Gedenkstätte für die zwischen 1939 und 1945 ins Wolfhager Land verschleppten Zwangsarbeiter

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Die Gedenkstätte auf dem Wolfhager Friedhof (Nebeneingang Kurfürstenstraße).

Die Gedenkstätte für die zwischen 1939 und 1945 ins Wolfhager Land verschleppten Zwangsarbeiter auf dem Wolfhager Friedhof ist den während der NS-Herrschaft in den Altkreis Wolfhagen verschleppten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern gewidmet.

Beschreibung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Gedenkstätte erinnert an neun Zwangsarbeiter, die im Zweiten Weltkrieg zwischen 1939 und 1945 nach Deutschland verschleppt wurden und bis 1945 in Wolfhagen verstarben.[1] Sie kamen aus Frankreich, Italien, Polen und der Sowjetunion. Die meisten der neun Zwangsarbeiter waren unterernährt und verstarben unmittelbar vor oder nach der Befreiung durch die Amerikaner am 31. März 1945 mit Krankheiten als häufigste Todesursache. Zudem wurde ein Zwangsarbeiter gut zwei Monate nach der Befreiung im Stadtwald Wolfhagen erschossen. Auf der Gedenktafel werden ebenso die Namen zweier Kinder von polnischen Zwangsarbeiterpaaren aufgeführt, die in Wolfhagen und Wolfhagen-Viesebeck verstarben. Deren letzter Ruheort ist unbekannt.

Neben der Gedenktafel befindet sich der Grabstein von Gabriel Kulczycki,[2] der spätestens 1943 aus seiner westukrainischen Heimat in den Altkreis Wolfhagen verschleppt wurde und auf verschiedenen Höfen, etwa dem Rittergut Wettesingen, sowie in der Lufthauptmunitionsanstalt (Muna) im heutigen Wolfhagen-Gasterfeld Zwangsarbeit leisten musste.[1] Nach dem Krieg entschied sich Gabriel Kulczycki, weiterhin in Wolfhagen zu bleiben und lebte dort, bis er wegen einer Demenzerkrankung an das Psychiatrische Krankenhaus Haina überstellt wurde und dort 1961 verstarb. In Wolfhagen lebte Kulczycki als isolierter Außenseiter, der belächelt und verspottet wurde.[3] Sein Schicksal ist das eines der von deutschen Behörden sogenannten heimatlosen Ausländer, die zwar mitten unter der Bevölkerung der BRD lebten, aber nie als deren Teil angesehen wurden. Kulczyckis Schicksal ist ein Beispiel dafür, wie geringschätzig mit ehemaligen Zwangsarbeitern im Nachkriegsdeutschland umgegangen wurde und dass erlittene Kriegserfahrungen für die Betroffenen physisch und psychisch ein Leben lang nachwirkten.

Zuletzt hat auch der Grabstein, in Form eines orthodoxen Kreuzes, selbst eine bewegte Geschichte:[1] Nach der Einebnung von Gabriel Kulczyckis Grab wurde der Grabstein aufgrund seiner ortsüblich ungewöhnlichen Form aufgehoben, jedoch am Rand des Friedhofs aufbewahrt und somit langsam von der Friedhofshecke überwuchert. Auch in Unkenntnis der Geschichte von Gabriel Kulczycki erkannten Ukrainer und Ukrainerinnen, die in den 1990er nach Wolfhagen zogen die Form des Grabsteins und stellten dort Kerzen zu Allerheiligen auf, um den Grabstein nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Entstehungsgeschichte der Gedenkstätte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Redner der Einweihungsveranstaltung vom 16. Juni 2023.

