Dirk von Petersdorff

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Dirk von Petersdorff (2019)

Dirk von Petersdorff (* 16. März 1966 in Kiel) ist ein deutscher Literaturwissenschaftler und Schriftsteller.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Dirk von Petersdorff studierte Germanistik und Geschichte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Dort legte er 1991 das erste Staatsexamen ab und verband fortan literaturwissenschaftliche und schriftstellerische Arbeit. 1995 promovierte er in Literaturwissenschaft, habilitierte sich 2003 an der Universität des Saarlandes. Heute lebt er in Jena, wo er an der Friedrich-Schiller-Universität als Professor für Neuere Deutsche Literatur tätig ist. Seit 2004 ist Dirk von Petersdorff Mitglied der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur[1], seit 2015 Mitglied des Jenaer Graduiertenkollegs „Modell 'Romantik'. Variation – Reichweite – Aktualität“. Forschungsaufenthalte führten ihn an das Wissenschaftskolleg Berlin, an die University Washington St. Louis, an das Kolleg Morphomata in Köln und das Alfried-Krupp-Kolleg nach Greifswald. Nach der Liliencron-Dozentur (1999) und der Mainzer Poetikdozentur (2009) hatte er 2013 gemeinsam mit Hans Magnus Enzensberger die Tübinger Poetik-Dozentur inne.

Werk[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literaturwissenschaft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einen Schwerpunkt der literaturwissenschaftlichen Arbeit von Petersdorffs bildet die Bestimmung des Begriffs Moderne. Er versteht diese als Makroepoche vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart und thematisiert insbesondere das Zusammenspiel von gesellschaftlicher und ästhetischer Moderne.[2] Das Interesse gilt zunächst der Konsolidierungsphase um 1800: Mit einem Werk zur Romantik und der Frage nach dem intellektuellen Selbstverständnis romantischer Autoren wurde von Petersdorff 1996 promoviert.[3] Die Auseinandersetzung mit der Romantik führt er in zahlreichen Aufsätzen und der Tätigkeit im Jenaer Graduiertenkolleg „Modell Romantik“ fort, bevor mit der Monografie „Romantik. Eine Einführung“ (Vittorio Klostermann) 2020 die Frage nach der gegenwärtigen Prägekraft der Romantik gestellt wird. Ein weiterer Schwerpunkt der literaturwissenschaftlichen Arbeiten von Petersdorffs liegt im frühen 20. Jahrhundert in der Auseinandersetzung mit Benn, Brecht, George.[4]

Poetik und Essays[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von Petersdorff stellt einer Denkweise, die von Schiller bis Adorno Gesetze formuliert und einige wenige ästhetische Ausdrucksweisen zu „allein legitimen Antworten auf den Zustand der Gegenwart erklärt“,[5] eine Alternative gegenüber. Diese leitet er aus Hegels Vorlesungen über die Ästhetik ab: Akzeptiert wird, dass es keine Bestimmtheit der Weltbeschreibung mehr gibt, die für alle Mitglieder einer Gesellschaft verbindlich ist, dass auch die Kunst keinen objektiven Gehalt mehr kennt, sich daher aller Lebenssphären und Erscheinungen bedienen kann. Eine solche Kunst kann alles darstellen, „worin der Mensch überhaupt heimisch zu sein die Befähigung hat“ (Hegel).

Lyrik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von Petersdorffs Lyrik entwickelte sich in den ersten vier Gedichtbänden von einer zeitdiagnostisch-beobachtenden Position zur offensiveren Subjekt- und Gefühlsaussprache. Während sich die Lyrik der ersten beiden Bände mit der Situation der Kunstproduktion in den 1980er und 1990er Jahren befasst, tritt das poetologische Schreiben in den nächsten Bänden („Bekenntnisse und Postkarten“, 1999, „Die Teufel in Arezzo“, 2004) zugunsten einer zugleich als individuell und exemplarisch markierten Welterfahrung in den Hintergrund. Der 2010 erschienene Band „Nimm den langen Weg nach Haus“ versammelt Gedichte aus den ersten vier Lyrikbänden und ergänzt diese um Liebesgedichte und einen Zyklus („Die Vierzigjährigen“), in dem sich das Lebensgefühl einer Generation artikuliert, die sich in der Lebensmitte verankert sieht und doch ohne feste Gewissheiten lebt.

