Benutzer:Rarus/Große Meister (Musik)

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Die „Großen Meister der Musik“ waren eine Konzeption der Bewertung von Komponisten, die, nach ihren Anfängen im frühen 19.Jahrhundert, ihre Blütezeit im deutschsprachigen populären Musikschrifttum zwischen etwa 1850 und 1950 erlebte. Als Gegenbegriff wurde von musikwissenschaftlicher Seite etwa ab dem Ende des 19.Jahrhunderts „Kleinmeister“ eingeführt, der in seinen Wertimplikationen jedoch schwankt.

Der Ausdruck „groß“, auch „Großer Meister“ als Ausdruck persönlicher Hochschätzung ist nach wie vor lebendig. Im Sinne einer übergeordneten, für alle Musiker und Hörer geltenden Wertkategorie jedoch gilt er im musikwissenschaftlichen Schrifttum der Gegenwart als unseriös; in diesem Sinne ist er heute auf das bürgerliche Feuilleton beschränkt. Andererseits tritt die Bezeichnung „Kleinmeister“ auch in der Musikwissenschaft gelegentlich noch als Defensivbegriff auf: „X ist zwar keiner von den Großen, aber dennoch der Aufmerksamkeit würdig.“ Die Grundkonzeption scheint unausgesprochen also noch fortzuwirken.

„Große Meister“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Frühgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Bezeichnung „groß“, „magnus“ ist in der europäischen Musikgeschichte durchgängig nachweisbar fast seit dem ersten Auftreten namentlich bekannter Komponisten. Bereits Perotin (etwa 1200) wurde „Perotinus Magnus“ genannt[1]; über Josquin Desprez (1440-1521) schrieb [etwas nach Grove 9 S. 717 Kap. 7]; François Couperin (1668-1733) wurde von den übrigen Angehörigen der verzweigten Musikerfamilie Couperin unterschieden als „Couperin le Grand“ [Quelle]. Hinter diesen Bezeichnungen, die, wie verbreitet bei den Zeitgenossen auch immer, Ausdruck einer individuellen Wertschätzung sind, stand keinerlei ästhetische Konzeption. Dementsprechend waren die Wörter „groß“, „magnus“, „grand“, „great“ jederzeit austauschbar durch andere. Im folgenden Titel einer Londoner Publikation von 1708 erfüllt „eminent“ dieselbe Funktion:

„Select Preludes and Vollentarys for the Flute being made and contriv'd for ye improvement of ye Hand with variety of compositions by all the Eminent masters in Europe[2]

„Ausgewählte Präludien und Voluntaries [impovisationsähnliche Stücke], komponiert und eingerichtet für die Verbesserung der Fingerfertigkeit mit einer Vielzahl an Kompositionen von allen berühmten Meistern Europas“

Meine erste Improvisation - mehr ein Brainstorming[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Ursprung der Bezeichnung Kleinmeister[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Einführung des Terminus' Kleinmeister in die Musikwissenschaft diente zunächst, anders als das Wort heute nahezulegen scheint, der Aufwertung der mit ihm bezeichneten Komponisten. Im populären deutschen Musikschrifttum des ausgehenden 19. Jahrhundert hatte sich ein Kanon sogenannter Großer Meister etabliert, deren Verehrung quasi-religiöse Züge trug und mit einer rigiden Abgrenzung von als unbedeutend deklassierten Komponisten einherging. Diese Darstellungen sahen etwa für das 18. Jahrhundert die unveränderliche Folge Bach – Händel – Haydn – Mozart mit dem schließlichen Gipfel Beethoven vor. Sie waren fast durchweg nationalistisch gefärbt; eine Aufnahme etwa Domenico Scarlattis oder Jean-Philippe Rameaus kam von vorneherein nicht in Frage. Die Folge war ein grob verfälschendes Bild historischer Zusammenhänge. Zwar ließ die Verehrung eines göttlichen Genies wie Mozart den Gedanken nicht zu, er habe von irgendwem etwas gelernt – ein Genie, das seine Gaben von Gott erhielt, konnte nur fertig auf die Welt kommen –, derjenige, der dennoch aus diesen Lebensbildern und Konzertführern etwas über Mozarts Entwicklung erschließen wollte, konnte nur zu dem Schluss kommen, Mozart könne überhaupt nur von Joseph Haydn („Papa Haydn“) beeinflusst sein.

