Fat Face

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Eine extrem fette Fat Face aus dem Katalog der Fann Street Foundry, London, aus dem Jahr 1825

Fat Face (englisch „fettes Schriftbild“)[1] bezeichnet besonders fette Schriftarten aus der Schriftklasse Klassizistische Antiqua. Anders als bei fetten Grotesk- oder Egyptienneschriften bleiben die dünnen Haarstriche unverändert dünn und nur die kräftigen Schattenstriche werden verbreitert. Dadurch haben Fat-Face-Schriftarten einen extrem hohen Strichkontrast.[2] Die fetten Striche haben fast mehr den Charakter von Flächen als den von Linien.

Fat-Face-Schriften wurden für den Einsatz auf Plakaten und in der Werbung entwickelt.[3][4][5][6] Sie ziehen durch ihre Schriftstärke und ihre markanten Formen die Aufmerksamkeit an. Sie können allerdings schwerer als herkömmliche Antiquaschriften zu lesen sein, da die Buchstabenformen schlechter erkennbar und unterscheidbar sind. Für Mengentext eignen sie sich kaum.

Zum Begriff[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Fat ist eine Steigerung zum englischen Begriff bold für herkömmliche fette Schrift. Face bezeichnet in der englischen Druckersprache den Teil der Lettern, der das Schriftbild trägt. Im Deutschen gibt es keinen etablierten Begriff für die Schriftartengruppe. „Fette Antiqua“ ist nicht spezifisch genug und wird vorrangig nicht als Stilbegriff, sondern für eine konkrete Schriftart aus dieser Stilform verwendet.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hintergrund[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Antiqua kam um das Jahr 1475 auf und wurde außerhalb des deutschen Sprachraums im Druckwesen rasch zur beliebtesten Schriftart für das lateinische Schriftsystem. Ihre Form blieb in den folgenden Jahrhunderten enorm stabil. Es gab bis in das späte 18. Jahrhundert nur sehr zurückhaltende Weiterentwicklungen. Für Buchtitel, Überschriften und Ähnliches wurden üblicherweise lediglich größere Schriftgrade der normalen Antiqua verwendet, keine andersgestaltete Schrift.

Das änderte sich, als zu Beginn des 19. Jahrhunderts erstmals der Plakatdruck und das Thema der Werbung stark aufkamen. Für diese Einsatzzwecke entstand der Wunsch nach besonders auffälligen und das Auge auf Distanz anziehenden Schriftarten.[7][8][9][10] Nun entwickelten die Schriftgießereien völlig neue und kreative Schriftgestaltungsformen. Zu diesen zählen die Groteskschriften (serifenlos), die Egyptienneschriften (serifenverstärkt), neue Formen für gebrochene Schriften, und auch besonders fette sowie dekorativ veränderte Antiqua-Schriften.

Der englische Typograf John Lewis bezeichnet die Fat Face als die erste echte Akzidenzschrift.[4][3][11] Zwar gab es schon zuvor andere Akzidenzschriften, aber keine hatte eine so starke und nachhaltige Wirkung auf die Geschichte der Typografie wie die Fat Face.

Die Entstehung der Fat Face[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anfang des 19. Jahrhunderts gab es eine Übergangszeit, in der sich aus fetten klassizistischen Antiqua-Schnitten allmählich die voll entwickelte Fat Face herausbildete. So gilt beispielsweise nach Ansicht des Designers Paul Barnes eine 1803 vom britischen Typografen Robert Thorne entworfene Schrift noch nicht als eine Fat Face, nur als eine fette Antiqua.[12]

Die Fat Face trat erstmals etwa zwischen den Jahren 1805 und 1810 in London auf. Die Initiative für ihre Entwicklung ging möglicherweise von den Gestaltern von Lotterie-Plakatanschlägen aus, die für die Hauptzeilen ihrer Plakate auffällige und oft besonders fette Holzlettern verwendeten. Die britischen Schriftgießereien folgten diesen Vorbildern.[13] Die Fat Face wurde rasch sehr beliebt und international aufgegriffen.

