Benutzer:Mel333/Machtsensibilität

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Machtsensibilität ist ein Handlungskonzept, das eine konstitutive Empfindsamkeit gegenüber der Machtanwendung beschreibt und in asymmetrischen Situationen den schwächeren Part absichert und stärkt.

Etymologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Wort Macht kann auf zwei ähnlich lautende indogermanische Wurzeln zurückgeführt werden. Zum einen ist dies der Begriff mag- (für kneten, pressen, formen) und zum anderen auf den Begriff magh- (für machen im Sinne von können, vermögen, fähig sein). Das Wort Sensibilität stammt aus dem Lateinischen sentire und steht für fühlen, wahrnehmen.

Machtsensibilität Definition[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Macht ist im Alltagsprachgebrauch negativ besetzt und wird selten explizit und differenziert betrachtet[1], obwohl jeder Mensch Macht innehat. Es ist wichtig, sich im Klaren darüber zu sein, welche Ziele auf welche Art und Weise beim Gegenüber erreicht werden sollen und welche Konsequenzen das jeweils hat. Aus destruktiven (machtmissbräuchlichen) Formen der Machtanwendung können Ohnmachtsgefühle beim Gegenüber entstehen.[2] Machtsensibilität ist ein Handlungskonzept, das eine konstitutive Empfindsamkeit gegenüber der Machtanwendung beschreibt. Machtsensibilität beinhaltet ein Wissen um:

  • den eigenen Status
  • mögliche Korrumpierungsmechanismen
  • das Eigenwirkpotenzial von Macht
  • unterschiedliche Wahrnehmungen der Machtanwendung je nach Standpunkt
  • sozialpsychologische Fallstricke der eigenen Wahrnehmung[3][4]

Notwendigkeit von Machtsensibilität[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Machtstreben gilt seit Bertrand Russell als menschlicher Wesenszug: „Tiere hören auf zu jagen, wenn sie satt sind. Wenn der Lebensunterhalt von Menschen gesichert ist, hören sie deshalb noch nicht auf, tätig zu sein. Dieser Zug mehr zu wollen, findet sich bei jedem Menschen mehr oder weniger stark ausgeprägt.“[5] und ist nach der empirisch fundierten Machtmotivationstheorie (dort Machtmotiv genannt) ein Grundmotiv des Menschen[6][7]. Gleichzeitig gilt Macht als eines der letzten Tabus.[8][9] Ein Tabu (als unhinterfragt und stillschweigend angewendetes gesellschaftliches Regelwerk) bleibt als soziale Norm meist unausgesprochen und wird nur indirekt thematisiert.[10][11] Im Falle der Macht produziert die Kombination aus mehreren Faktoren das Tabu:

  1. Machtstreben als ein menschlicher Wesenszug bzw. Grundmotiv des Menschen[5][6][7]
  2. Macht ist in allen sozialen Beziehungen zu finden[12][13][14][15][16][17]
  3. Macht ist in den Köpfen der Menschen meist etwas Negatives[9]
  4. Macht wird häufig negativ angewendet[9]
  5. Von Machtanwendung geht potenziell eine korrumpierende Wirkung aus.[18][19][20][21][22]

Diese Kombination macht den Umgang mit Macht umgehbar und gleichzeitig hochgradig heikel, weshalb (zumindest für Menschen in einer Machtposition gegenüber anderen) eine Sensibilisierung gegenüber der eigenen Machtanwendung notwendig ist, um die eigene Macht und deren mögliche Konsequenzen für sich und andere überhaupt einschätzen zu können. Denn wer über Macht gegenüber anderen verfügt, trägt damit eine hohe Verantwortung gegenüber diesen Personen.[23]

