Bilophila wadsworthia

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Bilophila wadsworthia
Systematik
Abteilung: Pseudomonadota
Klasse: Deltaproteobacteria
Ordnung: Desulfovibrionales
Familie: Desulfovibrionaceae
Gattung: Bilophila
Art: Bilophila wadsworthia
Wissenschaftlicher Name der Gattung
Bilophila
Baronet al. 1990
Wissenschaftlicher Name der Art
Bilophila wadsworthia
Baronet al. 1990

Bilophila wadsworthia ist eine Spezies (Art) Gram-negativer, obligat anaerober Galle-resistenter Bakterien, die eine Katalase, aber kein Saccharolysin (auch Proteinase yscD genannt)[1] besitzen, also Katalase-positiv und asaccharolytisch sind. Ungefähr drei Viertel der Stämme von B. wadsworthia sind Urease-positiv. B. wadsworthia wird mit verschiedenen Krankheiten in Verbindung gebracht, ist aber aufgrund von häufigen Fehlidentifizierungen nur wenig bekannt. Die beiden charakteristischen Merkmale von B. wadsworthia sind die Nutzung der Aminosulfonsäure[A. 1] Taurin für die Produktion von Schwefelwasserstoff und die schnelle Katalasereaktion. Diese Bakterien sind empfindlich gegenüber den β-Laktam-Antibiotika Imipenem, Cefoxitin und Ticarcillin (ein Carboxypenicillin).

Die List of Prokaryotic names with Standing in Nomenclature (LPSN) ordnet die Gattung Bilophila dem Phylum Pseudomonadota (Proteobakterien) zu, das National Center for Biotechnology Information (NCBI) und die Genome Taxonomy Database (GTDB) aber dem Phylum Thermodesulfobacteriota (mit Synonym Desulfobacterota).

Beschreibung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Phänotyp und Morphologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Beispiel einer Gram-Färbung, die ein Gram-negatives Bakterium zeigt.

B. wadsworthia ist eine Spezies Gram-negativer, Katalase-positiver und über­wiegend auch Urease-positiver Bakterien.[2][A. 2] Die Zellen von B. wadsworthia sind etwa 0,7 μm breit und 1,0-10,0 μm lang, und die Zellen sind pleomorph mit unregelmäßigen Zellwänden.[3][4] Da B. wadsworthia in Standardmedien für Anaerobier nur langsam wächst, wird es oft mit anderen Anaerobiern verwechselt oder überhaupt nicht erkannt.[2] Das beste Erkennungsmerkmal für dieses Bakterium ist eine transparente Kolonie mit einem schwarzen Zentrum in Galle-Aesculin-Agar (englisch bile esculin agar, BBE-Agar); die schwarze Färbung des Zentrums kommt dabei von Eisen(II)-sulfid, das durch den vom Bakterium produzierten Schwefelwasserstoff entsteht.[2][4] Ein weiteres charakteristisches Merkmal von B. wadsworthia ist die positive Katalase-Reaktion mit einem 15%igen Wasserstoffperoxid-Reagenz. Diese Katalase-Reaktion verläuft sich von anderen Katalase-positiven Arten explosiv mit Blasenbildung und sehr schnell.[5] Die genaueste Methode zur Unterscheidung dieses Bakteriums von anderen ähnlichen Arten ist die Gas-Flüssigkeits-Chromatographie (englisch gas liquid chromatography, GLC): GLC-Ergebnisse zeigen viele Essigsäure-und wenig Bernsteinsäure-Peaks. B. wadsworthia ist unbeweglich (nicht motil) und bildet auch keine Sporen, es hat unregelmäßige Zellwände und keine Geißeln.[3] Zwei Faktoren, die sein Wachstum stimulieren, sind Galle und Pyruvat (20 % Galle und 1 % Pyruvat).[4]

