Hans-Joachim Petsche

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Hans-Joachim Petsche (* 14. Februar 1953[1] in Bernau) ist ein deutscher Hochschullehrer, marxistischer Philosoph und Mathematikhistoriker. Sein besonderes Forschungsinteresse ist auf die Technikphilosophie, das Wechselverhältnis von Philosophie und Mathematik/Informatik sowie auf philosophisch relevante Aspekte der Geschichte der Mathematik gerichtet.

Petsche bei seiner Abschiedsvorlesung 2018

Leben und Werk[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Petsche wurde in Bernau als Sohn des Fabrikarbeiters Günther Petsche und seiner Frau, der Lebensmittelverkäuferin Hildegard Petsche, geboren. Nach dem Besuch der erweiterten Oberschule studierte er von 1969 bis 1971 an der ABF der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Hieran schloss sich ein vierjähriges Studium an der Pädagogischen Hochschule Potsdam in der Fachrichtung Mathematik/Physik an[1][2], welches er 1975 mit einer Diplomarbeit zu Henri Poincaré beendete. Poincaré beeinflusste auch das zukünftige Werk Petsches.[3]

Nach dem regulären Studium nahm er ein dreijähriges Forschungsstudium wahr, das er 1978 mit einer Promotion zur Geschichte und Philosophie der Mathematik und dem Titel Leben und Wirken Hermann Graßmanns[4] abschloss.[1] Die Arbeit wurde von Dorothea Götz, Herbert Hörz und Hans Kaiser betreut und mit dem Karl-Liebknecht-Forschungspreis ausgezeichnet.

In den folgenden Jahren, in denen er zunächst als Assistent (1978–1982[1]), und anschließend bis 1986 als Oberassistent[1] an der Sektion für Marxismus-Leninismus der Pädagogischen Hochschule Potsdam tätig war, verlagerte sich sein Forschungsschwerpunkt von historischen zu aktuellen philosophischen Problemen der Mathematik, die sich an der Rahmenthematik „Triebkräfte der wissenschaftlich-technischen Revolution“ festmachen ließen.[2][5] Neben der Arbeit zu einem an Philosophie, Systemtheorie und Naturwissenschaft orientierten Begriff der „gesellschaftlichen Triebkräfte“ stand die Frage nach der sozialen Funktion der Mathematik im Mittelpunkt der Forschung.

1985[3] habilitierte er sich mit einer Arbeit mit dem Titel Zur Bestimmung der Rolle der Mathematik als Triebkraft der wissenschaftlich-technischen Revolution – einige inhaltliche und methodologische Aspekte einer philosophischen Analyse[6] im Themenbereich Philosophie der Technik und der Mathematik.[1] Gutachter waren unter anderem Eberhard Jobst und Frieder Kuhnert.

Die Berufung zum Hochschuldozenten erfolgte 1986.[1] 1987 wurde er Direktor für Forschung an der Sektion Marxismus/Leninismus.[7] Zwei Jahre darauf zusätzlich Wissenschaftsbereichsleiter Philosophie und Leiter der Forschungsgruppe „Triebkräfte der Wissenschaftlich-Technischen Revolution“.

Neben der philosophischen Forschung erfolgte, angeregt durch die Habilitationsschrift, eine Hinwendung zur Informatik.[1] Ergebnisse waren die Entwicklung des auch in der Wirtschaft genutzten Textverarbeitungsprogramms SALOTEX[8] sowie der ersten – FORTH-basierten – LOGO-Implementierung[9][10] für DDR-Schulcomputer.[1]

Nach der Wende, den mehrfachen Evaluierungen und der Umstrukturierung der Pädagogischen Hochschule zur Universität, war Petsche bis zur Gründung der Philosophischen Fakultät und der damit verbundenen Etablierung des Instituts für Philosophie als Hochschuldozent im Bereich der Sozialwissenschaften tätig.

Im Zentrum seiner Forschung standen bis 1995 Untersuchungen zur nichtformalen Analyse frei gestalteter Text-Corpora auf der Grundlage von Hypertext-Retrieval-Systemen. Wesentliches Ergebnis dieser Arbeit war das Computerprogramm HYPERTOM.[1][11]

1995 erfolgte die Ernennung zum außerplanmäßigen Professor.[1][2] Im gleichen Jahr wurde er zum Vorsitzenden des Konzils der Universität Potsdam gewählt. Neben zahlreichen anderen Funktionen im universitären Bereich war Petsche 1997 bis 1999 Prodekan der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam.

