthei, Humberto Gordon.
General Augusto Pinochet während einer Rede

Die Militärdiktatur in Chile war eine Militärdiktatur, die in Chile vom 11. September 1973 bis zum 11. März 1990 dauerte. Sie begann mit dem Putsch in Chile 1973 und endete, als der neue Präsident Patricio Aylwin das Amt des Staatspräsidenten von Augusto Pinochet übernahm, nachdem ab 1988 mit der Transition in Chile ein schrittweiser Übergang zur Demokratie begonnen hatte.

Erste Jahre (1973–1978)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Militärputsch von 1973, mit dem die Regierung von Präsident Salvador Allende gestürzt wurde, war ein scharfer Einschnitt in der Geschichte Chiles. Im Gegensatz zu den übrigen südamerikanischen Staaten waren in Chile demokratische Institutionen und Verfahrensweisen seit dem 19. Jahrhundert verwurzelt. Abgesehen von kurzen Perioden politischer Instabilität in den Jahren 1891, 1924 und 1932 waren die Regierungschefs Chiles seit den 1830er Jahren in ihr Amt gewählt worden, nachdem seit 1874 das Wahlrecht für alphabetisierte Männer schrittweise eingeführt worden war. Dies hatte zur Folge, dass auch in den chaotischen Jahren der Unidad Popular wenige Beobachter an die Möglichkeit eines Militärputsches glaubten.

Die USA spielten eine entscheidende Rolle beim Putsch; deren Aussenminister Kissinger gestaltete die US-Politik derart, dass Allende daran gehindert wurde, seine gewählte Regierung zu konsolidieren.[1]

Allende selber hatte Augusto Pinochet Ende August 1973 zum Oberbefehlshaber des Heeres ernannt, möglicherweise und laut einer Aussage Pinochets selber, auf Anraten der Kommunisten. Die Kommandanten der vier Waffengattungen der Streitkräfte waren zuvor schon Anfang August in die Regierung aufgenommen worden, laut eines Überblicks in der NZZ „in der Hoffnung, die Extremisten aller Couleur einzugrenzen“. Laut diesen Angaben wäre Pinochet erst am 9. September 1973 angefragt worden, am Staatsstreich teilzunehmen. Die Oppositions-Mehrheit des Abgeordnetenhauses hatte am 22. August 1973 eine Resolution verabschiedet mit einer Auflistung der Verfassungs- und Rechtsbrüche, welche unter Allende „geschehen waren und täglich geschahen“. Dekrete hätten das Parlament und damit die Gewaltenteilung ausgehebelt. Die Abgeordneten forderten in der Resolution die Streitkräfte auf, ihrem gesetzlichen Auftrag zu folgen, das heisst, den Bruch der verfassungsmässigen Ordnung durch die Regierung Allende zu beenden. Allende antwortete, die Autoren der Resolution förderten einen Putsch. Tatsächlich dient die Resolution der Rechten als Rechtfertigung des Staatsstreichs, allenfalls könne man sie, so die NZZ, auch als von vornherein zum Zweck nachträglicher Rechtfertigung eines Putsches fabriziert ansehen.[2]

Indessen errichtete General Augusto Pinochet nach dem Sturz Allendes am 11. September 1973 eine Militärdiktatur und führte das Land länger als alle seine Vorgänger, einschließlich der drei Staatspräsidenten aus dem 19. Jahrhundert, die jeweils für zwei aufeinanderfolgende fünfjährige Amtszeiten gewählt worden waren.

Das Militärregime erwies sich als eine der repressivsten Diktaturen in der südamerikanischen Geschichte. Der Geheimdienst DINA unterhielt Gefangenenlager, in denen eine unbekannte Anzahl Personen gefoltert und getötet wurden. Der Nationalkongress, das Herzstück der chilenischen Demokratie, wurde erstmals seit seiner Gründung dauerhaft geschlossen, nachdem sich das Land von Spanien unabhängig erklärt hatte. Politische Parteien, die über Generationen hinweg die Politik grundlegend strukturiert hatten, wurden verboten oder in ihrer Tätigkeit stark eingeschränkt. Der staatliche Gewerkschaftsbund wurde aufgelöst, und Gewerkschaftsführer wurden inhaftiert oder ins Exil gezwungen. Die Wählerverzeichnisse wurden verbrannt, und alle landesweiten Wahlen, mit Ausnahme von höchst irregulären Volksabstimmungen, wurden ausgesetzt. Die einzige ernstzunehmende Kraft in der Auseinandersetzung mit dem Regime war die Römisch-Katholische Kirche. Auf Veranlassung des Erzbischofs von Santiago wurde eine Geschäftsstelle zur Überwachung von Menschenrechtsverletzungen und Erteilung von Rechtshilfe errichtet.

