Biozid

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Biozide (abgeleitet von altgriechisch βίος bios, deutsch ‚Leben‘ und lateinisch caedere ‚töten‘) sind im nicht-agrarischen Bereich eingesetzte Chemikalien oder Mikroorganismen zur Bekämpfung von Schädlingen (wie Ratten, Insekten, Pilze, Mikroben), also beispielsweise Desinfektionsmittel, Rattengifte oder Holzschutzmittel. Teilweise werden die Wirkstoffe in Bioziden auch als Wirkstoffe in Pflanzenschutzmitteln (PSM) verwendet. Der Unterschied ist, dass Biozide dafür gedacht sind, die Gesundheit und die Produkte des Menschen zu schützen, während Pflanzenschutzmittel Pflanzen (auch geerntete) schützen sollen. Damit sind auch Art und Ort der Verwendung unterschiedlich (am Menschen bzw. in seinem Haus – auf dem Feld bzw. im Gewächshaus und Lager).[1]

Definition[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Biozidprodukte unterliegen in der Europäischen Union der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 (Biozid-Verordnung).[2] Diese definiert in Artikel 3 Absatz 1 a) Biozidprodukte als:

„jeglichen Stoff oder jegliches Gemisch in der Form, in der er/es zum Verwender gelangt, und der/das aus einem oder mehreren Wirkstoffen besteht, diese enthält oder erzeugt, der/das dazu bestimmt ist, auf andere Art als durch bloße physikalische oder mechanische Einwirkung Schadorganismen zu zerstören, abzuschrecken, unschädlich zu machen, ihre Wirkung zu verhindern oder sie in anderer Weise zu bekämpfen“

und

„jeglichen Stoff oder jegliches Gemisch, der/das aus Stoffen oder Gemischen erzeugt wird, die selbst nicht unter den ersten Gedankenstrich fallen und der/das dazu bestimmt ist, auf andere Art als durch bloße physikalische oder mechanische Einwirkung Schadorganismen zu zerstören, abzuschrecken, unschädlich zu machen, ihre Wirkung zu verhindern oder sie in anderer Weise zu bekämpfen.“

Produkte, die beim Anbau von Pflanzen verwendet werden, werden nicht als Biozide, sondern als Pflanzenschutzmittel bezeichnet.[3] Biozide werden auch „nichtlandwirtschaftliche Pestizide“ genannt.

Beispiele für biozide Anwendungen sind
In der Klimatechnik werden Biozide gegen Mikroorganismen dem Wasserkreislauf zugesetzt. Damit wird eine Verkeimung des Rückkühlwerks verhindert. Farben für Fassaden- und Schiffsanstriche enthalten sogenannte Antifoulings, um Schädlingsbefall der gestrichenen Flächen zu verhindern. Holzschutzmittel enthalten häufig sowohl Insektizide als auch Fungizide. Textilien werden u. a. mit Mikrobiziden ausgerüstet. Durch Zugabe von so genannten Topfkonservierungsmitteln (englisch in-can preservatives) wird verhindert, dass sich flüssige Wasch- und Reinigungsmittel sowie Farben und Lacke mikrobiell zersetzen. Eine wichtige Substanzgruppe bei den Topfkonservierungsmitteln sind die Isothiazolinone.

Einteilung nach Produktarten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die EU-Verordnung Nr. 528/2012 über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten[4] bzw. die schweizerische Biozidprodukteverordnung[5] definieren vier Hauptgruppen: Desinfektionsmittel, Materialschutzmittel, Schädlingsbekämpfungsmittel sowie eine kleine Gruppe 'Sonstige' (Antifoulingmittel, Leichen- / Tierkörperpräparationsmittel). Die vier Hauptgruppen sind in 22 Biozid-Produktarten (bzw. -typen, PT) unterteilt[6] (Die Biozid-Richtlinie 98/8/EG kannte 23 PT, aber PT 20, „Schutzmittel für Lebens- und Futtermittel“, wurde gestrichen, und die vorherige PT 23 wird neu als Produktart 20 geführt).

