Benutzer:Martin Mair/Entwurf/Erwerbslosenbewegung

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Als Erwerbslosenbewegung bezeichnet man soziale Bewegungen, die von Arbeitslosigkeit, Armut und Prekariat betroffene Menschen zu organisieren versucht und für die Rechte der Erwerbslosen Menschen auf eine menschenwürdige Existenzsicherung (z.B. bedingungsloses Grundeinkommen), das Menschenrecht auf frei gewählte und fair bezahlte Arbeit ohne Androhung von Sanktionen sowie für die demokratische Mitsprache und für Selbstbestimmung einsetzen.

Weshalb spielen Erwerbslose in der aktuellen und geschichtlichen Darstellung fast keine Rolle?[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die gesellschaftliche Abneigung großer Bevölkerungskreise, in Form von offener oder verdeckter Verachtung, gegenüber bestimmten Gruppen von Armen, wie Obdachlose und Langzeiterwerbslose ist schon lange Realität (Heitmeyer-Studien zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit). Wer nicht erwerbsarbeitet ist nicht nur materiell „arm dran“, sondern gilt auch als sozial ausgeschlossen, anfällig für physische und psychische Krankheiten und unfähig, falls die Arbeitsplatzsuche erfolglos bleibt, etwas Sinnvolles zu bewerkstelligen. So der Tenor einer geballten wissenschaftlichen Armada, die Erwerbslosen die Konflikt- und Organisationsfähigkeit abspricht[1]. Hintergrund ist oft der Verweis auf die Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“[2], ohne zu berücksichtigen, dass diese Studie nur bedingt zu verallgemeinern ist.[3]

Innerhalb der bürgerlichen, aber auch der sozialistischen/kommunistischen Geschichtsschreibung sind die Erwerbslosenbewegungen unter die Geschichte der Arbeiterbewegung subsumiert worden und tauchen dort nur am Rande auf, obwohl sie früher wie heute eigenständige Formen des Widerstandes realisierten.

Was von großen Teilen der Wissenschaft als Organisationsunfähigkeit beschrieben wurde, hängt eng mit der Erfahrung der Vernachlässigung der Forderungen von Erwerbslosen zusammen. Weder die Arbeiterparteien noch die Gewerkschaften waren Garanten für eine Verbesserung der Lage von armen Menschen[4]. Erfahrungen von Erwerbslosenbewegungen aus unterschiedlichen Zeitepochen zeigen, dass die erfolgreichere Form einer direkten Verbesserung der sozialen Lage im nicht vorhersehbaren und planbaren Aufbegehren liegt[5]. Die Schaffung selbstorganisierter Strukturen, die in der Verbindung mit möglichen spontanen, eruptiven Ereignissen eine besondere Qualität schufen, war von Vorteil. Im geschichtlichen Kontext betrachtet wechselten sich sichtbare Formen der Organisierung von Erwerbslosen mit eher unsichtbaren Widerstandspraxen ab. Diese unorthodoxen Formen der Organisation und des Widerstandes wurden von traditionellen linken Organisationen kritisiert und sich nicht selten auch davon distanziert.

Auch in der sozialen Bewegungsforschung nach 1945 fanden diese Formen der Regulierung sozialer Konflikte keinen inhaltlichen Rahmen. Während dort zumeist die Existenz einer Erwerbslosenbewegung bestritten wird, halten andere ForscherInnen es „für nicht falsch von einer Erwerbslosenbewegung zu sprechen“[6] oder gehen von einem „weiten Bewegungsbegriff“[7] aus. Hintergrund ist die Auseinandersetzung darüber, ob ein starres Bewegungskonzept alle Formen der kollektiven und individuellen Widerständigkeit erfassen kann. Wenn es ausschließlich um den sichtbaren und quantitativ messbaren Protest geht, werden alltägliche Resistenzweisen der Betroffenen, individuelle Auflehnung gegen herrschende politische Normen und deren Verletzung ausgeklammert.

Deutschland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seit Beginn der Industriealisierung hat es in Deutschland immer wieder Erwerbslosenbewegungen gegeben. Sie entstanden meist spontan oder mit Hilfe von Organisationen und umfassen sowohl individuelle wie kollektive Widerstandsformen, die eine Änderung bestehender sozialer Verhältnisse bezwecken als auch Kämpfe, die ein Leben in Würde anstreben. Dabei ist der Übergang zwischen offiziell Erwerbslosen und Armutsbetroffenen ohne Zugang zu sozialen Leistungen fließend.

Vorindustrielle Epoche[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bereits in der vorindustriellen Epoche entwickelten sich in Deutschland, getragen von Teilen der Unterschicht, Auflehnung und Aufstände gegen Armut, aber auch gegen die langsam beginnende Durchsetzung industrieller Produktion ("Maschinenstürmer"). Ausgangspunkte waren oft Hungerrevolten und das Aufbegehren gegen die Verteuerung von Lebensmitteln. Dabei spielten die Verteidigung eigener Lebensformen, eigene Ansichten über Gerechtigkeit und die Wut über die Macht der Marktanbieter eine wichtige Rolle.

Diese Subsistenzauseinandersetzungen waren direkt, radikal, meist regional beschränkt und ohne feste Organisationsstruktur. Mit Entstehung und Entwicklung der Arbeiterbewegung änderten sich auch die politischen Auseinandersetzungsformen. Vereinigungen traten mit eigenen Forderungen auf, Konflikte sollten durch Verhandlungen mit dem Arbeitgeber geklärt und wenn nötig Druckerzeugung durch Streiks aufgebaut werden. Gewerkschaften und politische Arbeiterparteien etablierten sich.

Die in dieser Zeit immer wieder aufflammenden Unterschichtenrevolten gerieten in den Verruf von kriminellen, „anarchistischen“ Aktivitäten, die im Gegensatz zu den Interessen der Arbeitenden stehen würden. Die direkte soziale Konfrontation wurde diffamiert als lumpenproletarisch, während die „gesittete“ Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit gesellschaftliche Anerkennung fand.

Es vollzog sich nicht nur eine inhaltliche und institutionelle Trennung zwischen Arbeit und Armut, sondern auch zwischen verschiedenen sozialen Schichten. Während die einen als Arbeiter in den Kreislauf der kapitalistischen Wirtschaft integriert wurden, gerieten die anderen in absolute Verarmungssituationen, wobei die Übergänge oft fließend waren.

