Dicofol

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Strukturformel
Struktur von Dicofol
Allgemeines
Name Dicofol
Andere Namen
  • 2,2,2-Trichlor-1,1-bis(4-chlorphenyl)ethanol
  • Kelthane
Summenformel C14H9Cl5O
Kurzbeschreibung

farblose Kristalle (Reinstoff), viskoses Öl (technisches Produkt)[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 115-32-2
EG-Nummer 204-082-0
ECHA-InfoCard 100.003.711
PubChem 8268
ChemSpider 7970
Wikidata Q418183
Eigenschaften
Molare Masse 370,49 g·mol−1
Aggregatzustand

fest oder flüssig[1]

Dichte

1,45 g·cm−3 für 80%iges viskoses Öl[1]

Schmelzpunkt

77,5 °C[2]

Siedepunkt

180 °C (0,13 hPa)[2]

Dampfdruck

1,87 mPa (20 °C)[1]

Löslichkeit

in Wasser 0,8 mg·l−1, in Aceton, Ethylacetat und Toluol 400 g·kg−1[1]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung aus Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP),[3] ggf. erweitert[2]
Gefahrensymbol Gefahrensymbol

Achtung

H- und P-Sätze H: 302+312​‐​315​‐​317​‐​410
P: 261​‐​264​‐​273​‐​280​‐​301+312​‐​302+352+312[2]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Dicofol ist ein Akarizid, das aus DDT hergestellt wird. Es wirkt als Kontaktgift gegen Spinnmilben und ihre Eier.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Firma Rohm & Haas brachte Dicofol 1955 erstmals auf den Markt.[4] Das 2004 in Kraft getretene Stockholmer Übereinkommen beschränkte die Verwendung von DDT auf die Bekämpfung krankheitsübertragender Insekten und die Herstellung von Dicofol. Soweit die Herstellung außerhalb geschlossener Systeme erfolgt, sind dafür Genehmigungen notwendig, wie sie derzeit für Indien und China bestehen.[5] Das chinesische Umweltministerium hat im Juli 2008 auf eine Verlängerung dieser Genehmigung verzichtet.[6]

Chemische Eigenschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

o,p′-Dicofol

Das technische Produkt hat einen Reinheitsgrad von 95 %. Davon entfallen 80–85 % auf p,p′-Dicofol und 15–20 % auf o,p′-Dicofol.[7] Der verbleibende Anteil des technischen Produkts enthält Reste von DDT und einer Reihe von DDT-Analoga.[8]

In China hergestelltes Dicofol enthielt pro Kilogramm 114 g o,p′-DDT, 69 g p,p′-Cl-DDT, 44 g o,p′-DDE und 17 g p,p′-DDT. Aus der Verwendung von Dicofol in China wurde für den Zeitraum 1988 bis 2002 ein Eintrag von Gesamt-DDT von 8770 t hochgerechnet. DDT-Rückstände vom „Dicofol-Typ“ weisen ein hohes o,p′-DDT/p,p′-DDT-Verhältnis auf.[9]

Verwendung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Dicofol wird als Akarizid im Obst- und Gemüsebau, bei Zierpflanzen und verschiedenen Feldfrüchten verwendet. Auf Insekten hat es nur geringe Wirkung.[10]

In Deutschland wurde Dicofol vor allem beim Anbau von Wein, Hopfen und Zierpflanzen gegen Spinnmilben und Weichhautmilben eingesetzt. In den Handel kam es üblicherweise als Spritzpulver mit einem Wirkstoffgehalt von 21,2 % und als Emulsionsspritzmittel mit 42,5 %.[1]

Zulassung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Deutschland, Österreich und der Schweiz ist heute kein Pflanzenschutzmittel mehr zugelassen, das diesen Wirkstoff enthält.[11] Die EU-Kommission entschied sich 2008 gegen die Aufnahme von Dicofol in die Liste der zugelassenen Pflanzenschutzmittel, da es gesundheitsschädlich sei, die Belastung für Anwender regelmäßig über der annehmbaren Exposition liege und die Bewertung des Risikos für Verbraucher nicht möglich sei. Die Mitgliedsstaaten wurden verpflichtet, bestehende Zulassungen bis zum 30. März 2009 zu widerrufen.[12]

Das Europäische Arzneibuch legt als Grenzwert für Dicofol-Rückstände in pflanzlichen Drogen 0,5 mg·kg−1 fest.[13]