Die sich in dieser Zeit als eigenständige Disziplin erst herausbildende Musikwissenschaft versuchte, die Blickverengung des populären Schrifftums aufzubrechen. Dass Mozart zuerst von Giovanni Battista Sammartini, dann von Johann Christian Bach entscheidende Impulse empfing, hat er selbst eindeutig genug bezeugt. Gegen die Ideologie des populären Schrifttums ließ es sich aber nur durchsetzen, indem auch Sammartini und J. Chr. Bach als Meister charakterisiert wurden – in Abgrenzung von den großen, an deren Priorität auch die meisten Musikwissenschaftler nicht zweifelten, aber als kleine. Dementsprechend hat die Musikwissenschaft des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts sich entschieden nicht nur um die beschreibende Erfassung, sondern vor allem auch um die saubere, historisch-kritischen Ansprüchen genügende Edition der Kleinmeister bemüht.

Neuere Verwendung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In dem Maß, in dem die so bezeichneten Komponisten sich im öffentlichen Bewusstsein durchsetzten, verlor die Musikwissenschaft das Interesse an der Bezeichnung. Standardlexika wie das Grove Dictionary of Music and Musicians, das Riemann-Musik-Lexikon oder Die Musik in Geschichte und Gegenwart enthalten das Stichwort „Kleinmeister“ nicht. Johannes Bittner hat eine Definition versucht:

„Unter dem Begriff ‚Kleinmeister‘ soll ein solcher Künstler verstanden werden, dem, nach unserer Meinung, geringere Aussagefähigkeit zur Verfügung steht […][3]

Diese Definition zeigt die Umwertung des Begriffs. Hatte der Akzent ursprünglich auf dem Meister gelegen – dem nämlich durchaus auch Vollendetes gelingen könne –, wurde er nun auf das Kleine verschoben, häufig mit der Insinuation, dass ein Meister ja sowieso nur ein Handwerker sei, nicht ein Künstler. Die Umwertung ist Teil eines Abwehrgefechts, das in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem im gehobenen bürgerlichen Feuilleton gegen die Höherschätzung der Kleinmeister, ihre Etablierung im Repertoire und – möglicherweise vor allem – die zunehmende Unglaubwürdigkeit quasi-religiöser Genieverehrung geführt wurde. Forciert wurde diese Aufwertung bisher verachteter Komponisten zunächst durch den wachsenden Schallplattenmarkt, der um der Vergrößerung der Produktion willen das Repertoire entschieden erweitern musste. Aber Voraussetzung für den Absatz dieser Schallplatten war, neben der sinkenden Attraktivität des pathetischen Tonfalls der Großen-Verehrung, die offensichtlich stark gestiegene Neugier der Hörer auf die Kleinmeister, vorher aber schon die Entdeckerlust der Musiker, deren wichtigster Ausdruck die sich seit den fünziger Jahren, gesteigert seit den siebziger Jahren entwickelnde Historische Aufführungspraxis war.

Aspekte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Bezeichnung Perotinus magnus ist - soweit wir sehen können - Ausdruck einer spontanen (?) Verehrung. Die wesentlichen Züge des "Große-Meister"-Konzeptes dagegen sind kunstreligiös, v.a. eine ständige denunziatorische Implikation, 1. gegen die "kleinen"; 2. gegen alles Nicht-deutsche. Über 1. hat Hildesheimer geschrieben; der Verehrer rankt sich selbst nach oben an seinem Idol. Genauso funktioniert auch das nationalistische Element: Ich gehöre einer Gemeinschaft an, die so was Tolles wie Beethoven hervorgebracht hat, so was Tolles hat keiner, also bin ich auch toll.