Deutsche Revolution 1918/1920[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Ausformung und der Wirkungskreis von Arbeitslosenräten während der Revolution 1918/1920 ist bisher nur sehr wenig untersucht worden. Im Zusammenhang mit der Geschichte der Rätebewegung dominierten die Darstellungen über Arbeiter- und Soldatenräten. Das auch andere soziale Gruppen in Bewegung gerieten und sich in Räten zusammenschlossen weist Axel Weipert in einer Studie nach. Die Bildung von Arbeitslosenräten erwies sich als notwendig, „weil den Arbeitslosen von Seiten der traditionellen Arbeiterbewegung häufig politische Abstinenz oder konzeptlose Militanz vorgeworfen wurde.“[8] Zu Unrecht: So mussten 1920 Erwerbslose den in Berlin stattfindenden 1. Reichskongress der Betriebsräte stürmen, um überhaupt ein Rede- und Stimmrecht zu erhalten. Bis zu diesem Zeitpunkt spielte dort das Thema Erwerbslosigkeit keine Rolle.

Erst das eigenständige, oft radikale Auftreten führte zu einer Sichtbarmachung der Probleme von Erwerbslosen. Für Weipert waren die Erwerbslosenräte“… ein ernstzunehmender politischer Faktor ihrer Zeit, sie entwickelten eine umfangreiche Organisation und initiierten eine Vielzahl von Aktionen, von Verhandlungen mit Behörden über Erwerbslosenberatung bis hin zu Demonstrationen und Betriebsbesetzungen.“[9]

Weimarer Republik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Erwerbslosenprotest unter dem Dach von Organisationen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Während der Weimarer Republik entwickelten sich die Strukturen der Erwerbslosenbewegung weiter. Erwerbslose organisierten sich in vielfältiger Art und Weise, entweder unter dem Dach von Organisationen der Arbeiterbewegung oder in selbständiger Form:

Sowohl im, als auch außerhalb des Parlamentes galt die „Kommunistische Partei Deutschland“ (KPD) im Allgemeinen als organisatorische Vertreterin der Erwerbsloseninteressen.

1931 soll es 1400 bis 2000 Erwerbslosenausschüsse gegeben haben. Noch wenig erforscht ist der Aufstieg und Niedergang der „Kommunistischen Arbeiterpartei“ (KAPD) einer Gruppierung mit rätekommunistischer Ausrichtung, die innerhalb kürzester Zeit in den zwanziger Jahren zum Sammelbecken aktiver Erwerbsloser wurde. Aber auch zum Einfluss von anarchistischen Gruppen gibt es bisher nur spärliche Hinweise.

Der Behauptung einiger Historiker die KPD hätte ein rein funktionales Verständnis von Erwerbslosenarbeit durchgesetzt, demnach die lebensweltlichen Sorgen des Einzelnen dem Traum von Sowjetdeutschland unterzuordnen seien, Erwerbslose somit einen Objektstatus erhielten, ist in dieser Allgemeinheit kaum haltbar. Sicherlich vertrat die KPD gegenüber Erwerbslosen nicht immer eine kontinuierlich klare Politik, aber Eigenleben und Eigensinn in den Erwerbslosenausschüssen und besonders in der Beratungsarbeit orientierten sich weniger an Parteitagsbeschlüssen als vielmehr an den alltäglichen Ansprüchen der Betroffenen. Dazu gehörten politische Kampagnen, Forderungen nach kommunalen Soforthilfen und ein breitangelegtes Beratungs- und Unterstützungsnetzwerk, in Verbindung mit direkten Aktionen zur Verbesserung der Lebenssituation oder zur Verhinderung sozialer Notlagen. Beispiele sind der „Kampf für die entschädigungslose Enteignung früherer Fürstenhäuser“ Mitte der zwanziger Jahre, in der die Erwerbslosenfrage in den Mittelpunkt gestellt wurde. Andere Kampagnen lauteten „Rettung vor Hunger und Frost“ oder „Öffnet die Speicher und Halden“.

Zugleich gab es kontinuierliche Arbeit auf den Stempelstellen, Aktionen gegen Exmittierungen Unterstützungsforderungen, besonders im Winter direkt an die Gemeindeverwaltungen gerichtet, Erwerbslosenküchen und parlamentarische Initiativen zur Verbesserung der Lage von Erwerbslosen. Ein Schwerpunkt lag auf der sozialen Beratungsarbeit. So richtete die „Internationalen Arbeiter-Hilfe“ (IAH) Beratungs- und Hilfestellen allgemeiner Art, aber auch spezielle Zentren für Mutter und Kinder, Fürsorgezöglinge und Sozialrentner ein und gründete 1927 die „Arbeitsgemeinschaft sozialpolitischer Organisationen (ARSO)“. Mit ihr wurden die Angebote im sozialpolitischen Bereich spezieller, Zuständigkeiten genauer abgegrenzt.

Selbstorganisation von Erwerbslosen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Über die Aktivitäten der Erwerbslosenausschüsse hinaus, aber auch parallel zu ihnen, hatten sich seit Mitte der zwanziger Jahre andere Strukturen des Erwerbslosenwiderstandes geformt.

Sie bildeten sich, ohne größere Organisationsvoraussetzungen, in Form spontaner Aktionszusammenschlüsse, oft auf traditio­nell vermittelte Überlebensweisen bauend oder in eigenständi­gen Selbstorganisationsansätzen und keiner politischen Partei verpflichtet. Besonders unter jugendlichen Erwerbslosen fanden solcherart Initiativen regen Zuspruch. Die Übergänge zur or­ganisierten Erwerbslosenbewegung waren zum Teil vorhanden, bei gleichzeitiger Behauptung autarker Politik- und Freizeit­formen. Dazu gehörte auch die illegale oder halble­gale Subsistenzbeschaffung, insbesondere von Lebensmitteln oder Brennmaterial. Ähnlich wie Ende des 19. Jahrhunderts waren Einzelpersonen und manchmal auch Gruppen gezwungen, Essbares zu organisieren. Soziale 'Kriminalität' hatte, solange sie nicht zur ausschließlichen Bereicherung diente, in der Bevölkerung eine große Akzeptanz. Im Steinkohlebergbau der oberschlesischen Reviere versorgten sich Erwerbslose jahrelang mit einem Teil der bearbeitenden Kohle, zwecks Eigenverbrauch oder –verkauf. Weitere Überlebensstrategien äußerten sich zum Beispiel in massenhafter Wanderschaft, in der Organisierung von Zeltstädten und Laubenkolonien oder in Mietergemeinschaften, die ständig die Umgebung kontrollierten und überwachten um mögliche Exmittierungen zu verhindern oder dadurch zumindest eine breite Öffentlichkeit herzustellen.