Gruppe Definition aus Verordnung
Hauptgruppe 1 Desinfektionsmittel und allgemeine Biozid-Produkte
Produktart 1 Biozid-Produkte für die menschliche Hygiene
Produktart 2 Desinfektionsmittel für den Privatbereich und den Bereich des öffentlichen Gesundheitswesen sowie andere Biozid-Produkte
Produktart 3 Biozid-Produkte für die Hygiene im Veterinärbereich
Produktart 4 Desinfektionsmittel für den Lebens- und Futtermittelbereich
Produktart 5 Trinkwasserdesinfektionsmittel
Hauptgruppe 2 Schutzmittel
Produktart 6 Topf-Konservierungsmittel
Produktart 7 Beschichtungsschutzmittel
Produktart 8 Holzschutzmittel
Produktart 9 Schutzmittel für Fasern, Leder, Gummi und polymerisierte Materialien
Produktart 10 Schutzmittel für Mauerwerk
Produktart 11 Schutzmittel für Flüssigkeiten in Kühl- und Verfahrenssystemen
Produktart 12 Schleimbekämpfungsmittel
Produktart 13 Schutzmittel für Metallbearbeitungsflüssigkeiten
Hauptgruppe 3 Schädlingsbekämpfungsmittel
Produktart 14 Rodentizide
Produktart 15 Avizide
Produktart 16 Molluskizide
Produktart 17 Fischbekämpfungsmittel
Produktart 18 Insektizide, Akarizide und Produkte gegen andere Arthropoden
Produktart 19 Repellentien und Lockmittel
Produktart 20 Produkte gegen sonstige Wirbeltiere
Hauptgruppe 4 Sonstige Biozid-Produkte
Produktart 21 Antifouling-Produkte
Produktart 22 Flüssigkeiten zur Einbalsamierung und Taxidermie

Einteilung nach Zielorganismen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zulassung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seit Erlass der EU-Biozid-Richtlinie 1998 müssen Biozidprodukte zugelassen werden.[7] Das Verfahren ist zweistufig:

  1. Wirkstoff-Genehmigung: jeder Wirkstoffe, für den ein Hersteller dies beantragt und unterstützt, wird in einem gemeinsamen Verfahren aller EU-Mitgliedstaaten (MS) geprüft – für jeden Produkttyp (PT) einzeln – und die „Unionsliste“ der Wirkstoffe erstellt.[8]
  2. Produkt-Zulassung: Biozidprodukte mit diesen Wirkstoffen müssen dann das nationale Zulassungsverfahren durchlaufen und z. B. ihre Wirksamkeit, Reinheit und die Kontrollierbarkeit ihrer Nebenwirkungen nachweisen.[9] Nachdem ein Land (MS) ein Produkt zugelassen hat, müssen die anderen Länder, in denen der Hersteller einen Antrag stellt, diese Erstzulassung „anerkennen“ (übernehmen). Im Zuge der Einführung der EU-Verordnung Nr. 528/2012 ist es erstmals möglich, für gewisse Produktarten Unionszulassungen zu beantragen, d. h., die Zulassung gilt dann im gesamten EWR sowie in der Schweiz.[10]

Abgeschlossen werden soll das Wirkstoffverfahren 2024,[11] so dass sich noch viele, für die Verwendung (PT) noch nicht genehmigte Wirkstoffe auf dem Markt befinden dürfen. Für diese „Altwirkstoffe“ gelten Übergangsregeln.[12]

In Deutschland wird die Risikobewertung für Biozide durch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) durchgeführt, welche von Gesetzen gefordert wird.[13][14]

Wirkungsweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Biozide lassen sich in elektrophile, lytische und oxidierende Wirkstoffe einteilen. Elektrophile Biozide wie Glutaraldehyd, Isothiazolinone, Oxazolidine, Bronopol und DBNPA reagieren mit nukleophilen funktionellen Gruppen wie -SH (Thiol) und -NH (Amin). Dadurch werden z. B. die Amino- und Nukleinsäuren vernetzt, wodurch das Cytoplasma verklumpt. Lytische Biozide wie Quartäre Ammoniumverbindungen und Phosphonium-Verbindungen stellen amphiphile Tenside dar und lösen die Zellmembran auf. Auch Ethanol und Aldehyde wirken gegen die Zellmembran. Oxidierende wie Chlordioxid, Natriumhypochlorit oder Peroxyessigsäure zerstören die Zelle durch Bildung freier Radikale.[15][16]

Synergieeffekte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weil fast alle Biozide Wirkungslücken gegen bestimmte Organismen aufweisen, werden häufig Wirkstoffe aus zwei verschiedenen Klassen kombiniert. Einige Kombinationen sind jedoch chemisch unverträglich: Oxidierende Biozide lassen sich nicht mit reduzierenden, wie Carbamaten oder Thionen, kombinieren.[17]

Minimale Hemmkonzentrationen (MIC) wichtiger Biozide[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Angaben in ppm[18]