Erzählende Texte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In seiner autobiographischen Erzählung „Lebensanfang. Eine wahre Geschichte“ (C.H. Beck, 2007) beschreibt von Petersdorff wie die Geburt von Kindern in das Leben der Eltern greift und deren Wahrnehmung verändert.

Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Lyrisches Werk[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Sammlung „Sirenenpop“ (2014) weist bereits im Titel auf die Bedeutung von Klangwirkungen, Liedern und Songs hin, die von Petersdorff bereits in den Tübinger Poetikvorlesungen anpries: „die freien Scherze, das Lavieren und Schlingern im Alltag, das Zusammenflicken von Sinn“.[5] Wie schon im Vorgängerband mit seinen Sonetten und Liedern finden sich auch in „Sirenenpop“ liedhaft gebundene Gedichte, deren Formkunst Rüdiger Görner in der „Neuen Zürcher Zeitung“ lobte.[6] und die Burkhard Müller in der Süddeutschen Zeitung als trivial abtat.[7] Harald Hartung sah in einer Rezension für die „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ den Band als Synthese von Romantik und Popkultur,[8] die „Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung“ nahm den Band in ihre Lyrikempfehlungen 2015 auf.[9]

Unsere Spiele enden nicht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Andreas Wirthensohn schrieb in der „Wiener Zeitung“ zum 2021 erschienenen Gedichtband „Unsere Spiele enden nicht“: „Das Wissen um die Vergänglichkeit jedes poetischen Augenblicks verleiht seinen Versen eine leise, nie überhandgewinnende Melancholie“.[10] Jan Wiele hob in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ die Bandbreite der Sprechweisen und damit eine wesentliche Kontinuität im Werk hervor: „Seine Gedichte schweben in einem Referenzuniversum zwischen Brentano und Tocotronic, zwischen Eichendorff und Supertramp.“[10]

Wie bin ich denn hierhergekommen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

2018 veröffentlichte von Petersdorff seinen Roman „Wie bin ich denn hierhergekommen“ – eine Frage, die die Figuren Tim, Anna, Johannes und Doris beschäftigt, Menschen Mitte Dreißig, aus deren Perspektive die Handlung im Wechsel erzählt wird. Anhand der Protagonisten stellt von Petersdorff verschiedene Beziehungen und Lebensentwürfe dar, über die er seine Figuren reflektieren lässt.[11] Als „Erzählung aus unseren brüchigen, von allseitigen Bedrohungen und Zumutungen umstellten Tagen“ hat Hilmar Klute die Novelle „Gewittergäste“ in der Süddeutschen Zeitung charakterisiert.[12]

Herausgeberschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Neben literaturwissenschaftlichen Sammelbänden hat von Petersdorff die Sammlung „Ein Gedicht von mir. Lyrikerinnen und Lyriker der Gegenwart stellen sich vor“ bei Reclam (2012) herausgegeben. Für den C.H. Beck Verlag gibt er seit 2019 einen Gedichtekalender[13] heraus und verantwortete 2023 die Neuedition der Gedichtanthologie „Der ewige Brunnen“.