Herleitung des Handlungskonzepts[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auch wenn es bereits Beiträge zur Macht gibt und macht häufig als relevant eingestuft wird, wird die komplexe Machtthematik häufig eher metatheoretisch behandelt (z. B. motivationstheoretisch[6], spieltheoretisch[19] oder feldtheoretisch).[24][25] Und Machtsensibilität wurde bis vor Kurzen nicht explizit thematisiert, obwohl sie in verschiedenen Kontexten eine Rolle spielt (z. B. in organisationalen Kontext[26], im psychologischen Kontext[27], im Sozialarbeitkontext[3][28][29][30]; im Erziehungskontext[1]; im Schul-[31] und Hochschulkontext[32]). Weil Macht ein universelles Konstrukt ist[5], das allen sozialen Beziehungen in der einen oder anderen Form zu finden ist [13][14][15][16][17] und in verschiedensten Bereichen des sozialen Lebens in ähnlicher Weise wirkt (z. B. Korrumpierungsmechanismen[18][19][20][21]) muss die Beschreibung interdisziplinär erfolgen. Es gibt Theorien und Forschung zur Macht aus der Psychologie, den Erziehungswissenschaften, der Sozialen Arbeit, der Philosophie und der Soziologie, die Machtmechanismen, zwar teilweise mit anderen Worten, aber im Tenor ähnlich beschreiben: Macht ist situationsspezifisch,[9] in einem Bereich verfügt jemand über Macht, in einem anderen jedoch nicht. Jemand kann beispielsweise Führungskraft am Arbeitsplatz, aber nur Ersatzspieler(in) im Fußballverein sein. Macht ist relativ,[9] denn Machtmittel wirken nur, wenn die andere Seite möchte oder braucht, was man bieten kann, oder wenn sie davon abhängig ist. Macht ist „janusköpfig“,[9] man beäugt die Macht anderer eher kritisch, während man selbst gerne mehr davon hätte. Auch gibt es eine unterschiedliche Wahrnehmung von Machtausübung, je nach Standpunkt, ob jemand in der Position ist, die Macht ausübt oder in der Position, auf die Macht ausgeübt wird[31][33]; es wurde differenziert hergeleitet, dass Personen sich selbst, je nach Position, unterschiedlich einschätzen, unterschiedliche Verhaltensweisen an den Tag legen und in ihrem Umfeld unterschiedlich (re-)agieren.[26] Zudem wirkt Macht bereits, bevor sie angewendet wurde[34]; das bedeutet: Sie hat ein hohes Eigenwirkpotenzial. Ein Status (ohne ihn aktiv zu nutzen) reicht aus, um die Wirkung von Macht deutlich wahrzunehmen.[34] Durch dieses komplexe Zusammenspiel können bei der Machtanwendung Korrumpierungsautomatismen [19][20][21][22] und verschiedenste sozialpsychologische Fallstricke wirksam werden, wie der Perseveranzeffekt[35], der Attributionsfehler[36] oder der Halo-Effekt[37] die die Machtanwendung beeinflussen können. Wird das Wissen aus diesen Bereichen zusammengetragen und gebündelt, können das Machtkonstrukt und der sensible Umgang hiermit breiter und umfassender beschrieben werden.

Bei der von Melanie Misamer beschriebenen Machtsensibilität handelt es sich um eine Kategorie, die auf einer interdisziplinär verorteten Idee von Macht und ihren Effekten basiert. Es ist ein (in Teilen bereits) evidenzbasiertes Handlungskonzept für Interaktionen, das in machtasymmetrischen Situationen den „schwächeren Part“ absichert und partizipativ stärkt.[4]

Bestandteile des Handlungskonzepts[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Für eine differenzierte Sicht auf die eigene Macht(-anwendung) sind mindestens notwendig zu kennen:

  1. der Status, an den die Machtposition gekoppelt ist
  2. mögliche Korrumpierungsmechanismen, die mit Macht bzw. deren Anwendung einhergehen können
  3. das Eigenwirkpotenzial von Macht, denn Macht wirkt bereits vor ihrer Anwendung
  4. unterschiedliche Wahrnehmungen bei der Machtausübung, je nach Standpunkt
  5. sozialpsychologische Fallstricke der eigenen Wahrnehmung[3][4]