Ein Beispiel für eine Fat Face aus Deutschland ist die von Johann Christian Bauer in der Bauerschen Gießerei geschaffene Fette Antiqua (1850) mit dem kursiven Schnitt Fette Kursiv (1851).[14] Man nennt sie auch Fette Bauersche Antiqua. Eine andere mit unklarem Ursprung ist die ca. 1850 geschaffene Breite-Fette Antiqua.[15]

Plakat-Beispiele[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die folgenden britischen Plakat-Beispiele veranschaulichen den typografischen Wandel mit dem Einzug der Fat-Face-Schriften:

Einsatzgebiete außerhalb des Drucks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Fat-Face-Schriften wurden auch außerhalb der Druckbranche verwendet, etwa in Inschriften und auf gemalten Schildern. In den USA wurden sie nicht selten auch zur Beschriftung von Grabsteinen eingesetzt.[16][17][18][19]

Nach der Mitte des 19. Jahrhunderts[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Jahr 1863 schrieb der Drucker H. Morgan in Madras, dass Fat-Face-Schriften nur noch selten verwendet werden.[20]

1901 kritisierte der US-amerikanische Drucker Theodore Low De Vinne den Stil als „Schulbeispiel für Absurdität“.[21]

Poster aus der Mitte des 20. Jahrhunderts von Jan Lewitt und George Him als Beispiel für das Revival der Fat Face im grafischen Design dieser Zeit.

Im 20. Jahrhundert lebte die Fat Face im Vereinigten Königreich als Teil der historisierenden „Victoriana“-Bewegung, die von John Betjeman und anderen in den 1930er Jahren vertreten wurde, teilweise nochmals auf. Zu den nach dem 19. Jahrhundert entstandenen Fat-Face-Schriftarten gehören:

Zu den Fat-Face-Schriftarten aus der Ära der digitalen Typografie zählen:

Merkmale und Gestaltungsvarianten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Merkmale der klassizistischen Antiqua bilden die Grundlage der Fat Face. Dazu zählen die senkrechte Schattenachse, der hohe Strichkontrast, die scharfen, dünn angesetzten Serifen und kreisrunde bzw. elliptische Tropfenserifen. In Fat-Face-Schriften werden diese Merkmale noch weiter verstärkt. Sie erscheinen daher besonders geometrisch und abstrakt. Die Vielfalt innerhalb der Stilform Fat Face ist groß. In ihrer Formensprache zwischen Tradition und Moderne stehend, können Fat-Face-Schriften gekünstelt, energievoll, extravagant, freundlich, elegant, albern oder blasiert wirken. Es gibt sie in normaler aufrechter Form, in kursiven, schmalen und breiten Schnitten.

In der Periode mutigen Experimentierens mit neuer Schriftgestaltung entstanden möglicherweise aus der Umgekehrung des extremen Strichkontrasts der Fat Face die ersten Italienne-Schriften.[39]