Möglicherweise verwendbares Material aus dem Löschkandidaten - ungeordnet[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Diese Definition gestattet aber keine eindeutige Zuordnung eines Künstlers zu den „Kleinmeistern“, weil „geringere Aussagefähigkeit“ ein unbestimmter Begriff ist, der zudem ein starkes subjektives Element enthält. Kurt Pahlen hält den Begriff „Kleinmeister“ für unglücklich.[4] Agnes Ziffer räumt ein, dass der Begriff „Kleinmeister der Musik“ die Gefahr einer abwertenden Deutung in sich birgt.[5] Sie zählt Johann Georg Albrechtsberger, Carl Ditters von Dittersdorf, Joseph Eybler, Franz Jakob Freystädtler, Adalbert Gyrowetz, Johann Nepomuk Hummel, Antonio Salieri und Franz Xaver Süßmayr zu den „‚sogenannten‘ Kleinmeistern der Musik“. Wolfgang Hildesheimer verwendet „kleinere Geister“ im gleichen Sinn und nennt u. a. Dittersdorf, Eberl, Gyrowetz und Hummel.[6]

Ein Beispiel für die Verwendung des Begriffes „Kleinmeister“ gibt Ernst Fritz Schmid, indem er schreibt:

„Im Kreis der Kleinmeister um Mozart ist Joseph Fiala eine der begabtesten Gestalten.“[7][8]

Wie problematisch die Subsumption eines Künstlers unter einen solchen, potenziell als abwertend wahrgenommenen Begriff sein kann, ergibt sich schon aus den unterschiedlichen Bewertungen, denen sein Können oft unterliegt.

So schrieb etwa W. A. Mozart über Fiala, dass dieser gute Gedanken habe und Stücke von ihm recht hübsch seien.[9]

Auch Alfred Einstein charakterisiert Fiala als Meister, indem er beschreibt, dass Mozarts Autorenschaft der [Mailänder] Streichquartette (KV Anh. C 20.01 – 20.04) vor anderen Meistern (Jos. Fiala in Salzburg ?) nicht völlig gesichert ist.[10]

Zu Albrechtsberger und Eybler existiert folgendes Empfehlungsschreiben von Mozart:

„Ich Endesgesetzter bescheinige hiemit dass ich Vorzeiger dieses Hr: Joseph Eybler als einen würdigen Schüller seines berühmten Meisters Albrechtsberger, als einen gründlichen komponisten, sowohl in kammer= als kirchenstyl gleich geschickten, in der Singkunst ganz erfahrnen, auch vollkommen Orgel= und klavierSpieller, kurz, als einen Jungen Musiker befunden habe, wo es nur zu bedauern ist, daß seinesgleichen so selten sind.
Wienn, den 30:t May. 1790.
Wolfgang Amadé Mozart
kapellmeister, in k: diensten“[11]

Constanze Mozart schrieb am 30. Januar 1807 an ihren Sohn Carl Thomas:

„nun hat er [Bruder Franz Xaver Wolfgang] die 3 große meister Salieri, Albresberger und Humel …“[12]

Der Auftrag der böhmischen Stände von 1791, eine Oper für die Krönung von Kaiser Leopold II. zu schreiben, ging zuerst an Salieri und, als dieser ablehnte, erst dann an Mozart (La Clemenza di Tito).[13] Charles Burney nennt Salieri einen großen Komponisten.[14]

Auch Dittersdorff wird verschiedentlich als großer Komponist bezeichnet: “Dittersdorf was a major figure of the Viennes Classical school”.[15] Charles Burney nennt Dittersdorf einen „großen Komponisten“ und „großen Tonkünstler“.[16]

Franz Xaver Süßmayr hat die Sätze Sanctus, Benedictus und Agnus Dei von Mozarts Requiem (KV 626) vollendet. Sein Singspiel Spiegel in Arkadien soll in der Tradition von Mozarts Zauberflöte stehen.[17]

Das Klavierquintett von Hummel op. 87 soll nach Albert Stadler das Modell für Schuberts Forellenquintett D 667 gewesen sein.[18]

Laut Alfred Einstein könnten die Mozart zugeschriebenen Romantischen Sonaten für Klavier und Violine (KV 55-60 = Anh.C 23.01-06) Arbeiten Eberls oder Hummels sein.[19] Werke von Eberl werden mit Werken von Beethoven verglichen.[20]