Der Status[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Beispielsweise durch eine Führungsposition in einem Unternehmen, einen Hochschulabschluss (Diplom, Bachelor oder Master) oder eine durch den Staat zugewiesene Funktion erhalten Personen in unserer Gesellschaft einen legitimierten Status und damit einhergehend Macht. Dieser Status legitimiert sie für den jeweiligen Funktionsbereich Entscheidungen zu treffen, andere anzuleiten oder sogar (zum Teil schwerwiegende) Entscheidungen über andere zu treffen. Greift man ein Beispiel aus der Sozialen Arbeit heraus, kann eine schwerwiegende Entscheidung über andere beispielsweise eine Jugendgerichtshilfe sein, die in ihrem Gutachten die Beurteilung von Jugendlichen nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht vorschlägt. Vergleichbar einschneidend kann der Beschluss des Allgemeinen Sozialen Dienstes sein, ein Kind schlussendlich aus einer Familie zu nehmen.[3] Mit einem Status geht also eine hohe Verantwortung einher, mit der es gilt, bewusst umzugehen. Dabei ist es wichtig, sich der Wirkung des eigenen Status bewusst zu sein, denn mit einer Machtposition gehen nicht nur positive Gefühle einher, sondern auch eine verzerrte Einschätzung der eigenen Machtnutzung. So ist man eher der Überzeugung, dass der eigene Status, mit der die eigene legitimierte Machtposition einhergeht, konstruktiver ausgefüllt wird, als es tatsächlich der Fall ist. Das wurde einerseits im psychologischen Bereich theoretisch postuliert[33]; andererseits hat es sich für verschiedene Bereiche auch bereits empirisch gezeigt, u. a. im Schulkontext[31] und im Sozialarbeitskontext.[3] Allem Anschein nach gibt es, bezogen auf den eigenen Status, also machtspezifische Verzerrungen.

Mögliche Korrumpierungsmechanismen der Macht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Tendenz „immer mehr zu wollen“ findet sich, laut Russell, bei jedem Menschen mehr oder weniger stark ausgeprägt.[5] Auch Lord Acton sagte „Power tends to corrupt, and absolute power corrupts absolutely.“[38] Die psychologische Forschung zeigt schließlich, Macht kann korrumpieren. Sie kann Personen dazu bringen, weniger Mächtige ungerecht zu behandeln und sie auszubeuten. Korrumpierung kann sich auf verschiedene Arten zeigen: 1) Machtstreben als Selbstzweck (Macht wird über alle anderen Werte gestellt und es wird stetig nach mehr Macht gestrebt. Die Korruption bezieht sich darauf, dass Macht zum Selbstzweck wird.), 2) Machtanwendung als Mittel zum Zweck (Durch den Wunsch nach persönlichem Gewinn wird rücksichtsloses Verhalten motiviert. Die Korruption bezieht sich darauf, dass Macht als Mittel zum Zweck dient, ein Maximum an Gelegenheiten zu nutzen, um die eigenen Taschen zu füllen.), 3) Verzerrte Selbstwahrnehmung (Durch die verzerrte Selbstwahrnehmung, ausgelöst durch Macht, bezieht sich die Korruption darauf, dass Machthabende eine überhebliche und selbstherrliche Sichtweise ihres eigenen Wertes entwickeln können, was wiederum das Mitgefühl für andere hemmt.[18]

Es wurden konkrete Stufen gefunden, wie Korrumpierung abläuft[18]:

Korrumpierungsstufen (nach Kipnis)
Stufe Verhalten
1 Die Einsatzwahrscheinlichkeit von Macht: Mit Machtzuwachs steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Selbige eingesetzt wird
2 Der Eindruck, Kontrolle ausüben zu können: Je mehr Macht angewendet wird, desto stärker ist der Kontrolleindruck
3 Die Abwertung anderer: Sich Unterwerfende werden durch die machtanwendende Person abgewertet
4 Die Distanzierung gegenüber anderen: Die abgewertete Person tritt in soziale Distanz zur machtanwendenden Person
5 Übersteigerung des Selbstwerts: Machtverfügung und -gebrauch steigern das Selbstwertgefühl der machtanwendenden Person (bis zur Übersteigerung)

Korrumpierung zeigt sich also beispielsweise dadurch, dass verfügbare härtere Machtmittel auch ohne Notwendigkeit genutzt werden. Dies führt wiederum zu der Überzeugung, dass es sinnvoll und richtig ist, die eigene Macht genauso anzuwenden. Diese Rechtfertigung basiert auf der Abwertung anderer und auf der Aufwertung der eigenen Person. Hierdurch findet eine Distanzierung gegenüber denen statt, auf die die Macht ausgeübt wurde. Und das wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass weiterhin Machtüberlegenheit demonstriert wird.[4]