Werke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Alena Diedrich: Art.: Dirk von Petersdorff. In: Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. München: Edition Text und Kritik 2009.
  • Uwe Wittstock: In einer zur Ironie verdammten Zeit – Dirk von Petersdorff. In: U. W.: Nach der Moderne. Göttingen: Wallstein 2009.
  • Martin Rector: Dirk von Petersdorff. In: Gegenstrophe. Blätter zur Lyrik. Nr. 3. Hrsg. von Michael Braun u. a. Hannover: Wehrhahn 2011. S. 31–32.
  • Walter Hinck: Dirk von Petersdorff: Alter Freund, alte Freundin. In: Frankfurter Anthologie. Hrsg. von Marcel Reich-Ranicki. Frankfurt a. M.: Insel 2012. S. 229–232.
  • Wolfgang Braungart: Gegenwärtigkeit der Literatur. Notizen zur Einführung. Am Beispiel dreier Gedichte Eduard Mörikes, Uwe Kolbes und Dirk von Petersdorffs. In: Gegenwart Literatur Geschichte. Zur Literatur nach 1945. Hrsg. von Wolfgang Braungart und Lothar van Laak. Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2013.
  • Harald Hartung: Die Vierzigjährigen. Dirk von Petersdorff: Nimm den langen Weg nach Haus. In: Die Launen der Poesie. Deutsche und internationale Lyrik seit 1980. Hrsg. von Heinrich Detering. Göttingen: Wallstein 2014. S. 329–331.
  • Eckhard Schumacher: "Wo komme ich denn bitte vor?" Stefan George bei Dirk von Petersdorff. In: George-Jahrbuch 10 (2014/15). S. 111–124.
  • Daniel Fulda: "Nur wie das ging, hab ich vergessen". Ein Gedicht Dirk von Petersdorffs historisiert die alte Bundesrepublik. In: Zeitschrift für Deutsche Philologie 141 (2022/2). S. 261–280.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Dirk von Petersdorff – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Mitgliedseintrag von Dirk von Petersdorff bei der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, abgerufen am 24. Februar 2024.
  2. Dirk von Petersdorff: Kann man produktiv von literaturgeschichtlicher 'Moderne' sprechen? Ein Vorschlag zur Neubestimmung des Begriffs. In: Euphorion. Band 116, Nr. 1, 2022, S. 105–127.
  3. Dirk von Petersdorff: Mysterienrede. Zum Selbstverständnis romantischer Intellektueller. Dissertation. Tübingen 1996.
  4. Dirk von Petersdorff: Fliehkräfte der Moderne. Zur Ich-Konstitution in der Lyrik des frühen 20. Jahrhunderts. Habilitationsschrift. Tübingen 2005.
  5. a b Hans Magnus Enzensberger, Dirk von Petersdorff: Wie soll man Geschichte(n) schreiben? Konferenzschrift, Tübinger Poetik-Dozentur 2013. Hrsg.: Dorothee Kimmich, Philipp Alexander Ostrowicz. Swiridoff Verlag, Künzelsau 2014, ISBN 978-3-89929-296-1.
  6. Rüdiger Görner: Slalom der Stimmen. In: nzz.ch. 9. Oktober 2014, abgerufen am 24. Februar 2024.
  7. Zitiert nach Dirk von Petersdorff | Sirenenpop. In: perlentaucher.de. Abgerufen am 24. Februar 2024.
  8. Zitiert nach Sirenenpop | Petersdorff, Dirk von. Buchpräsentation. In: chbeck.de. Abgerufen am 24. Februar 2024.
  9. Lyrik-Empfehlungen 2015. In: deutscheakademie.de. 9. März 2015, abgerufen am 24. Februar 2024.
  10. a b Zitiert nach Unsere Spiele enden nicht. Buchpräsentation. In: chbeck.de. Abgerufen am 24. Februar 2024.
  11. Marie Schmidt: Sommerhaus, zwanzig Jahre später. In: sueddeutsche.de. Abgerufen am 5. September 2019.
  12. Hilmar Klute: Die Motive unserer Zeit. In: sueddeutsche.de. 11. September 2022, abgerufen am 24. Februar 2024.
  13. C.H. Beck Gedichtekalender. In: C.H. Beck Verlag. Abgerufen am 19. Februar 2024.