Fogbank

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Fogbank (stilisiert FOGBANK) ist der Deckname eines Stoffes, der in US-amerikanischen Nuklearsprengköpfen der Typen W76, W78 und W88 verwendet wird.[1][2]

Eigenschaften und Verwendung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Aufbau eines W88-Sprengkopfes, Fogbank als Füllmaterial an Position 4

Die genauen Eigenschaften von Fogbank unterliegen der Geheimhaltung. Dennis Ruddy, damaliger Präsident und Geschäftsführer von BWXT Y-12, dem Betreiber des Y-12 National Security Complex, äußerte sich dazu folgendermaßen: „Das Material ist streng vertraulich. Seine Zusammensetzung ist streng vertraulich. Die Verwendung innerhalb der Waffe ist streng vertraulich, und der Herstellungsprozess ist streng vertraulich.“[3] In Dokumenten des Energieministeriums der Vereinigten Staaten wird beschrieben, dass die Substanz in Kernwaffen und Atomsprengköpfen neben Lithiumhydrid (LiH) und Lithiumdeuterid (LiD), Beryllium (Be), Uran(III)-hydrid (UH3) und Plutonium(II)-hydrid (PuH2) verwendet wird[2] und unverzichtbarer Bestandteil der Sprengköpfe ist.[4]

Der damalige Leiter der National Nuclear Security Administration (NNSA), Thomas D’Agostino, legte die Funktion von Fogbank als Füllmaterial („Interstage material“) innerhalb von Kernwaffen offen.[5] Waffenexperten vermuten, dass es sich bei Fogbank aufgrund seiner Eigenschaften um ein Aerogel handelt. In Nuklearsprengköpfen mit Teller-Ulam-Aufbau befindet sich ein Füllmaterial zwischen den beiden Zündungsstufen. Das Füllmaterial wird nach der Detonation der Fissionsstufe (erste Stufe) in ein überhitztes Plasma umgewandelt und löst die Detonation der Fusionsstufe als zweite Stufe aus.[3]

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Fogbank wurde in der Zeit von 1975 bis 1989 in der Fabrik 9404-11 des Y-12 National Security Complex in Oak Ridge produziert, als die W76-Sprengköpfe hergestellt wurden. Danach wurde die Fabrik 1993 stillgelegt. Nur ein Technikum als Pilotanlage blieb übrig, um kleinere Mengen Fogbank zu Testzwecken herzustellen zu können.[3]

1996 entschied die US-Regierung, eine große Anzahl ihrer Nuklearwaffen zu ersetzen, zu erneuern oder diese außer Dienst zu stellen. Das Energieministerium der Vereinigten Staaten richtete daraufhin ein Modernisierungsprogramm ein, um die Nutzungsdauer von älteren Nuklearwaffen zu verlängern. Dies würde die Dienstzeit der W76-Sprengköpfe bis mindestens 2040 verlängern.[3]

Im Zuge der Modernisierung erwog die NNSA 2000 den Ersatz von Fogbank durch eine kostengünstigere und einfacher zu produzierendere Alternative. Diese Idee wurde jedoch verworfen, da man zuversichtlich war, Fogbank erneut herzustellen zu können. Auch waren die Computermodelle und -simulationen des Los Alamos National Laboratory zu dieser Zeit nicht fortgeschritten genug, um schlüssig festzustellen, dass ein alternatives Material so effektiv wie Fogbank funktionieren würde. Darüber hinaus bevorzugte die Navy als Endkunde Fogbank aufgrund der erfolgreichen Nukleartestreihen. Die Entwicklung eines alternativen Materials wurde daher bis 2007 nicht weiter verfolgt.[A 1][4] Deshalb beschloss die NNSA 2000, die Herstellung von Fogbank wiederaufzunehmen.[3][4]