Das Eigenwirkpotenzial von Macht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Macht hat ein hohes Eigenwirkpotenzial.[26] Das heißt, sie wirkt bereits vor der Anwendung. Es reicht bereits, sich vorzustellen, mächtiger zu sein als andere, oder die Erinnerung an eine Situation, in der man sich mächtig fühlte. Das führt zur Änderung der Wahrnehmung sowie der Einschätzung einer Situation und in der Folge wird auch das Handeln beeinflusst.[34] Das Eigenwirkpotenzial von Macht resultiert aus dem erhebenden Gefühl, das mit Macht bzw. einem sozialen Status einhergeht, und den neuen Möglichkeiten, die zuvor nicht möglich gewesen wären, die aber nun neu hinzugekommen sind. Die neue Macht bzw. der neue Status wurden dabei noch nicht angewendet. Es reicht das Gefühl, dass man es könnte.[4]

Unterschiedliche Wahrnehmungen bei der Machtanwendung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei der Anwendung von Macht, macht es einen entscheidenden Unterschied, in welcher Position man sich befindet. Jede Position geht mit unterschiedlichen Gedanken, Verhaltensweisen und Reaktionen darauf einher:

Position, in der Macht ausgeübt wird, z. B.:

  • Neigung zu hochmütigem, selbstgerechtem Selbstkonzept
  • Stereotypisierung anderer
  • Offensivere Verhaltensweisen
  • Wirkungsmächtigere Anweisungen
  • Handlungen sind eher von eigenen Zielen bestimmt

Position, auf die Macht ausgeübt wird, z. B.:

  • Erleben als Instrument bzw. Mittel zum Zweck anderer
  • Gehemmtere Verhaltensweisen
  • Eher situationsangepasstes Verhalten
  • Erhöhte Wachsamkeit gegenüber sozialen Bedrohungen und Strafen
  • Weniger Zugang zu materiellen, sozialen und kulturellen Ressourcen[26]

Sozialpsychologische Fallstricke der eigenen Wahrnehmung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Menschliche Wahrnehmung beinhaltet Annahmen über Personen, über deren soziale Rollen, über Gruppen und die eigene Person. Diese Annahmen unterstützen dabei, die eigene Umwelt besser verstehen und einordnen zu können. Damit leistet das Gehirn wichtige Filterarbeit und vereinfacht so das Handeln und Zurechtkommen in sozialen Situationen. Problematisch wird es an den Stellen, wo diese Wahrnehmungen fehlerhaft oder verzerrt ist und Schubladendenken und stereotype Einstellungen zu Vorurteilen führen.[36] So gibt es empirisch fundierte Beispiele für Fallstricke der Wahrnehmung, die die Machtanwendung beeinflussen können, wie zum Beispiel die Theorie Sozialer Identität, stereotype Vorstellungen, der Halo-Effekt[37] und Vorurteile, der Pygmalion-Effekt, der Perseveranzeffekt[35] oder der Attributionsfehler.[36]

Entwicklung einer Machtsensibilität[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die ersten Schritte hin zur Entwicklung einer Machtsensibilität sind (1) Macht als zunächst neutrales Potenzial zu begreifen[39], das auf die eine oder andere Weise angewendet werden kann und das Eingeständnis, dass der Wille zur Macht, wie Bertrand Russell (1947) bereits sagte, ein (2) menschlicher Wesenszug ist.[5] Jeder Mensch strebt mehr oder weniger nach Macht und das ist ein Tabuthema. Dieses Tabu muss gebrochen werden, um eine Basis für eine Sensibilisierung für die eigene Machtnutzung zu schaffen. Als Nächstes geht es darum, (3) ein Wissen um machtspezifische und sozialpsychologische Wahrnehmungsverzerrungen zu entwickeln, die mit einer Machtposition einhergehen können wie …

