Geschichte der Juden in Freiburg im Breisgau

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Ehemalige Freiburger Synagoge, von 1869/70, zerstört am 10. November 1938 im Zuge der Novemberpogrome

Die Geschichte der Juden in Freiburg beginnt im Spätmittelalter mit der Erwähnung eines Ghettos im Bereich der heutigen Wasserstraße/Weberstraße. Im Jahr 1328 ist eine Synagoge in der Weberstraße Nr. 6 belegt.

Mittelalter[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bereits 1310 hatten die Grafen von Freiburg vom Kaiser das lukrative Judenregal erworben, doch die entrichteten Abgaben reichten ihnen nicht aus, so dass Graf Konrad II. im Jahre 1326 400 Silbermark Schulden bei den Juden angehäuft hatte.[1] Wohl wegen dieser Abhängigkeit stellte Konrad gemeinsam mit seinem mitregierenden Sohn Friedrich am 12. Oktober 1338 den ortsansässigen Juden einen umfassenden Sicherungsbrief aus zum Nutzen der Stadt und um von der Herrschaft Schaden abzuwenden.[2]

Als im Jahre 1348 eine Pestwelle über das Reichsgebiet zog, galt der Schutzbrief plötzlich nicht mehr. Bereits am 1. Januar 1349, noch bevor die Pest am Oberrhein ausgebrochen war, wurden in Freiburg auf Betreiben des Stadtrats der Brunnenvergiftung verdächtige Juden festgenommen. Unter Folter legten viele von ihnen Schuldbekenntnisse ab und beschuldigten in Todesangst auch Juden aus anderen Orten. Nach einem Pogrom in Basel Anfang Januar 1349 wurden am Freitag vor Lichtmess (am 31. Januar) alle Freiburger Juden mit Ausnahme der Schwangeren verbrannt und zwar wegen ihrer Missetaten und Morde, die sie anstifteten und zugegeben haben.[2] Die Kinder der Hingerichteten wurden zur Taufe gezwungen.[3]

Im Jahr 1360 erlaubte der Stadtrat die Neuansiedlung von Juden, doch war die Unsicherheit groß und so erließ der österreichische Landesherr Herzog Leopold auf Bitten der Stadt am 14. September 1394 eine Judenordnung, nach der die Juden Gugelhüte und Judenmäntel tragen mussten. Außerdem war ihnen das Tragen der liturgischen Farben rot und grün verboten und in der Karwoche bestand für sie ein Ausgangsverbot.[2] Als Folge von Nachrichten über Ritualmorde an Christen im fernen Bayern ließ der Stadtrat nach Rücksprache mit Herzog Leopold dann am 4. Juli 1401 die Austreibung aller Juden von den Kanzeln verkünden. Die Ratsherren unterzeichneten feierlich den Beschluss, daz dekein Jude ze Friburg niemmerme sin sol.[4] Der Aufenthalt eines Juden in der Stadt durfte nur in Begleitung eines Stadtknechtes und bei einer stündlich zu zahlenden Gebühr erfolgen.[5] Zwar wurden ab 1411 zögerlich wieder Juden in Freiburg aufgenommen, doch in der Zeit als Reichsstadt (1415–1427) bestätigte König Sigismund auf Wunsch des Stadtrates das Dekret von 1401 offiziell im Jahre 1424 mit der Ewigen Vertreibung.[1]

Aufklärung und 19. Jahrhundert[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Situation der Juden änderte sich erst mit dem Toleranzpatent Kaiser Josephs II. im Jahr 1782. Formal hob das Patent die bestehenden „Judengesetze“ auf, doch im Alltag der Juden bestanden weiterhin Einschränkungen. Zwar war Juden der Besuch höherer Schulen und der Universität erlaubt, jedoch war eine Niederlassung in Freiburg als Vollbürger zunächst nicht möglich. Im Jahr 1809 wies der Stadtrat den Juden in der Grünwälderstraße Nr. 12 ein Judengasthaus zu. Der erste Pächter des Gasthauses war der erste jüdische Vollbürger Freiburgs.[6]

