Dürre in Europa 1473

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Die Dürre in Europa 1473 war eine 14 Monate lang dauernde Dürre. Sie betraf sowohl Westeuropa als auch Mitteleuropa und Osteuropa. Gemessen an ihrer Dauer und ihrer räumlichen Ausdehnung war es das herausragendste Hitze- und Dürrejahr im verflossenen Jahrtausend. Der Witterungsverlauf und seine Auswirkungen wurden anhand von kohärenten Berichten in zeitgenössischen historischen Dokumenten rekonstruiert.[1][2] Eine Untersuchung von Stalagmiten (Speleothems) im nordöstlichen Ungarn deutet auf eine warm-trockene Periode in den 1470er-Jahren hin.[3]

Betroffene heutige Staaten waren: (südliches) Schweden, Dänemark, England, Irland, Belgien, Niederlande, Frankreich, Schweiz, Deutschland, Polen, Ukraine, westliches Russland, Österreich, Tschechische Republik, Slowakische Republik, Ungarn, Italien, Kroatien, Serbien, Teile Spaniens.[4]

Datierung und historische Belege[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Datierung im 15. Jahrhundert folgt dem Julianischen Kalender. Zur Angleichung an den Gregorianischen Kalender müssen zu einem Julianischen Datum 9 Tage dazugezählt werden. Schätzwerte der Temperaturentwicklung lassen sich aus Witterungsbeschreibungen in Verbindung mit pflanzenphänologischen (Phänologie) sowie schnee- und frostbezogenen Beobachtungen in Form von Indizes gewinnen Historische Klimatologie.[5][6] Ergänzend wurden Baumringdaten herangezogen.[7]

Temperaturentwicklung und Witterungsverlauf[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Winter 1473 war in Metz «regnerisch», in Basel «ohne Schnee und Eis». «Im Februar», (d. h. Anfang März) setzte die Blüte der Kirschen in Basel als Folge von rekordhohen Temperaturen in den vorausgegangenen Wochen ein.

Der April war «heiß». Anfangs Mai begannen die Reben zu blühen. Im folgenden Monat «war die Hitze kaum zu ertragen». Anfang Juni waren die Kirschen reif, einen Monat später die ersten Trauben. Im gleichen Zeitraum wurde Weizen geschnitten. Weiße Trauben wurden im französischen Metz vom 13. August an geerntet.[8] rote Pinot-Noir-Trauben im französischen Beaune vom 5. September an.[9] Die Lese war ergiebig, aber die Trauben waren mancherorts vertrocknet und die Gärung des Weinmosts ließ zu wünschen übrig. Gesamthaft gesehen war die Vegetationsentwicklung durchwegs 4–5 Wochen zu früh.

Im Herbst blühten die Kirschenbäume erneut. Im November wurden mancherorts die Kirschen zum zweiten Mal reif. Im Dezember blühten in Basel Blumen bei «frühlingshaften» Temperaturen. Der darauffolgende Winter 1474 war im östlichen Frankreich erneut regnerisch ohne Frost, und die Ostsee wurde früh eisfrei.[10] In Mitteleuropa blieben die «hohen Berge» – vermutlich die Gipfel des Schwarzwaldes in 1200 bis 1500 m Höhe – den Winter über ohne Schnee, wie der Basler Jurist Johannes Knebel in seinem Tagebuch festhielt. Einsetzende Schneefälle am 2. März 1474 beendeten die 14 Monate andauernde Warmperiode.[6]

Niederschläge[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Manche Chronisten hielten Anfang und Ende der Periode ohne nennenswerte Niederschläge fest. Teile Spaniens lagen im Winterhalbjahr 1472–1473 weitgehend trocken, der Raum Sevilla vom September 1472 bis Mai 1473. Im 50 km nordwestlich von Rotterdam gelegenen Zierikzee fiel kein Regen von Mai bis Oktober 1473. In Böhmen dauerte die Dürre dreieinhalb Monate, in Breslau vom 2. Mai bis 20. November, in Basel während der neun Wochen vom 29. Juni bis Mitte September. In der italienischen Poebene um Modena regnete es während der 14 Monate von Anfang 1473 bis März 1474 kaum.[11]

Auswirkungen auf die Umwelt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Quellen, Bäche und kleine Flüsse trockneten völlig aus, größere Flüsse wie die Mosel verkamen zu Rinnsalen, seichte Wasserläufe in den Niederlanden stanken. Ströme wie Rhein und Donau konnten leicht überquert werden. Flüsse im westlichen Russland führten Niedrigwasser. Im Spätsommer warfen im Raum Basel viele Laubbäume ihre Blätter ab und sahen aus «wie zu Weihnachten».[4] Schwärme von Wanderheuschrecken suchten Europa in den Folgejahren heim.[4]

