Bund – Gemeinschaft für sozialistisches Leben

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Der Bund – Gemeinschaft für sozialistisches Leben wurde 1924 in Essen von sieben Frauen und zwei Männern gegründet, die sich an der Volkshochschule Essen kennengelernt hatten. Initiatoren waren der promovierte Mathematiker, Pädagoge und Philosoph Artur Jacobs und seine Ehefrau, die Bewegungspädagogin Dore Jacobs, geborene Marcus. Ziel war eine Lebensweise, in der die ganze Person aufgehen sollte – Körper, Geist und Seele. Hierzu gehörten auch Bewegung und Tanz. Beeinflusst war diese Gemeinschaft von der Lebensreform, der Jugendbewegung und der Ordensidee. Ursprünglich hatte sie sich Bund – Orden für sozialistische Politik und Lebensgestaltung genannt. Geprägt war der Bund aber auch von der Kantschen Philosophie von Ernst Marcus, dem Vater von Dore Jacobs.[1]

Organisation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Gründer bildeten den Inneren Kreis. Sie hatten sich einer Verpflichtung unterzogen, in der sie erklärten, die Ideale und Ziele des Bundes zu verwirklichen. Weitere 30 bis 40 Mitglieder übernahmen diese Verpflichtung. Ende der 20er Jahre lag die Zahl der Mitglieder unter 500. 1931 hatte der Bund zwischen 120 und 200 Mitglieder. Der Bund hatte Ortsgruppen in Essen, Wuppertal, Remscheid, Mülheim, Krefeld, Duisburg und Marl.

Das alte Dore-Jacobs-Haus in Essen (2016)
Geräte (2018)

Der Bund unterhielt eigene Häuser. Sein erstes Haus hatte er ab 1927 in Essen, Leveringstraße. Es war ein Blockhaus. Hier waren Schulungsräume und die von Dore Jacobs gegründete Schule für Körperbildung und rhythmische Erziehung untergebracht. Auch wohnten einige Mitglieder im Haus. Noch heute befindet sich hier eine Zweigstelle des Dore-Jacobs-Berufskollegs. Weitere Häuser befanden sich in Essen-Stadtwald (Dönhof) und in Wuppertal, Ottostraße 29.

Judenhilfe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach dem Novemberpogromen 1938 begann der Bund seine aktive Judenhilfe. Die Mitglieder verschafften Unterkünfte, halfen bei der Flucht ins Ausland, sorgten für Lebensmittel und Kleider. Als die Deportationen einsetzten, halfen sie den Verfolgten sich zu verstecken und im Untergrund zu überleben. Unter den Geretteten befanden sich folgende Personen:

  • Dore Jacobs aus dem Inneren Kreis des Bundes. September 1944 musste sie – die bis dahin wegen ihrer Ehe als privilegierte Jüdin gegolten hatte – untertauchen. Sie fand mit ihrem Mann am Bodensee Schutz in einer Pension, die von Freunden geleitet wurde.
  • Lisa Jacob (* 12. Januar 1899 in Ratibor) – nicht verwandt mit Dore Jacobs. Die Gymnastiklehrerin war gleichfalls Mitglied im Bund. Als sie am 12. April 1942 die schriftliche Aufforderung erhielt, sich für eine Deportation zu melden, tauchte sie mit Hilfe des Bundes unter. Drei Jahre lang lebte sie versteckt.
  • Marianne Strauß-Ellenbogen (geboren am 7. Juni 1923 in Essen; gestorben am 22. Dezember 1996 in Liverpool) hatte vor ihrer Flucht nur sporadischen Kontakt zum Bund. Ab August 1943 musste sie sich im Untergrund verstecken. Immer wieder wechselte sie die Wohnung. Sie fand Hilfe bei Bund-Angehörigen in Essen, Braunschweig, Göttingen, Remscheid, Mülheim, Wuppertal[2][3] und Burscheid. Unter ihren Helfern waren aber auch solche, die keinen Kontakt zum Bund hatten.
  • Hanna Jordan und Eva Seligmann.

Gerechte unter den Völkern[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einige Bund-Mitglieder wurden wegen ihrer Hilfe an Marianne Strauss am 15. September 2005 von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem in der Israelische Botschaft in Berlin als Gerechte unter den Völkern ausgezeichnet: Fritz und Maria Briel, Emilie Busch, Hanni Ganzer, Hedwig Gehrke, Meta Kamp-Steinmann, Karin Morgenstern, Änne Schmitz und Grete Ströter.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Gelebte Utopie. Aus dem Leben einer Gemeinschaft. Dokumentation von Dore Jacobs (1975). – (Neu herausgebracht: Gelebte Utopie. Aus dem Leben einer Gemeinschaft. Nach einer Dokumentation von Dore Jacobs. Hg. v. Else Bramesfeld u. a.; Essen 1990. ISBN 3-88474-143-8)
  • Mark Roseman: In einem unbewachten Augenblick. Eine Frau überlebt im Untergrund. Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2004.
  • Angela Genger: Zwei die sich retten konnten. Hilfe vom Bund für Marianne Strauß und Lisa Jacob aus Essen. In: Beate Kosmala, Claudia Schoppmann (Hg.): Sie blieben unsichtbar. Zeugnisse aus den Jahren 1941 bis 1945, Berlin 2006.
  • Mark Roseman: Gerettete Geschichte: Der Bund, Gemeinschaft für sozialistisches Leben im Dritten Reich, in: Mittelweg 36“, Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Jg. 16, Heft 1, 2007.
  • Norbert Reichling: Mit Kant gegen die Nazis: Der „Bund“ und sein vergessenes „Judenhilfswerk“ im Rhein-Ruhr-Gebiet, in: Arno Lustiger: Rettungswiderstand. über die Judenretter in Europa während der NS-Zeit, Göttingen 2011.
  • Mark Roseman: Surviving Undetected. The Bund, Rescue and Memory in Germany, in: Jacques Semelin, Claire Andrieu, and Sarah Gensburger: Resisting Genocide: The Multiple Forms of Rescue, Columbia University Press, New York 2011.
  • H. Walter Kern: Stille Helden aus Essen. Widerstehen in der Zeit der Verfolgung 1933–1945, Essen 2014.
  • Mark Roseman: „Du bist nicht ganz verlassen.“ Eine Geschichte von Rettung und Widerstand im Nationalsozialismus, München 2020.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Vgl. Gerd Hergen Lübben, Auf schmalem Grat. Für ein Lernen und Wachsen aus dem Geist der Wahrheit, der Kunst und der Menschlichkeit. Annäherungen an den Pädagogen Artur Jacobs – auch mit Blick auf den Philosophen Ernst Marcus und die Bewegungsbildnerin Dore Jacobs, geborene Marcus.; in: „DIE BRÜCKE – Forum für antirassistische Politik und Kultur“ (Saarbrücken 2008), Hefte 147–149; besonders Heft 147, Seiten 54 ff.
  2. Vgl. Mark Roseman, In einem unbewachten Augenblick. Eine Frau überlebt im Untergrund; Berlin 2004.
  3. Vgl. Frank Friedhelm Homberg, Retterwiderstand in Wuppertal während des Nationalsozialismus (Dissertation), Düsseldorf 2008; besonders S. 115 ff.