Birthday effect

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Der Birthday effect (deutsch Geburtstagseffekt)[1] ist ein statistisches Phänomen, bei dem die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person stirbt, an oder nahe ihrem Geburtstag zuzunehmen scheint.

Der Effekt wurde in Studien an der Allgemeinbevölkerung in England und Wales,[2] der Schweiz,[3][4] Ukraine,[5] und den Vereinigten Staaten,[6][7] sowie an kleineren Populationen wie zum Beispiel Spielern der Major League Baseball festgestellt.[8] Jedoch zeigen die Studien diesen Effekt nicht durchgängig; einige stellen fest, dass die Sterblichkeitsraten von Männern und Frauen im Vorfeld des Geburtstags divergieren,[6] während andere keinen signifikanten geschlechtsspezifischen Effekt feststellen.[9][10] Hypothesen zur Erklärung des Phänomens beziehen sich auf den erhöhten Alkoholkonsum beziehungsweise psychischen Stress im Zusammenhang mit dem Geburtstag, ein erhöhtes Suizid-Risiko, eine erhöhte Mortalitätssalienz, einen physiologischen Zyklus, der den Körper jährlich schwäche sowie unheilbar kranke Patienten, die versuchen, bis zu ihrem Geburtstag durchzuhalten. Es wurde auch die Vermutung geäußert, dass es sich um ein statistisches Artefakt handeln könnte, vielleicht als Ergebnis von Anomalien der Meldung von Todesfällen, jedoch wurde der Effekt auch in Studien beobachtet, die bekannte Anomalien in der kontrollierten.[6][8]

Untersuchungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mit der Einführung von Statistiksoftware, die große Datenmengen leicht verarbeiten kann, wurden mehrere große Studien durchgeführt, um zu untersuchen, ob Geburtstage einen Einfluss auf die Sterblichkeit haben. Für die erste groß angelegte Studie wurden die Daten von 2.745.149 Kaliforniern verwendet, die zwischen 1969 und 1990 starben. Nach Korrektur von Störfaktoren wie jahreszeitlich bedingten Todesfällen, elektiven Operationen und am 29. Februar geborenen Personen wurde bei Männern ein signifikanter Anstieg der Sterbefälle in der Woche vor dem Geburtstag und bei Frauen in der Woche nach dem Geburtstag festgestellt – in beiden Fällen erreichte die Sterblichkeit ihren Höhepunkt nicht am Geburtstag, sondern in dessen Nähe. Dieser Effekt war in allen Alters- und Ethnienkohorten gleich.[6]

Eine ähnliche Studie unter 12.275.033 Schweizern ergab die höchste Sterblichkeit am tatsächlichen Geburtstag (17 % über dem erwarteten Wert); der Effekt war bei den über 80-Jährigen am größten.[3] Eine andere Studie mit Schweizer Daten ergab eine Überschreitung von 13,8 % und konnte dies mit bestimmten Ursachen in Verbindung bringen: Herzinfarkt und Schlaganfall (vorwiegend bei Frauen) und Suizid und Unfälle (vorwiegend bei Männern) sowie eine Zunahme der Krebstodesfälle.[4] Unter den 25 Millionen Amerikanern, die zwischen 1998 und 2011 starben, starben 6,7 % mehr Menschen als erwartet an ihrem Geburtstag; der Effekt war an den Wochenenden und bei jungen Menschen am stärksten ausgeprägt – bei den 20- bis 29-Jährigen betrug die Überschreitung mehr als 25 %.[7] Eine noch größere Überschreitung wurde bei der Bevölkerung von Kiew festgestellt, wo sich zwischen 1990 und 2000 unter Männern 44,4 % mehr Todesfälle als erwartet und bei den Frauen 36,2 % mehr als erwartet am Geburtstag ereigneten.[5] Kleinere Studien haben auch einen Geburtstagseffekt innerhalb von Teilpopulationen gezeigt, z. B. bei Spielern der Major League Baseball (MLB)[8] und Personen mit Einträgen in der Encyclopedia of American History.[6]

