Geiselnahme im Kölner Hauptbahnhof 2018

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Der Tatort am Tag nach der Tat: Links McDonalds und rechts die Bahnhofsapotheke

Am 15. Oktober 2018 kam es zu einer Geiselnahme im Kölner Hauptbahnhof, der ein Brandanschlag mit einem Molotowcocktail vorausgegangen war. Beim Tatgeschehen wurden drei Personen verletzt.

Tathergang[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der mutmaßliche Täter Mohammad A. R.[1] schüttete gegen 12.45 Uhr zunächst Benzin auf den Boden eines McDonald’s-Schnellimbiss am Hinterausgang des Kölner Hauptbahnhofs und warf anschließend einen Molotowcocktail in das Lokal.[2] Dabei trug ein 14-jähriges Mädchen aus Hennef schwere Brandverletzungen an den Beinen davon. Nach ihrer Aussage hatte der Täter bereits vor der Brandstiftung eine Pistole gezogen.[3]

Vermutlich weil die Sprinkleranlage einsetzte, begab er sich in eine benachbarte Apotheke, wo er eine Frau als Geisel nahm.[2] Einer Spezialeinheit der Polizei gelang es, die Geisel zu befreien. Der mutmaßliche Täter wurde bei dem Zugriff der Beamten durch einen Kopfschuss schwer verletzt und musste reanimiert werden. Man fand mehrere Gaskartuschen und Brandbeschleuniger am Bahnhof[4][5][6] sowie einen mit Stahlkugeln versehenen improvisierten Sprengsatz.[7] Zudem trug der Täter eine Softairwaffe mit sich.[8] Insgesamt wurden bei der Tat drei Personen verletzt.

Die Generalbundesanwaltschaft zog die Ermittlungen an sich, da der Fall eine „besondere Bedeutung“ haben könnte.[9] Sie vermutete zunächst einen terroristischen Hintergrund,[10] zweifelt an diesem inzwischen aber, da momentan nicht erkennbar sei, dass der Tatverdächtige besonders religiös oder radikal eingestellt sei.[11]

Der Kölner Hauptbahnhof wurde weiträumig abgesperrt, der Zugverkehr war fünf Stunden lang eingestellt. Der Bahnverkehr kam weiträumig zum Erliegen und war bis in die Nacht gravierend gestört.[12]

Tatverdächtiger[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Tatverdächtige Mohammad A. R. wurde zunächst anhand eines Ausweises identifiziert, der nach der Tat in der Apotheke gefunden wurde. Er stammt aus Syrien und war zum Tatzeitpunkt 55 Jahre alt.[13] Er war laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ursprünglich mit einem Visum, das die tschechische Botschaft in Beirut ausgestellt hatte, in Europa eingereist.[14] Der Mann befindet sich seit dem 2. März 2015 in Deutschland und hat eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG, befristet bis zum 18. Juni 2021, als syrischer Kriegsflüchtling in der Bundesrepublik. Bevor er nach Deutschland kam, hatte er einen Asylantrag in Prag gestellt. Nach dem Dubliner Übereinkommen hätte der Tatverdächtige zurück nach Tschechien geschickt werden müssen, durch eine Fristüberschreitung des BAMF kam es dazu jedoch nicht und Deutschland wurde für ihn zuständig.[15] Die Behörde konnte bei einer Überprüfung nach der Geiselnahme im Oktober 2018 jedoch nicht mehr feststellen, warum sie die Frist verstreichen ließ.[14]

Seine Ehefrau hatte keine Erlaubnis zur Einreise erhalten, da er aus Sicht der Kölner Ausländerbehörde zu wenig zur Sicherung des eigenen Lebensunterhaltes unternommen und keine Integrationskurse besucht hatte.[16]