Im Jahre 1830 mit dem Amtsantritt Großherzog Leopolds, der sich als studierter Staatswissenschaftler voll zur konstitutionellen Monarchie bekannte, debattierte der Landtag die Emanzipation der Juden. Doch bei den Debatten von 1831 in der Zweiten Kammer regte sich Widerstand. Vor allem Karl von Rotteck machte sich zum Sprecher der Abgeordneten, die verlangten, dass sich die Juden erweiterte Rechte mit einer verstärkten Integration verdienen. 1835 hob der Großherzog alle Sonderabgaben für Juden auf.[7] 1846 waren lediglich 20 Juden in Freiburg registriert. Noch 1862 gab es in Freiburg erbitterten Widerstand vor allem gegen die Freizügigkeit. Besonders die Kaufmannschaft wollte das seit 1424 bestehende und 1809 bestätigte Niederlassungsverbot für Juden in der Stadt aus Angst vor Konkurrenz beibehalten. In einer Petition an den Landtag hieß es: Wir werden zum Judennest.[1]

In den Jahren 1869/70 wurde die Synagoge nach Plänen von Georg Jakob Schneider in der Rempartstraße (später Werthmannplatz, heute Platz der Alten Synagoge) errichtet und 1870 wurde der noch heute genutzte Jüdische Friedhof Freiburg in Betrieb genommen.

Mahnmal zur Erinnerung an die Deportation Freiburger Juden in das Konzentrationslager Gurs (Südfrankreich) in Form eines Verkehrszeichens

Nationalsozialismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gedenktafel „Wagner-Bürckel-Aktion“ am Platz der alten Synagoge
Stolpersteine für die Familien Abraham und Grumbacher, Eisenbahnstraße 66
Denkmal für die ermordeten Juden an der Wiwilíbrücke
Käthe-Vordtriede-Weg im Stadtteil Rieselfeld

Die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten Ende Januar 1933 in Berlin setzte sich auch in Freiburg rasch durch. Am 6. März hissten die Nazis ohne Zustimmung des Oberbürgermeisters Karl Bender die Hakenkreuzfahne am Freiburger Rathaus. Am 17. März zwischen 4 und 5 Uhr sollte der sozialdemokratische und jüdische Landtagsabgeordnete und Stadtverordnete Christian Daniel Nußbaum festgenommen werden, der daraufhin mit einem Schuss durch die Wohnungstür einen Polizeibeamten tödlich verletzte.[8] Im Zuge der Ereignisse wurde daraufhin die Verlagsdruckerei der Volkswacht (Freiburg im Breisgau) von Angehörigen von NSDAP, SA, SS und Stahlhelm gestürmt, die 16.000 frisch gedruckte Zeitungsexemplare auf die Straße warfen und versuchten, diese anzuzünden. Die engagierte Journalistin und Sozialdemokratin Käthe Vordtriede verliert dadurch ihre Anstellung. Am 18. März wurden in Freiburg sämtliche örtliche Organisationen der SPD und KPD einschließlich ihrer Hilfs- und Nebenorganisationen aufgelöst.[9]

Am 28. März 1933 legten der jüdische SPD-Stadtrat Max Mayer und am 31. März 1933 der Stadtrat Robert Grumbach, ebenfalls SPD, infolge des Gleichschaltungsgesetzes ihr Mandat nieder.[10] Den nationalen Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April befolgten die Freiburger nur halbherzig.

Wie vielerorts in Deutschland ging auch in Freiburg im Zuge der Pogrome am 10. November 1938 die Synagoge in Flammen auf. Anschließend wurden von einer größeren Anzahl in „Schutzhaft“ genommener Juden 100 männliche Personen über 18 Jahre ins KZ Dachau deportiert.[11] Am 22. Oktober 1940 wurden in Freiburg, wie in ganz Baden, bei der Wagner-Bürckel-Aktion die Juden zunächst in das französische Konzentrationslager Camp de Gurs in der Nähe der spanischen Grenze, später von dort in die Vernichtungslager deportiert.

Zur Erinnerung und Mahnung wurden auch in Freiburg zahlreiche „Stolpersteine“ verlegt. Das Projekt Vordtriede-Haus Freiburg widmet sich der Journalistin Käthe Vordtriede und ihren ebenfalls emigrierten Kindern. Im Stadtteil Rieselfeld wird ein Weg nach ihr benannt.

Neuanfang nach 1945[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 7. September 1945 fand zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder ein jüdischer Gottesdienst in Freiburg statt. Die Stadt stellte hierfür einen Saal im Historischen Kaufhaus zur Verfügung. Die Israelitische Landesgemeinde Südbaden, die sich Ende 1945 in Freiburg gründete, hatte ihren Sitz in der Hansjakobstraße 8.[12]

Am 11. November 1947 verlieh die Stadt dem ehemaligen Stadtrat Robert Grumbach stellvertretend für alle Juden Freiburgs die Ehrenbürgerwürde.