In Berlin soll es während der Wirtschaftskrise ca. 600 sogenannte „Wilde Cli­quen“[10][11] mit einigen tausend Jugendlichen gegeben haben. Sie setzten sich größtenteils aus an- oder ungelernten Arbeiter­jugendlichen, in der Mehrheit erwerbslos und ohne Wohnung, zusammen. Ihre vielgestaltigen Organisationsfähigkeiten und Eigenarten drückten sich auch in der Namensgebung aus: z.B. "Tatarenblut", "Wildsau", "Ostpiraten", "Edelhirsch". Lohnarbeit, soweit sie noch angeboten wurde, erschien für die Cliquenmitglieder nicht als Alternative. Die Kritik der Jugendlichen an der Lohnarbeit drückte sich nicht in Streiks aus, sondern in der erzwungenen, aber von ihnen durchaus akzeptierten Abwesenheit. Sie riefen nicht nach einem Recht auf Arbeit, sondern nutzten die vorhandene Zeit für Dinge, die ihnen näher standen als lebenslängliche Fabrikarbeit.


Mit dem Sieg des Faschismus gerieten die politisch aktivsten Jugendlichen der „Wilden Cliquen“ ins Visier der polizeilichen Fahndung. Etliche wurden festgenommen oder kamen ins Konzentrationslager, andere tauchten unter bzw. trafen sich an geheimen Orten weiter.

Aber auch unter dem nationalsozialistischen Arbeitsregime entwickelten sich neue Zusammenschlüsse von Jugend­lichen, die ihren Widerstand gegen die allgemeine Arbeits­dienstverpflichtung und die Zwangsintegration in die „Hitlerjugend“ (HJ) in unterschiedlicher Weise zum Ausdruck brachten.

Proteste gegen Pflichtarbeit, Notstandsarbeit und Arbeitsdienst[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Protestereignisse im Zusammenhang mit dem staatlichen Arbeitszwang, in Form von Notstands- oder Pflichtarbeit und dem Arbeitsdienst weisen eine anhaltende und kontinuierliche Spur auf, die von der Weimarer Republik Zwangsarbeit im Nationalsozialismus hineinreicht. Sie umfasst sowohl individuelle Widerständigkeit als auch kollektive Widerstandsformen. Da der Protest in den meisten Fällen spontan und unorganisiert auftrat, hatten die zuständigen Kontrollorgane große Mühe immer wieder aufkeimende Regelverstöße in den Griff zu bekommen.

Schon in der Weimarer Republik war die Absentismusrate von Erwerbslosen, die zur Pflichtarbeit herangezogen wurden, trotz Sanktionsgefahr, sehr hoch. Gleichgültig welcher Art von Zwangsmaßnahme, ob Ernteeinsatz, Autobahnbau oder Reichsarbeitsdienst, widerständiges Handeln der Betroffene folgte auf den Fuß. Der Wille sich gegen erzwungene Arbeitseinsätze zu wehren war bis zum Kriegsbeginn in Deutschland stark verbreitet.

Neben verbalen Äußerungen, Wutausbrüchen über Protestschreiben, Fluchtstrategien bis zu Sabotageaktionen und offenen Streiks finden sich alle Formen von Protest und Widerstand.

Erwerbslosenbewegung nach 1945[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Neubeginn[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Erste Anzeichen eines Neubeginns einer Erwerbslosenbewegung in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg finden sich, mit Beginn einer steigenden Arbeitslosigkeit, Mitte der Siebziger Jahre. Doch bereits in den Jahren zuvor lassen sich unter den Bedingungen geringer Arbeitslosigkeit, besonders bei Jugendlichen Unmut über die restriktiven Ausbildungsbedingungen und die eingeschränkten Freizeitmöglichkeiten erkennen, die sogenannten Halbstarkenproteste in den fünfziger Jahren sind ein Ausdruck davon. Gruppen von Arbeiterjugendlichen und Erwerbslosen begannen über Selbsthilfeinitiativen gemeinsames Leben und Arbeiten zu organisieren.

Die ersten selbstorganisierten Zusammenschlüsse von Erwerbs­losen hatten von Anfang an politische Ziele vor Augen. Durch praktisches Vorgehen sollte eine Alternative zum kapi­talistischen System gelebt werden, die Möglichkeit eines an­deren Arbeitens und Lernens aufgezeigt und im gemeinsamen Wohnen der Widerspruch zwischen Privatheit und Öffentlichkeit aufgebrochen werden.

Außerhalb dieser Aktivitäten engagierte sich Ende der siebziger Jahre auch die Kirche, speziell, die Evangelische, im Erwerbslosenbereich. Durch besondere Bildungsangebote für Erwerbslose, Gesprächswochen mit Betrof­fenen und Seminarveranstaltungen gelang es z.B. der evange­lischen Industrie- und Sozialarbeit in etlichen Regionen der Bundesrepublik, Arbeitslosentreffs- und zentren zu initiie­ren. Auf mehreren von der Kirche ausgerichteten Tagungen traf sich dieses Initiativenspektrum. Ein minimaler überre­gionaler Diskussionszusammenhang wurde in Form von inhaltli­chen Schwerpunktsetzungen, Koordinationsaufgaben und der Ein­richtung einer Informationsstelle mit regelmäßigen Rundbrie­fen geschaffen[12].

Zur gleichen Zeit reagierten andere Aktive auf die sich verschlechternde ökonomische Situa­tion. Besonders im Norden Deutschlands gründeten sich Jobber und Jobberinnengruppen, die, ausgehend von der eigenen sozialen Existenz, eine Vereinheitlichung ver­schiedenster Widerstandsformen in diesem Bereich anstrebten.

