Christian Hennig

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Christian Hennig im Sommer 2023
Christian Hennig im Sommer 2023

Christian Martin Hennig (* 14. Dezember 1966 in Hamburg) ist ein deutscher Statistiker und Hochschullehrer. Seit Oktober 2018 ist er Professor am Dipartimento di Scienze Statistiche „Paolo Fortunati“ an der Universität Bologna.

Ausbildung und beruflicher Werdegang[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach dem Abitur im Jahr 1986 studierte Hennig Mathematik an der Universität Hamburg; er schloss das Studium 1993 mit dem Diplom und 1997 mit der Promotion zum Dr. rer. nat. bei Karl Behnen und Dietmar Pfeifer ab.[1] Im Jahr 2005 habilitierte er sich in Hamburg mit dem Thema Cluster Stability, Cluster Validation and the Principle of Asymmetry in Cluster Analysis. Von Oktober 1993 bis März 1997 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter und von 1997 bis 2005 Dozent am Institut für Mathematische Stochastik der Universität Hamburg. Unterbrochen wurde diese Tätigkeit von Oktober 2001 bis September 2003 durch einen Lehrauftrag als Hochschulassistent am Seminar für Statistik an der ETH Zürich bei Frank Hampel.

Vom April 2005 bis September 2010 war Hennig Lecturer und bis Oktober 2018 Senior Lecturer am Department of Statistical Science, University College London (UCL). Ab Oktober 2018 war er zunächst Assistant Professor, dann ab 2019 Full Professor am Dipartimento di Scienze Statistiche „Paolo Fortunati“, Università di Bologna.[2][3]

Forschungsgebiete und Herausgeberschaft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Christian Hennig hat ein breit gefächertes Forschungsgebiet. Es erstreckt sich über die Clusteranalyse, die Grundlagen der Statistik, Robuste Statistik, Datenvisualisierung, Statistische Modellierung, Angewandte Statistik, Multivariate Statistik, Überwachte Klassifikation, Statistisches Lernen.

Hennig entwickelte eine allgemeine Theorie der robusten Clusteranalyse[4] und verfasste Arbeiten zur statistischen Abgrenzung von biologischen Arten zusammen mit Bernhard Hausdorf[5]. Er schuf einen konstruktivistischen Rahmen für den Prozess der mathematischen Modellierung[6][7] und analysierte zusammen mit Andrew Gelman das Spannungsverhältnis zwischen der Forderung nach Objektivität in der Wissenschaft und dem Vorhandensein einer irreduziblen Vielfalt von Perspektiven und der Kontextabhängigkeit bei der statistischen Datenanalyse.[8] Zusammen mit seinem ersten PhD-Studenten Pietro Coretto entwickelte er eine Variante der Clusteranalyse mit Mischungen von Normalverteilungen (Englisch: model-based clustering with Gaussian mixtures), basierend auf einer robusten Weiterentwicklung der „noise component“ von Banfield und Raftery[9], die es erlaubt, Beobachtungen in gradueller Weise als nicht zu irgendwelchen Clustern gehörig zu klassifizieren.[10] [11]

Hennig veröffentlichte des Weiteren Arbeiten zur Angewandten Statistik in den Bereichen sozioökonomische Schichtung,[12] Klassifizierung von Fußballspielern,[13] Gestaltung von Websites für Benutzer mit besonderen Bedürfnissen[14] und weitere angewandte Arbeiten in den Bereichen Medizin,[15] Ernährungswissenschaft,[16] Archäologie,[17] Biologie,[18][19][20][21] Astronomie,[22] Musikwissenschaft[23], Psychologie[24] und Chemie[25] sowie weiteren Gebieten.[26][27][28]

Seine Tätigkeiten als Editor / Associate Editor bei den folgenden wissenschaftlichen Zeitschriften:

  • Statistics and Computing (Associate Editor seit 2007)[29]
  • Computational Statistics and Data Analysis (Associate Editor 2008–2019)
  • Advances in Data Analysis and Classification (Associate Editor seit 2012)[30]
  • Statistical Methods and Applications (Associate Editor 2014–2019)
  • Canadian Journal of Statistics (Associate Editor seit 2021)[31]
  • Archives of Data Science Series B (Editor 2018–2021)
  • Statistica (Editor-in-Chief seit 2022)[32]

Diverse wissenschaftliche Aktivitäten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Positionen in wissenschaftlichen Vereinigungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Datenanalyse und numerische Klassifikation“ der Gesellschaft für Klassifikation, 2011–2014
  • Schatzmeister der British Classification Society (2009–2019)
  • Wissenschaftlicher Sekretär der International Federation of Classification Societies (2014–2020)
  • ISI (International Statistical Institute): Gewähltes Mitglied seit 2021

Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

2015: Best applied paper der European Conference in Data Analysis, Colchester, als Koautor des Doktoranden Serhat Akhanli 2000: IFCS award for promising young researchers der International Federation of Classification Societies im Bereich Klassifikation

Statistische Beratung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Statistische Beratung für mehr als 100 Kunden: hauptsächlich Wissenschaftler an der Universität Hamburg, der ETH Zürich, dem UCL und der Universität Bologna, aber auch Unternehmen wie TV Movie, Hamburg, ecommera, London, Trustmark, Zürich, Department of Public Health, Highbury and Islington Council, London und viele andere.

Veröffentlichungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hennig hat – zum Teil mit Koautoren – etwa 130 Arbeiten in wissenschaftlichen Zeitschriften und Konferenzberichten veröffentlicht[33] sowie – zusammen mit M. Meila, F. Murtagh, and R. Rocci – ein Handbuch der Clusteranalyse.[34]

R-Softwarepakete zur Statistik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hennig ist Autor und Maintainer von Add-On Softwarepaketen zum Statistiksystem R. Die Packages fpc (flexible procedures for clustering) und prabclus (analysis of presence absence data and species delimitation) wurden laut CRAN (Comprehensive R Archive Network)[35] je über 4 Millionen Mal heruntergeladen.[36]

Sonstiges[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Philosophie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Christian Hennig hat ein aktives Interesse an Philosophie und Philosophie der Wissenschaften (Wissenschaftstheorie). Er war Teilnehmer an mehreren Jahrestagungen der Bochumer Arbeitsgruppe für sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung (BOAG), durch die er mit dem Konstruktivismus in Berührung gekommen ist, dem er bis heute anhängt. Dieses hat eine starken Einfluss auch auf seine wissenschaftliche Arbeit gehabt.[6] Auf der Website der BOAG[37] hat er einige Beiträge verfasst, unter anderem über Konstruktivismus und Themenzentrierte Interaktion (TZI)[38]. Hennig hat an mehreren Tagungen und Arbeitsgruppen zur Philosophie der Wissenschaften (Science and Technology Studies) teilgenommen, unter anderem an von Deborah Mayo, Hasok Chang und Roman Frigg geleiteten Gruppen am University College London und der London School of Economics.

Didaktik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Themenzentrierte Interaktion TZI lernte Hennig am Interdisziplinären Zentrum für Hochschuldidaktik (das heutige Zentrum für Hochschul- und Weiterbildung) der Universität Hamburg in einem Kurs von Gerhard Heik Portele kennen, der – zusammen mit Hilarion Petzold – die Gestalttherapie in Deutschland bekanntgemacht hat. Dort erwarb er auch in einem zweijährigen Programm das Zertifikat „Qualifiziertes Lehren in Wissenschaft und Erwachsenenbildung“. Hennig engagiert sich für die Qualität der Hochschullehre, wobei ihm insbesondere die Prinzipien der TZI am Herzen liegen, darunter die Anerkennung der Bedeutung der Interaktion in der Gruppe und der persönlichen Bedürfnisse und unterschiedlichen Zugänge der Teilnehmer. Am UCL organisierte er mehrere „Good Teaching Meetings“ für das Kollegium.

Vorfahren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zu den Vorfahren von Christian Hennig gehören Henriette Voigt (Urururgroßmutter mütterlicherseits), Eugen Petersen (Ururgroßvater väterlicherseits), Paul Felisch (Ururgroßvater väterlicherseits) und Martin Hennig (Urgroßvater).