Dicofol wurde 2013 von der Europäischen Union für die Aufnahme in das Stockholmer Übereinkommen nominiert[14][15] und an der Vertragsstaatenkonferenz 2019 in die Anlage A aufgenommen.[16] Das Verbot der Herstellung und der Verwendung von Dicofol trat in den Vertragsstaaten per Dezember 2020 in Kraft. Indien, das einzige Land, in welchem Dicofol noch hergestellt worden war, kündigte im April 2019 allerdings an, die Herstellung bereits vorher zu beenden.[17]

Dicofol ist als „prioritärer gefährlicher Stoff“ in Anhang X der europäischen Richtlinie 2000/60/EG (Wasserrahmenrichtlinie) aufgeführt.[18]

Biologische Bedeutung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mississippi-Alligator

Nach einem Unfall bei der Dicofol-Herstellung gelangten 1980 Dicofol, DDT, DDD, DDE und Schwefelsäure in den Lake Apopka in Florida. Innerhalb der folgenden vier Jahre ging dort der Bestand des Hechtalligators (Alligator mississippiensis) um 90 % zurück. Die Mortalität der erwachsenen Tiere war deutlich, die der Jungtiere drastisch höher als bei einer Kontrollpopulation. Das Geschlechterverhältnis war zu den Weibchen hin verschoben und man fand Veränderungen im Hormonspiegel und an den Geschlechtsorganen der Alligatoren. Im Labor konnte mit DDE an Eiern des Hechtalligators eine geschlechtliche Umwandlung oder Intersexualität ausgelöst werden.[19]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c d e f Werner Perkow: Wirksubstanzen der Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel, 2. Auflage, 3. Erg. Lfg. März 1992, Verlag Paul Parey.
  2. a b c d Eintrag zu Dicofol in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 20. Januar 2022. (JavaScript erforderlich)
  3. Eintrag zu Dicofol im Classification and Labelling Inventory der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), abgerufen am 1. Februar 2016. Hersteller bzw. Inverkehrbringer können die harmonisierte Einstufung und Kennzeichnung erweitern.
  4. Eintrag zu Dicofol. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 3. Januar 2015.
  5. Sekretariat des Stockholmer Übereinkommens: Register of Specific Exemptions, abgerufen am 13. September 2008.
  6. Chinesisches Ministerium für Umweltschutz: Schreiben an das Sekretariat des Stockholmer Übereinkommens (PDF; 226 kB), 10. Juli 2008.
  7. WHO/FAO Data Sheets on Pesticides, No. 81, Dicofol. 1996 (who.int [PDF]).
  8. Pesticide Management Education Program (PMEP): dicofol (Kelthane) Chemical Fact Sheet 12/83.
  9. Xinghua Qiu, Tong Zhu, Bo Yao, Jianxin Hu, Shaowen Hu: Contribution of Dicofol to the Current DDT Pollution in China. Environ. Sci. Technol., 39 (12), 4385–4390, 2005, doi:10.1021/es050342a.
  10. Pesticide Information Profile Dicofol bei Extoxnet, Stand September 1993.
  11. Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit der Europäischen Kommission: Eintrag zu Dicofol in der EU-Pestiziddatenbank; Eintrag in den nationalen Pflanzenschutzmittelverzeichnissen der Schweiz, Österreichs und Deutschlands, abgerufen am 22. Februar 2016.
  12. Entscheidung der Kommission vom 30. September 2008 über die Nichtaufnahme von Dicofol in Anhang I der Richtlinie 91/414/EWG des Rates und den Widerruf der Zulassungen für Pflanzenschutzmittel mit diesem Stoff (PDF).
  13. Europäisches Arzneibuch 10.0. Deutscher Apotheker Verlag, 2020, ISBN 978-3-7692-7515-5, S. 432.
  14. Chemicals proposed for listing under the Convention
  15. UNEP/POPS/POPRC.9/3: Proposal to list dicofol in Annexes A, B and/or C to the Stockholm Convention on Persistent Organic Pollutants, 2013.
  16. 2019 Meetings of the Conferences of the Parties to the Basel, Rotterdam and Stockholm Conventions – Highlights for Monday, 29 April 2019, ENB report, 29. April 2019.
  17. Pflanzenschutzmittel wird verboten. In: schweizerbauer.ch. 30. April 2019, abgerufen am 1. Mai 2019.
  18. Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik in der konsolidierten Fassung vom 20. November 2014, abgerufen am 28. Februar 2024. Anhang X.
  19. Beratergremium für Altstoffe der Gesellschaft Deutscher Chemiker: DDT und Derivate – Modellstoffe zur Beschreibung endokriner Wirkungen mit Relevanz für die Reproduktion. BUA-Stoffbericht 216, S. Hirzel Verlag, August 1998, ISBN 3-7776-0961-7.