Organisationen und Vernetzungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der erste Arbeitslosenkongress [13] „Arbeitslos – nicht wehrlos“ im Dezember 1982 in Frankfurt brachte die bisher vereinzelt agierenden Initiativen zusammen. Sie sprachen sich schon früh gegen eine zentrale Organisierung der Bewegung aus und präferierten den Aufbau vor Ort mit aktionsorientierter bundesweiter Ausrichtung.

Die Grundlage der Organisierung der weiteren Aktivitäten bildeten die „Bundesarbeitsgruppen der Initiativen gegen Arbeitslosigkeit und Armut“ (BAG), die strömungsübergreifend und basisdemokratisch agierten. Inhaltlich standen die Themen Multinationale Zusammenarbeit, existentielle Absicherung, Beschäftigungspolitik, sowie Bilanz und Perspektiven der Erwerbslosenbewegung im Vordergrund.

Mit der BAG wurde der Versuch unternommen möglichst alle Strömungen der Initiativen in einem Netzwerk zusammenzufassen. Dazu gehörte auch die Gründung einer überregionalen Arbeitslosenzeitung „quer“, die noch heute in Oldenburg (digital) herausgegeben wird.

Die BAG führte den zweiten Bundeskongresses [14] 1988 in Düsseldorf durch. Auch der Bundeszusammenschluss der Sozialhilfeinitiativen (BAG-SHI) beteiligte sich daran.

Erste Risse erhielt dieser Ansatz der Initiativen durch die eigenständige Organisierung der gewerkschaftlichen Arbeitslosengruppen. Sie bildeten 1986 den „Koordinationsausschuss gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen“ aus dem die „Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen“ (KOS) hervorging. Ziel sollte sein, den gemeinsamen Kampf von Gewerkschaften und Arbeitslosen zu fördern und sowohl in den Gewerkschaften als auch bei den Initiativen für ein solches Bündnis einzutreten.

Zumindest bei ver.di und der IG-Metall vollzog sich auch praktisch eine Änderung in der Haltung gegenüber Erwerbslosen. So entstanden z.B. bei ver.di Erwerbslosenausschüsse, die in einige Regionen recht aktiv waren und sind.

Die VertreterInnen der KOS arbeiteten bis Anfang der 1990er Jahre noch in der BAG mit, danach konzentrierten sie sich auf den Ausbau des eigenen Zusammenschlusses mit eigenständigen Tagungen und regelmäßigen Info-Briefen.

Nach dem Fall der Mauer stieß der im März 1990 in Berlin gegründete „Arbeitslosenverband Deutschland“ (ALV) zur BAG. Er entfaltete sich hauptsächlich in den neuen Bundesländern. Nach anfänglichen Schwierigkeiten, bezüglich eines zentralen Organisationsaufbaus und einer eher arbeitszentrierten Programmatik ergab sich zwischen 1992 und 1996 eine rege gemeinsame Kooperation.

In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre verließ der ALV den BAG-Zusammenhang ohne offizielle Stellungnahme. 2010 existierten nur noch vier Landesverbände (Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Thüringen und Berlin). Dies mag der inhaltlichen Gewichtung auf Beschäftigungsprojekte unter Zuhilfenahme staatlicher Fördergelder (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen etc.) geschuldet sein. Mit der Austrocknung von staatlichen Maßnahmen in den letzten Jahren wurde vielen Initiativen im Osten der existenzielle Boden unter den Füßen weggezogen; sie mussten aufgeben.

Aber auch die BAG-Strukturen gerieten in die Krise, ihnen fehlte zusehends die organisatorische Klammer. Ein SprecherInnengremium existierte noch bis 1995. Neue Initiativen gründeten sich. Dazu gehörten die „Euro-Marsch“-Gruppen, die im europäischen Raum einige Jahre nicht nur Märsche veranstalteten, sondern auch aus Anlass von verschiedenen EU-Gipfeln Aktionstage durchführten und die im Januar 1999 gegründete „Bundesarbeitsgemeinschaft unabhängiger Erwerbsloseninitiativen“ (BAG-E). Letztere versuchte mit neuen Aktionen an die 1998‘er Proteste anzuknüpfen, was aber nur teilweise gelang.

Diese wenig erfolgreiche Praxis der Erwerbslosenverbände führte im Februar 2000 in Hannover bei einem bundesweiten Treffen zur Einrichtung eines „Runden Tisches der Erwerbslosenverbände“, der in den nächsten Jahre einige wichtige Kampagnen initiierte.

Um den Protest gegen die angekündigte Sozialpolitik der rot/grünen Bundesregierung (Agenda 2010) erfolgreich zu gestalten gründeten sich in vielen Städten „Anti-Hartz-Gruppen“, die 2003 zu einer der erfolgreichsten Demonstrationen in Berlin aufriefen und Erwerbslose schließlich 2004 in den „Montagsdemonstrationen“ monatelang ihren Widerstand zum Ausdruck brachten. Aus diesen Zusammenhängen gingen das „Aktionsbündnis Sozialproteste“ (ABSP) und die „Koordinierung der Montagsdemonstrationsbewegung“ hervor. Zu Protesten, die Anfang 2005 den Beginn der Umsetzung von Hartz IV begleiteten, sowie zu konkreten Widerstandspraxen riefen u.a. auch die OrganisatorInnen des Kongresses „Die Kosten rebellieren“ auf.

Auch im Internet fanden sich seit Anfang des neuen Jahrtausends verschiedene Seiten, die entweder von Erwerbslosen oder für Erwerbslosen gegründet wurden, etwa 2005 das „Erwerbslosen Forum Deutschland“.

Im November 2004 vereinigten sich die Restgruppen der BAG-E mit der BAG-SHI zur „Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen“ (so konnte die traditionelle Abkürzung BAG-SHI beibehalten werden). Vier Jahre später meldete die BAG-SHI Insolvenz an[15].

Als Nachfolgeorganisation firmiert seit 2009 die „Bundesarbeitsgemeinschaft-Prekäre Lebenslagen (BAG-PLESA), auf deren Initiative mit anderen Gruppen 2014 das bundesweite Bündnis „AufRechtbestehen“ gegründet wurde.