Einige Monate vor der Tat hatte der Tatverdächtige der Polizei einen Hinweis auf einen potentiellen Islamisten gegeben.[17][18] Während der Tat behauptete der Tatverdächtige dann, selbst Verbindungen zum sogenannten „Islamischen Staat“ zu haben, indem er Passanten zurief, er gehöre zur Terrorgruppe „Daesh“. Die Bezeichnung „Daesh“ wird jedoch von IS-Kämpfern nicht verwendet, der Begriff dient eher als Abgrenzung zur Organisation. Bei einer Hausdurchsuchung fanden sich ferner keine Bezüge zum „IS“ oder einer sonstigen Terrororganisation. Der Tatverdächtige war während der Tat laut Polizei alkoholisiert.[8]

Gegen den Tatverdächtigen wurde seit 2016 13-mal wegen Diebstahls, Hausfriedensbruchs und Rauschgiftmittel-Delikten ermittelt. Laut Staatsanwaltschaft Köln wurden einige Ermittlungsverfahren gegen den Mann mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Nur eine Anzeige wegen Betrugsverdachts gelangte zur Anklage, der Prozess steht noch aus.[19] Die Stadt Köln teilte mit, dass sich der 55-jährige Syrer legal in Deutschland aufhielt und nicht hätte abgeschoben werden können. Abgesehen von der Einstufung als Kriegsflüchtling sei die Stadt zudem an eine Entscheidung des BAMF gebunden, die besagt, dass er nur hätte ausgewiesen werden können, wenn eine Verurteilung zu mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe erfolgt wäre, was bei dem Syrer jedoch nicht der Fall war.[8]

Nach Recherchen des Kölner Stadt-Anzeigers war R. bereits in Syrien straffällig geworden, unter anderem wegen Betrugs mit gefälschten Kunstgegenständen. Eine alte Narbe von einer Schussverletzung am Bauch stamme von einer Konfrontation mit der syrischen Polizei. Geschichten über eine politische Verfolgung in Syrien und damit zusammenhängende Folter seien dagegen erfunden.[20]

Die eingerichtete Ermittlungskommission mit anfangs über 100 beteiligten Polizisten konnte in den drei Wochen nach der Tat keinen radikal-islamistischen Hintergrund feststellen. Die Kommission geht von einem verwirrten und kranken Einzeltäter aus. Der 55-Jährige sei tabletten- und stark spielsüchtig gewesen.[21] Der Fall wurde im Dezember 2018 von der Generalstaatsanwaltschaft zurück nach Köln gegeben.[22]

Der Tatverdächtige lag aufgrund der Kopfverletzung zwei Monate im Koma. Nachdem er wieder erwachte und ansprechbar war, verkündete ein Richter ihm in der Uniklinik den Haftbefehl wegen zweifachen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung.[23] Ein Gutachter schlug die Verlegung in eine neurologische Reha-Klinik vor[24], worauf im Mai 2019 die Richter des OLG Köln entschieden, den Beschuldigten für sechs Monate in eine Spezialklinik zu verweisen. Ärzte hielten zu diesem Zeitpunkt eine spätere Verhandlungsfähigkeit für möglich.[25]