Heinz Wolfgang Hamann ist der Ansicht, dass Haydn und Beethoven die Werke Freystädtlers gekannt haben. Es ist aber abwegig, daraus die Konsequenz zu ziehen, dass Freystädtlers Werk Teile der Symphonie Nr. 6 von Beethoven (op. 68) „vorausgenommen“ habe.[21] Vielmehr hat sich Beethoven bei dem Komponieren seiner Symphonie an das Werk von Freystädtler erinnert und Teile davon in Überarbeitung übernommen.[22]

Wolfgang Antesberger spricht von Künstlergrößen und behandelt dazu u.a. Eybler und Gyrowetz.[23]

Franz A. Stein schreibt „mit dem Gespür für die Qualität der Kleinmeister“.[24]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. so der sog. Anonymus IV, hier nach Riemann Lex Pers. L-Z S 389, vgl. Grove 14 S. 541 Anf 2. Kap
  2. Titel gegeben nach der Neuausgabe Preludes and Voluntarys London 1949, hg. von Rene Colwell (Schott & Co. Ltd. London)
  3. Die Klaviersonaten Eduard Franks (1817-1893) und anderer Kleinmeister seiner Zeit, S. 3 (Diss. Hamburg 1968).
  4. Die große Geschichte der Musik. München 2002, S. 372, r.Sp.
  5. Kleinmeister zur Zeit der Wiener Klassik. Versuch einer übersichtlichen Darstellung sogenannter Kleinmeister im Umkreis von Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert sowie Studien zur Quellensicherung ihrer Werke. Tutzing 1984, S. 5, 6, 13, 16.
  6. Mozart. Frankfurt/Main 1977, S. 212.
  7. MGG Bd. IV, Sp. 152, Kassel 1955.
  8. Claus Reinländer, Joseph Fiala in Bayern. Musik in Bayern, Heft 63, S. 57 bis 62, München 2002.
  9. Wilhelm Adolf Bauer und Otto Erich Deutsch: Mozart Briefe und Aufzeichnungen. Bd. 2, Kassel 1963, S. 32.
  10. Dr. Ludwig Ritter von Köchel, Chronologisch-thematisches Verzeichnis sämtlicher Tonwerke Wolfgang Amadé Mozarts, Achte Auflage, Wiesbaden 1963, (KV), dort Zitat aus der 3. Auflage von Alfred Einstein, S. 881.
  11. Siehe Mozart Briefe und Aufzeichnungen, Bd. 4, S. 109.
  12. Siehe Mozart Briefe und Aufzeichnungen, Bd. 4, S. 447.
  13. Wolfgang Antesberger: Vergessen Sie Mozart. München 2005, S. 315.
  14. Tagebuch einer musikalischen Reise. 2. Band. Wilhelmshaven 1980, S. 337.
  15. The Grove Concise Dictionary of Music, S. 224, London 1994.
  16. Siehe Tagebuch einer musikalischen Reise, 2. Bd, S. 316, 337.
  17. The Grove Concise Dictionary of Music. London 1994, S. 792.
  18. Otto Erich Deutsch, Schubert thematic Catalogue of all his Works. New York 1950, S. 297.
  19. Dr. Ludwig Ritter von Köchel, Chronologisch-thematisches Verzeichnis sämtlicher Tonwerke Wolfgang Amadé Mozarts, Achte Auflage, Wiesbaden 1963, (KV), dort Zitat aus der 3. Auflage von Alfred Einstein, S. 887.
  20. Wolfgang Antesberger, Vergessen Sie Mozart, S. 315, München 2005.
  21. siehe Untertitel bei Hamann
  22. Zu Beethovens Pastoral–Sinfonie: Vorausnahmen eines Wiener Kleinmeisters aus dem Jahre 1791. In: Die Musikforschung XIV, Kassel 1961, S. 55-60.
  23. Wolfgang Antesberger: Vergessen Sie Mozart. München 2005, S. 275 und 321.
  24. Musik in Bayern. Heft 28, München 1984, S. 15.

Kategorie:Musiktheorie