Fall Kevin

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Der Fall Kevin bezeichnet einen Fall im Bremer Stadtteil Gröpelingen, bei dem ein zweijähriger Junge 2006 von seinem drogenabhängigen Ziehvater getötet wurde. Das Jugendamt Bremen hatte zum Zeitpunkt des Todes die Vormundschaft über den Jungen.

Verlauf[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kevin K. wurde am 23. Januar 2004 im Klinikum Bremen-Nord geboren; er war ein Frühchen und litt an einem Drogenentzug.[1] Der Ziehvater des Kindes, Bernd K., war bereits mehrfach wegen Körperverletzung vorbestraft.[2] Im August 2004 griff die Polizei die drogenabhängige Mutter mit ihrem Baby auf. In der Professor-Hess-Kinderklinik wurde festgestellt, dass die Knochen des Babys an mehreren Stellen gebrochen waren; das Kind war mit 7,5 Kilo untergewichtig. Vom 24. bis zum 29. November 2004 war das Kind in der Fremdunterbringung im Hermann-Hildebrandt-Haus.[3]

Kevins Mutter starb im November 2005 an einem Milzriss; gegen den Mann wurde ermittelt, doch ergaben sich keine Hinweise auf ein Fremdverschulden.[4] Nach dem Tod der Mutter setzte sich der Hausarzt des Paares dafür ein, dass der ebenfalls drogenabhängige Partner das Kind behalten könne.[5]

Die Senatorin Karin Röpke wurde am 18. Januar 2006 von Bürgermeister Jens Böhrnsen persönlich auf den Fall Kevin aufmerksam gemacht. Röpke sprach mit dem Leiter des Jugendamtes, Jürgen Hartwig, über den Fall. Dieser leitete es an die zuständige Fachabteilung weiter.[6]

Der Amtsvormund, der die Pflegschaft für Kevin ausübte, hatte nach eigenen Angaben im Schnitt 240 Fälle zu betreuen.[3]

Die Leiche des Jungen wurde von der Polizei am 10. Oktober 2006 im Tiefkühlschrank der Wohnung vorgefunden. An diesem Tag versuchten Mitarbeiter des Amts für Soziale Dienste, Kevin in Obhut zu nehmen.[7][8] Am Körper ließen sich zahlreiche Blutergüsse und 21 Knochenbrüche nachweisen, betroffen waren darunter das rechte Schienbein, der linke Oberschenkel und die Speiche über der linken Handwurzel.[9] Der Ziehvater gab den Monat Mai als Todeszeitpunkt an.

Kevin wurde im November 2006 auf dem Waller Friedhof bestattet.[7]

Konsequenzen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Karin Röpke trat von ihrem Amt als Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales am 11. Oktober 2006 zurück.[10]

Ende Oktober 2006 wurde von Justizstaatsrat Ulrich Mäurer ein Untersuchungsbericht zum „Fall Kevin“ veröffentlicht, der den zuständigen Ämtern schwerwiegende Fehler nachwies.[4]

2008 wurde der Täter zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt.[9]

Aufgrund der hohen Fallzahl des betroffenen Sachbearbeiters, der seine Überlastung auch gemeldet hatte, wurde die Fallzahl für einen Amtsvormund 2011 gesetzlich auf 50 begrenzt (Soll-Regelung) (§ 55 SGB VIII).[11][12]

Im April 2010 beschloss die Bremische Bürgerschaft eine verdachtsunabhängige Pflicht zur Obduktion beim ungeklärten Tod von Kindern unter sechs Jahren.[13] Mit der 2011 in Kraft getretenen Änderung des Bremer Gesetzes über das Leichenwesen[14] sollten mögliche Misshandlungen aufgeklärt werden.

Prozessbeobachtung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Bremer Künstlerin Yolanda Feindura erlebte den Fall Kevin ab 2006 als zivile Prozeßbeobachterin[15] mit und machte das Geschehen zum Gegenstand zweier Ausstellungen in Bremen – 2008 im Atelierhof,[16] und in der Villa Ichon 2013. Im Gespräch mit der Presse nahm Feindura in diesem Zusammenhang öffentlich Stellung zum Verfahren wie auch zum Verhalten des Angeklagten. „Es hat mich geärgert, dass er nicht gesprochen hat,“ sagte sie, und begleitete das Geschehen um die Kindstötung sowohl im parlamentarischen Untersuchungsausschuss der Bremer Bürgerschaft als auch im Gerichtsprozess mit über 800 Zeichnungen[17] und circa 100 Textblättern, „weil ich nicht mehr stoppen konnte, mir ein Bild zu machen, wo ich doch nur hören wollte“, so Feindura gegenüber dem Fernsehsender RTL Nord.[18]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Untersuchungsbericht der Bremer Bürgerschaft. 2006
  2. Fall Kevin Chronik eines vermeidbaren Todes. In: Spiegel, 12. Oktober 2006
  3. a b Chronologie In: Antageslicht.de
  4. a b Fall Kevin: Bericht weist Sozialamt massive Fehler nach. In: Spiegel, 31. Oktober 2006
  5. Fall Kevin: Bernd K.s hilfreicher Hausarzt. In: Stern, 1. November 2006
  6. Fall Kevin: Jugendamt wollte Polizeischutz. In: FAZ, 16. Oktober 2006
  7. a b Fall Kevin: Vor zehn Jahren schockierte sein Tod ganz Deutschland. In: Weser-Kurier, 10. Oktober 2016
  8. Jugendamt versagte im Fall Kevin immer wieder. In: Süddeutsche Zeitung, 19. Mai 2010
  9. a b Urteil im Fall Kevin "Sie müssen mit dieser Schuld fertig werden". In: Spiegel, 5. Juni 2008
  10. Senatspressesetelle Bremen: Senatorin Karin Röpke erklärt Rücktritt. Abgerufen am 18. Juni 2018.
  11. Felix Brandhorst: Kinderschutz und Öffentlichkeit: Der „Fall Kevin“ als Sensation und Politikum. Springer-Verlag, 2015 (Auszug)
  12. Bundestag: Fallzahl je Mitarbeiter soll auf 50 begrenzt werden. 2011
  13. Hans-Otto Burschel: Obduktionspflicht bei Tod eines Kindes 14. April 2010.
  14. § 12 Abs. 2 Gesetz über das Leichenwesen (Memento des Originals vom 9. Juli 2021 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.transparenz.bremen.de in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. März 2011. Brem.GBl. 2011, S. 87.
  15. Christian Dohle: Ein Urteil und viele offene Fragen. In: Spiegel online. Spiegel, 5. Juni 2008, abgerufen am 3. Mai 2020.
  16. Annabel Trautwein: Kevin-Zeichnungen: Eine Tragödie in Strichen. In: taz. taz, 11. August 2008, abgerufen am 3. Mai 2020.
  17. Karina Skwirblies: Portraits aus dem Gerichtssaal. Hrsg.: Weser Kurier. Bremen 8. August 2008.
  18. Julia Parohl: Künstlerin zeigt Zeichnungen vom Prozess. RTL Nord, 10. Dezember 2014, abgerufen am 3. Mai 2020.