Kampagnen und Veranstaltungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einige der inhaltlichen Schwerpunkte der bundesweiten Zusammenhänge von Erwerbslosen waren und sind der Kampf gegen die Bedürftigkeitsprüfungen, früher bei der Sozialhilfe heute beim Arbeitslosengeld II und die Unterstützung des Widerstandes gegen erzwungene Arbeitseinsätze. Im April 1994 wurden unter dem Motto „Wir ernten nicht Eure faulen Früchte“ öffentlichkeitswirksam faules Obst und Gemüse vor die Tür der Arbeitgebervereinigung in Köln gekippt. Im internationalen Zusammenhang hat es immer wieder Zusammenkünfte gegeben mit dem Ziel Ausgrenzung und Rassismus solidarisches Tun entgegen zu setzen.

Weitere Aktivitäten bezogen sich auf das Thema prekäre Arbeit, etwa in einem Kongress, zusammen mit der IG-Metall, Abteilung Sozialpolitik, im Mai 1997 unter dem Titel „Gegenstrategien zur Niedriglohnrepublik“ und in der Kampagne „Hände weg von der Arbeitslosenhilfe“.

Hervorzuheben sind desweiteren die Kampagne „Keiner muss allein zum Amt“, die in einigen Städten als erfolgreich zu bezeichnen ist. Andere wichtige Kampagnen bezogen sich auf Ein-Euro-Jobs („Spaziergänge“), gegen Zwangsumzüge (besonders in Berlin), gegen Kinderarmut und für die Erhöhung der Regelsätze. Nach der „Krach-schlagen“ Demonstration 2010 in Oldenburg konnte ein Bündnis zwischen Erwerbslosengruppen, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden, Sozialverbänden sowie Bauern- und Umweltverbänden gebildet werden, die gemeinsam Forderungen für ein menschenwürdiges Existenzminimum formulierten. Damit sollte ein Beitrag zur Debatte über die Unzulänglichkeit der Höhe des aktuellen Regelsatzes angestoßen und Kriterien ausgearbeitet werden, diesen im Sinne der Betroffenen zu verändern.

Aktuell gründete sich 2014 auf Bundesebene das Bündnis „AufRechtbestehen“, ein Zusammenschluss verschiedener bundesweit agierender Netzwerke. In mehreren Aktionstagen wurden rechtliche Verschärfungen und die alltäglichen Schikanen und Diskriminierungen in den Jobcentern kritisiert (2014), das zehnjährige Bestehen von Hartz IV problematisiert (2015) und seit 2017/2018 einzelne Punkte aus der Umsetzung von Hartz IV angegriffen, etwa mit der Forderung nach der Aussetzung der direkten Aufrechnung von Mietkautionsdarlehen durch die Jobcenter. Unter der Parole der Schaffung von bezahlbarem menschenwürdigem Wohnraum ist das Bündnis „AufRechtbestehen“ Teil von überregionalen Aktionen. Zudem waren und sind etliche Netzwerke und Initiativen der Erwerbslosen an den Blockupy-Demonstrationen beteiligt gewesen und arbeiten in Zusammenschlüssen wie „Stadt für Alle“ oder „Wem gehört die Stadt?“ mit.

Wichtige inhaltliche Impulse für Diskussionen innerhalb der Erwerbslosengruppen setzten und setzen zwei Gruppen aus Hamburg und Berlin. Die »Glücklichen Arbeitslosen« verbreiteten einige Rundbriefe unter dem Namen „müßiggangster“ und beteiligten sich an Erwerbslosenprotesten Ende der 1990er Jahre, z.B. in Form von kollektivem Herumstreifen durch die Stadt „mit kurzer Station in Ämtern, Restaurants und sonstigen öffentlichen Einrichtungen“[16]. Ihre oftmals ironischen, aber durchaus ernstzunehmenden Ausführungen zum Thema Arbeit, Arbeitslosigkeit und zur Wiederaneignung von Zeit sind insbesondere von unabhängigen Initiativen aufgegriffen worden. Und schließlich tauchten im Zusammenhang mit den Hartz-IV Protesten unvermittelt eine neue Gruppe von Aktivisten auf: ‚Die Überflüssigen’: Mit weißen Theatermasken und roten Kapuzenpullovern standen sie plötzlich mitten im sozialen Geschehen, um mit spektakulären, symbolischen Aktionen gegen Sozialabbau und Verarmung Widerstand zu leisten.

Sichtbarer Widerstand[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Versuche Erwerbslose auf gemeinsame bundesweite Demonstrationen zu organisieren führten meist nicht zu dem gewünschten Ergebnis, so versammelten sich im November 1995 nur rund 3000 Aktive in Bonn[17]. Erst 1998 sollte sich dieser Zustand ändern. Ursache davon waren die nachhaltigen Kämpfe französischer Erwerbsloser, die tagtäglich in den Medien präsentiert wurden und für die hiesigen Betroffenen verdeutlichten, was mit Straßensolidarität erreicht werden kann, sowie die jahrzehntelange Politik der Sozialleistungskürzungen und des Ausbaus repressiver Arbeitsmarktinstrumente unter der Regierung Kohl. Es schien ein politischer Kulminationspunkt erreicht zu sein, der nach Aktionen verlangte.

Auf diesem Hintergrund entschloss sich die KOS, in Absprache mit anderen Erwerbslosennetzwerken und verschiedenen Gewerkschaften zu einem Aufruf zu regelmäßigen Aktionstagen vor den Arbeitsämtern (gleichzeitig mit der monatlichen Verkündung der Arbeitslosenzahlen), beginnend am 05.02.1998.