Stoffwechsel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einer der wichtigsten Prozesse, die in B. wadsworthia ablaufen, ist die Produktion von Schwefelwasserstoff, dem Produkt, das für den charakteristischen schwarzen Punkt der Kolonien dieses Bakteriums verantwortlich ist.[6] B. wadsworthia ist in der Lage, Schwefelwasserstoff über seinen Taurin-Desulfonierungsweg mithilfe der Isethionat-Sulfit-Lyase (IslA) zu produzieren.[6] Das Bakterium wandelt Taurin in Schwefelwasserstoff um, „veratmet“ gewissermaßen das Taurin[6] Die Produktion von Schwefelwasserstoff durch das menschliche Darm-Mikrobiom („Darmflora“) in geringem Maß hat einige Vorteile, wie z. B. den Schutz des Herzens,[A. 3] die übermäßige Schwefelwasserstoffproduktion trägt aber auch zur Pathologie von Krankheiten bei; beispielsweise wird sie mit dem Reizdarmsyndrom (RDS, spanisch irritable bowel disease, IBD) Verbindung gebracht, da sie die Schleimschicht des Darmepithels schädigt. Sie steht sogar in Verbindung zu Darmkrebs (englisch colorectal cancer).[6] Darüber hinaus kann Schwefelwasserstoff bei der Behandlung mit Antibiotika das Wachstum opportunistischer Bakterien fördern, was zu Antibiotikaresistenz führen kann.[6] Künftige Forschung zur Kontrolle der Schwefelwasserstoffproduktion könnte helfen, den Beitrag von B. wadsworthia zu diesen Krankheiten zu untersuchen.

Kultivierung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die folgenden beiden Kultivierungsmöglichkeiten wurden beschrieben:

B. wadsworthia muss mindestens 3 Tage lang auf BBE-Agar bebrütet werden, damit sich Kolonien bilden. Es erscheinen zwei Arten von Kolonien. Eine konvexe und unregelmäßige Kolonie mit 1-2 mm Durchmesser und schwarzem Zentrum oder eine durchscheinende, kreisförmige Kolonie mit dunklem Zentrum.[5] BBE-Agar ist der optimale Agar für das Wachstum von Kolonien der Spezies B. wadsworthia.[4][2]
B. wadsworthia muss mindestens 4 Tage lang auf Brucella-Agar bebrütet werden. Die Kolonien haben einen Durchmesser von 0,6-0,8 mm und erscheinen grau und durchscheinend mit einer erhabenen, kreisförmigen Morphologie.[4][2]

Vorkommen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

B. wadsworthia wird vor allem im unteren Verdauungstrakt (Gastrointestinaltrakt) nachgewiesen.[2] Die Spezies gilt von ihrer Natur her als krankmachend (virulent), da sie häufig bei Patienten mit (insbes. perforierter oder gangränöser) Appendizitis („Blinddarmentzündung“, „Blinddarmdurchbruch“ etc.) und in Blutkulturen von Patienten mit Leberabszessen gefunden wird. Es ist das dritthäufigste anaerobe Bakterium, das bei Patienten mit Appendizitis gefunden wird.[2][4][5] Man findet sie aber auch in Stuhlproben gesunder Patienten.[2][4] Außer beim Menschen wurde diese Bakterienart auch bei Hunden mit Parodontalerkrankungen gefunden. In seltenen Fällen kann es in Speichel- und Vaginalproben gefunden werden.[2][4]

Andere Umstände, unter denen B. wadsworthia nachgewiesen oder isoliert wurde, sind:

Entdeckung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

B. wadsworthia wurde erstmals 1988 von Ellen Jo Baron identifiziert,[9] damals Leiterin des Forschungslabors für klinische anaerobe Bakteriologie am V.A. Wadsworth Medical Center (dem heutigen West Los Angeles VA Medical Center[10], V.A. oder VA = Veterans Administration); von ihr stammen auch die gültige Erstbeschreibung und der Name. Das Bakterium wurde in Proben von Patienten mit gangränöser und perforierter Appendizitis („Blinddarmdurchbruch“); es wurde schon damals aber auch in gesunden Stuhlproben gefunden.[2]

Genom[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ds Genom des Referenzstamms WAL 7959 (alias ATCC 49260) von B. wadsworthia hat einen G+C-Gehalt von 39-40 mol%.[4]