Planungen für eine mögliche Gedenkstätte auf dem Wolfhager Friedhof begannen 2021, nachdem das Thema durch neue Forschungsergebnisse zu NS-Zwangsarbeit in Wolfhagen an Aktualität gewonnen hatte.[4] Der Anfangsprozess verlief dabei zunächst schleppend.[5] Am 16. Juni 2023, dem Todestag Gabriel Kulczyckis, konnte die Gedenkstätte schließlich vom Arbeitskreis „NS-Zwangsarbeit und Friedhof Wolfhagen“ der Öffentlichkeit präsentiert werden.[6] Dem vorausgegangen waren zwei Spendenaufrufe in lokalen Medien.[7][8] Zur Einweihung waren sowohl regionale als auch überregionale Gäste eingeladen.[9] So waren etwa Mitglieder des Deutsch-Französischen Forums Kassel und des Vereins ASG Italia 1972 aber auch Jan Krzymowski vom Generalkonsulat der Republik Polen in Köln auf der Veranstaltung anwesend.[10]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Erich Abel, Gretel Riedemann: Ein Knecht namens Mussolini!, in: Dirk Lindemann (Hrsg.): Wolfhager Geschichten, Teil 3: Nachkriegszeiten und Kleinstadt-Flausen, Wolfhagen 2017: Litho-Verlag e.K., S. 228–230. ISBN 978-3-946128-23-6.
  • Bernd Klinkhardt, Wilhelm G. Winter: Wolfhagen im Zeitgeschehen von 1945. Schriften des Vereins Regionalmuseum Wolfhagen. Wolfhagen 1994, ISBN 3-924219-13-3.
  • Bernd Klinkhardt: Lufthauptmunitionsanstalt Wolfhagen LHMa 1/XII Wn: Geschichte und Gegenwart einer ehemaligen Munitionsfabrik, Wolfhagen 2004, ISBN 3-924219-18-4
  • Phillip Landgrebe: The Story of a Gravestone, in: EUSTORY History Campus der Körber-Stiftung, veröffentlicht am 28. Januar 2021.
  • Phillip Landgrebe: Die Geschichte eines Grabsteins in: Archive in Nordhessen. Gemeinschaftsblog der nordhessischen Archive, veröffentlicht am 22. März 2021.
  • Phillip Landgrebe: Der Grabstein in der Hecke in: Jungle World 08/2021, veröffentlicht am 25. Februar 2021.
  • Phillip Landgrebe: Zwangsarbeiter*innen als Teil unserer Migrationsgeschichte: Warum steht Gabriels Grabstein in der Hecke? in: MIGRATIONSGESCHICHTEN. Ein Blog von Gegen Vergessen e. V., veröffentlicht am 30. April 2021.
  • Phillip Landgrebe: Zwangsarbeit in den Dörfern des Landkreises. Von der Forschung missachtet: NS-Zwangsarbeit in der Landwirtschaft in: Jahrbuch Landkreis Kassel 2022, S. 68–71.
  • Evelyn Hojn: Erinnerung an NS-Zwangsarbeiter. Gedenkstätte für die zwischen 1939-1945 ins Wolfhager Land verschleppten "Ostarbeiter" in: Jahrbuch Landkreis Kassel 2024, S. 60.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c Phillip Landgrebe: The Story of a Gravestone. In: EUSTORY History Campus. 28. Januar 2021, abgerufen am 18. Juni 2023 (britisches Englisch).
  2. Phillip Landgrebe: : Zwangsarbeit in den Dörfern des Landkreises. Von der Forschung missachtet: NS-Zwangsarbeit in der Landwirtschaft. In: Jahrbuch Landkreis Kassel. 2022, S. 68–71.
  3. Erich Abel, Gretel Riedemann: Ein Knecht namens Mussolini! In: Dirk Lindemann (Hrsg.): Wolfhager Geschichten. Teil 3: Nachkriegszeiten und Kleinstadt-Flausen. Litho-Verlag, Wolfhagen 2017, ISBN 978-3-946128-23-6, S. 228–230.
  4. Norbert Müller: Junger Historiker erforscht die Geschichte eines Grabsteins auf dem Wolfhager Friedhof. In: Hessische/Niedersächsische Allgemeine. 14. Februar 2021, abgerufen am 18. Juni 2023.
  5. Phillip Landgrebe: Zwangsarbeiter*innen als Teil unserer Migrationsgeschichte: Warum steht Gabriels Grabstein in der Hecke? In: Migrationsgeschichten. 30. April 2021, abgerufen am 18. Juni 2023.
  6. Paul Bröker: Gedenkstätte erinnert an NS-Zwangsarbeiter in Wolfhagen: Junger Historiker gab Anstoß. In: Hessische/Niedersächsische Allgemeine. 15. Juni 2023, abgerufen am 18. Juni 2023.
  7. Einweihung der Gedenkstätte für Zwangsarbeiter/innen in der NS-Zeit. In: Gemeindebrief "Unsere Gemeinden", Evangelische und katholische Nachrichten aus Leckringhausen und Wolfhagen. 257. Ausgabe/ 175. ökumenische Ausgabe, 2023, S. 0 (Das ist los).
  8. Arbeitskreis "NS-Zwangsarbeit und Friedhof Wolfhagen": Spendenaufruf für eine Gedenkstätte auf dem Friedhof Wolfhagen. In: Wolfhager Stadtanzeiger. 1404/Jahrgang 53, Nr. 08. Linus Wittich Medien KG, 14. April 2023, S. 6.
  9. Gedenkstätte für NS Zwangsarbeiter in Wolfhagen eingeweiht. In: Deutsch-Französisches Forum Kassel e.V. – Cercle Français. 27. Juni 2023, abgerufen am 6. Juli 2023 (deutsch).
  10. Chris Brümmer-Ulrich: Mahnmal für eine friedliche Welt. In: Hessische/Niedersächsische Allgemeine. 19. Juni 2023.

Koordinaten: 51° 19′ 29,8″ N, 9° 10′ 29,5″ O