Am 1. Dezember 1948 schlossen Stadt und Land mit der Gemeinde einen Vergleich, nach dem die Stadt Eigentümerin des ehemaligen Synagogengeländes bleiben würde. Sie verpflichtete sich im Gegenzug zur Wiederherstellung des jüdischen Friedhofs, zur Ummauerung des Friedhofsareals sowie zum Bau eines Wärterhauses mit Friedhofshalle.[12][13]

Im Jahr 1953 richtete die jüdische Gemeinde, der der französische Militärrabbiner zur Seite stand, in der Holbeinstraße 25 einen Betsal ein. Am 16. Juni 1985 erfolgte die Grundsteinlegung für die neue Synagoge, die am 5. November 1985 eingeweiht wurde. Sie wurde in der Nähe des Münsters auf einem Grundstück errichtet, das die Stadt der Gemeinde kostenlos zur Verfügung gestellt hatte. Die Stadt übernahm eine Million D-Mark an Baukosten, das Land stellte weitere 3,5 der insgesamt nötigen 7 Millionen D-Mark zur Verfügung.[12]

In Freiburg gibt es die orthodoxe Israelitische Gemeinde mit ca. 530 Mitgliedern[14] und die egalitäre Jüdische Chawurah Gescher Gemeinde mit etwa 100 Mitgliedern. Letztere bezog am 28. September 2021, an Simchat Tora nach 23 Jahren mobilen Gemeindelebens eigene Synagogenräume.[15]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Else R. Behrend-Rosenfeld (Elsbeth Rachel): Ich stand nicht allein. Erlebnisse einer Jüdin in Deutschland 1933-1944. 1979. (Erstauflage Zürich 1945)
  • Gabriele Blod: Die Entstehung der israelitischen Gemeinde Freiburg 1849-1941. In: Stadt und Geschichte. (= Neue Reihe des Stadtarchives Freiburg, 12). 1988.
  • Ernst Otto Bräunche: „Die Reichskristallnacht“ in Freiburg. In: Schau-ins-Land. 103 (1984), S. 149–160 (Digital).
  • Andrea Brucher-Lembach: ...wie Hunde auf ein Stück Brot. Die Arisierung und der Versuch der Wiedergutmachung in Freiburg. Hrsg. vom Arbeitskreis Regionalgeschichte Freiburg e.V. (= Alltag und Provinz Bd. 12). Donzelli-Kluckert Verlag, Bremgarten 2004, ISBN 3-933284-12-0.
  • Kathrin Clausing: Leben auf Abruf. Zur Geschichte der Freiburger Juden im Nationalsozialismus. Freiburg 2005, ISBN 3-923272-33-2.
  • Germania Judaica. Bd. 2 Von 1238 bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, Halbband 1: Aachen – Luzern. 1968, S. 253–257; Bd. 3, Teilband 1: Ortschaftsartikel Aach – Lychen, 1987, S. 395ff.
  • Joachim Hahn, Jürgen Krüger: „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Theiss, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-8062-1843-5.
  • Franz Hundsnurscher, Gerhard Taddey: Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale. Hrsg. von der Archivdirektion Stuttgart. 1968, S. 86–74.
  • Reiner Haehling von Lanzenauer: Gertrud Luckner-Helferin der Bedrängten. In: Reinhold Schneider Blätter. Mitteilungen der Reinhold-Schneider-Gesellschaft. Heft 17. Mai 2005, S. 35–57.
  • Jürgen Lang: Das Vordtriede-Quiz. 50 Fragen und Antworten zur emigrierten Freiburger Familie. BoD, Norderstedt 2016, 2. Auflage, ISBN 978-3-7392-0492-5.
  • Adolf Lewin: Juden in Freiburg i. B. Trier 1890 (Digital).
  • David Maier: Geburtsort Freiburg. Erinnerungen eines deutsch-jüdischen Engländers. Stadtarchiv, Stadt Freiburg 2001.
  • Lotte Paepcke: Ein kleiner Händler, der mein Vater war. Heilbronn 1972.
  • Lotte Paepcke: „Ich wurde vergessen“. Bericht einer Jüdin, die das Dritte Reich überlebte. 1979.
  • Berent Schwineköper, Franz Laubenberger: Geschichte und Schicksal der Freiburger Juden. Aus Anlass des 100jährigen Bestehens der israelitischen Gemeinde in Freiburg. (= Freiburger Stadthefte 6). Rombach, 1963, DNB 454814674.
  • Franz-Josef Ziwes (Hrsg.): Badische Synagogen. Braun, Karlsruhe 1997, ISBN 3-7650-8177-9, S. 42–43.
  • Festschrift zum 20-jährigen Bestehen der neuen Synagoge Freiburg. Zusammengestellt von Alexander Kim und Christoph Bier
  • Das Schicksal der Freiburger Juden am Beispiel des Kaufmanns Max Mayer und die Ereignisse des 9./10. November 1938. Mit Beiträgen von R. Böhme und H. Haumann. Schillinger, 1989, ISBN 3-89155-073-1

