Endolysine

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Endolysine (auch Murein-Hydrolasen) sind hydrolytische Enzyme, die von Bakteriophagen (kurz: Phagen) kodiert werden und von Bakterien während einer Infektion hergestellt werden. Sie werden in der letzten Phase des lytischen Zyklus produziert, um die Zellwand des Bakterienwirts an spezifischen Stellen zu zerschneiden und so die Freisetzung der Phagennachkommen sicherzustellen. Endolysine sind hochspezialisierte Enzyme, die die Zellwände Gram-positiver Bakterien auflösen und daher als Bacteriocine wirken.[1][2] Endolysine hydrolysieren das Murein in der Peptidoglykanschicht bakterieller Zellwände, weshalb sie unter anderem als mögliche Alternative zur Therapie antibiotikaresistenter Bakterien diskutiert werden. Bisher gibt es nur ein als Medizinprodukt zugelassenes Enzym (in Cremes und Gelen wird das Endolysin Staphefekt eingesetzt), aber noch keine entsprechenden Arzneimittelzulassungen.

Eigenschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Lytische Bakteriophagen haben sich als spezifische Bakterienviren im Lauf der Evolution gemeinsam mit ihren Wirten entwickelt und sich immer wieder angepasst. Damit sind auch Endolysine in ihrer Wirkungsweise über Millionen von Jahren optimiert worden und haben – wie ihre Phagen – eine entsprechende Wirtspezifität. Können sie ihre Wirkung nicht entfalten, weil sie die Oberflächenstrukturen des Bakteriums nicht erkennen und nicht die richtigen Verbindungen in der Bakterienhülle vorfinden, üben sie keinen Effekt aus.

Phagenendolysine gegen Gram-positive Bakterien sind modular aufgebaut, wobei die katalytisch aktiven Proteindomänen von den Bereichen, die für die Erkennung der bakteriellen Oberflächenmoleküle zuständig sind, räumlich getrennt sind. Für die Erkennung und Bindung an eine Zellwand sorgt die Zellwand-Binde-Domäne (engl. cell wall binding Domain, CBD).[3] Die enzymatisch aktiven Domänen (EAD) können Amidasen, Endopeptidasen, Glucosaminidasen, Muramidasen, u. a. sein, wobei die verschiedenen Enzymklassen nur ganz spezifische, für ihren jeweiligen Wirt typische Verbindungen innerhalb der bakteriellen Peptidoglykanhülle spalten. Die Endolysine spalten jeweils eine für die jeweilige Bakterienart spezifische, hochkonservierte Verbindung in der Peptidoglykanhülle, so dass diese irreparabel geschädigt wird. Die löchrige Bakterienhülle kann dem hohen inneren osmotischen Druck nicht mehr standhalten, und das Bakterium platzt, wodurch die neu gebildeten Bakteriophagen freigesetzt werden.[4] Diese lytische Wirkung von außerhalb ('exolytisch') können Endolysine bei Gram-negativen Bakterien nicht direkt entfalten, da bei diesen eine äußere Membran den Zugang zur Peptidoglykanhülle behindert.[5][6]

Wirksamkeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Aufgrund der Koevolution von Bakterien und Bakteriophagen sind Phagenlysine in der Regel artspezifisch oder gar Stamm-spezifisch. Sie können demzufolge nur gegen diejenigen Bakterienarten oder Bakterienstämme wirken, für die der jeweilige Phage, aus dem sie isoliert wurden, spezifisch war. Eine Resistenzbildung gegen Phagen-Endolysine von Seiten der Bakterien wird als extrem unwahrscheinliches Ereignis angesehen und konnte in Laborexperimenten bisher nicht nachgewiesen werden.[7] Anders als bei Antibiotika, die in die Bakterien eindringen und auf unterschiedliche Weise in den Stoffwechsel eingreifen, wirken von außen verabreichte Endolysine unmittelbar, so dass Bakterien weniger Chance einer Anpassung bekommen.

Nebenwirkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anders als Antibiotika wirken sie aufgrund des begrenzten Wirkungsspektrums weder auf andere Bakterienarten, noch auf pflanzliche, tierische oder menschliche Zellen. Eine allergische Reaktion bei empfindlichen Personen kann nicht völlig ausgeschlossen werden, da Endolysine Proteine sind.

Anwendungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Endolysine werden unter anderem zum Einsatz gegen Gram-positive Bakterien auf Schleimhäuten, bei systemischer Infektion, in der Diagnostik, zur Abwehr von Bioterrorismus, zur Eliminierung von Nahrungsmittel-Pathogenen und zur Minderung von Pflanzenschäden in der Landwirtschaft untersucht.[1][6] Als bakterielle Proteine können sie beim Menschen nur topisch angewendet werden, da im Körper gegen körperfremde Proteine eine Immunantwort induziert wird, die entweder zum vorzeitigen Abbau der Endolysine oder zu unerwünschten Entzündungsreaktionen gegen Endolysine führt.

Das proprietäre Endolysin Staphefekt SA.100 besitzt drei funktionelle Abschnitte, die jeweils unterschiedliche Funktionen haben und gemeinsam eine enge Wirtsspezifität vermitteln: eine CBD für die Erkennung und Bindung an Oberflächenmoleküle von Staphylococcus aureus und zwei enzymatisch aktiven Domänen, eine Endopeptidase und eine Amidase.[8] Es wirkt fast ausschließlich gegen Bakterien der Art Staphylococcus aureus und wird in Cremes und Gelen der Marke Gladskin des niederländischen Unternehmens Micreos Human Health zur Linderung der Symptome von Hauterkrankungen wie Akne, Rosazea, Ekzemen sowie von Hautreizungen eingesetzt.[9]