So gelang es erstmals seit 1945, in nennenswertem Umfang Erwerbslose zu mobilisieren (in den ersten Monaten rund 40 – 50.000). Es konnte in diesem Zusammenhang auf die seit Jahren gewachsene Organisationsstruktur von Erwerbsloseninitiativen zurückgegriffen werden. Sie bildeten in den Städten und Landkreisen die Grundlage der Kontinuität, der über Monate stattfindenden Protesttage. Zum Beispiel wurden zwischen Februar und Mai 1998 in Frankfurt/M. das Arbeitsamt besetzt und am anderen Tag morgens versucht in einem Luxusrestaurant zu frühstücken, vor Großbetrieben und Banken demonstriert, das Vermittlungsamt für erzwungene Arbeitseinsätze zugemauert und in einer Villengegend bei Frankfurt morgens lautstark über die Lage von Erwerbslosen informiert. Allerdings ließ sich der Druck der Straße nur einige Monate aufrechterhalten. Ohne greifbare Erfolge und Solidarität anderer sozialer Bewegungen ebbte der Protest wieder ab.

Einen neuen Protestanlauf produzierte die rot/grüne Bundesregierung indem sie ab 1998 mit der Agenda 2010 restriktive sozialpolitische Akzente setzte.

Auf einer Demonstration im November 2003 überstieg die Anzahl der TeilnehmerInnen mit 100.000 alle Erwartungen und verdeutlichte, welche Dimensionen ein breit angelegter Sozialprotest erreichen kann. Besonders das Verhältnis zwischen Erwerbslosengruppen und Gewerkschaften veränderte sich in dieser Zeit. Letztere hatten die Protestbereitschaft unterschätzt und sahen sich von den Aktivitäten der Erwerbslosen überrascht, zumal dort das politische Prestige der Gewerkschaften, spätestens seit ihrer aktiven Unterstützung der Hartz-Gesetze, arg gelitten hatte.

Einige Monate später begehrten im Osten Deutschlands die Erwerbslosen auf. Dem Aufruf von Wenigen zu sogenannten „Montagsdemonstrationen“ folgten auf dem Höhepunkt am 30.08.2004 in rund 200 Städten über 200.000 Personen. Schließlich sprang der Funke auch in den Westen Deutschlands über, allerdings ohne spürbare Massenwirksamkeit. Die Zahl der Straßenaktivitäten erreichte im August 2004 ihren Zenit und verringerte sich dann von Woche zu Woche. Ähnlich, wie bei den 98’er Protesten ließ sich ohne konkrete Erfolge der Straßendruck nur eine gewisse Zeit auf hohem Niveau aufrechterhalten. Bei der Initiierung der Demonstrationen und Kundgebungen in Ostdeutschland spielten anfänglich die Initiativen vor Ort kaum eine Rolle (im Gegensatz zu Westdeutschland), der Protest kam aus den Reihen einzelner, unzufriedener Erwerbsloser. Besonders die Angst vor dem sozialen Absturz veranlasste viele Betroffene auf die Straße zu gehen. Zwar reichten die Proteste nicht aus, die Regierung Schröder zu einem anderen sozialen Kurs zu bewegen, führten aber zu einer starken Mobilisierung von WählerInnen, um bei den darauf folgenden Bundestags- oder Landtagswahlen ihre Stimme der PDS (seit 2005 „Die Linke“) zu geben. Da „Die Linke“, als einzige Partei kompromisslos die Hartz-Gesetze ablehnt, wurde sie zu diesem Zeitpunkt auch von einer Mehrheit der aktiven Erwerbslosen bei parlamentarischen Wahlen unterstützt. Seit deren Beteiligung an Regierungen in Berlin, Thüringen und Brandenburg ist dies aber wieder rückläufig.

Danach hat es nur noch vereinzelt bundesweite Demonstrationen gegeben, etwa am 06. November 2004, zusammen mit autonomen und antifaschistischen Gruppen gegen Sozialraub, Agenda 2010 und Hartz IV vor der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg mit 10.000 TeilnehmerInnen, am 03.Januar 2005, dem Beginn der konkreten Umsetzung der Hartz-Gesetze mit einer größtenteils Belagerung und wenigen Besetzungen von Arbeitsämtern in Deutschland und schließlich im Jahr 2010 eine „Krach-schlagen-Demonstration“ in Oldenburg. Zu jährlichen Demonstrationen im Oktober ruft das stark von der MLPD (Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“ beeinflusste Bündnis „Bundesweite Montagsdemo!“ auf. Mit Beginn der Einführung von Hartz IV, aber auch später kam es immer wieder zu zahlreichen, Farbbeutelattacken, Übergriffen oder Brandanschlägen auf Arbeitsämter oder Jobcenter.

Unsichtbarer Widerstand[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Individueller Widerstand ist die am häufigsten genutzte Form des Aufbegehrens von Erwerbslosen, er ist kaum sichtbar, kann für den Einzelnen zur Verbesserung der sozialen Lage beitragen und geht manchmal in kollektive Bahnen über. Dauerhafte Verletzungen der Würde Einzelner können zu einem radikalen Bruch mit vorgegebenen Regeln führen, sie werden im eigenen Sinne interpretiert und genutzt, solange das Risiko überschaubar ist. Beispielhaft sei hier das Scheitern der Bundesregierung genannt, im großen Stil Erwerbslose zu Ernteeinsätzen zu verpflichten. So wurde die Arbeitnehmerhilfe, als damalige gesetzliche Grundlage von Arbeitslosen ad absurdum geführt, weil jeder Einzelne Gründe fand, nicht als Erntehelfer eingesetzt zu werden. Massenhafte Abwesenheit und ‚Ungeschicklichkeit’ (trotz Sanktionsdrohung) kippte schließlich das Gesetz. Einzig und allein durch individuellen Eigensinn, verbunden mit einem Grad Absentismus und der einen oder anderen Form der Sabotage. Keine soziale Bewegung agierte hier, sondern eine Summe von unabgesprochenen individuellen Handlungsweisen, die in ihrer Gesamtheit kollektiv wirkten.

In ähnlicher Weise konnte die Meldepflicht gekippt werden und auch die größere Entfaltung von Ein-Euro-Jobs scheiterte an der Eigenwilligkeit der Betroffenen.

