Bezahlkarte für Asylbewerber

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Bezahlkarte für Asylbewerber ist eine guthabenbasierte Bankkarte. Bankkarten für Schutzsuchende sind schon jahrelang in zahlreichen Ländern im Einsatz. Die Karten machen die Verwaltung und Auszahlung von Unterstützungsleistungen für die Behörden sicherer und einfacher. Für die Asylbewerber entfallen weite Wege zu Auszahlungsstellen, sie können an E-Commerce teilnehmen und die Karten bieten durch PIN und Personalisierung im Gegensatz zu Bargeld Schutz vor Diebstahl.

Ihre konkrete bundesweite oder länderspezifische Ausgestaltung in Deutschland wird derzeit diskutiert. Ein Grund für die deutschen Pläne ist außerdem, die unter Asylbewerbern mitunter angewandte Praxis, die Überweisung von Geld in ihre Herkunftsländer, an Angehörige, zu unterbinden.

Deutschland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Bezahlkarte für Asylbewerber in Deutschland wird als Chipkarte aus Kunststoff im ISO-7810-Format ausgegeben. Die Karte ist auf der Rückseite mit einem Magnetstreifen versehen, der für die Abwicklung von Transaktionen wichtige Informationen enthält.

Versuch im Landkreis Erding 2016[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In einem frühen Projekt hatte der Landkreis Erding im Zuge der Flüchtlingskrise von 2015 nach untauglichen Versuchen mit Sachleistungsshops und Gutscheinen im Mai 2016 eine Bezahlkarte unter der Bezeichnung „Kommunalpass“ eingeführt, bei der Asylbewerbern Geldleistungen auf der Karte jeweils zum Monatsende gutgeschrieben wurden. Damit sollte in Geschäften bezahlt werden können, ohne dass Asylbewerber sich Bargeld auszahlen lassen konnten. Nach Anfangsschwierigkeiten und der Erkenntnis, dass Asylbewerber auch über Bargeld z. B. zur Bezahlung von Busfahrten zu Behörden verfügen müssen,[1] wurde ab 1. Juli 2016 dann auch eine Bargeldabhebung für bis zu 43 % des gutgeschriebenen Betrages an Bankautomaten ermöglicht.[2] Das System endete 2020, als der für die technische Abwicklung zuständige Dienstanbieter Wirecard Insolvenz anmeldete und der Landkreis zu Banküberweisungen zurückkehrte.[1]

Ab 2023[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im November 2023 einigten sich die Bundesländer, dass Asylbewerber künftig einen Teil der staatlichen Leistungen als Guthaben erhalten und nicht mehr als Bargeld.[3] Hintergrund ist, dass Asylbewerber vom Staat erhaltenes Geld mitunter an Angehörige ins Ausland überwiesen.[4][5][6][7] Durch die Verhinderung dessen soll ein Anreiz für Asylmissbrauch und Wirtschaftsmigration wegfallen.[7][6][8][9][10]

Am 14. November 2023 beschloss die Bayerische Staatsregierung, dass Bayern ein Bezahlkartensystem für Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz einführen soll, womit Bargeldleistungen weitestgehend ersetzt werden sollen.[11] Anders verhielt es sich mit einem Bezahlsystem für Asylbewerber in Hamburg, wo Mitte Februar 2024 bereits die ersten Karten ausgegeben wurden. Hier können Asylbewerber das Guthaben der Karte, anders als in Bayern geplant, auch als Bargeld abheben.[12][13]

Für Bayern, wo im März 2024 die Karte in vier Kommunen eingeführt werden soll, erklärte die Staatskanzlei, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen ausreichend seien.[12] Die europaweite Ausschreibung für das Bundesland Bayern gewann das Freisinger Unternehmen Paycenter.[14]

In Hannover ist die SocialCard im Einsatz, die optisch wie eine herkömmlichen Visa-Karte aussieht und dadurch eine Stigmatisierung durch die Bezahlkarte vermeiden soll.[15]

Asylbewerberleistungsgesetz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ob eine Änderung des Asylbewerberleistungsgesetz notwendig ist, ist umstritten. Die Grünen als Regierungspartei der Ampelkoalition halten sie nach entsprechenden Stellungnahmen vom Februar 2024 nicht für notwendig und verweisen auf die Einführung von Bezahlkarten in Hamburg und Bayern. Sie warnten vor einer Überregulierung.[16] Der Focus-Korrespondent Ulrich Reitz schrieb in einem Meinungsbeitrag, dass ohne eine Regelung auf Bundesebene Städte und Gemeinden, die eine solche Karte einführen, verklagt werden könnten, da die bislang gültige Asylgesetzgebung eine Bargeldausgabe als Regelfall vorschreibt.[17]