Im Namen der liberalen Ideologie der freien Marktwirtschaft benutzte das Regime sein Gewaltmonopol und schenkte den meisten Protesten der betroffenen Gruppen und Einzelpersonen kein Gehör. Zahlreiche staatlich geführte Unternehmen wurden unter Marktwert an private Investoren verkauft. Agrarreformen wurden abgebrochen, mindestens ein Drittel des Landes wurde den früheren Besitzern zurückgegeben. Das nationale Gesundheitssystem sowie der größte Teil der staatlich geförderten Sozialversicherung wurden abgebaut.[3] Weitere Mitglieder der chilenischen Junta waren neben Pinochet General Gustavo Leigh, Oberbefehlshaber des chilenischen Luftwaffe, Admiral José Toribio Merino sowie General César Mendoza, Chef der Nationalen Polizei (Carabineros de Chile).

1978–1983[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das autoritäre und konservative Regime, das Chile unter der Präsidentschaft des Befehlshabers der Streitkräfte, General Augusto Pinochet, regierte, ist bekannt für seine zahlreichen Menschenrechtsverletzungen (mehr als 3200 Tote und „Verschwundene“, rund 38.000 gefolterte Personen, mehrere Hunderttausend Menschen im Exil) und für seine Wirtschaftspolitik der Privatisierungen – häufig als neoliberal bezeichnet –, die von den Chicago Boys, die von den von Friedrich August von Hayek und Milton Friedman entwickelten Wirtschaftskonzepten inspiriert wurden, betrieben wurde. Pinochet war auch der Urheber der chilenischen Verfassung von 1980, die seitdem weitgehend geändert wurde, indem ihre „autoritären Enklaven“ 1989 und vor allem 2005 beseitigt wurden.

In der chilenischen Innenpolitik beziehen sich die Befürworter des Staatsstreichs und der Junta auf diese Zeit als Militärregierung, während die Gegner diese Zeit als Militärdiktatur bezeichnen. Die Wahrheits- und Versöhnungskommission (Rettig-Bericht) verwendet den Begriff Militärregime. Der Valech-Bericht spricht unter anderem von einem diktatorischen Regime. Es kam zu blutigen Hinrichtungen und systematischer Folter.

Letzte Jahre[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das letzte Überbleibsel der Militärdiktatur ist die Diktaturverfassung, welche, obschon einige Male reformiert, weiter Bestand hat. Erst am 5. Juli 2021 tagte erstmals ein Verfassungskonvent,[4] welcher eine neue Verfassung ausarbeitet. Bis im Februar 2022 lief die Frist zur Einreichung von Diskussionsvorschlägen für die Verfassungsreform.[5] Ende Mai waren 449 Artikel der neuen Verfassung formuliert und werden am 4. September 2022 in einer verpflichtenden Abstimmung dem Volk vorgelegt.[6]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Willi Baer, Karl-Heinz Dellwo (Hrsg.): Diktatur und Widerstand in Chile. Laika-Verlag, Hamburg 2013, ISBN 978-3-942281-65-2.
  • Detlef Nolte: Staatsterrorismus in Chile. In: Hans Werner Tobler, Peter Waldmann (Hrsg.): Staatliche und parastaatliche Gewalt in Lateinamerika. Frankfurt am Main 1991, S. 75–104. ISBN 3-89354-831-9 (detaillierte Übersicht über die Menschenrechtsverletzungen während der Diktatur)
  • Cristian Alvarado Leyton (Hrsg.): Der andere 11. September. Gesellschaft und Ethik nach dem Militärputsch in Chile. Westfälisches Dampfboot, Münster 2010. ISBN 978-3-89691-796-6.
  • Beatriz Brinkmann: Itinerario de la impunidad: Chile 1973–1999. Un desafío a la dignidad. Centro de Salud Mental y Derechos Humanos (CINTRAS), Santiago de Chile 1999, ISBN 956-7260-02-8.
  • J. Samuel Valenzuela, Arturo Valenzuela: Military rule in Chile: dictatorship and oppositions. Johns Hopkins University Press. Baltimore, 1986. ISBN 0-80183-154-7.
  • Alex E. Fernández Jilberto: Dictadura militar y oposición política en Chile 1973–1981. De Gruyter, 2015.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Allende and Chile: ‘Bring Him Down’, National Security Archive, 3. November 2020; Declassified White House Records Show How Nixon-Kissinger Set Strategy of Destabilization—And Why
  2. Pinochet – Massenmörder oder Chiles Retter?, NZZ, 10. Dezember 2006; „Chile hatte im Unterschied zu den meisten Ländern Südamerikas eine demokratische Tradition. Die Regierung Allende war an deren Bruch ebenso beteiligt wie Pinochet; dies gestehen manche einstige Anhänger des gestürzten Präsidenten mittlerweile ein. (Die Resolution) war jedoch das Gegenteil einer Aufforderung, politische Gegner zu quälen und zu ermorden sowie die demokratischen Institutionen jahrelang ausser Kraft zu setzen.“
  3. J. Samuel Valenzuela, Arturo Valenzuela: Military rule in Chile: dictatorship and oppositions. S. 1–3.
  4. Der lange Kampf gegen Pinochets Erbe, Deutschlandfunkkultur, 8. September 2021
  5. Verfassungskonvent von Chile beschließt erste Artikel der neuen Verfassung, 27. Februar 2022
  6. 449 Artikel für eine Zeitenwende, Tagesschau, 26. Mai 2022