Bei den insbesondere im Plakatdruck eingesetzten Holzlettern, aber auch im Bleisatz, kam die Praxis auf, die breiten Strichflächen von Fat-Face-Schriften wie Hohlräume zu füllen – von einer einfachen Linie (inline) bis hin zu geometrischen Mustern, floralen und bildlichen Gestaltungen.[37] Auch der Schattenwurf (dreidimensional erscheinende Schrift) wurde gerne in Fat-Face-Schriften als Gestaltungsmerkmal verwendet. Eine besonders für ihre dekorativen Designs bekannte Londoner Schriftgießerei war die von Louis Pouchée.[40]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Alfred F. Johnson: Selected essays on books and printing. Van Gendt & Co, 1970, ISBN 978-90-6300-016-5, Fat Faces: Their History, Forms and Use (1947), S. 409–415.
  • Michael Twyman: The Bold Idea: The use of Bold-looking Types in the Nineteenth Century. Journal of the Printing Historical Society, Nr. 22, 1993.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Fat-Face-Schriftarten – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Charles Thomas Jacobi: The Printers' Vocabulary: A Collection of Some 2500 Technical Terms, Phrases, Abbreviations, and Other Expressions Mostly Relating to Letterpress Printing, Many of which Have Been in Use Since the Time of Caxton. Gale Research Company, 1888, ISBN 978-0-8103-3309-3, S. 42 (books.google.de).
  2. Karen Cheng: Designing Type. Laurence King Publishing, 2006, ISBN 978-1-85669-445-2, S. 15 (books.google.de).
  3. a b Thomas Phinney: Fat Faces. Graphic Design and Publishing Centre, archiviert vom Original am 9. Oktober 2015; abgerufen am 10. August 2015.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/graphic-design.com
  4. a b Jennifer Kennard: The Story of Our Friend, the Fat Face. In: Fonts in Use. 3. Januar 2014, abgerufen am 11. August 2015.
  5. Paul Shaw: Revival Type: Digital Typefaces Inspired by the Past. Yale University Press, 2017, ISBN 978-0-300-21929-6, S. 121–2 (google.com).
  6. Alfred F. Johnson: Selected Essays on Books and Printing. 1970, Fat Faces: Their History, Forms and Use, S. 409–415.
  7. David Raizman: History of Modern Design: Graphics and Products Since the Industrial Revolution. Laurence King Publishing, 2003, ISBN 1-85669-348-1, S. 40–3 (google.com).
  8. Stephen J. Eskilson: Graphic Design: A New History. Yale University Press, New Haven 2007, ISBN 978-0-300-12011-0, S. 25 (archive.org).
  9. Tobias Frere-Jones: Scrambled Eggs & Serifs. Frere-Jones Type, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 28. September 2015; abgerufen am 23. Oktober 2015.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.frerejones.com
  10. John Lewis: Typography: Design and Practice. Jeremy Mills Publishing, 2007, ISBN 978-1-905217-45-8, S. 13–17 (google.com).
  11. Alexander Nesbitt: The History and Technique of Lettering. Dover Publications, Mineola, NY 1998, ISBN 0-486-40281-9, S. 158–161.
  12. a b Paul Barnes: Isambard: read the story. Commercial Type, abgerufen am 16. Mai 2020.
  13. Fat Faces - Linotype Font Feature. In: linotype.com. Abgerufen am 18. Februar 2021.
  14. Fette Bauersche Antiqua in use. In: fontsinuse.com. Fonts in Use, abgerufen am 23. Februar 2021 (englisch).
  15. Breite-Fette Antiqua FSL in use. In: fontsinuse.com. Fonts in Use, abgerufen am 23. Februar 2021 (englisch).
  16. Paul Shaw: By the Numbers no. 2—Fat Faces in New England Cemeteries. In: Paul Shaw Letter Design. Abgerufen am 13. Mai 2020.
  17. David Shields: A History of ‘Aetna’ Typefaces. In: Mark Simonson. Abgerufen am 2. Februar 2021.
  18. Spring%2526BarstowDIED.jpg. In: blogspot.com. Abgerufen am 23. Februar 2021. (Beispielbild)
  19. 2GordonCemeteryDIED.jpg. In: blogspot.com. Abgerufen am 23. Februar 2021. (Beispielbild)
  20. H. Morgan: A Dictionary of Terms used in Printing. 1863, S. 40 (google.com).
  21. Theodore De Vinne: Fads in Printing. In: The American Printer. 31. Jahrgang, Nr. 5, 1901, S. 326–327 (google.com)., „an object lesson of absurdity“
  22. Ultra Bodoni. In: MyFonts. Abgerufen am 4. März 2016.
  23. Bodoni Poster Schriftfamilie – Linotype.com. In: linotype.com. Abgerufen am 2. März 2021.
  24. Bodoni Black (D) Font - Lizenzoptionen – Linotype.com. In: linotype.com. Abgerufen am 2. März 2021.
  25. Falstaff. In: MyFonts. Monotype, abgerufen am 4. März 2016.
  26. Bitstream Normande. In: MyFonts. Bitstream, abgerufen am 4. März 2016.
  27. Normandia in use. In: fontsinuse.com. Fonts in Use, abgerufen am 17. Februar 2021 (englisch).
  28. Thorowgood. In: MyFonts. Linotype, abgerufen am 4. März 2016.
  29. Elephant - Microsoft. Microsoft, abgerufen am 4. März 2016.
  30. Step-by-step Graphics. Dynamic Graphics, Incorporated, 1993, S. 46 (google.com).
  31. Elephant. In: Fonts In Use. Abgerufen am 4. März 2016.
  32. Matthew Carter - Designing Britain. In: Design Museum. Archiviert vom Original am 27. Februar 2016; abgerufen am 22. Februar 2016.
  33. New Faces in Washington. In: Font Bureau. Abgerufen am 24. November 2015.
  34. Stephen Coles: Washington Post 2012 "Q" Covers. In: Fonts In Use. Abgerufen am 4. März 2016.
  35. Matthew Carter, Erik Spiekermann: Reputations: Matthew Carter. In: Eye Magazine. Abgerufen am 22. Februar 2016.
  36. AIGA Medalist: Matthew Carter. AIGA, abgerufen am 6. März 2016.
  37. a b Andy Clymer: Designing Obsidian with Andy Clymer. In: Vimeo. Cooper Union, 3. April 2015, abgerufen am 22. Mai 2020.
  38. Brunel. In: Fonts In Use. Abgerufen am 4. März 2016.
  39. David Shields: A Short History of the Italian. In: Ultrabold: The Journal of St Bride Library. Nr. 4, 2008, S. 22–27 (woodtyperesearch.com).
  40. Stephen Coles: Ornamented Types Introduction and Prospectus. In: Fonts in Use. 7. Mai 2016, abgerufen am 26. Mai 2020.
  41. Margaret Re, Johanna Drucker, James Mosley, Matthew Carter: Typographically Speaking: The Art of Matthew Carter. Princeton Architectural Press, 2003, ISBN 978-1-56898-427-8, S. 61, 84, 90 (google.com).