Synthetische Endolysine[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Synthetische Endolysine sind künstlich hergestellte modifizierte antimikrobielle Proteine aus der Gruppe der Endolysine. Über Ladungsunterschiede docken synthetische Endolysine unspezifisch an die bakterielle Zellwand an und führen zu einem Abbau des Peptidoglycans der Bakterien. Durch den osmotischen Druck im Inneren lysieren die Bakterien. Verschiedene synthetische Endolysine wurden beschrieben, teilweise unter dem Markennamen Artilysine. Artilysine sind Fusionsproteine aus einem zellpenetrierenden Peptid und einem Endolysin[10] und wirken sowohl auf pathogene Gram-negative[11][12] und Gram-positive Bakterien.[13] Synthetische Endolysine haben keine Wirkung auf den Stoffwechsel innerhalb der Zelle und benötigen daher keinen aktiven Stoffwechsel der Bakterien, somit werden auch Zellen mit ruhendem Stoffwechsel eliminiert.[14][15] Persistierende Zellen spielen eine wichtige Rolle bei chronischen Krankheiten.[15] Aufgrund von Wirkweise, Resistenzstabilität und Spezifität, sowie fehlender Zytotoxizität, stellen Synthetische Endolysine eine Alternative zu herkömmlichen antimikrobiellen Stoffen dar.[15]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Lauren Gravitz: Turning a new phage. In: Nature Medicine. Band 18, Nr. 9, September 2012, S. 1318–1320, doi:10.1038/nm0912-1318.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b M. Fenton, P. Ross, O. McAuliffe, J. O’Mahony, A. Coffey: Recombinant bacteriophage lysins as antibacterials. In: Bioengineered bugs. Band 1, Nummer 1, 2010, S. 9–16, doi:10.4161/bbug.1.1.9818, PMID 21327123, PMC 3035150 (freier Volltext).
  2. Mathias Schmelcher, David M. Donovan, Martin J. Loessner: Bacteriophage endolysins as novel antimicrobials. In: Future Microbiology. Band 7, Nr. 10, Oktober 2012, S. 1147–1171, doi:10.2217/fmb.12.97.
  3. E. García, J. L. García, P. García, A. Arrarás, J. M. Sánchez-Puelles, R. López: Molecular Evolution of Lytic Enzymes of Streptococcus pneumoniae and its Bacteriophages. In: PNAS 85, Nr. 3, 1988, S. 914–918, doi:10.1073/pnas.85.3.914, PMID 3422470, PMC 279667 (freier Volltext).
  4. D. C. Nelson, M. Schmelcher, L. Rodriguez-Rubio, J. Klumpp, D. G. Pritchard, S. Dong, D. M. Donovan: Endolysins as antimicrobials. In: Advances in virus research. Band 83, 2012, S. 299–365, doi:10.1016/B978-0-12-394438-2.00007-4, PMID 22748813.
  5. Martin J. Loessner: Bacteriophage endolysins — current state of research and applications. In: Current Opinion in Microbiology. Band 8, Nr. 4, August 2005, S. 480–487, doi:10.1016/j.mib.2005.06.002.
  6. a b Vincent A. Fischetti: Bacteriophage endolysins: A novel anti-infective to control Gram-positive pathogens. In: International Journal of Medical Microbiology. Band 300, Nr. 6, August 2010, S. 357–362, doi:10.1016/j.ijmm.2010.04.002, PMID 20452280, PMC 3666336 (freier Volltext).
  7. Lorena Rodríguez-Rubio, Beatriz Martínez, Ana Rodríguez, David M. Donovan, Friedrich Götz, Pilar García: The Phage Lytic Proteins from the Staphylococcus aureus Bacteriophage vB_SauS-phiIPLA88 Display Multiple Active Catalytic Domains and Do Not Trigger Staphylococcal Resistance. In: PLoS ONE. Band 8, Nr. 5, 28. Mai 2013, S. e64671, doi:10.1371/journal.pone.0064671.
  8. A. C. Fluit, S. van Marm, F. Eichenseher, M. J. Loessner, F. Pietersma, E. C. H. Boel: Killing And Lysis Of Staphylococcus aureus And Other Staphylococci By An Engineered Endolysin. In: ICAAC. F-1516, 2012 (Abstract [abgerufen am 20. September 2013] Poster).
  9. ABDA-Datenbank; abgerufen am 28. Dezember 2016.
  10. H. Yang, J. Yu, H. Wei: Engineered bacteriophage lysins as novel anti-infectives. In: Frontiers in Microbiology. Band 5, 2014, S. 542, doi:10.3389/fmicb.2014.00542, PMID 25360133, PMC 4199284 (freier Volltext).
  11. Y. Briers, R. Lavigne: Breaking barriers: expansion of the use of endolysins as novel antibacterials against Gram-negative bacteria. In: Future microbiology. Band 10, Nummer 3, 2015, S. 377–390, doi:10.2217/fmb.15.8, PMID 25812461.
  12. E. Schirmeier, P. Zimmermann, V. Hofmann, M. Biebl, H. Gerstmans, V. E. Maervoet, Y. Briers: Inhibitory and bactericidal effect of Artilysin Art-175 against colistin-resistant mcr-1-positive Escherichia coli isolates. In: International journal of antimicrobial agents. Band 51, Nummer 3, 03 2018, S. 528–529, doi:10.1016/j.ijantimicag.2017.08.027, PMID 28843823.
  13. L. Rodríguez-Rubio, W. L. Chang, D. Gutiérrez, R. Lavigne, B. Martínez, A. Rodríguez, S. K. Govers, A. Aertsen, C. Hirl, M. Biebl, Y. Briers, P. García: ‘Artilysation‘ of endolysin λSa2lys strongly improves its enzymatic and antibacterial activity against streptococci. In: Scientific Reports. Band 6, 10 2016, S. 35382, doi:10.1038/srep35382, PMID 27775093, PMC 5075790 (freier Volltext).
  14. H. Gerstmans, L. Rodríguez-Rubio, R. Lavigne, Y. Briers: From endolysins to Artilysin®s: novel enzyme-based approaches to kill drug-resistant bacteria. In: Biochemical Society transactions. Band 44, Nummer 1, Februar 2016, S. 123–128, doi:10.1042/BST20150192, PMID 26862197
  15. a b c V. Defraine, J. Schuermans, B. Grymonprez, S. K. Govers, A. Aertsen, M. Fauvart, J. Michiels, R. Lavigne, Y. Briers: Efficacy of Artilysin Art-175 against Resistant and Persistent Acinetobacter baumannii. In: Antimicrobial agents and chemotherapy. Band 60, Nummer 6, 06 2016, S. 3480–3488, doi:10.1128/AAC.00285-16, PMID 27021321, PMC 4879360 (freier Volltext).