Existenzgeld[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bereits auf dem ersten Arbeitslosenkongress 1982 traten viele Erwerbslosengruppen mit der Forderung nach einer eigenständigen, ausreichenden und an keine Bedingungen geknüpfte Existenzsicherung auf. Sie war das Produkt einer gesellschaftspolitischen Analyse der Kritik am kapitalistischen Lohnarbeitssystem und deutete auf eine andere solidarische und armutsverhindernde Gesellschaftsformation hin (z.B. solidarische Ökonomie). Der Impuls zur Formulierung dieser systemsprengenden, egalitären Forderung nach Existenzgeld kam aus dem Ideenspektrum von Erwerbslosen und prekär Beschäftigten (damals sogenannte JobberInnen). Fast gleichzeitig und später zusammen entwickelten die unabhängigen Sozialhilfe/Erwerbslosennetzwerke den Ansatz „Existenzgeld“[18] xiv. VertreterInnen von Erwerbslosengruppen gehörten zu den Gründungsmitgliedern des „Netzwerk Grundeinkommen“ am 09.07.2004 (in Berlin) und leisteten inhaltliche Beiträge auf der internationalen wissenschaftlichen Konferenz „Grundeinkommen. In Freiheit tätig sein“ vom 07. bis 09.10.2005 in Wien. Existenzgeld, so der Anspruch, soll allen Menschen ein ausreichendes Einkommen zur freien Entfaltung der Persönlichkeit und zur umfassenden gesellschaftlichen Teilhabe garantieren und kann nur als globales Projekt gedacht werden. Es besteht für jeden und jede ein Rechtsanspruch auf diese Auszahlung. Sie wird ohne Bedürftigkeitsprüfung und unabhängig von vorheriger Erwerbsarbeit bzw. von der Bereitschaft, sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen geleistet. Existenzgeld ist somit bedingungslos[19].

Berechnet wurde eine notwendige Höhe des Existenzgeldes (auf heutige Verhältnisse bezogen zwischen 1000 und 1500 € im Monat) und die Finanzierbarkeit des Ganzen über eine zukünftige zweckgebundene Abgabe von 50% („Take-half“) auf Nettoeinkommen jeglicher Art und Höhe. Somit eine Umverteilung von oben nach unten, da die Höchstverdiener auch die Hauptfinanzierung tragen! Im Gegensatz zu anderen Ansichten über Grundeinkommen wird die Realisierung des Existenzgeldes hauptsächlich im Zusammenhang mit sozialen Kämpfen gesehen. Dazu gehören auch die Auseinandersetzungen für eine freie soziale Infrastruktur ("Social Commons"), für einen umfassenden Ausbau öffentlicher Güter und Dienstleistungen, die allen Menschen unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden müssen.

Österreich[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Artikel in Vorbereitung

Schweiz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Artikel in Vorbereitung

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weshalb spielen Erwerbslose in der aktuellen und geschichtlichen Darstellung keine Rolle?[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Rein Harald: Wenn arme Leute sich nicht mehr fügen … ! Bemerkungen über den Zusammenhang von Alltag und Protest, Neu-Ulm 2017
  • Rein Harald: Organisation und Selbstorganisation von Erwerbslosen

Deutschland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vorindustrielle Epoche[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Ahlrich Meyer: Die Logik der Revoltern. Studien zur Sozialgeschichte 1789-1848, Hamburg 1999
  • Matthias Schartl: Ein Kampf ums nackte Überleben, in: Manfred Gailus (Hg.): Pöbelexzesse und Volkstumulte in Berlin, Berlin 1984
  • Gudrun Fröba/Rainer Nitsche: „…ein bißchen Radau…“ Arbeitslose machen Geschichte, Berlin 1983, S. 44
  • Deutsche Revolution 1918/1920
  • Axel Weipert: Die zweite Revolution. Rätebewegung in Berlin 1919/1920, Berlin 2015
  • Klaus Dettmer: Arbeitslose in Berlin. Zur Geschichte der Arbeitslosenbewegung zwischen 1918 bis 1923, Berlin 1977, Diss.
  • Karl Christian Führer: Arbeitslosenräte in Hamburg 1918-1933, in: 1999 Heft 2/1991

Weimarer Republik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Erwerbslosenprotest unter dem Dach von Organisationen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  • Siegfried Bahne: Die Erwerbslosenpolitik der KPD in der Weimarer Republik, in: Hans Mommsen/Winfried Schulze (Hg.): Vom Elend der Handarbeit, Stuttgart 1981
  • Rose-Marie Huber-Koller: Gewerkschaften und Arbeitslose, Band 1 und 2, Pfaffenweiler 1992
  • Harald Rein/Wolfgang Scherer: Erwerbslosigkeit und politischer Protest, Frankfurt 1993
  • Philipp Reick: A Poor People‘s movement? Erwerbslosenproteste in Berlin und New York in den frühen 1930er Jahren, in: Arbeit Bewegung Geschichte Heft 1/2015
  • Rolf Surmann: Die Münzenberg-Legende, Köln 1982
  • Clemens Klockner: Die Arbeitsgemeinschaft sozialpolitischer Organisationen (ARSO) in der Weimarer Republik, Darmstadt 1987
Selbstorganisation von Erwerbslosen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  • Gerrit Helmers/Alfons Kenkmann: „Wenn die Messer blitzen und die Nazis flitzen“. Der Widerstand von Arbeiterjugendcliquen und –banden in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“, Münster 1984
  • Hellmut Lessing/Manfred Liebel: Wilde Cliquen, Bensheim 1981
  • Robert Scholz: Ein unruhiges Jahrzehnt. Lebensmittelunruhen, Massenstreiks und Arbeitslosenkrawalle in Berlin 1914-1923, in: Manfred Gailus (Hg.): Pöbelexzesse und Volkstumulte in Berlin, Berlin 1984
  • Lothar Machtan: Die „Elendsschächte“ in Oberschlesien: Bergmännische Selbsthilfeinitiativen zur Überwindung von Arbeitslosigkeit um 1930, in: Heinz G. Haupt u.a. (Hg.): Selbstverwaltung und Arbeiterbewegung. Jahrbuch Arbeiterbewegung, Frankfurt 1982
  • Vagabundenkongress Stuttgart Mai 1929, Hg.: Diethart Kerbs, Berlin 1986
  • Rita Klages: Proletarische Fluchtburgen und letzte Widerstandsorte? Zeltstädte und Laubenkolonien in Berlin, in: Berliner Geschichtswerkstatt, Projekt Spurensicherung. Alltag und Widerstand im Berlin der 30er Jahre, Berlin 1983
  • Proteste gegen Pflichtarbeit, Notstandsarbeit und Arbeitsdienst
  • Günter Morsch: Arbeit und Brot, Frankfurt 1993
  • Claudia Brunner: Arbeitslosigkeit im NS-Staat, Pfaffenweiler 1997