  • eine verzerrte (eher zu positive) Einschätzung der eigenen Machtnutzung, die mit dem eigenen Status verbunden ist
  • mögliche Korrumpierungsmechanismen, die mit Macht einhergehen können
  • das Eigenwirkpotenzial von Macht, denn Macht wirkt bereits vor ihrer Nutzung
  • divergierende Wahrnehmungen der Machtanwendung je nach Standpunkt
  • eine Vielzahl von sozialpsychologischen Fallstricken der eigenen Wahrnehmung

Als Nächstes wird ein Anker benötigt, an dem die eigene professionelle Machtnutzung ausgerichtet und an dem sich in Zweifelsfragen orientiert werden kann. Das sind empirisch nachgewiesen sinnvollerweise (4) (berufs-)ethische Prinzipien[3][28][40][41] besonders solche, die selbst als besonders wichtig erachtet werden (hier ist die persönliche Identifikation im Berufsalltag am höchsten).[42] Die Kombination aus dem Wissen über Macht und ihre Dynamiken, der Bewusstwerdung eigener machtspezifischer und sozialpsychologischer Wahrnehmungsverzerrungen und einem Klarwerden darüber, welche (berufs-)ethischen Prinzipien persönlich als besonders wichtig erachtet werden, erlaubt eine prinzipienbasierte Reflexion der eigenen Machtnutzung – es entwickelt sich eine Machtsensibilität.[4]

Nutzen des Handlungskonzepts[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Machtsensibilität kann helfen, …

  • die Verantwortung, die mit Macht einhergeht, zu übernehmen.
  • einen Schutz vor Machtmissbrauch aufzubauen.
  • Vorbildverhalten zu zeigen, wie mit Macht konstruktiv umgegangen werden kann.
  • eine Multiplikationsfunktion gegenüber anderen zu übernehmen, z. B. gegenüber dem Kollegium bei der Arbeit.
  • unterschiedlichen weiteren Anforderungen besser gerecht zu werden.

Insgesamt können Machtsensibilität, konstruktive Machtanwendung und Prinzipien ein Korrektiv für das eigene Machthandeln sein.[4][43]

Mit Hilfe des Handlungskonzepts der Machtsensibilität können destruktive Strukturen frühzeitig wahrgenommen und durch konstruktive Strategien, wie partizipative, konfliktlösende, vertrauens- und gerechtigkeitsfördernde Handlungsweisen, ersetzt werden.[2]

Forschung zur Machtsensibilität[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In einer explorativen Mixed-Methods-Analyse zur Machtsensibilität mit 85 Sozialarbeitenden wurde untersucht, 1) Ob sich Machtsensibilität bei Sozialarbeitenden empirisch messen lässt (also, ob bei Sozialarbeiten eine Sensibilität für die eigene Machtanwendung vorhanden ist) und ob diese erste Skala zur Messung der Machtsensibilität, die hierfür genutzt wurde und die die Aspekte Status, Korrumpierung, Eigenwirkpotenzial, unterschiedliche Wahrnehmungen und Wahrnehmungsverzerrungen beinhaltet, reliabel ist. 2) Ob Machtsensibilität mit der eingeschätzten Wichtigkeit berufsethischer Prinzipien in Zusammenhang steht. 3) Ob Sozialarbeitende ihre eigene Machtsensibilität höher einschätzen als die ihrer Berufsgruppe (wegen der an anderer Stelle gefundenen Verzerrungseffekte bei der Einschätzung der eigenen Macht). 4) Welche konstruktiven und destruktiven Machthandlungen von Sozialarbeitenden identifiziert werden. Im Ergebnis zeigte sich (1), dass Machtsensibilität bei Sozialarbeitenden messbar ist: Die Befragten schätzten ihre eigene Machtsensibilität mit 7.90 von möglichen 10 im oberen Drittel ein. Die hierfür genutzte Skala wies eine akzeptable Reliabilität auf (α=.79). Die (2) Wichtigkeit der Einhaltung berufsethischer Prinzipien wurde hoch eingeschätzt (9.4 von möglichen 10) und stand mit der Machtsensibilität in signifikant positivem Zusammenhang (r=.229*). Die Sozialarbeitenden schätzten (3) die Machtsensibilität ihrer Berufsgruppe mit 6.69 signifikant geringer ein als ihre eigene (7.9, p<.000). Und es zeigten sich (4) 5 Kategorien konstruktiver (wie das Nutzen der professionellen Beziehung im Sinne der Adressaten) und 7 Kategorien destruktiver Machtanwendung (wie mutwilliges Verschweigen von Informationen).[3]