Die NNSA erkannte, dass die Herstellung von Fogbank das größte Risiko des Modernisierungsprogramm darstellte, da sie nicht mehr über das Wissen, die Erfahrung und die Produktionsstätten zur Herstellung von Fogbank verfügte und nahezu alle Mitarbeiter mit Fachkenntnissen die Behörde verlassen hatten oder in den Ruhestand gegangen waren.[A 2] Daraufhin entwickelte die NNSA für Fogbank eine Strategie zur Risikominimierung, bei der sie frühzeitig eine neue Produktionsanlage errichten wollte, um genügend Zeit zur Lösung von Fertigungsproblemen zu haben. Die vorhandene Pilotanlage sollte dabei zum Test des Herstellungsprozesses dienen, und die Entwicklung eines Alternativmaterials sollte untersucht werden.

Da die Fabrik 9404-11 stillgelegt war und es beim bestehenden Gebäude Bedenken bei den Anforderungen an den Gesundheitsschutz und der Sicherheit gab,[6] sollte eine neue Produktionsstätte errichtet werden. Zwischen 2000 und 2003 wurde die vorhandene Pilotanlage zur Produktion geringer Mengen von Fogbank verwendet, um den Produktionsprozess zu testen und ein besseres Verständnis der Materialeigenschaften zu erhalten.[A 3] Der Bau der neuen Fabrik verzögerte sich allerdings um etwa ein Jahr, da das Gebäude der erste Neubau auf dem Gelände seit 30 Jahren war und es Unklarheiten gab, welche Sicherheitsanforderungen das Bauunternehmen umzusetzen hatte.[A 4] Durch die Verzögerungen bei der neuen Anlage wurde mit der Pilotanlage 2004 erneut produziert und festgestellt, dass verschiedene Techniken die Qualität des Produktes erheblich beeinträchtigten. Dabei verpasste die NNSA die Möglichkeit, vor Betriebsaufnahme der neuen Anlage mehr Kenntnisse über den Herstellungsprozess von Fogbank zu erhalten.[A 5]

Die neue Produktionsstätte wurde 2005 fertiggestellt und es gab wiederholt Schwierigkeiten mit dem Produktionsprozess, sodass Fristen mehrfach verpasst und der Zeitplan regelmäßig nach hinten verschoben wurde.[3] Im März 2007 glaubten die Ingenieure, einen Herstellungsprozess für Fogbank entwickelt zu haben. Bei den anschließenden Tests wurde jedoch deutlich, dass das hergestellte Material Qualitätsprobleme hatte, sodass das Fogbank-Projekt auf die höchste Priorität bei NNSA gesetzt wurde, um einen Abschluss bis September 2007 zu erzielen.[3] Zudem wurden ebenfalls im März 2007 23 Millionen US-Dollar in die Entwicklung eines Alternativmaterials investiert.[3][7][8]

Ein Durchbruch wurde 2008 erzielt, als gleichzeitig mehrere Änderungen an verschiedenen Prozessen vorgenommen wurden, wobei gleichwertiges Fogbank produziert werden konnte und die Neuzertifizierung der Anlage erfolgte.[3] Der erste überholte W76-Sprengkopf konnte im September 2008 an die Navy ausgeliefert werden.[A 6] Trotz des Erfolgs war für die Ingenieure nicht ersichtlich, welche Änderung letztendlich zur Problemlösung führte.[4]

Die Verzögerungen kosteten insgesamt 69 Mio. US-Dollar, wovon 23 Mio. US-Dollar auf die Entwicklung eines Alternativmaterials entfielen, 22 Mio. US-Dollar auf die Lösung der Produktionsprobleme sowie 24 Mio. US-Dollar auf die Aufrechterhaltung der Produktionskapazitäten der Pantex Plant in Texas, welche die Sprengköpfe zusammensetzt. Zudem wurde eine Untersuchung durch das Government Accountability Office eingeleitet, um die Ursachen für das Versagen des Risikomanagement der NNSA zu ermitteln.[A 7]

