Brandkatastrophe im Kinderheim Hogar Seguro Virgen de la Asunción

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Die Brandkatastrophe im Kinderheim Hogar Seguro Virgen de la Asunción ereignete sich am 7. und 8. März 2017 in einem Kinderheim in Guatemala. Dem Brand gingen ein Aufstand und ein Fluchtversuch voraus.[1][2][3][4]

Bei dem Brand im Kinder- und Jugendheim „Hogar Seguro Virgen de la Asunción“ (dt.:Sichere Unterkunft der Jungfrau Maria Himmelfahrt) starben 41 Mädchen. 15 Mädchen überlebten den Brand schwer verletzt. Eines der Mädchen war zum Zeitpunkt des Brandes schwanger, sie und ihr Kind überlebten.[5][6]

Lage im Kinderheim vor dem Brand[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

„Hogar Seguro Virgen de la Asunción“ ist ein staatliches Kinderheim in San José Pinula, 22 Kilometer südöstlich von der Hauptstadt Guatemala-Stadt entfernt. Die Einrichtung wurde 2010 errichtet und ist ein staatliches Schutzzentrum für Kinder und Jugendliche, die Opfer von Gewalt und Missbrauch wurden. Ab 2012 gab es den Verdacht, dass das Heim selbst ein Ort von Missbrauch, Vernachlässigung und Gewalt gewesen sei.[6][7] Am 17. Oktober 2013 wurde ein 14 Jahre altes Mädchen von zwei Mädchen ähnlichen Alters ermordet. Es war der erste gewaltsame Tod in dem Heim für Minderjährige.[7]

Der US-amerikanische Schriftsteller Francisco Goldman berichtete im Magazin The New Yorker: „Ein Richter eines Familiengerichtes stellte fest, dass die Praktiken des Hauses – zu denen auch Strafen gehörten, die auf Folter hinauslaufen – gegen die Menschenrechte von Kindern verstießen, und ordnete an, dass Verbesserungen vorgenommen werden sollten.“[8]

Die Leitung des Heimes wurde mehrfach wegen Misshandlung, Belästigung und Vergewaltigung von Minderjährigen angezeigt. Eine große Anzahl von dort untergebrachten Kindern versuchte, diesen schlimmen Bedingungen zu entkommen. Im Oktober 2016 wurden 99 Fälle von vermissten Kindern gemeldet und 73 dieser Kinder wurden nie gefunden. Das Heim wurde von mehreren Jugendschutzverbänden gemieden. Laut der Direktorin der NGO ProJustice, Carmen Aida Ibarra, „ist das Heim kein Zufluchtsort, es gibt Beschwerden über Missbrauch oder schlechte Ernährungsbedingungen. Und das Schlimmste: Der Ort steht im Verdacht, Menschenhandel, Prostitution und Vergewaltigung zu fördern.“[9]

Verlauf der Brandkatastrophe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

7. März 2017[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 7. März 2017 brachen im Kinderheim „Hogar Seguro Virgen de la Asunción“ Unruhen aus, gefolgt von einer Massenflucht. Der Tag begann mit Protesten gegen Missbrauch, Vergewaltigung und Überfüllung. Der Aufstand begann um 14:00 Uhr, als eine Gruppe Jugendlicher auf das Dach kletterte und Wachen und Personal mit Metallgegenständen bedrohte. Während der Revolte konnten etwa 85 Bewohner entkommen und flohen in die umliegenden Wälder. Die meisten wurden von der Polizei festgenommen und zurückgebracht.

Um 1:00 Uhr wurden die Geflüchteten wieder in das Gebäude gelassen. Die Jungen wurden in ihre Schlafsäle zurückgebracht, während die 56 Mädchen in einen Raum mit einer Fläche von 48 Quadratmetern – weniger als ein Quadratmeter pro Mädchen – eingesperrt wurden.[8][5] Sie bekamen Matratzen, aber keine Decken. Der Raum wurde von der Polizei bewacht.[8]

8. März 2017[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am Morgen durften die Mädchen den Raum nicht verlassen, um auf die Toilette zu gehen. Die Minderjährigen versuchten, gegen den sexuellen und körperlichen Missbrauch zu protestieren, den sie im Heim erlitten, und nutzten die Tatsache, dass der Internationale Frauentag an diesem Tag gefeiert wird; aber die Situation geriet außer Kontrolle.[10]

Gegen 9:00 Uhr brach in dem überfüllten Raum ein Feuer aus. Die Ursache des Feuers ist bis heute (Stand 3/2022) ungeklärt, aber Zeugen behaupten, das Feuer sei von den Jugendlichen aus Protest gelegt worden. Polizisten, die den Raum bewachten, ließen die Mädchen nicht heraus.