In einer weiteren Untersuchung wird die in Untersuchung 1 genutzte Skala zur Messung der Machtsensibilität differenziert werden. Auch hier werden die eigene und die eingeschätzte Machtsensibilität der Berufsgruppe abgefragt, die Wichtigkeit von Prinzipien und Gründe für Machtanwendung. Diese Ergebnisse werden mit den Ergebnissen der Untersuchung 1 verglichen, damit ausgeschlossen werden kann, dass punktuelle Befragungen verzerrte Ergebnisse liefern.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Melanie Misamer, Marcel Hackbart, Barbara Thies: Der Umgang mit Macht in der Sozialen Arbeit. Einschätzungen aus der Kinder- und Jugendhilfe. Soziale Arbeit 2017, 5/6, 450–456.
  • Machtsensibilität bei Sozialarbeitern – Impulse aus pädagogisch-psychologischer Sicht. EREV-Fachzeitschrift Evangelische Jugendhilfe 2019, 96, 164–173.
  • Melanie Misamer, Barbara Thies: Macht- und statussensible Hochschullehre. In David Kergel, Birte Heidkamp (Hrsg.), Praxishandbuch Habitussensibilität und Diversität in der Hochschullehre. Prekarisierung und soziale Entkopplung – transdisziplinäre Studien. (S. 497–514). 2019 Wiesbaden Springer VS.
  • Gewalt von Fachkräften gegenüber Adressatinnen und Adressaten – Zur Entwicklung einer Machtsensibilität bei Sozialarbeiterinnen und -arbeitern. CORAX – Fachmagazin für Kinder- und Jugendarbeit in Sachsen 2020, 2, 26–27.
  • Der verantwortungsvolle Machtgebrauch. EREV-Fachzeitschrift Evangelische Jugendhilfe 2020, 97, 4–12.
  • Melanie Misamer, Lena Hennecken: Machtsensibilität in der Praxis Sozialer Arbeit. Eine explorative Analyse. EREV-Fachzeitschrift für evangelische Jugendhilfe 2022, 99, 194–201.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Melanie Misamer, Wolfgang Scholl: Eingeschätzte Machtanwendung in der Kindheitspädagogik. Zur Wichtigkeit von Prinzipienorientierung. Hrsg.: Soziale Arbeit. 2021, ISSN 0490-1606, S. 178–186.
  2. a b Melanie Misamer: Lexikonbeitrag Machtsensibilität. socialnet, 2023 (socialnet.de).
  3. a b c d e f g Melanie Misamer, Lena Hennecken: Machtsensibilität in der Praxis Sozialer Arbeit. Eine explorative Analyse. Hrsg.: EREV-Fachzeitschrift für evangelische Jugendhilfe. Band 99/4, 2022, ISSN 0943-4992, S. 194–2001.
  4. a b c d e f g Melanie Misamer: Materialienbeitrag Machtsensibilität. In: socialnet. 2023, abgerufen am 31. März 2023.
  5. a b c d e Bertrand Russell: Macht. Eine sozialkritische Studie. Europa Verlag, Zürich 1947, S. 7.
  6. a b c David McClelland: Opinions predict opinions: So what else is now? Hrsg.: Journal of Consulting and Clinical Psychology. Nr. 38, 1972, S. 325–326.
  7. a b David McClelland: Power: The inner experience. Irvington, New York 1975.
  8. Jeffrey Pfeffer: Das letzte Tabu: Macht. Hrsg.: Harvard-Business-Manager. Band 14, Nr. 4, 1992, ISSN 0945-6570, S. 17–24.
  9. a b c d e f Wolfgang Scholl: Das Janus-Gesicht der Macht: Persönliche und gesellschaftliche Konsequenzen Rücksicht nehmender versus rücksichtsloser Einwirkung auf andere. In: Bernd Simon (Hrsg.): Macht: Zwischen aktiver Gestaltung und Missbrauch. Hogrefe, Göttingen 2007, ISBN 978-3-8017-2002-5, S. 27–46.