Die Erfahrungen durch das Reverse Engineering von Fogbank führten zu wissenschaftlichen Erkenntnissen und somit zu Verbesserungen im Herstellungsprozess. Die Wissenschaftler stellten fest, dass bestimmte Probleme denen in der ursprünglichen Produktion ähnelten. Die Probleme konnten auf das Fehlen bestimmter „Verunreinigungen“ im Endprodukt zurückgeführt werden. Eine Fehler-Ursachen-Analyse ergab, dass bei der neu aufgebauten Produktion zunächst die Rohmaterialien Reinigungsverfahren unterzogen wurden, die es bei der ursprünglichen Produktion nicht gab. Dabei wurde eine notwendige Substanz entfernt. Mit den neuen Erkenntnissen kann die Produktionsqualität besser kontrolliert werden als bei der ursprünglichen Produktion.[4]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Gene Aloise: NNSA and DOD Need to More Effectively Manage the Stockpile Life Extension Program. Report to the Subcommittee on Strategic Forces, Committee on Armed Services, House of Representatives. Hrsg.: Government Accountability Office. März 2009 (englisch, 35 S., gao.gov [PDF; 588 kB; abgerufen am 21. Juni 2023]).
  1. S. 18, Abschnitt NNSA Delayed the Development of an Alternate Material until Fogbank Manufacturing Problems Arose
  2. S. 6, Results in Brief
  3. S. 17, Abschnitt NNSA Did Not Make Full Use of the Pilot Plant
  4. S. 16, Abschnitt NNSA Started the New Facility Late
  5. S. 18, Abschnitt NNSA Did Not Make Full Use of the Pilot Plant
  6. S. 3
  7. S. 18, Abschnitt Ineffective Risk Management Led to Schedule Delays and Cost Increases
  • Weitere Einzelnachweise
  1. Robert B Bonner, Stephan E Lott, Howard H Woo: Secondary Lifetime Assessment Study. Hrsg.: Sandia National Labs. Januar 2001, S. 52 (englisch, 70 S., wikimedia.org [PDF; abgerufen am 21. Juni 2023]).
  2. a b U.S. Department of Energy (Hrsg.): Nuclear Explosive Safety Study Functional Area Qualification Standard. DOE Defense Nuclear Facilities Technical Personnel. Washington, D.C. Juli 2007, S. 9 (englisch, 39 S., doe.gov [PDF; 189 kB; abgerufen am 18. Juni 2023]).
  3. a b c d e f g h i Jonathan V. Last: The Fog of War: Forgetting what we once knew. In: The Weekly Standard. Band 14, Nr. 33, 18. Mai 2009 (englisch, weeklystandard.com (Memento des Originals vom 5. Dezember 2018 im Internet Archive)).
  4. a b c d e Fogbank: Lost Knowledge Regained. In: Nuclear Weapons Journal. Nr. 2. Los Alamos 2009, S. 20–21 (englisch, lanl.gov [PDF]).
  5. Jeffrey Lewis: FOGBANK. Arms Control Wonk, 7. März 2008, abgerufen am 18. Juni 2023 (englisch).
  6. Oak Ridge National Laboratory (Hrsg.): Oak Ridge Reservation Annual Site Environmental Report for 2003. Oak Ridge September 2004, 6.11.1 New Construction, S. 228, Sp. 2, doi:10.2172/1183768 (englisch, 340 S., 1 [PDF; 9,7 MB; abgerufen am 18. Juni 2023]).
  7. Ian Sample: Technical hitch delays renewal of nuclear warheads for Trident. Hrsg.: The Guardian. 6. März 2008 (englisch, theguardian.com [abgerufen am 20. Oktober 2022]).
  8. Rob Edwards: Trident missiles delayed by mystery ingredient. In: New Scientist. Nr. 2646, 12. März 2008, S. 15, doi:10.1016/S0262-4079(08)60578-3 (englisch, newscientist.com).