Auswirkungen auf Wirtschaft, Gesellschaft und Gesundheit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Mühlen standen still, wodurch Mehl und Brot verknappten, in manchen Gebieten versiegte das Trinkwasser. Verbreitet brachen Wald-, Busch- und Siedlungsbrände aus. In Norditalien und Teilen Spaniens folgten Missernten und Hungersnöte nach langen herbstlichen und winterlichen Dürreperioden. In Spanien wurden „Conversos“ – konvertierte Juden – als Sündenböcke für die Misere verantwortlich gemacht und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Zahlreiche Todesfälle in den Niederlanden, in England und Ungarn wurden der Hitze und/oder den damit verbundenen Infektionskrankheiten («Pestis») zugeschrieben.[4] Dabei dürfte es sich teilweise um Bakterienruhr gehandelt haben.

Klimageschichtliche Interpretation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hitzesommer wurden und werden häufig durch dürre Frühjahrsperioden ausgelöst, welche die Böden stark austrocknen, was die Wirkung der sommerlichen Sonneneinstrahlung verstärkt.[12][13] Das Jahr 1473 war der Höhepunkt mehrerer warmer Winter, Frühjahre und heiß-trockener Sommer in den Jahren 1471 bis 1474.[4] Die Dürre 1473 dauerte länger als die Dürre 1540 in Europa, sie erfasste eine größere Fläche und betraf mit unterschiedlicher Intensität mehrere Jahre, während die Dürre von 1540 ein klimageschichtich eher isoliertes Ereignis war. Der mehrjährige Wärmeschub in den frühen 1470er-Jahren ist während der europäischen Kleinen Eiszeit von 1340 bis um 1900 einmalig.[6] Der vorwiegend auf Baumringdaten gestützte Old World Drought Atlas[7] bestätigt die nahezu gesamteuropäische Dimension der Dürre von 1473. Sie war Teil einer transatlantischen Dürreperiode, die von 1437 bis 1473 dauerte. In den südwestlichen U.S. war es die schlimmste in den letzten 1000 Jahren. Diese Extremperiode ist auf einen hydroklimatischen Wirkfaktor, möglicherweise auf längerfristige Veränderungen in der Oberflächentemperatur des Nordatlantiks zurückzuführen,

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Chantal Camenisch, Rudolf Brázdil, Andrea Kiss et al.: Extreme heat and drought in 1473 and their impacts in Europe in the context of the early 1470s, in: Regional Environmental Change (2020) 20:19 (doi:10.1007/s10113-020-01601-0)
  • Christian Pfister, Heinz Wanner: Klima und Gesellschaft in Europa. Die letzten tausend Jahre. Bern 2021. ISBN 978-3-258-08182-3