  10. Nicole Zöllner: Der Euphemismus im alltäglichen und politischen Sprachgebrauch des Englischen. Peter Lang Publishing, Frankfurt am Main 1997, ISBN 3-631-31653-4.
  11. Horst Reimann: Tabu. Staatslexikon. Recht Wirtschaft Gesellschaft in 5 Bänden. Herder, Freiburg 1989, ISBN 3-451-37515-X, S. 421–422.
  12. Verena Burkolter-Trachsel: Zur Theorie sozialer Macht. Konzeptionen, Grundlagen und Legitimierung, Theorien, Messung, Tiefenstrukturen und Modelle. Haupt, Bern 1981, ISBN 3-258-03088-X.
  13. a b Michaela Christ: Auf Entdeckungsreise Heinrich Popitz Phänomene der Macht. Hrsg.: Soziale Passagen. Nr. 2, 2010, ISSN 2194-3117, S. 251–254, doi:10.1007/s12592-010-0053-8.
  14. a b Lorenz Fischer, Günter Wiswede: Grundlagen der Sozialpsychologie. Oldenbourg, München 2002, ISBN 3-486-25790-0.
  15. a b Walter Lonner: The search for psychological universals. In: Handbook of cross-cultural psychology. Band 1. Allyn & Bacon, Boston 1985, ISBN 0-205-16074-3, S. 143–204.
  16. a b Terrence Mitchell, Heidi Hopper, Denise Daniels, Jane Falvey, Gerald Ferris Gerald: Power, accountability, and inappropriate actions. Hrsg.: Applied Psychology. Nr. 47, 1998, ISSN 1464-0597, S. 497–517.
  17. a b Wang, Fang, Xunwei Sun: Absolute power leads to absolute corruption? Impact of power on corruption depending on the concepts of power one holds. Hrsg.: European Journal of Social Psychology. Nr. 46, 2015, ISSN 0046-2772, S. 77–89.
  18. a b c d David Kipnis: Does power corrupt? Hrsg.: Journal of Personality and Social Psychology. Nr. 24, 1972, ISSN 0022-3514, S. 33–41, doi:10.1037/h0033390.
  19. a b c d David Kipnis, Stuart M. Schmidt, Ian Wilkinson: Intraorganizational influence tactics: Explorations in getting one's way. Hrsg.: Journal of Applied Psychology. Nr. 65, 1980, ISSN 0021-9010, S. 440–452.
  20. a b c Wang, Fang, Xunwei Sun: Absolute power leads to absolute corruption? Impact of power on corruption depending on the concepts of power one holds. Hrsg.: European Journal of Social Psychology. Nr. 46, 2015, ISSN 0046-2772, S. 77–89.
  21. a b c Mitchell, Terrence, Hopper, Heidi, Daniels, Denise, Falvey, Jane, Ferris, Gerald: Power, accountability, and inappropriate actions. Hrsg.: Applied Psychology. Nr. 47, 1998, ISSN 1464-0597, S. 497–517.
  22. a b Wolfgang Scholl: Machtausübung oder Einflussnahme: Die zwei Gesichter der Machtnutzung. In: Bianca Knoblach, Torsten Oltmanns, Ivo Hajnal, Dietmar Fink (Hrsg.): Macht in Unternehmen – Der vergessene Faktor. Gabler, Wiesbaden 2012, ISBN 978-3-8349-2960-0, S. 203–221.
  23. Melanie Misamer: Machtsensibilität bei Sozialarbeitern – Impulse aus pädagogisch-psychologischer Sicht. Hrsg.: EREV-Fachzeitschrift Evangelische Jugendhilfe. Nr. 96, ISSN 0943-4992, S. 164–173.
  24. John French, Bertram Raven: The base of social power. In: Dorwin Cartwright (Hrsg.): Studies in social power. University of Michigan Press, Ann Arbor, MI 1959, S. 607–623.
  25. Kurt Lewin: A dynamic theory of personality. McGraw-Hill, New York 1935.
  26. a b c d Keltner, Dacher, Deborah H. Gruenfeld und Cameron Andersen: Power, approach, and inhibition. Hrsg.: Psychological Review [online]. Nr. 110, ISSN 1939-1471, S. 265–284, doi:10.1037/0033-295x.110.2.265.