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c Heinrich Schwendemann: 22. Februar 1424 – Die Juden werden aus der Stadt vertrieben. In: Jürgen Dendorfer u. a. (Hrsg.): Auf Jahr und Tag: Freiburgs Geschichte im Mittelalter. Vortragsreihe. Rombach, Freiburg 2013, ISBN 978-3-7930-5100-8, S. 123–142.
  2. a b c Peter Schickl: Von Schutz und Autonomie zur Verbrennung und Vertreibung: Juden in Freiburg. In: Heiko Haumann, Hans Schadek (Hrsg.): Geschichte der Stadt Freiburg Bd. 1, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2001.
  3. Berent Schwineköper und Franz Lauenberger: Geschichte und Schicksal Freiburger Juden (= Freiburger Stadthefte 6). 1963.
  4. Peter P. Albert: Achthundert Jahre Freiburg im Breisgau 1120–1920. Herder, Freiburg 1920.
  5. Astrid Fritz, Bernhard Thill: Unbekanntes Freiburg. Spaziergänge zu den Geheimnissen einer Stadt. Rombach Verlag, Freiburg 2005, ISBN 3-7930-0879-7, S. 45.
  6. Astrid Fritz, Bernhard Thill: Unbekanntes Freiburg. Spaziergänge zu den Geheimnissen einer Stadt. Rombach Verlag, Freiburg 2005, ISBN 3-7930-0879-7, S. 45f.
  7. Dieser Schritt wurde von Karl von Rotteck kritisiert, der dafür war, den 'bisherigen Rechtszustand beizubehalten', so: Astrid Fritz, Bernhard Thill: Unbekanntes Freiburg. Spaziergänge zu den Geheimnissen einer Stadt. Rombach Verlag, Freiburg 2005, ISBN 3-7930-0879-7, S. 45f.
  8. Diethard H. Klein (Hrsg.): Freiburg. Ein Lesebuch. Husum Verlag, Husum 1987.
  9. Hans und Inge Kaufmann: Verfolgung, Widerstand, Neubeginn in Freiburg 1933-1945. Verlag Armbruster, Brändle, Hubert, Freiburg im Breisgau 1989.
  10. Ulrich P. Ecker, Christiane Pfanz-Sponagel: Die Geschichte des Freiburger Gemeinderats unter dem Nationalsozialismus. (= Neue Reihe des Stadtarchivs Freiburg im Breisgau. Heft 21). 2008, ISBN 978-3-89155-336-7, S. 20.
  11. Ernst Otto Bräunche: „Die Reichskristallnacht“ in Freiburg, in: Zeitschrift des Breisgau-Geschichtsvereins „Schau-ins-Land“. 103. Jahresheft 1984, Freiburg 1984, S. 149–160.
  12. a b c Joachim Hahn, Jürgen Krüger: Synagogen in Baden-Württemberg. Band 2: Joachim Hahn: Orte und Einrichtungen. Theiss, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-8062-1843-5, S. 131 (Gedenkbuch der Synagogen in Deutschland. Band 4)
  13. Ruben Frankenstein: Leserbriefe Freiburg: Fundamentreste der alten Synagoge: "Umso erfreulicher ist der Schulterschluss aller Strömungen des Judentums". Badische Zeitung, 28. November 2016, abgerufen am 13. April 2017.
  14. ISRAELITISCHE GEMEINDE FREIBURG K.D.Ö.R. beim Zentralrat der Juden in Deutschland, abgerufen am 15. März 2024
  15. Julia Littmann: Freiburgs liberale jüdische Gemeinde hat jetzt eine eigene Synagoge. Badische Zeitung, 28. September 2021, abgerufen am 29. September 2021.