Große Studien, die sich allein auf Suizidfälle konzentrieren, haben Hinweise auf einen Höhepunkt der Zahl der Suizide an oder kurz nach einem Geburtstag in Dänemark[11] und Ungarn[12] gefunden, nicht aber in Bayern[13] oder Taiwan.[13]

Eine Studie hat ergeben, dass das Selbstmordrisiko für Männer an ihrem Geburtstag größer sein kann.[14]

Andere Studien haben jedoch keine solche Korrelation festgestellt. Eine Studie an der Bevölkerung Dänemarks und Österreichs (insgesamt 2.052.680 Todesfälle über den gewählten Zeitraum) ergab, dass die Lebensdauer zwar tendenziell mit dem Geburtsmonat korreliert, es aber keinen konsistenten Geburtstagseffekt gibt, und dass Menschen, die im Herbst oder Winter geboren wurden, eher in den Monaten sterben, die weiter von ihrem Geburtstag entfernt sind.[9] Eine Studie, die alle Krebstodesfälle in Deutschland von 1995 bis 2009 untersuchte, fand keinen Hinweis auf einen Geburtstagseffekt, wohl aber auf einen verwandten „Weihnachtseffekt“.[10] Eine kleine Studie von Leonard Zusne fand Geburtstagseffekte sowohl bei männlichen als auch bei weiblichen Kohorten, wobei Frauen mit größerer Wahrscheinlichkeit unmittelbar vor und Männer mit größerer Wahrscheinlichkeit unmittelbar nach ihrem Geburtstag starben. Bei einer Durchschnittsbetrachtung der Gesamtbevölkerung wurde aber kein Geburtstagseffekt festgestellt.[15] Das Gleiche wurde bei einer Studie über Sterblichkeitsdaten in England und Wales festgestellt, bei der ein statistisch signifikanter Geburtstagseffekt bei jeder Untergruppe (Männer und Frauen; nie verheiratet, verheiratet, geschieden und verwitwet), aber nicht bei der Gesamtbevölkerung festgestellt wurde.[2]

Erklärungsansätze[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Alkoholkonsum[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Geburtstagsfeiern sind oft mit einem starken Anstieg des Alkoholkonsums verbunden. Rauschtrinken kann das Sterberisiko einer Person durch Alkoholvergiftung, Unfälle und Trunkenheit am Steuer sowie durch die Verschlimmerung bestehender Erkrankungen und ein erhöhtes Suizid-Risiko erhöhen.[5][12] In den Vereinigten Staaten, wo das gesetzliche Mindestalter für Alkoholkonsum bei 21 Jahren liegt, ist die Sterblichkeitsrate am 21. Geburtstag und am Tag danach sehr hoch, was fast ausschließlich auf einen Anstieg der Unfälle zurückzuführen ist.[16][17]

Psychosomatische/psychologische Effekte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es wurden zwei einander widersprechende Erklärungen vorgebracht, die sich auf psychosomatische Effekte stützen. Einerseits bietet ein Geburtstag ein festes Datum, auf das man sich konzentrieren kann und das unheilbar Kranken ermöglichen kann, bis zu diesem Tag durchzuhalten. Andererseits erinnert ein Geburtstag auch an die Sterblichkeit und bietet die Gelegenheit, auf das eigene Leben zurückzublicken.[6][18] Nach der Terror-Management-Theorie verursacht dies Stress, der den Tod beschleunigen kann. Die ungleiche Verteilung der Sterblichkeitsrate zwischen Männern und Frauen sowie zwischen erfolgreicheren und weniger erfolgreichen Baseballspielern deutet darauf hin, dass beides beim Geburtstagseffekt eine Rolle spielen könnte: Menschen, die sich auf die öffentliche Sphäre des Lebens konzentriert haben (z. B. karriereorientierte Menschen oder Berufssportler), werden möglicherweise daran erinnert, dass ihre erfolgreichen Tage vorbei sind, während diejenigen, die eher in der privaten Sphäre gelebt haben (z. B. Hausfrauen und Amateursportler), sich stärker bewusst sind, was sie mit dem Tod verlieren werden, und versuchen, sich dem Tod zu widersetzen.[6][8][18] Damit verbunden ist der „Effekt des gebrochenen Versprechens“, bei dem eine Person, die unter Suizidgedanken leidet, bis zu einem Geburtstag oder einem anderen bedeutenden Ereignis wartet, um zu sehen, ob sich ihre Lebensumstände verbessern werden.[12]