  27. McClelland, David C.: Power: The inner experience. Irvington, New York 1975, ISBN 0-470-58169-7.
  28. a b Melanie Misamer, Marcel Hackbart, Barbara Thies: Der Umgang mit Macht in der Sozialen Arbeit. Einschätzungen aus der Kinder- und Jugendhilfe. Hrsg.: Soziale Arbeit. Band 5/6, ISSN 0490-1606, S. 450–456.
  29. Melanie Misamer: Machthandeln und professionsethische Prinzipien in der Kinder- und Jugendhilfe. Hrsg.: Soziale Passagen. Nr. 10/2, 2018, S. 231–244.
  30. Melanie Misamer: Gewalt von Fachkräften gegenüber Adressat*innen Zur Entwicklung einer Machtsensibilität bei Sozialarbeiter*innen. Hrsg.: CORAX – Fachmagazin für Kinder- und Jugendarbeit in Sachsen. Nr. 2, S. 26–27.
  31. a b c Melanie Misamer: Macht und Machtmittel in der Schule: Eine empirische Untersuchung. Jacobs, Lage 2019, ISBN 978-3-89918-266-8.
  32. Melanie Misamer, Barbara Thies: Macht- und statussensible Hochschullehre. In: David Kergel, Birte Heidkamp (Hrsg.): Praxishandbuch Habitussensibilität und Diversität in der Hochschullehre. Springer, Wiesbaden 2019, ISBN 978-3-658-22399-1, S. 497–514.
  33. a b Erich Witte: Theorien zur sozialen Macht. Hrsg.: Hamburg: Universität Hamburg, Arbeitsbereich Sozialpsychologie. 2001 (ssoar.info).
  34. a b c Dacher Keltner: The Power Paradox: How We Gain and Lose Influence. Penguin PR, London 2016, ISBN 978-1-59420-524-8.
  35. a b Ross, Lee, Mark R. Lepper, Michael Hubbard: Perseverance in self-perception and social perception. Hrsg.: Journal of Personality and Socialpsychology. Band 32, Nr. 5, 1975, ISSN 0022-3514, S. 880–892, doi:10.1037/0022-3514.32.5.880.
  36. a b c Jonas, Klaus, Wolfgang Stroebe, Miles Hewstone: Sozialpsychologie. Springer, Berlin 2014, ISBN 978-3-642-41091-8.
  37. a b Edward Thorndike: A constant error in psychological rating. Hrsg.: Journal of Applied Psychology. Nr. 4, 1920, ISSN 0021-9010, S. 25–29.
  38. John Dalberg Acton: Acton-Creighton Correspondence. 1878 (libertyfund.org).
  39. Michael Argyle: Soziale Beziehungen. In: Wolfgang Stroebe, Miles Hewstone, Jean-Paul Codol und Geofrey Stephenson (Hrsg.): Sozialpsychologie: Eine Einführung. Springer, Berlin 1990, ISBN 3-662-09958-6, S. 232–257.
  40. Wolfgang Scholl: Einfluss nehmen und Einsicht gewinnen – Gegen die Verführung der Macht. Hrsg.: Wirtschaftspsychologie aktuell. Band 14, Nr. 3, 2007, S. 15–22.
  41. Geoffrey Brennan, Philip Pettit: Power corrupts, but can office ennoble? Hrsg.: Kyklos. Nr. 55, 2002, S. 157–178, doi:10.1111/1467-6435.t01-1-00181.
  42. Haim Omer, Arist von Schlippe: Stärke statt Macht. Neue Autorität in Familie, Schule und Gemeinde. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2016, ISBN 978-3-525-40203-0.
  43. Melanie Misamer: Machtsensibilität in der Sozialen Arbeit. Grundlagen, Handlung, Wirkung. Kohalhammer Verlag, Stuttgart 2023, ISBN 978-3-17-042185-1 (Das Fach- und Lehrbuch ist im Erscheinen (i. E.).).


Kategorie:Sozialwissenschaft Kategorie:Arbeitsfelder, Handlungskonzepte und Methoden (Soziale Arbeit) Kategorie:Macht