Hélène de Mandrot

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Ernest Biéler: Hélène de Mandrot (1904)

Hélène de Mandrot (geboren als Hélène Revilliod de Muralt am 27. November 1867 in Genf; gestorben am 26. Dezember 1948 in Le Pradet) war eine Schweizer Künstlerin, Kunstsammlerin und Förderin der architektonischen und künstlerischen Moderne.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hélène Revilliod de Muralt stammte aus einer grossbürgerlichen Familie in Genf. Ihr Vater Aloys Revilliod (1839–1921) war Bankier und auch Sammler von ostasiatischer Kunst, ihre Mutter Rachel de Muralt kam aus dem Genfer Adel. Sie besuchte Kurse an der École des arts industriels de Genève bei Joseph Mittey, studierte bei William Bouguereau an der Académie Julian in Paris und ging für ein Semester nach München.[1] Ab 1900 stellte sie wiederholt Gemälde und Arbeiten in Metall und Stein in Genf aus und nahm 1903 an einer Ausstellung in St. Petersburg teil.

Sie heiratete 1906 den Agrarunternehmer Henry de Mandrot (1861–1920)[2] und schuf mit diesem die Société du Musée romand in Mandrots Château de La Sarraz. Das Museum war der regionalen Kunst und dem Kunsthandwerk der Romandie gewidmet, eine Idee, die auf die Thesen des nationalistischen Intellektuellen Gonzague de Reynold zurückging.[3] 1911 trat sie der von der Schweizer Kunsthandwerkerin Nora Gross[4] begründeten Société d'art domestique bei, welche die traditionelle, zu Hause ausgeübte Volkskunst fördern wollte, und richtete eine Schule für Stickerei ein.

Nachdem Hélène de Mandrot im Alter von 52 Jahren Witwe geworden war, gründete sie 1922 das Künstlerhaus Maison des Artistes de La Sarraz. Sie stellte es bildenden Künstlern als Aufenthaltsort zur Verfügung und machte es in den folgenden Jahren zu einem Zentrum der architektonischen und künstlerischen Moderne. In Paris, wo sie ab 1924 einen zweiten Wohnsitz hatte, baute sie Kontakte mit Künstlern und Architekten auf. 1928 gewann sie Sigfried Giedion und Le Corbusier für ihre Idee eines Architekturkongresses.[5] Der erste Congrès Internationaux d’Architecture Moderne fand vom 26. bis 28. Juni desselben Jahres mit 25 Architekten aus acht Ländern auf La Sarraz statt. Er wurde wegweisend. Im September 1929 veranstaltete sie den ersten Congrès international du cinéma indépendant,[6] der unter dem Zeichen der Avantgarde des Kinos stand. Mandrot wollte damit den von kommerziellen Interessen unabhängigen Film fördern. Zu den Filmemachern, Filmkritikern und -theoretikern, die daran teilnahmen, zählten u. a. Sergej Eisenstein, Hans Richter, Walter Ruttmann, Alberto Cavalcanti, Béla Balázs und Léon Moussinac.[7][8]

Mandrot profitierte von ihrer Bekanntheit als Mäzenin und wurde mit eigenen Werken 1929 zum Pariser Herbstsalon und 1930 zur Gründungsausstellung der Union des Artistes Modernes nach Paris eingeladen. 1929 beauftragte sie Le Corbusier, für sie ein Sommerhaus in Le Pradet bei Toulon zu bauen. Für den Garten der Villa de Mandrot, die 1931 fertig wurde, kaufte sie eine kubistische Skulptur von Jacques Lipchitz.[9]

In den 1930er Jahren entwickelte sich das Künstlerhaus zu einem Zufluchtsort für Begegnungen und Austausch. László Moholy-Nagy, Werner Hartmann, Willi Baumeister, Oskar Schlemmer, Max Ernst und Alfred Roth gehörten zu den Gästen. Bis zu Mandrots Tod 1948 blieb das Schloss La Sarraz trotz Anfeindungen von kulturellen und politischen Westschweizer Kreisen ein Treffpunkt der schweizerischen und internationalen Avantgarde.

Die Ausstellung „Hélène de Mandrot et la Maison des artistes de La Sarraz“ 1998 im Musée des Arts décoratifs Lausanne dokumentierte und würdigte ihr Leben und Wirken.[3]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Antoine Baudin: Mandrot, Hélène de. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
  • Antoine Baudin: Hélène de Mandrot et la Maison des artistes de La Sarraz. Payot, Lausanne 1998, ISBN 2-601-03238-3.
  • Hélène de Mandrot-Revilliod. In: Corinne Dallera; Nadia Lamamra: Du salon à l’usine. Vingt portraits de femmes. Un autre regard sur l’histoire du canton de Vaud. ADF, Lausanne 2003, ISBN 2-88413-095-0, S. 103–116.
  • Laura Martínez de Guereñu: A Vernacular Mechanism for Poetic Reactions: The Villa Mandrot in Le Pradet. In: Massilia. Annuaire d'Etudes Corbuseennes, 2005, S. 64.
  • Jean-Marie Pilet: Hélène de Mandrot et la Maison des artistes au château de La Sarraz : chronique - extraits des archives, éléments de la correspondance : 1920-1948. Archives de la Maison des artistes, La Sarraz 1999.
  • Albert Roth: Hélène de Mandrot †. In: Werk, 36 (1949), Heft 12 (Dezember), S. 17 und 19. (Digitalisat in E-Periodica).

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Hélène de Mandrot – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Die Ausbildungsstationen sind nur schlecht belegt, siehe Dallera, Lamamra. 2003
  2. Gilbert Marion: Mandrot, Henry de. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
  3. a b Philippe Mathonnet: Quand La Sarraz était vraiment au centre du monde, in: Le Temps, 22. Dezember 1998
  4. Marie-Hélène Guex: Gross, Nora. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
  5. Katrin Schwarz: Bauen für die Weltgemeinschaft. Die CIAM und das UNESCO-Gebäude in Paris, De Gruyter, Berlin 2016, ISBN 978-3-11-040347-3, S. 319
  6. Roland Cosandey, Thomas Tode: Le 1er Congrès international du cinéma indépendant – La Sarraz, septembre 1929. In: Archives. Nr. 84, April 2000, Institut Jean Vigo.
  7. Malte Hagener (Hrsg.): The Emergence of Film Culture. Knowledge Production, Institution Building, and the Fate of the Avant-garde in Europe, 1919-1945, Berghahn Books, New York 2016, ISBN 978-1-78533-354-5, S. 79
  8. Jacque Siclier: La vie telle qu'elle était, Le Monde Archives, 21. September 1978
  9. Villa de Madame H. de Mandrot, Le Pradet, France, 1929. Fondation Le Corbusier. Siehe auch Villa l’Artaude (Villa Mandrot) in der französischen Wikipedia