Das Verfahren wurde im Dezember 2020 vorläufig eingestellt und der Haftbefehl aufgehoben, da langfristig keine Verhandlungsfähigkeit des Tatverdächtigen vorliege.[26]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Mitte Oktober am Hauptbahnhof: Geiselnahme in Köln war wohl kein islamistischer Anschlag. In: FAZ.NET. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 29. Juni 2021]).
  2. a b Jean-Pierre Ziegler, Lukas Eberle: Geiselnahme in Köln – Zugriff mit zwei Blendgranaten. In: spiegel.de. 15. Oktober 2018, abgerufen am 17. Oktober 2018.
  3. Opfer von Kölner Geiselnahme: „Ich sah, dass mein rechter Fuß brennt“, WeltN24, 28. November 2018.
  4. Geiselnahme am Kölner Hauptbahnhof: Polizei schließt Terroranschlag nicht aus. In: Westdeutsche Allgemeine Zeitung. Abgerufen am 15. Oktober 2018.
  5. Köln: Geiselnehmer soll sich als IS-Mitglied bekannt haben. In: Zeit Online. 15. Oktober 2018, abgerufen am 15. Oktober 2018.
  6. Fabian Wahl: Geiselnahme im Kölner Hauptbahnhof: SEK befreit Frau aus Gewalt des Täters. In: wdr.de. 15. Oktober 2018, abgerufen am 15. Oktober 2018.
  7. Kölner Hauptbahnhof: Was wir über die Geiselnahme wissen. In: Zeit Online. 16. Oktober 2018, abgerufen am 16. Oktober 2018.
  8. a b c Vorbestrafter Asylbewerber konnte nicht abgeschoben werden. In: ksta.de. 16. Oktober 2018, abgerufen am 16. Oktober 2018.
  9. Generalbundesanwalt übernimmt Ermittlungen. In: tagesschau.de. 16. Oktober 2018, abgerufen am 16. Oktober 2018.
  10. Bundesanwaltschaft vermutet terroristisches Motiv in Köln. In: sueddeutsche.de. 17. Oktober 2018, abgerufen am 17. Oktober 2018.
  11. Zweifel an islamistischem Motiv, auf tagesschau.de
  12. Chris Merting: Nach Geiselnahme am Kölner Hbf Im Fernverkehr drohen weiter Verspätungen. In: express.de. 16. Oktober 2018, ehemals im Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 17. Oktober 2018.@1@2Vorlage:Toter Link/www.express.de (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)
  13. Newsblog zur Geiselnahme in Köln: Täter wollte zum IS nach Syrien ausreisen. In: Kölner Stadt-Anzeiger. (ksta.de [abgerufen am 17. Oktober 2018]).
  14. a b "Geiselnehmer hätte abgeschoben werden können" Zeit.de vom 19. Oktober 2018
  15. Frist versäumt - Geiselnehmer vom Hauptbahnhof hätte abgeschoben werden können. In: rundschau-online.de. 18. Oktober 2018, abgerufen am 18. Oktober 2018.
  16. Georg Mascolo: Hauptbahnhof in Köln: Wie es zur Geiselnahme kommen konnte , Süddeutsche Zeitung, 26. Oktober 2018.
  17. War die Geiselnahme in Köln ein missglückter Anschlag? In: dw.com. 15. Oktober 2018, abgerufen am 16. Oktober 2018.
  18. Geiselnahme in Köln: Was wir wissen – und was nicht. In: Spiegel Online. 16. Oktober 2018, abgerufen am 16. Oktober 2018.
  19. Köln entging nur knapp einer Katastrophe. In: ksta.de. Abgerufen am 16. Oktober 2018.
  20. Axel Spilcker, Tim Stinauer: Geiselnahme vom Kölner Hauptbahnhof: Warum Syrer vielleicht nie vor Gericht stehen wird. 27. April 2019, abgerufen am 29. Juni 2021 (deutsch).
  21. Daniel Taab: Geiselnahme am Bahnhof Täter war spielsüchtig – Keine Hinweise auf Terror-Motiv. In: Kölnische Rundschau. 11. November 2018, abgerufen am 11. November 2018.
  22. Ermittler: Kein islamistisches Motiv bei Geiselnahme und Brandanschlag in Köln. In: Kölnische Rundschau. 14. Dezember 2018, abgerufen am 14. Dezember 2018.
  23. Tim Stinauer: Anschlag am Kölner Hauptbahnhof – Geiselnehmer ist aus dem Koma erwacht. In: Kölner Stadtanzeiger. 14. Dezember 2018, abgerufen am 14. Dezember 2018.
  24. Tim Stinauer: Kölner Hauptbahnhof Geiselnehmer – muss sich vorerst nicht vor Gericht verantworten. In: Kölner Stadtanzeiger. 27. April 2019, abgerufen am 27. April 2019.
  25. Daniel Taab: Richter entscheidet Geiselnehmer vom Kölner Hauptbahnhof wird aus U-Haft entlassen. In: Kölnische Rundschau. 16. Mai 2019, abgerufen am 16. Mai 2019.
  26. Tatverdächtiger nicht verhandlungsfähig: Verfahren wegen Geiselnahme am Kölner Hauptbahnhof eingestellt. In: General-Anzeiger Bonn. 4. Dezember 2020, abgerufen am 4. Dezember 2020.