Finanzmathematik

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Die Finanzmathematik ist eine Disziplin der angewandten Mathematik, die sich mit Themen aus dem Bereich von Finanzdienstleistern, wie etwa Banken oder Versicherungen, beschäftigt. Im engeren Sinne wird mit Finanzmathematik meist die bekannteste Unterdisziplin, die Bewertungstheorie, bezeichnet, d. h. die Ermittlung theoretischer Barwerte von Finanzprodukten. Sowohl von der Art der betrachteten Geschäfte als auch der methodischen Grundlagen ist die Finanzmathematik von der Versicherungsmathematik zu unterscheiden. Letztere befasst sich mit der Bewertung von Versicherungsdienstleistungen.

Mathematische Grundlagen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Finanzmathematik fußt auf der Stochastik und alle theoretischen Erkenntnisse der Stochastik finden auch Anwendung in der Finanzmathematik. Insbesondere modelliert man Finanzinstrumente durch stochastische Prozesse und besonders relevant ist für die Bewertung (unter einem Martingalmaß) solcher die Theorie der (Semi-)Martingale und der Arbitrage.

Man unterscheidet zwischen der Theorie in diskreter und in stetiger (oder unendlicher) Zeit.

Für die fortgeschrittene Finanzmathematik ist des Weiteren die Theorie der (stochastischen) partiellen Differentialgleichungen und das Malliavin-Kalkül ([1]) relevant.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als Geburtsstunde der modernen Finanzmathematik gilt das Jahr 1900, in dem der Franzose Louis Bachelier seine Dissertation Théorie de la spéculation veröffentlichte. Allerdings fand sie erst über 50 Jahre später Verbreitung, nachdem sie ins Englische übersetzt worden war. Viele der heute üblichen Techniken wurden hier zum ersten Mal beschrieben und zu Ehren Bacheliers trägt die internationale finanzmathematische Gesellschaft heute den Namen Bachelier Society.

Das bekannteste Ergebnis der Finanzmathematik ist das Anfang der 1970er Jahre aufgestellte Black-Scholes-Modell. Es entwickelte sich sehr schnell zum Standardmodell für die Bewertung von Optionen auf Aktien und wurde später unter dem Namen Black'76 auf weitere Klassen von Grundgeschäften erweitert. Das Modell geht davon aus, dass die Wahrscheinlichkeitsverteilung von Aktien für einen Zeitpunkt in der Zukunft einer logarithmischen Normalverteilung entspricht, und legt den Schwankungen des Aktienkurses einen Wiener-Prozess zugrunde.

Bis heute hat sich das Gebiet der Finanzmathematik stark ausgeweitet. Dies betrifft sowohl die Zahl der Assetklassen (also der Art der Grundgeschäfte) als auch die Zahl der Modelle. Zu den behandelten Assetklassen gehören Aktien, Wechselkurse, Zinsen, Kreditausfallrisiken (die je nach Modell anders modelliert werden), aber auch Preise von Rohwaren (z. B. Erdöl, Getreide, Kaffee, Zucker), Strom oder wetterabhängige Kenngrößen (z. B. Anzahl der Sonnenstunden über einen gewissen Zeitraum an einer bestimmten Wetterstation). Auch Kombinationen verschiedener Assetklassen (hybride Produkte) und Portfolios von Assets werden behandelt. Zu den wichtigsten Modellen gehören Sprungprozesse (Jump Diffusion), stochastische und lokale Volatilitätsmodelle sowie die Gruppe der Zinsstrukturmodelle.

Bewertung von Finanzderivaten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ziel der Bewertungstheorie ist es, den Barwert eines Finanzprodukts zu ermitteln.

Derivative Finanzprodukte sind solche, deren Zahlungen von anderen Finanzprodukten, den Basiswerten (Underlyings), abhängen. Beispiele für nicht-derivative Finanzprodukte sind gehandelte Aktien und Anleihen. Beispiele für derivative Finanzprodukte sind Terminkontrakte und Optionen. Der Preis eines Finanzproduktes, welches in ausreichender Stückzahl (d. h. mit hinreichender Liquidität) gehandelt wird, bestimmt sich gewöhnlich über Angebot und Nachfrage. Wird ein Finanzprodukt nicht oder mit unzureichender Liquidität gehandelt und ist dieses Finanzprodukt ein derivatives Finanzprodukt, dessen Grundprodukte gehandelt werden, so ist die Bestimmung eines „fairen Wertes“ und damit eine Preisfindung mit finanzmathematischen Methoden möglich. Dabei kommt das Grundprinzip der Replikation zum Einsatz, welches ein mathematisches Modell der (gehandelten) Basiswerte benötigt.

Die derivativen Finanzprodukte werden nach Art der Optionalität und Basiswert unterschieden. Letztere werden historisch in die Assetklassen Aktie (Equity), Zins (Interest Rate), Wechselkurs (Foreign Exchange, kurz FX) und Bonität (Credit) unterteilt. Entsprechend existiert für die jeweilige Assetklasse eine umfangreiche Modellierungstheorie (z. B. Aktienmodelle und Zinsstrukturmodelle).

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Jutta Arrenberg: Finanzmathematik. 3. Auflage, De Gruyter Oldenbourg, 2015.
  • Martin W. Baxter, Andrew J. O. Rennie: Financial Calculus. An introduction to derivative pricing. Cambridge University Press, Cambridge 2001, ISBN 0-521-55289-3.
  • Jürgen Kremer: Einführung in die diskrete Finanzmathematik. Springer, Berlin 2005, ISBN 3-540-25394-7.
  • Volker Oppitz, Volker Nollau: Taschenbuch Wirtschaftlichkeitsrechnung. Carl Hanser Verlag, München 2003, ISBN 3-446-22463-7.
  • Stefan Reitz: Mathematik der modernen Finanzwelt. Derivate, Portfoliomodelle und Ratingverfahren. Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-8348-0943-8.
  • Paul Wilmott: Paul Wilmott on Quantitative Finance. John Wiley, Chichester 2000, ISBN 0-471-87438-8.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Eric Fournié, Jean-Michel Lasry, Jérôme Lebuchoux und Pierre-Louis Lions: Applications of Malliavin calculus to Monte Carlo methods in finance. In: Finance and Stochastics. Band 3, 1999, S. 391–412, doi:10.1007/s007800050068.