April 2024 wurde zwischen den Ampelparteien SPD, Grünen und der FDP ein Konsens über ein neues Gesetz zur Einführung einer Bezahlkarte für Geflüchtete erzielt. Diese Regelung soll es den Inhabern ermöglichen, damit Ausgaben wie Bustickets und Internetanschlüsse zu tätigen, während Überweisungen ins Ausland ausgeschlossen sind. Die Gesetzesinitiative, die nach monatelangen Diskussionen zustande kam, zielte darauf ab, Geldtransfers an Familienangehörige im Ausland und an Schleuser zu verhindern und den Ländern Rechtssicherheit für die Implementierung zu bieten.[7][18] Dieses Ziel wurde mit der am 12. April 2024 beschlossenen Gesetzesänderung nicht erreicht. Bargeldabhebungen müssen von Länder und Kommunen weiter regional reglementiert werden. Wie viel Bargeldabhebung den Asylbewerbern dabei mindestens erlaubt werden muss, bleibt in der Gesetzesregelung unklar. Das Risiko, dass Länder und Kommunen wegen der Möglichkeit zu niedriger Bargeldabhebung mit ihrer jeweiligen Karte verklagt werden, bleibt bestehen.[19]

Funktionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Karte soll die Auszahlung von Bargeld an Asylbewerber ersetzen. Ein Einsatz im Ausland, Karte-zu-Karte-Überweisungen und sonstige Überweisungen ins In- und Ausland sind nicht vorgesehen.[20]

Finnland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Jahr 2019 wechselte der finnische Migrationsservice Migri vom finnischen Bezahlkartenserviceanbieter Moni zu der Firma Prepaid Financial Services.[21]

Griechenland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seit 2021 wird die Unterstützungsleistung nicht mehr durch das UNHCR, sondern durch das griechische Ministerium für Migration und Asyl an Bezahlkarteninhaber geleistet. Mit der personalisierten Karte sind Barabhebungen an Bankautomaten möglich.[22]

Moldawien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Moldawien begann das Flüchtlingshilfswerk UNHCR im Jahr 2011 mit der Einführung einer Prepaid-Karte der BCR Chișinău. Die Karte berechtigte zu Abhebungen und zum Bezahlen von Produkten und Dienstleistungen und ersparte den Schutzsuchenden Fahrtkosten, die bei dem früheren System mit Auszahlungsstellen verbunden waren. Moldawien war das erste europäische Land, in dem das UNHCR für seine Unterstützung Bezahlkarten einführte.[23] Stand Januar 2024 wird eine Karte der MAIB-Bank für die Leistungen nach dem UNHCR-Programm eingesetzt.[24]

Ruanda[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mit Unterstützung des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen stellte das UNHCR seine Leistungen ab 2016 schrittweise auf Master-Card mit Konten bei der Kenya Equity Bank aus Ruanda um. Gebühren für die Kontoführung oder für Barauszahlungen gibt es für die Karteninhaber nicht. Mit den Karten sollen die Schutzsuchenden auch vor Betrug durch Personal der Flüchtlingslager geschützt werden.[25]

Vereinigtes Königreich[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Vereinigten Königreich wurde in 2017 die Asylum Support Enablement Card (ASPEN-Karte), eine grüne Prepaid-Visa-Card, auf welche die finanzielle wöchentliche Unterstützung des Home Office erfolgt, eingeführt. Die Verwaltung des Kartenservice erfolgt durch Sodexo. Karteninhaber können mit der ASPEN-Karte in allen Geschäften bezahlen, die Visa-Card akzeptieren. S95-Empfänger können Bargeldabhebungen tätigen, während S4-Empfänger davon ausgeschlossen sind.[26] Im Jahr 2021 beauftragte Home Office die Firma Predpaid Financial Services mit der weiteren Verwaltung des Kartenservice.[27]

Falschinformationen über Bezahlkarten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