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Chantal Camenisch, Rudolf Brázdil, Andrea Kiss, Christian Pfister, Oliver Wetter, Christian Rohr, Antonio Contino, Dag Retsö: Extreme heat and drought in 1473 and their impacts in Europe in the context of the early 1470s. In: Regional Environmental Change. Band 20, Nr. 1, März 2020, ISSN 1436-3798, doi:10.1007/s10113-020-01601-0 (Dies ist Stand 2023 die zentrale Publikation zu diesem Thema.).
  2. Christian Pfister, Heinz Wanner: Klima und Gesellschaft in Europa: die letzten tausend Jahre. 1. Auflage. Haupt Verlag, Bern 2021, ISBN 978-3-258-08182-3, S. Kap. 8.3.3.
  3. Zoltán Siklósy et al., 2009, Reconstruction of climate variation for the last millennium in the Bükk Mountains, northeast Hungary, from a stalagmite record, Idöjárás Quarterly Journal of the Hungarian Meteorological Service, 113/4, pp. 245–263
  4. a b c d e Chantal Camenisch, Rudolf Brázdil, Andrea Kiss, Christian Pfister, Oliver Wetter, Christian Rohr, Antonio Contino, Dag Retsö: Extreme heat and drought in 1473 and their impacts in Europe in the context of the early 1470s. In: Regional Environmental Change. Band 20, Nr. 1, 10. Februar 2020, ISSN 1436-378X, S. 19, doi:10.1007/s10113-020-01601-0.
  5. Petr Dobrovolný, Anders Moberg, Rudolf Brázdil, Christian Pfister, Rüdiger Glaser, Rob Wilson, Aryan van Engelen, Danuta Limanówka, Andrea Kiss, Monika Halíčková, Jarmila Macková, Dirk Riemann, Jürg Luterbacher, Reinhard Böhm: Monthly, seasonal and annual temperature reconstructions for Central Europe derived from documentary evidence and instrumental records since AD 1500. In: Climatic Change. Band 101, Nr. 1-2, Juli 2010, ISSN 0165-0009, S. 69–107, doi:10.1007/s10584-009-9724-x.
  6. a b c Christian Pfister, Heinz Wanner: Klima und Gesellschaft in Europa: die letzten tausend Jahre. 1. Auflage. Haupt Verlag, Bern 2021, ISBN 978-3-258-08182-3.
  7. a b Edward R. Cook, Richard Seager, Yochanan Kushnir, Keith R. Briffa, Ulf Büntgen, David Frank, Paul J. Krusic, Willy Tegel, Gerard van der Schrier, Laia Andreu-Hayles, Mike Baillie, Claudia Baittinger, Niels Bleicher, Niels Bonde, David Brown, Marco Carrer, Richard Cooper, Katarina Čufar, Christoph Dittmar, Jan Esper, Carol Griggs, Björn Gunnarson, Björn Günther, Emilia Gutierrez, Kristof Haneca, Samuli Helama, Franz Herzig, Karl-Uwe Heussner, Jutta Hofmann, Pavel Janda, Raymond Kontic, Nesibe Köse, Tomáš Kyncl, Tom Levanič, Hans Linderholm, Sturt Manning, Thomas M. Melvin, Daniel Miles, Burkhard Neuwirth, Kurt Nicolussi, Paola Nola, Momchil Panayotov, Ionel Popa, Andreas Rothe, Kristina Seftigen, Andrea Seim, Helene Svarva, Miroslav Svoboda, Terje Thun, Mauri Timonen, Ramzi Touchan, Volodymyr Trotsiuk, Valerie Trouet, Felix Walder, Tomasz Ważny, Rob Wilson, Christian Zang: Old World megadroughts and pluvials during the Common Era. In: Science Advances. Band 1, Nr. 10, 6. November 2015, ISSN 2375-2548, doi:10.1126/sciadv.1500561, PMID 26601136, PMC 4640589 (freier Volltext).
  8. Laurent Litzenburger, Emmanuel Le Roy Ladurie: Une ville face au climat: Metz à la fin du Moyen Âge 1400-1530. Nancy 2015, ISBN 978-2-8143-0225-9 (PUN - Éditions universitaires de Lorraine).
  9. Thomas Labbé, Christian Pfister, Stefan Brönnimann, Daniel Rousseau, Jörg Franke, Benjamin Bois: The longest homogeneous series of grape harvest dates, Beaune 1354–2018, and its significance for the understanding of past and present climate. In: Climate of the Past. Band 15, Nr. 4, 29. August 2019, ISSN 1814-9324, S. 1485–1501, doi:10.5194/cp-15-1485-2019 (copernicus.org [abgerufen am 17. Dezember 2023]).
  10. Chantal Camenisch, Rudolf Brázdil, Andrea Kiss, Christian Pfister, Oliver Wetter, Christian Rohr, Antonio Contino, Dag Retsö: Extreme heat and drought in 1473 and their impacts in Europe in the context of the early 1470s. In: Regional Environmental Change. Band 20, Nr. 1, 10. Februar 2020, ISSN 1436-378X, S. 19, doi:10.1007/s10113-020-01601-0.
  11. Carlo Borghi (Hrsg.): Cronaca Modenese di Jacopino de’ Bianchi detto de’ Lancellotti, Monumenti di Storia Patria delle Province Modenesi, Serie delle Cronache, Regia Deputazione di Storia Patria delle Province Modenesi, tomo I, Parma, Pietro Fiaccadori, 1861, XIII+280 pp
  12. Sonia I. Seneviratne, Thierry Corti, Edouard L. Davin, Martin Hirschi, Eric B. Jaeger, Irene Lehner, Boris Orlowsky, Adriaan J. Teuling: Investigating soil moisture–climate interactions in a changing climate: A review. In: Earth-Science Reviews. Band 99, Nr. 3-4, Mai 2010, S. 125–161, doi:10.1016/j.earscirev.2010.02.004 (elsevier.com [abgerufen am 17. Dezember 2023]).
  13. Christian Pfister, Heinz Wanner: Klima und Gesellschaft in Europa: die letzten tausend Jahre. 1. Auflage. Haupt Verlag, Bern 2021, ISBN 978-3-258-08182-3 (Einschub 8D).