Eingebunden in nationale und internationale Kooperationen und Netzwerke[2] war Petsches Forschung seit dem Jahr 2000 auf folgende Schwerpunkte fokussiert:

  • Philosophische Aspekte virtueller Lernplattformen für die Management-Ausbildung.[12]
  • Philosophische Kontexte computergestützter Wissensmanagement-Systeme für die Wirtschaft.[13]
  • Philosophische Zugänge zur Analyse der Korrelation von Kultur und neuen Medien, erörtert im internationalen Vergleich am Beispiel des Internets.[14]
  • Arbeiten zur Problematik Philosophie und Bildung in Kooperation mit der Hamburger Politik-Didaktik.[15]
  • Philosophierelevante Aspekte der Geschichte der Mathematik im 19. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung des Wirkens Hermann Graßmanns.
  • Philosophie im multidisziplinären Diskurs mit den Fachwissenschaften.[16]

Nach 40 Jahren seines Wirkens im akademischen Lehr- und Forschungsbetrieb befindet sich Petsche seit Oktober 2018 im Ruhestand.

Seit der Studienzeit (1972) ist er mit Karin Petsche (geborene Obermann) verheiratet. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder, Matthias und Susanne, hervor.

Schriften (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Philosophie und Gesellschaft:
    • Philosophieren in Wendezeiten:
      • Band 1: Ohne festen Boden zwischen den Zeilen – oder: Die Philosophie der Wende und die Wende der Philosophie. Berlin: Trafo 2016
      • Band 2: Nüchternschmerz im Irrenhaus. Ortlose Texte am Rande der Philosophie. Berlin: Trafo 2017
      • Band 3: Mathematik – Informatik – Internet: Sehnsucht nach der Utopie. Berlin: Trafo 2017
  • Informatik und neue Medien:
    • Network Cultural Diversity and New Media
      • (Hg.): Kultur und/oder/als Technik – zur frag-würdigen Medialität des Internets. Berlin: Trafo 2005 (Cultmedia Bd. 3)
      • mit Z. Galántai und L. Várkonyi (Hg.): Internet Security and Risk. Berlin: Trafo 2007 (Cultmedia Bd. 9)
      • mit A. Zapf und Th. Köhler (Hg.): Die Neuen Medien und die kulturelle Vielfalt Europas. Eine empirisch-vergleichende Erhebung unter Studierenden Deutschlands, Polens, Spaniens, Tschechiens und Ungarns. Berlin: Trafo 2007 (Cultmedia Bd. 11/1 u. 11/2)
      • (Hg.): Topoi der Rationalität. Berlin: Trafo 2010 (Cultmedia Bd. 15)
      • mit J. Erdmann und A. Zapf (Hg.): Virtualisierung und Mediatisierung kultureller Räume. Berlin: Trafo 2015 (Cultmedia Bd. 20)
  • Philosophie und Multidisziplinarität:
    • Reihe „studieren++“ – multidisziplinäre Vorlesungsreihen
      • (Hg.): Raum und Zahl im Fokus der Wissenschaften. Berlin: Trafo 2015 (studieren++, Bd. 1)
      • mit M. Küpper, M. Gaßer und I. Schuhmacher (Hg.): Dialektische Positionen. Kritisches Philosophieren von Hegel bis heute. Berlin: Trafo 2015 (studieren++, Bd. 2)
      • (Hg.): Raum und Zahl im Fokus der Wissenschaften. Berlin: Trafo 2015 (studieren++, Bd. 1)
      • (Hg.): Grenzen im Fokus der Wissenschaften. Trafo 2016 (studieren++, Bd. 3)
      • (Hg.): Symmetrie und Harmonie? Symmetrie und Harmonie, Symmetriebrechung und Disharmonie im Fokus der Wissenschaften. Berlin: Trafo 2018 (studieren++, Bd. 4)
      • (Hg.): Zyklizität und Rhythmik. Berlin: Trafo 2019 (studieren++, Bd. 5)