Das psychosomatische/psychologische Modell würde auch den ähnlichen Anstieg der Krebstodesfälle rund um Feiertage wie Weihnachten erklären,[10] und wird durch die Tatsache gestützt, dass solche Phänomene kulturabhängig zu sein scheinen – es gibt einen Pessach-Effekt bei der jüdischen Gemeinschaft und einen Mittherbstfest-Effekt bei den Chinesen.[6][18]

Körperliche Effekte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es wurde die Vermutung angestellt, dass der Körper neben der circadianen Rhythmik auch einen jährlichen biologischen Rhythmus hat. Vaiserman et al. haben die Vermutung geäußert, dass die klimatischen Bedingungen bei der Geburt als Zeitgeber wirken, der inneren Stress auslöst und das Sterberisiko erhöht[5].

Statistische Effekte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei der Verarbeitung von Sterbeurkunden ist es möglich, die Felder für das Geburts- und das Sterbedatum zu verwechseln, wodurch sich die Zahl der Urkunden, in denen diese übereinstimmen, erhöhen würde.[6] Außerdem werden in Fällen, in denen das genaue Datum nicht bekannt ist, häufig der 1. und der 15. des Monats als Platzhalter verwendet,[19] was zu einem Überschuss an Geburten und Sterbefällen an diesen Tagen führt. In Studien werden jedoch auch Veränderungen der Sterblichkeitsrate in den Tagen unmittelbar davor und danach festgestellt, die wahrscheinlich nicht durch Anomalien bei der Datenverarbeitung verursacht werden, was darauf hindeutet, dass statistische Artefakte allein den Geburtstagseffekt nicht erklären können.[6]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Im Deutschen ist der Begriff nicht allgemein eingeführt, daher wird hier der in der englischsprachigen Fachliteratur verwendete Begriff als Artikeltitel benutzt.
  2. a b M Anderson: Relationship between month of birth and month of death in the elderly. In: British Journal of Preventive & Social Medicine. 29. Jahrgang, Nr. 3, 1975, S. 151–156, doi:10.1136/jech.29.3.151, PMID 1191883, PMC 478908 (freier Volltext) – (englisch).
  3. a b J Bovet, J Spagnoli, C Sudan: [Mortality and birthdays]. In: Sozial- und Präventivmedizin. 42. Jahrgang, Nr. 3, 1997, S. 151–161, doi:10.1007/bf01300566, PMID 9334087 (französisch).
  4. a b Vladeta Ajdacic-Gross: Death has a preference for birthdays – an analysis of death time series. In: Annals of Epidemiology. 22. Jahrgang, Nr. 8, 2012, S. 603–606, doi:10.1016/j.annepidem.2012.04.016, PMID 22658822 (englisch).
  5. a b c d Alexander Vaiserman, Pavel Grigoryev, Irina Belaya, Vladimir Voitenko: Variation of mortality rate during the individual annual cycle. In: Biogerontology. 4. Jahrgang, Nr. 4, 2003, S. 221–225, doi:10.1023/A:1025168932058, PMID 14501186 (englisch, researchgate.net).
  6. a b c d e f g h i j David Phillips, Camilla Van Voorhees, Todd Ruth: The Birthday: Lifeline or Deadline? In: Psychosomatic Medicine. 54. Jahrgang, Nr. 5, 1992, S. 532–542, doi:10.1097/00006842-199209000-00001, PMID 1438656 (englisch).
  7. a b Pablo Peña: A not so happy day after all: Excess death rates on birthdays in the U.S. In: Social Science & Medicine. 126. Jahrgang, 2015, S. 59–66, doi:10.1016/j.socscimed.2014.12.014, PMID 25528555 (englisch).
