Chemjo Vinaver

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Chemjo Vinaver (geboren am 10. Juli 1900[1][2][A 1] in Warschau, Russisches Kaiserreich; gestorben am 16. Dezember 1973 in Tel Aviv) war ein polnischer Dirigent, Komponist und Musikwissenschaftler.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Uraufführung von Oskar Guttmanns B'reschith (1937)

Chemjo (Nehemiah) Vinaver[3] war ein Sohn des David Vinaver und der Rachel Rosenfeld. Er wurde am chassidischen Hof seines Großvaters, Rabbi Isaak von Worka, erzogen, wo er verschiedene chassidische musikalische Traditionen aufnahm. 1916 bis 1920 studierte er in Warschau, anschließend in Berlin Dirigieren und Komposition bei Hugo Rüdel und Siegfried Ochs. In Berlin gründete er den Chor Hanigun zur Verbreitung jüdischer Musik,[4] der in Deutschland sowie Wien, Prag, Jugoslawien und Palästina Tourneen unternahm. Vinaver und sein Chor waren damals eine Ausnahmeerscheinung in der seit dem 19. Jahrhundert stilistisch weitgehend an der Kirchenmusik orientierten jüdischen Chortradition.[5] 1926 bis 1933 war Vinaver leitender Dirigent der Berliner Synagoge „Friedenstempel“ Halensee und nahm 1928–29 mit dem dortigen Chor über 20 liturgische Werke auf (zumeist als „Chemia Winawer“ für das Label Odeon).[2] Außerdem unterrichtete er Musik am Lehrerseminar der 1933 gegründeten Reichsvertretung der deutschen Juden. 1938 emigrierte Vinaver nach New York, wo er ebenfalls jüdische Chöre ins Leben rief. Ab 1952 war er musikalischer Berater in der Kulturabteilung der Amerikanischen Zionistischen Organisation. 1960 ließ er sich in Jerusalem nieder, wo er seine musikwissenschaftlichen Studien weiterführte. Unter seinem Namen wurde an der jüdischen Nationalbibliothek in der Hebräischen Universität Jerusalem ein Archiv errichtet.

Zu seinen Kompositionen gehören The Seventh Day für Kantor und Chor, für den Freitagabendgottesdienst (1946), sowie eine Vertonung von Kol Nidre. Er war Herausgeber verschiedener Sammlungen chassidischer, jiddischer und israelischer Volkslieder und veröffentlichte 1955 eine Anthologie jüdischer Musik, für welche Arnold Schönberg eine Vertonung des Psalms 130 beisteuerte.

Vinaver war der zweite Ehemann der Dichterin Mascha Kaléko. Ihr gemeinsamer Sohn war Steven Vinaver.

Schallplatte von Chemia Winawer (Berlin 1928)

Heute ist Vinavers Wirken, obwohl er insbesondere in den 1930er-Jahren als einer der wichtigsten deutsch-jüdischen Musiker galt, nur noch wenigen Spezialisten für traditionelle jüdische Musik bekannt.[6]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Vinaver, Chemjo, in: Encyclopaedia Judaica, 1971, Band 16, Sp. 151f., Online
  • Vinaver, Chemjo, in: Werner Röder; Herbert A. Strauss (Hrsg.): International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945. Band 2,2. München : Saur, 1983, S. 1192
  • Winawer, Chemia, in: Rainer E. Lotz & Axel Weggen: Discographie der Judaica-Aufnahmen Band 1, Bonn 2006, ISBN 3-9810248-2-6
  • Albrecht Dümling: Der vergessene Pionier: Chemjo Vinaver. In: mr-Mitteilungen. Nr. 65, November 2008, S. 1–12.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Abbildungen:

  • Etiketten der Odeon-Platte O-2334 a/b (mxx. Be 6436/6437) Wischomru (Birnbaum-Czenstochow) / Uwzel (Lewandowski). “Verstärkter Synagogen-Chor des Friedenstempels, Berlin. Leitung: Chemia Winawer.” Aufgen. Dezember 1927.
  • Etiketten der Odeon-Platte O-2436 a/b (mxx. Be 6663/6664) Einheben der Thora. 1. und 2.Teil (Lewandowski). “Verstärkter Synagogen-Chor des Friedenstempels, Berlin. Solo: Kantor Fraenkel / Solo: Hartenberg. Leitung: Chemia Winawer.” Aufgen. März 1928
  • Etiketten der Odeon-Platte O-2452 a/b (mxx. Be 6665/6666) Sabbat-Eingang (Psalm 92), 1. und 2. Teil. “Verstärkter Synagogen-Chor vom Friedenstempel, Berlin. Solo: Kantor Fraenkel / Soli: Kantor Fraenkel u. Hartenberg. Leitung: Chemia Winawer.” Aufgen. März 1928.

Anmerkung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Andere Quellen nennen den 10. Juli 1895 als Geburtsdatum.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Vinaver, Chemjo. In: Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. Band 2. K. G. Saur, 1983, ISBN 3-598-10089-2.
  2. a b Sophie Fetthauer: Chemjo Vinaver im Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit (LexM)
  3. Vinaver, Chemjo in der Deutschen Biographie, abgerufen am 9. März 2024.
  4. Erik Levi: Music in the Third Reich. Palgrave MacMillan, 1996, ISBN 0-312-10381-6, S. 54 und 55.
  5. Jascha Nemtsov: Der Zionismus in der Musik - Jüdische Musik und nationale Idee. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-447-05734-9, S. 279.
  6. Jascha Nemtsov: Ein "ostjüdischer" Musiker im Berlin der 1920-30er Jahre - Der Chorleiter und Musikethnologe Chemjo Winawer. In: Christine Engel, Birgit Menzel (Hrsg.): Kultur und/als Übersetzung - Russisch-deutsche Beziehungen im 20. und 21. Jahrhundert. Frank & Timme, Berlin 2011, ISBN 978-3-86596-300-0, S. 99.