Systematik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Gattung Bilophila gehört nach übereinstimmender Ansicht zur Familie Desulfovibrionaceae der Ordnung Desulfovibrionales, die ihrerseits gemäß der (autoritativen) List of Prokaryotic names with Standing in Nomenclature (LPSN) Mitglied der Klasse Delta­proteo­bacteria im Phylum Pseudomonadota (früher genannt Proteobakterien) ist.[11][A. 4]

Die Gattung Bilophila ist – abgesehen von der 2021 vorgeschlagenen Kandidatenspezies B. faecipullorum monophyletisch in der Typusart B. wadsworthia. Ihre Systematik ist gemäß

mit Stand 16. Dezember 2023 wie folgt:

  • Gattung Bilophila Baron et al. 1990(L,N,G)
    • Spezies Bilophila wadsworthia Baron et al. 1990 (Typus)(L,N,G)
      • Stamm ATCC 49260(L,N,G) alias 7959, WAL 7959 oder CCUG 32349(L,N) (Referenz)(L,N,G) (AJ867049.1, NZ_JNJP00000000.1, GCA_000701705.1)
      • Stämme 3_1_6; AC2_8_11_AN_D5_FAA_1; ATCC 49260;(N) Gw_UH_bin_233(G), …
    • Spezies „Candidatus Bilophila faecipullorum“ Gilroy et al. 2021(L,N,G)
      • Stamm ChiSxjej5B17-1746(L,N) (Referenz)(L)
      • Stamm BRZ_GK__bin17(N,G) (Referenz)(G)
    • Spezies Bilophila sp023403845(G) syn. Pseudomonadota bacterium isolate OH_HFB_162(N)
      • Stamm OH_HFB_162(G,N) (Referenz)(G)
    • Spezies Bilophila sp900550745(G) syn. Uncultured Desulfovibrio sp. isolate UMGS1330(N)
      • Stamm UMGS1330(G,N) (Referenz)(G)
      • Stamm SRR5580335-bin.16 (G,N)
    • Spezies Bilophila sp900553145(G) syn. Uncultured Desulfovibrio sp. isolate UMGS1582(N)
      • Stamm UMGS1582(G,N) (Referenz)(G)
    • Spezies Bilophila sp902373525(G) syn. Uncultured Bilophila sp. isolate MGYG-HGUT-01277(N)
      • Stamm MGYG-HGUT-01277(G,N) (Referenz)(G)
      • Stämme ERR1190871-bin.54; OH_HBlB_167(G,N)
    • Spezies Bilophila sp910585945(G) syn. Uncultured Bilophila sp. isolate MGBC136875(N)
      • Stamm MGBC136875(G,N) (Referenz)(G)
    • Spezies Bilophila sp. 4_1_30(N)
    • Spezies Bilophila sp. PS240(N)
    • Spezies Bilophila sp. S375(N)

Etymologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Gattungsname Bilophila wurde aufgrund der gallenliebenden Natur der Typusspezies B. wadsworthia und ihrer optimaler Kultivierung auf BBE-Agar (englisch bile esculin agar) verliehen.[5] lateinisch bilis, englisch bile, deutsch ‚Galle‘; altgriechisch φίλος philos, deutsch ‚liebend‘, Bilophila ist die feminine Form von ‚gallenliebend‘ (‚die Gallenliebende‘).[11]