Zum Zeitpunkt des Brandes beherbergte das Heim 700 bis 800 Kinder und Jugendliche, obwohl es nur eine offizielle Kapazität von etwa 350 bis 500 hatte.

Reaktionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) schrieb in einer Erklärung, man hoffe, dass „der guatemaltekische Staat seiner Verpflichtung nachkommt, die Geschehnisse zu untersuchen, die Verantwortlichen zu identifizieren und die Opfer zu entschädigen“ und erinnerte daran, dass „Kinder das Recht haben, in einer Familie aufzuwachsen und auf die staatliche Unterstützung zu zählen, damit die Familien ihrer Verantwortung gerecht werden können“.[11]

Der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte (UNHCHR) teilte mit, im Rahmen der regelmäßigen Überprüfung des Staates Guatemala durch den Ausschuss gegen Folter (engl. Committee Against Torture, CAT) solle ein Bericht Informationen über die Situation in Bezug auf den Fall Hogar Seguro Virgen de la Asunción präsentieren. Zu diesem Zweck würden der Sachverhalt und die Maßnahmen des Staates und der Organisationen der Zivilgesellschaft dargestellt.[12]

Medienvertreter gingen davon aus, dass das Heim eine Drehscheibe eines Prostitutionsnetzwerks gewesen sei, in dem Mädchen und Jungen zur Prostitution gezwungen worden seien, da im Oktober 2016 dort 99 Kinder verschwunden und 73 davon nie gefunden worden seien.

Menschenrechtsaktivisten beschuldigten verschiedene Verantwortliche – darunter Präsident Morales, den Generalstaatsanwalt und den Sekretär für soziale Wohlfahrt, sie hätten die Beschwerden über Missbrauch aller Art im Waisenhaus nicht bearbeitet. Ein Sprecher des Präsidenten gab stattdessen dem Gerichtssystem die Schuld.[13]

Aktivisten und Familien der Opfer demonstrierten auf dem Platz vor dem Präsidentenpalast in Guatemala. Sie verbrannten dabei Kohle und Puppen vor dem Präsidentengebäude. Später veranstalteten sie Mahnwachen, prangerten „ein Staatsverbrechen“ an und skandierten „korrupter Staat, gescheiterter Staat, mörderischer Staat“. Sie forderten Transparenz der Ermittlungen und den Rücktritt des damaligen Präsidenten Jimmy Morales.[14][15]

Trauer und Gedenken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Spanien drückten der König von Spanien Felipe VI. und Königin Letizia von Spanien ihr Beileid und ihre Solidarität mit den Opfern der Tragödie aus.[16][17]

Papst Franziskus sagte: „Ich bringe meine Nähe zur Bevölkerung Guatemalas zum Ausdruck, die in Trauer um das schwere und traurige Feuer lebt, das sich im Heim Virgen de la Asunción ereignete und Opfer und Verletzungen bei den dort lebenden Kindern verursachte. Möge der Herr ihre Seelen willkommen heißen, die Verwundeten heilen und ihre betroffenen Familien und die ganze Nation trösten.“[18] Die Staatsministerin für Menschenrechte im britischen Außenministerium, Baroness Joyce Anelay, forderte „dringende Untersuchungen“ von der Regierung Guatemalas.[16]

Die deutsche Organisation der Entwicklungszusammenarbeit AWO International erklärte „... die Anklagen, welche von Korruption, Übergriffen, Vernachlässigung bis zu organisiertem Verbrechen reichen, sowie der Verdacht, dass der guatemaltekische Präsident selbst die Anweisung erteilt hat, die Mädchen einzusperren, zeigen auf, dass der guatemaltekische Staat versagt hat und nicht in der Lage war und ist, die Mädchen und Jugendlichen vor der Gewalt im Land zu schützen.“[6]

Künstlerische Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Saria, ein Kurzfilm von Bryan Buckley aus dem Jahr 2019, der die Tragödie darstellt, wurde 2020 für einen Oscar nominiert.[19][20]