Erwerbslosenbewegung nach 1945[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Neubeginn[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  • Arbeitslosigkeit und Berufsnot der Jugend (Hg.: Deutscher Gewerkschaftsbund), 2 Bnd. Köln 1952
  • Siegfried Heimann: Das Überleben organisieren, in: Berliner Geschichtswerkstatt, Jugendkulturen 1900-1960, Berlin 1985
  • Sybille Laturner/Bernhard Schön (Hg.): Jugendarbeitslosigkeit, Reinbek 1975
  • Friedhelm Wolski-Prenger: Arbeitslosenprojekte zwischen Sozialer Arbeit und Sozialer Bewegung, Frankfurt 1989
Weitere Entwicklung der Erwerbslosenbewegung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  • 1. Bundeskongress der Arbeitslosen, Hg.: Arbeitsloseninitiativen der BRD und Westberlin, Frankfurt 1983
  • Wolfgang Scherer u.a.: „Schluss mit dem Geschwätz, erhöht die Regelsätz!“ 10 Jahre Sozialhilfebewegung, Frankfurt 1988
  • 2. Bundeskongress der Initiativen gegen Arbeitslosigkeit und Armut, Frankfurt 1988
  • Harald Rein (Hg.): 1982 – 2013 Dreißig Jahre Erwerbslosenprotest, Neu-Ulm 2014
  • Hugo Reister u.a.: Gesellschaftliche Organisationen und Erwerbslose, Berlin 2000
  • Andreas Gallas: Politische Interessenvertretung von Arbeitslosen, Köln 1994
  • Guillaume Paoli (Hg.): Mehr Zuckerbrot, weniger Peitsche. Berlin 2002
  • BAG-SHI (Hg.): Existenzgeld reloaded, Neu-Ulm 2008
  • Agenturschluss (Hg.): Schwarzbuch Hartz IV, Berlin 2006
  • Peter Nowak (Hg.): Zahltag, Münster 2009
  • Joachim Hirsch u.a. (Hg.): Sozialpolitik anders gedacht: Soziale Infrastruktur, Hamburg 2013

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Claus Offe: Politische Herrschaft und Klassenstrukturen. In: Gisela Kress/Dieter Senghaas (Hrsg.): Politische Vierteljahresschrift Sonderheft 4/1972. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 1972, ISBN 978-3-531-11159-9, S. 146 ff.
  2. Jahoda, Marie.: Die Arbeitslosen von Marienthal : ein soziographischer Versuch über die Wirkungen langandauernder Arbeitslosigkeit. Suhrkamp, 1975, ISBN 3-518-00769-6 (worldcat.org [abgerufen am 3. Februar 2019]).
  3. Wolfgang Hardtwig: Einleitung: Utopie und politische Herrschaft im Europa der Zwischenkriegszeit. In: Utopie und politische Herrschaft im Europa der Zwischenkriegszeit. Oldenbourg, München, ISBN 978-3-486-59450-8, S. 1–12.
  4. Gudrun Fröba/Rainer Nitsche: : „…ein bißchen Radau…“ Arbeitslose machen Geschichte. In: Mitarbeiterzeitschriften noch besser machen. Transit, Berlin 1983, ISBN 3-88747-012-5.
  5. Harald Rein/Wolfgang Scherer: Erwerbslosigkeit und politischer Protest,. Peter Lang, Frankfurt 1993, ISBN 978-3-631-46322-2.
  6. Winter/Ulrich Willems:: Die politische Repräsentation schwacher Interessen. In: Ulrich Willems/Thomas von Winter (Hrsg.): Politische Repräsentation schwacher Interessen. Springer, Berlin 2000 (doi.org [abgerufen am 3. Februar 2019]).
  7. Andreas Gallas: Politische Interessenvertretung von Arbeitslosen. Bund Verlag, Köln, ISBN 3-7663-2504-3.
  8. Axel Weipert: Die Zweite Revolution. Rätebewegung in Berlin 1919/1920. be.bra, Berlin 2015, ISBN 3-95410-062-2, S. 318.
  9. Axel Weipert: Die Zweite Revolution. Rätebewegung in Berlin 1919/1920. be.bra, Berlin 2015, ISBN 3-95410-062-2, S. 288/289.
  10. Barbara Stambolis: Das Gespenst der wilden Cliquen. In: Der Spiegel. 16. Januar 2008, abgerufen am 3. Februar 2019.
  11. Wilde Cliquen“ - Unangepasstes Jugendverhalten von Navajos und Edelweißpiraten in Köln. NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, abgerufen am 3. Februar 2019.
  12. Friedhelm Wolski-Prenger: Arbeitslosenprojekte zwischen sozialer Arbeit und sozialer Bewegung. Peter Lang, Frankfurt 1989, ISBN 978-3-631-42062-1.
  13. 1. Bundeskongress der Arbeitslosen, Hg.: (Hrsg.): Arbeitsloseninitiativen der BRD und W-Berlin. Eigenverlag, Frankfurt 1983.
  14. 2. Bundeskongress der Initiativen gegen Arbeitslosigkeit und Armut. Frankfurt 1988.
  15. Die Arbeit der Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen e.V. - akut gefährdet!
  16. Guillaume Paoli (Hg.): Mehr Zuckerbrot, weniger Peitsche. Edition TIAMAT, Berlin 2002, ISBN 3-89320-062-2.
  17. https://taz.de/Gegen-den-sozialen-Kahlschag-nach-Bonn/!1486738/ taz 1.11.1995: Gegen den sozialen Kahlschag nach Bonn
  18. Existenzgeld. 10 Positionen gegen falsche Bescheidenheit und das Schweigen der Ausgegrenzten. Frankfurt 1996, S. 225–240 (doi.org [abgerufen am 3. Februar 2019]).
  19. BAG-SHI (Hrsg.): Existenzgeld reloaded, Neu-Ulm 2000. AG SPAK, Neu-Ulm 2008, ISBN 978-3-930830-96-1.