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Mathematics Genealogy Project
  2. Dipartimento di Scienze Statistiche Paolo Fortunati Personenverzeichnis, abgerufen am 15. September 2023
  3. Universität Bologna:Persönliche Seite von Christian Hennig. Abgerufen am 15. September 2023
  4. Hennig, C. (2008): Dissolution point and isolation robustness: Robustness criteria for general cluster analysis methods. Journal of Multivariate Analysis 99, 1154–1176
  5. Hausdorf, B. and C. Hennig (2010): Species delimitation using dominant and codominant multilocus markers. Systematic Biology 59, 491–503
  6. a b Hennig, C. (2009). Mathematical models and reality - a constructivist view. Foundations of Science 15, 29–48
  7. Hennig, C. (2009a). A constructivist view of the statistical quantification of evidence. Constructivist Foundations 5, 39–54
  8. Gelman, A. and C. Hennig (2017). Beyond subjective and objective in statistics (with discussion). Journal of the Royal Statistical Society. Series A: Statistics in Society 180, 967–1033
  9. Banfield, J. D. and A. E. Raftery (1993). Model-based gaussian and non-gaussian cluster- ing. Biometrics 49, 803–821.
  10. Coretto, P. and C. Hennig (2016). Robust improper maximum likelihood: Tuning, computation, and a comparison with other methods for robust Gaussian clustering.Journal of the American Statistical Association 111, 1648–1659
  11. Coretto, P. and C. Hennig (2017). Consistency, breakdown robustness, and algorithms for robust improper maximum likelihood clustering. Journal of Machine Learning Research 18, 1–39
  12. Hennig, C. and T. Liao (2013). How to find an appropriate clustering for mixed-type variables with application to socio-economic stratification (with discussion). Journal of the Royal Statistical Society Series C-Applied Statistics 62, 309–369
  13. Akhanli, S. and Hennig, C. (2023). Clustering of football players based on performance data and aggregated clustering validity indexes. Journal of Quantitative Analysis in Sports. 19.
  14. Williams, P. and C. Hennig (2015a). Effect of web page menu orientation on retrieving information by people with learning disabilities. Journal of the Association for Information Science and Technology 66, 674–683
  15. Lin, C. J., Hennig, C. and Huang, Ch.-L. (2016). Clustering and a Dissimilarity Measure for Methadone Dosage Time Series. In A. Wilhelm and H. Kestler (Eds.), Analysis of Large and Complex Data, Studies in Classification Data Analysis and Knowledge Organization, pp. 31–41. Jacobs Univ, Bremen: Springer-Verlag Berlin
  16. Fransen, H., A. May, M. Stricker, J. Boer, C. Hennig, Y. Rosseel, M. Ocke, P. Peeters, and J. Beulens (2014). A posteriori dietary patterns: How many patterns to retain? Journal of Nutrition 144, 1274–1282
  17. Bevan, A., J. Conolly, C. Hennig, A. Johnston, A. Quercia, L. Spencer, and J. Vroom (2013). Measuring chronological uncertainty in intensive survey finds. a case study from Antikythera, Greece. Archaeometry 55, 312–328
  18. Repsilber, D., C. Hennig, and F. Scholz (2004). On sources of variation in expression of phosphoenolpyruvate-carboxylase in norway spruce (picea abies (l.) karst.): Pepc genotype, genetic background and growth temperature. Forest Genetics 11, 73–82
  19. Hennig, C. (2014). How many bee species? A case study in determining the number of clusters. In M. Spiliopoulou, L. Schmidt-Thieme, and R. Janning (Eds.), Data Analysis, Machine Learning and Knowledge Discovery, Studies in Classification Data Analysis and Knowledge Organization, pp. 41–49. Univ Hildesheim, Hildesheim: Springer-Verlag Berlin
  20. Hausdorf, B. and C. Hennig (2010). Species delimitation using dominant and codominant multilocus markers. Systematic Biology 59, 491–503
  21. Nurinsiyah, A., H. Fauzia, C. Hennig, and B. Hausdorf (2016). Native and introduced land snail species as ecological indicators in different land use types in Java. Ecological Indicators 70, 557–565
  22. Hennig, C. (2005a). Classification and outlier identification for the Gaia mission. Neural Network World 4, 335–342
  23. Hennig, C. and D. Müllensiefen (2006). Modeling memory for melodies. In M. Spiliopoulou, R. Kruse, C. Borgelt, A. Nürnberger, and W. Gaul (Eds.), Studies in Classification, Data Analysis, and Knowledge Organization, Volume 30, pp. 732–739
  24. Hennig, C. (2001). Ein konstruktivistischer Blick auf mathematische Modelle. Zeitschrift für systemische Therapie 19, 147–159
  25. Sarantaridis, D., C. Hennig, and D. Caruana (2012). Bioaerosol detection using potentiometric tomography in flames. Chemical Science 3, 2210–2216
  26. Akhanli, S. and C. Hennig (2017). Some issues in distance construction for football players performance data. Archives of Data Science, Series A 2
  27. Hennig, C. and L. Latecki (2003). The choice of vantage objects for image retrieval. Pattern Recognition 36, 2187–2196
  28. Müllensiefen, D., C. Hennig, and H. Howells (2018). Using clustering of rankings to explain brand preferences with personality and socio-demographic variables. Journal of Applied Statistics 45, 1009–1029
  29. Editors of Statistics and Computing
  30. Editors of Advances in Data Analysis and Classification
  31. Editors of Canadian Journal of Statistics
  32. Statistica, Universität Bologna
  33. Christian Hennig in Research Gate
  34. Hennig, C., M. Meila, F. Murtagh, and R. Rocci (eds.): Handbook of Cluster Analysis. Chapman and Hall/CRC, New York 2015, ISBN 978-0-429-18547-2. DOI https://doi.org/10.1201/b19706
  35. CRAN. Abgerufen am 20. Sept 2023
  36. R-package downloads. Abgerufen am 20. Sept 2023
  37. Website der Bochumer Arbeitsgruppe für sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
  38. C. Hennig: Gedanken zu Konstruktivismus und TZI. Abgerufen am 19. September 2023