2018 kursierten aufgrund von Facebook-Posts des rechtsextremen Blogs Politically Incorrect Fake News über UNHCR-Kreditkarten, die angeblich von dem US-Milliardär George Soros finanziert würden und es Flüchtlingen auf dem Balkan ermöglichen würden, auf ihren Zwischenstopps in osteuropäischen Ländern Geld abzuheben und Vorräte anzuhäufen.[28] 2019 machte die ungarische Regierung – auf der Grundlage eines manipulierten Bildes – Stimmung gegen die EU, die angeblich Flüchtlinge mit anonymen Kreditkarten versorgen würde.[29]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Florian Tempel: Landkreis Erding: Kommunal Pass vor dem Comeback. In: sueddeutsche.de. 6. November 2023, abgerufen am 5. April 2024.
  2. Unser Landkreis Erding: „Zehn Fragen an Landrat Bayerstorfer zum Kommunalpass des Landkreises Erding“ landkreis-erding.de vom Juli 2016
  3. Eine Bezahlkarte für Geflüchtete soll mögliche Anreize für illegale Zuwanderung senken. Die meisten Bundesländer haben sich auf Standards zur Karte geeinigt. Wie es jetzt weitergeht. wiwo.de, 31. Januar 2024, abgerufen am 13. Februar 2024.
  4. So viel Geld überweisen Geflüchtete und Migranten in ihre Heimat. In: capital.de. 8. Februar 2024, abgerufen am 5. April 2024.
  5. Die meisten Rücküberweisungen gehen nach Europa. In: Mediendienst Integration. Abgerufen am 5. April 2024.
  6. a b (S+) Bezahlkarte für Flüchtlinge: Funktioniert das überhaupt? In: Der Spiegel. 23. Februar 2024, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 5. April 2024]).
  7. a b c Behrens: „Bezahlkarte soll Bargeldabflüsse ins Ausland verhindern“. In: NDR. Abgerufen am 5. April 2024.
  8. Timm Ottenberg: FAQ: Bezahlkarte für Geflüchtete – wie funktioniert sie? In: Redaktionsnetzwerk Deutschland. 31. Januar 2024, abgerufen am 5. April 2024.
  9. Erste Erfahrungen mit der Bezahlkarte für Asylbewerber. In: mdr.de. Abgerufen am 5. April 2024.
  10. Bernd Müller: So viel Geld schicken Asylbewerber wirklich ins Ausland. In: telepolis.de. 28. Februar 2024, abgerufen am 5. April 2024.
  11. Bayern führt Bezahlkarten für Asylbewerber ein und ist damit Vorreiter. Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration, 14. November 2023, abgerufen am 20. Februar 2024: „Mit der Bezahlkarte können die Leistungsberechtigen ähnlich einer „EC-Karte“ in Geschäften bezahlen. Dabei wird die Nutzung jedoch verschiedenen Einschränkungen unterliegen. So sollen beispielsweise keine Überweisungen oder online-Käufe möglich sein, der Einsatzbereich kann bei Bedarf geografisch beschränkt oder bestimmte Händlergruppen ausgeschlossen werden. Barabhebungen sollen auf das rechtlich gebotene Minimum beschränkt werden. […] Geplant ist ein Start im Frühjahr 2024.“
  12. a b Bayern: Asyl-Bezahlkarte geht im März an den Start. In: sueddeutsche.de. 21. Februar 2024, abgerufen am 5. April 2024.
  13. Felix Durach: Bezahlkarten für Asylsuchende: Hamburg geht voran – Söder will nachziehen. In: merkur.de. 17. Februar 2024, abgerufen am 5. April 2024.
  14. Kirchner: Zuschlag für Bezahlkarte erteilt – Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration. In: stmi.bayern.de. Abgerufen am 5. April 2024.
  15. Bezahlkarte für Geflüchtete: Was soll sie bringen? In: ndr.de. 22. Februar 2024, abgerufen am 27. Februar 2024.
  16. Felix Hackenbruch: „Theoretische Debatte“: Grüne stemmen sich gegen bundesweite Bezahlkarte. In: tagesspiegel.de. 19. Februar 2024, abgerufen am 5. April 2024.
  17. Ulrich Reitz: Grüne blockieren Asyl-Bezahlkarte: Chaos offenbart zwei Grundübel der Ampel. In: Focus Online. 20. Februar 2024, abgerufen am 5. April 2024.
  18. Langer Streit beendet: Ampelkoalition einigt sich auf Gesetz zu Bezahlkarte für Geflüchtete. In: Der Spiegel. 5. April 2024, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 5. April 2024]).
  19. Die Bezahlkarte für Asylbewerber kommt – aber anders als von vielen erwartet. In: NZZ. 13. April 2024 (nzz.ch [abgerufen am 13. April 2024]).
  20. Bezahlkarte für Asylbewerber soll im Sommer kommen. tagesschau.de, 31. Januar 2024, abgerufen am 13. Februar 2024.
  21. Asylum seekers’ money transferred from Moni cards to PFS cards. In: thenomadtoday.com. 26. Juli 2019, abgerufen am 5. April 2024 (englisch).
  22. Access To Cash Assistance. pdf, UNHCR, aufgerufen am 29. Februar 2024.
  23. Liliana Pavlov: Vulnerable refugees get ATM cards under new UNHCR scheme. In: unhcr.org. 23. März 2011, abgerufen am 5. April 2024 (englisch).
  24. Cash assistance for refugees in Moldova. UNHCR, aufgerufen am 23. Februar 2024.
  25. Patrick Bigabo: In Rwanda, No More Cash but MasterCard for Refugees. In: ktpress.rw. 19. Oktober 2016, abgerufen am 5. April 2024 (englisch).
  26. ASPEN card guide. pdf. Refugee Council, August 2018.
  27. Diane Taylor: Thousands of asylum seekers go hungry after cash card problems. In: theguardian.com. 2. Juni 2021, abgerufen am 5. April 2024 (englisch).
  28. Patrick Gensing: Fake News über Bankkarten für Flüchtlinge. In: tagesschau.de. 21. November 2018, abgerufen am 5. April 2024.
  29. Patrick Gensing: Ungarns Regierung macht wieder Stimmung gegen die EU. In: tagesschau.de. 4. April 2019, abgerufen am 5. April 2024.