  8. a b c d Ernest Abel, Michael Kruger: Mortality Salience of Birthdays on Day of Death in the Major Leagues. In: Death Studies. 33. Jahrgang, Nr. 2, 2009, S. 175–184, doi:10.1080/07481180802138936, PMID 19143110 (englisch).
  9. a b Gabrielle Doblhammer: Longevity and month of birth: Evidence from Austria and Denmark. In: Demographic Research. 1. Jahrgang, Nr. 3, 1999, S. [22] p, doi:10.4054/DemRes.1999.1.3, PMID 12178151 (englisch).
  10. a b c Daniel Medenwald, Oliver Kuss: Deaths and major biographical events: a study of all cancer deaths in Germany from 1995 to 2009. In: BMJ Open. 4. Jahrgang, Nr. 4, 2014, S. e004423, doi:10.1136/bmjopen-2013-004423, PMID 24694623, PMC 3987729 (freier Volltext) – (englisch).
  11. Gert Jessen, Børge Jensen: Postponed Suicide Death? Suicides around Birthdays and Major Public Holidays. In: Suicide and Life-Threatening Behavior. 29. Jahrgang, Nr. 3, 1999, S. 272–283, doi:10.1111/j.1943-278X.1999.tb00302.x, PMID 10531639 (englisch, wiley.com).
  12. a b c Tamás Zonda, Károly Bozsonyi, Előd Veres, Zoltán Kmetty: The Effect of Birthday on the Fluctuation of Suicides in Hungary (1970–2002). In: Review of Sociology. 20. Jahrgang, Nr. 2, 2010, S. 96–105, PMID 20458134 (englisch, szociologia.hu [PDF]).
  13. a b Udo Reulbach, Teresa Biermann, Katrin Markovic, Johannes Kornhuber, Stefan Bleich: The myth of the birthday blues: a population-based study about the association between birthday and suicide. In: Comprehensive Psychiatry. 48. Jahrgang, Nr. 6, 2007, S. 554–557, doi:10.1016/j.comppsych.2007.06.006, PMID 17954141 (englisch).
  14. Williams A, While D, Windfuhr K, Bickley H, Hunt IM, Shaw J, Appleby L, Kapur N: Birthday blues: examining the association between birthday and suicide in a national sample. In: Crisis. 32. Jahrgang, Nr. 3, 2011, S. 134–42, doi:10.1027/0227-5910/a000067, PMID 21616762 (englisch).
  15. Leonard Zusne: Some Factors Affecting the Birthday-Deathday Phenomenon. In: OMEGA: Journal of Death and Dying. 17. Jahrgang, Nr. 1, 1987, S. 9–26, doi:10.2190/RR4D-4W0L-5QAK-X4YX (englisch).
  16. Christopher Carpenter, Carlos Dobkin: The Effect of Alcohol Consumption on Mortality: Regression Discontinuity Evidence from the Minimum Drinking Age. In: American Economic Journal: Applied Economics. 1. Jahrgang, Nr. 1, 1. Januar 2009, S. 164–182, doi:10.1257/app.1.1.164, PMID 20351794, PMC 2846371 (freier Volltext) – (englisch).
  17. Christopher Carpenter, Carlos Dobkin: The Effect of Alcohol Consumption on Mortality: Regression Discontinuity Evidence from the Minimum Drinking Age (Web Appendix A and B). In: American Economic Journal: Applied Economics. 1. Jahrgang, Nr. 1, 1. Januar 2009, S. 164–182, doi:10.1257/app.1.1.164, PMID 20351794, PMC 2846371 (freier Volltext) – (englisch, aeaweb.org [PDF]).
  18. a b c Sandra Blakeslee: Birthdays: a Matter Of Life and Death In: New York Times, 22. September 1992. Abgerufen am 7. April 2016 (englisch). 
  19. Ernest Abel, Michael Kruger: Heaping in Anniversary Reaction Studies: A Cautionary Note. In: Omega: Journal of Death and Dying. 54. Jahrgang, Nr. 1, 2006, S. 59–65, doi:10.2190/V752-6773-1KMW-3334, PMID 17844772 (englisch).