Die künstlerische Arbeit Las escucharon gritar y no abrieron la puerta (dt.: Sie hörten sie schreien und öffneten die Tür nicht) von Regina José Galindo hat die Tragödie Hogar Seguro zum Thema.[21]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Louisa Reynolds: Why did 41 girls die at a Guatemalan youth shelter? Abgerufen am 5. März 2022 (englisch).
  2. Frauke Decoodt: Drei Jahre nach dem Brand, der 41 Mädchen tötete. In: Nachrichtenpool Lateinamerika. Nachrichtenpool Lateinamerika e.V., 25. März 2020, abgerufen am 4. März 2022.
  3. Corinne Christine Lehr: „DAS WAR KEIN UNFALL“. Massive Proteste gegen die Regierung Guatemalas nach dem Brand in einem Kinderheim. In: Lateinamerika Nachrichten. April 2017, abgerufen am 4. März 2022.
  4. Barbara Klitzke Rozas: Tragödie bei Brand in Kinderheim in Guatemala. In: amerika21. Mondial21 e. V., 13. März 2017, abgerufen am 4. März 2022.
  5. a b Erika Harzer: „Sollen sie doch verbrennen“. In: derFreitag. 13. Juli 2018, abgerufen am 4. März 2022.
  6. a b c AWO International: Weltfrauentag in Guatemala: Solidarität mit den Opfern des Kinderheimes. In: www.awointernational.de. AWO International e. V., 15. März 2018, abgerufen am 5. März 2022.
  7. a b Leire Ventas: Un asesinato, violaciones, maltratos y más de 200 fugas: el espeluznante historial del Hogar Seguro Virgen de la Asunción, el albergue de Guatemala en el que murieron 40 menores. Hrsg.: BBC Mundo. (bbc.com [abgerufen am 6. März 2022]).
  8. a b c Francisco Goldman: The Story Behind the Fire That Killed Forty Teen-Age Girls in a Guatemalan Children’s Home. The New Yorker, 19. März 2017, abgerufen am 6. März 2022 (englisch).
  9. La-Croix.com: Le Guatemala, pays en colère après la mort de 40 mineures maltraitées. 22. März 2017, abgerufen am 4. März 2022 (französisch).
  10. elPeriodico de Guatemela: Repudio generalizado en la Plaza Mayor “contra la muerte indigna y la injusticia permanente”. In: elPeriodico. 11. März 2017, abgerufen am 5. März 2022 (spanisch).
  11. L'Obs - Actualités du jour en direct. 8. März 2017, abgerufen am 5. März 2022 (französisch).
  12. UNHCHR: Caso Hogar Seguro Virgen de la Asunción, Guatemala Informe para el Comité Contra la Tortura 65 periodo de sesiones del 12 de noviembre al 7 de diciembre de 2018. (PDF) In: ohchr.org. UNHCHR, abgerufen am 6. März 2022 (spanisch).
  13. Señalan negligencia de funcionarios por no accionar ante denuncias - La Hora. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 5. März 2022; abgerufen am 5. März 2022 (spanisch).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/lahora.gt
  14. Guatemala : « On suppose que le foyer pour enfants était une plaque tournante d’un réseau de prostitution ». 15. März 2017, abgerufen am 5. März 2022 (französisch).
  15. L'Obs - Actualités du jour en direct. 8. März 2017, abgerufen am 5. März 2022 (französisch).
  16. a b Reino Unido pide investigación ‘urgente’ por muerte de 37 niñas en Guatemala. In: elcomercio.com. EL COMERCIO, 10. März 2017, abgerufen am 5. März 2022 (spanisch).
  17. Saray Velazquez: Reyes de España expresan su pésame por la tragedia de las niñas de Hogar Seguro. In: Publinews. 10. März 2017, abgerufen am 5. März 2022 (spanisch).
  18. Por: EFE: El papa Francisco envía sus condolencias a Guatemala. In: La Opinión. 12. März 2017, abgerufen am 5. März 2022 (spanisch).
  19. The 92nd Academy Awards | 2020. In: Oscars.org. Academy of Motion Picture Arts and Sciences, abgerufen am 4. März 2022 (englisch).
  20. Saria – Short Film. Abgerufen am 5. März 2022 (amerikanisches Englisch).
  21. Regina José Galindo: Las scucharon gritar y no abrieron la puerta. In: www.reginajosegalindo.com. Regina José Galindo, abgerufen am 4. März 2022 (spanisch).