  • Das Art-Epitheton wadsworthia (neulateinisch zu ‚Wadsworth gehörend‘, ‚von Wadsworth‘) verweist auf die Wadsworth Anaerobe Laboratories des Wadsworth Veterans Administration Medical Centers, wo diese Spezies zuerst isoliert wurde.[11]
  • Das Art-Epitheton faecipullorum kommt von lateinisch faex Exkrement (Genitiv faecis) und lat. pullus ‚junges Huhn‘, ‚Kücken‘ (Genitiv Plural pullorum). faecipullorum bedeutet also ‚Exkremente von Hühnerkücken‘ (im Genitiv).[11]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Aminosulfonsäuren sind Aminosäuren, die statt der gewöhnlichen Aminocarbonsäuren eine Sulfonsäure- statt der üblichen Carbonsäure-Gruppe haben.
  2. Obwohl die meisten Stämme Urease-positiv sind, gibt es einige, die Urease-negativ sind.
  3. Zur schützenden Wirkung einer geringen H2S-Konzentration siehe auch Ca. Taurinivorans muris“.
  4. In der Genome Taxonomy Database (GTDB) sind die Desulfovibrionales dagegen in einer eigenen Klasse Desulfovibrionia im Phylum Desulfobacterota angesiedelt.[12] In der Taxonomie des National Center for Biotechnology Information (NCBI) werden die Desulfovibrionales ebenfalls in der Klasse Desulfovibrionia gesehen, das Phylum wird dort als Thermodesulfobacteriota (mit Synonym Desulfobacterota) bezeichnet.[13]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. ENZYME entry: EC 3.4.24.37. Auf Expasy.
  2. a b c d e f g h i j k l Ellen Jo Baron: Bilophila wadsworthia: a Unique Gram-negative Anaerobic Rod. In: Anaerobe. 3. Jahrgang, Nr. 2–3, April 1997, ISSN 1075-9964, S. 83–86, doi:10.1006/anae.1997.0075, PMID 16887567 (englisch).
  3. a b Mary Jo Kasten, Jon E. Rosenblatt, Daniel R. Gustafson: Bilophila wadsworthia bacteremia in two patients with hepatic abscesses. In: Journal of Clinical Microbiology. 30. Jahrgang, Nr. 9, September 1992, ISSN 0095-1137, S. 2502​–2503, doi:10.1128/JCM.30.9.2502-2503.1992, PMID 1401025, PMC 265535 (freier Volltext) – (englisch).
  4. a b c d e f g h i Ellen Jo Baron, Paula H. Summanen, J. Downes, Marilyn C. Roberts, Hannah Wexler, Sydney Martin Finegold: Bilophila wadsworthia, gen. nov. and sp. nov., a Unique Gram-negative Anaerobic Rod Recovered from Appendicitis Specimens and Human Faeces. In: Microbiology. 135. Jahrgang, Nr. 12, 1. Dezember 1989, ISSN 1350-0872, S. 3405​–3411, doi:10.1099/00221287-135-12-3405, PMID 2636263 (englisch).
  5. a b c d e f Paula H. Summanen, Hannele Jousimies-Somer, S. Manley, David A. Bruckner, M. Marina, Ellie J. C. Goldstein, Sydney Martin Finegold: Bilophila wadsworthia Isolates from Clinical Specimens. In: Clinical Infectious Diseases. 20. Jahrgang, Supplement_2, 1. Juni 1995, ISSN 1537-6591, S. S210–S211, doi:10.1093/clinids/20.supplement_2.s210, PMID 1629348, PMC 265400 (freier Volltext) – (englisch).
  6. a b c d e Spencer C. Peck, Karin Denger, Anna Burrichter, Stephania M. Irwin, Emily P. Balskus, David Schleheck: A glycyl radical enzyme enables hydrogen sulfide production by the human intestinal bacterium Bilophila wadsworthia. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. 116. Jahrgang, Nr. 8, 4. Februar 2019, ISSN 0027-8424, S. 3171–3176, doi:10.1073/pnas.1815661116, PMID 30718429, PMC 6386719 (freier Volltext) – (englisch).
  7. Osteomyelitis - Symptoms and causes. In: Mayo Clinic. 8. November 2022, abgerufen am 15. Dezember 2023 (englisch).
  8. Hidradenitis suppurativa - Symptoms and causes. In: Mayo Clinic. 6. Juni 2023, abgerufen am 15. Dezember 2023 (englisch).
  9. Betty A. Forbes: Biographical Feature: Ellen Jo Baron, M.S., Ph.D. In: Journal of Clinical Microbiology. 56. Jahrgang, Nr. 11, 2018, doi:10.1128/JCM.01392-18, PMID 30185511, PMC 6204666 (freier Volltext) – (englisch).
  10. VA Greater Los Angeles health care.
  11. a b c d e LPSN: Genus Bilophila Baron et al. 1990.
  12. a b GTDB: Bilophila (gen.).
  13. a b NCBI Taxonomy Browser: Bilophila, Details: Bilophila Baron et al. 1990 (genus).