Kurzform des Biozids Biozid Alternaria alternata Schwarzer Gießkannenschimmel
(Aspergillus niger)
Trichoderma viride Aureobasidium pullulans Chaetomium globosum Cladosporium cladosporioides Sclerophoma pityophila Penicillium glaucum Pseudomonas aeruginosa Staphylococcus aureus
OBPA 10,10′-Oxybisphenoxoarsin 10 10 10 10 10 10 10 10 10 10
OIT Octylisothiazolinon 1,5 5 0,5 10 2,5 500 10
DCOIT Dichloroctylisothiazolinon 10 5 100 50 5 5 100 15 13 5
BBIT Butylbenzisothiazolinon 2 31 32 4 0,5 0,5 5 500 2
IPBC Iodocarb 2 2 100 1 5 2 1 1 200
Zink-Pyrithion 7,5 100 50 15 20 5 5 50 400 <10
Triclosan >100 0,01
Silber-Ionen 0,003 0,008 0,008
Silber 500 500 500 62,5 350

Mengen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Schweiz wurden für 2011 folgende Verbrauchsmengen an bioziden Wirkstoffen ermittelt:[19][20]

Biozide und Tierschutz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Einsatz von Bioziden steht per Definition in einem Spannungsverhältnis zu den Forderungen des Tierschutzes. Dieses lässt sich auflösen, indem nach Wegen gesucht wird, Schadorganismen fernzuhalten statt zu vernichten. Ein weiterer, noch junger Ansatz sind ökoneutrale Biozide, bei welchen der Hersteller für den Eingriff in eine Tierpopulation einen Ausgleich schafft.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wiktionary: Biozid – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wikisource: Vögelvergiftung – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Vorlesung zur Biozid-Produkte-Zulassung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). (PDF) TU Dortmund
  2. Was ist ein Biozid? In: REACH-CLP-Biozid Helpdesk. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, abgerufen am 1. November 2020.
  3. Biozide und Pflanzenschutzmittel. In: Umweltprobenbank des Bundes. Umweltbundesamt, abgerufen am 1. November 2020.
  4. Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten in der konsolidierten Fassung vom 25. April 2014
  5. Verordnung über das Inverkehrbringen von und den Umgang mit Biozidprodukten (Biozidprodukteverordnung, VBP). Anhang 10. (Schweiz)
  6. Produktarten entsprechend Anhang V der EU-Biozidverordnung. Europäische Chemikalienagentur (ECHA)
  7. Richtlinie 98/8/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten
  8. Genehmigte Wirkstoffe. In: REACH-CLP-Biozid Helpdesk. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, abgerufen am 1. November 2020.
  9. Bereits zugelassene Biozidprodukte, BAuA Dortmund
  10. Biozide Wirkstoffe. Anmeldestelle Chemikalien, abgerufen am 22. Februar 2017.
  11. Verordnung (EU) Nr. 736/2013 der Kommission vom 17. Mai 2013 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 … hinsichtlich der Laufzeit des Arbeitsprogramms zur Prüfung alter biozider Wirkstoffe
  12. Übergangsregelungen für Altwirkstoffe. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 14. September 2016; abgerufen am 22. Februar 2017.
  13. Risikobewertung von Bioziden - BfR. Abgerufen am 1. August 2021.
  14. Rechtliche Grundlagen im Bereich Biozidprodukte – BfR. Abgerufen am 1. August 2021.
  15. Genevieve A. Kahrilas, Jens Blotevogel, Philip S. Stewart, Thomas Borch: Biocides in Hydraulic Fracturing Fluids: A Critical Review of Their Usage, Mobility, Degradation, and Toxicity. In: Environmental Science & Technology. 10. Dezember 2014, doi:10.1021/es503724k.
  16. S.P. Denyer, G.S.A.B. Stewart: Mechanisms of action of disinfectants. In: International Biodeterioration & Biodegradation. Band 41, Nr. 3-4, Januar 1998, S. 261–268, doi:10.1016/S0964-8305(98)00023-7 (marineecology.wcp.muohio.edu [PDF]).
  17. Christopher J. Nalepa, Terry M. Williams: The science and technology of industrial water treatment. CRC Press, Boca Raton FL 2010, ISBN 978-1-4200-7145-0, Biocides: Selection and Application, S. 403.
  18. Nobuyuki Nakajima: Biocides in Plastics: Rapra Review Report 180. Smithers Rapra Press, 2008, ISBN 978-1-85957-512-3, S. 3 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  19. Thomas Kupper: Biozid-Produkte für die Hygiene im Veterinärbereich (Memento vom 2. April 2015 im Internet Archive), 2013.
  20. Michael Burkhardt, Conrad Dietschweiler: Mengenabschätzung von Bioziden in Schutzmitteln in der Schweiz. 2013.