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Claußen, Bernhard: Kommunikative Kompetenz und der Umgang mit Schlüsselproblemen in der Informations- und Mediengesellschaft [für Hans-Joachim Petsche zum 50. Geburtstag]. Hamburg: Studienges. für Sozialwiss. und Politische Bildung 2003.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c d e f g h i j k Hans-Joachim Petsche. Trafo Verlagsgruppe, abgerufen am 7. Dezember 2020.
  2. a b c d UP Phil - Petsche. Abgerufen am 12. Oktober 2021.
  3. a b Ethik kommt vor Wissenschaft. Potsdamer Neueste Nachrichten, abgerufen am 6. Dezember 2020.
  4. Im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: „Leben und Wirken Hermann Günther Grassmanns“, abgerufen am 6. Dezember 2020. Das Autorreferat ist abgedruckt in: Wiss. Z. d. Päd. Hochschule Potsdam. Potsdam 23(1979)4. S. 626–629 Zeitschriftenverzeichnis der Universität Potsdam
  5. Siehe: Veröffentlichungen der Forschungsgruppe
  6. Im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: „Zur Bestimmung der Rolle der Mathematik als Triebkraft der wissenschaftlich-technischen Revolution : einige inhaltl. u. methodol. Aspekte e. philos. Analyse“, abgerufen am 6. Dezember 2020. Das Autorreferat ist abgedruckt unter dem Titel Mathematik als Triebkraft der Analyse gesellschaftlicher Triebkräfte. in: Wiss. Z. d. Päd. Hochschule Potsdam. Potsdam 30(1986)4. S. 723–731 Zeitschriftenverzeichnis der Universität Potsdam
  7. Siehe Personenverzeichnis in Petsche, H.-J.: Bildung als Befähigung zur Freiheit. Postprints der Universität Potsdam: Philosophische Reihe (173). Potsdam 2021, doi:10.25932/publishup-50625
  8. Textverarbeitungssystem SALOTEX ’87 für Atari 800XL und KC 85/3. In: Mikroprozessortechnik (Zeitschrift 1987-1990). Berlin 1989 (archive.org [abgerufen am 5. Dezember 2020]).
  9. Programmiersprache FLOKC. In: Mikroprozessortechnik (Zeitschrift 1987-1990). 1989 (archive.org [abgerufen am 5. Dezember 2020]).
  10. Petsche, H.-J. (Hg); Schachtzabel. H. ; Sprengel, H.-J.: LOGO in FORTH - Einführung in ein Sprachkonzept für die Informatikausbildung. Potsdamer Forschungen. Naturwissenschaftliche Reihe, Heft 65. Potsdam 1989. (Enthält den neu entwickelten Quellcode der Programmiersprache)
  11. Petsche, H.-J.: Handbuch zum Hypertext- und Retrievalprogramm Hypertom. ASK-SAM-Archiv des Projektes Akademische Software Kooperation der Universität Karlsruhe. Universität Potsdam. Potsdam 1994.
  12. Zusammenarbeit unter anderem beim Virtual Management Teaching Consortium. Leonardo EU-Project. Contract PL/99/1/086631/PI/I.1.1.a/FPI. Partner: Higher School of Management and Social Sciences Tychy (PL); Robert Gordon University (GB); Potsdam University (G); Gestelimar (P)
  13. Organisation (mit K. Freyberg von der Münchener Rück und B. Klein vom DFKI Kaiserslautern) des ersten Workshops zu „Knowledge Management and Philosophy“ (im Rahmen der zweiten Konferenz „Professional Knowledge Management Experience and Visions.“ Luzern - 2.–4. April 2003).
  14. Mitarbeit (2002–2015) im International Network of Cultural Diversity and New Media (CultMedia), Organisation zahlreicher Tagungen und Publikationen
  15. Siehe hierzu etwa die Würdigung der Zusammenarbeit mit Bernhard Claußen in: Claußen, Bernhard: Kommunikative Kompetenz und der Umgang mit Schlüsselproblemen in der Informations- und Mediengesellschaft [für Hans-Joachim Petsche zum 50. Geburtstag]. Hamburg: Studienges. für Sozialwiss. und Politische Bildung 2003.
  16. Vorlesungen, die in diesem Zusammenhang entstanden, wurden von Petsche herausgegeben in der Reihe „studieren++“ (7 Bände bis 2020).
  17. Book Review by Albert C. Lewis: Graßmann, Hans-Joachim Petsche, Birkhäuser, Basel, Boston, Berlin (2006) In: Historia Mathematica, Volume 36, Issue 1, February 2009, Pages 82–85, abgerufen am 6. Dezember 2020.
  18. Book Review by Ivor Grattan-Guinness: Hermann Graßmann. Biography By Hans-Joachim Petsche. Translated by Mark Minnes. Basel (Birkhäuser). 2009 In: Historia Mathematica, Volume 37, Issue 4, November 2010, Pages 714–716, abgerufen am 6. Dezember 2020.
  19. Book Review by Keith Hannabuss: Hermann Graßmann. Biography By Hans-Joachim Petsche. Translated by Mark Minnes. Basel (Birkhäuser). 2009. In: BSHM Bulletin: Journal of the British Society for the History of Mathematics Volume 26, 2011 - Issue 2, 132–134, doi:10.1080/17498430.2011.559896.
  20. Book Review by Ivor Grattan-Guinness: Hermann Graßmann. Roots and Traces. Autographs and Unknown Documents Edited by Hans-Joachim Petsche, Lloyd Kannenberg, Gottfried Keßler and Jolanta Liskowacka. Basel (Birkhäuser). 2009. In: Historia Mathematica, Volume 37, Issue 4, November 2010, Pages 714–716, abgerufen am 6. Dezember 2020.