Hemerobaptisten

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Hemerobaptisten (altgriechisch Ἡμεροβαπτισταί Hēmerobaptistaí, deutsch ‚Täglich-Taucher‘; Singular: ἡμεροβαπτιστής hēmerobaptistḗs) waren eine kleine jüdische Gruppierung, die nur in spätantiken christlichen Quellen belegt ist.[1] Die historischen Verhältnisse sind schwer einschätzbar.[2] Gelegentlich wird die Identifikation mit einer Gruppe erwogen, die in der rabbinischen Literatur hebräisch טובלי שׁחרית tovelei shaḥarit, deutsch ‚Untertauchende der Morgenröte‘ genannt wird.[3][4][5][6][7] Ähnlich wie die Essener vollzogen ihre Angehörigen täglich kultische Reinigungen. Die Entstehung der Hemerobaptisten wird – analog zu den Essenern – im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. vermutet. In jener Zeit der Antike, um den Beginn der christlichen Zeitrechnung herum, differenzierten sich innerhalb des jüdischen Glaubens verschiedene strengreligiöse Gruppen aus, in deren theologischen Annahmen (Theologeme) eine „messianische Naherwartung“ und eine deutliche Kritik am „unreinen Tempelkult in Jerusalem“ geäußert wurden.[8]

Dabei bleibt die Quellenlage auf Aufzeichnungen beschränkt, die nicht von den Sektenmitgliedern der Hemerobaptisten selbst verfasst wurden. Ebenso wage bleibt die hebräische Eigenbezeichnung, denn es ist historisch nicht belegt, ob sich die Gruppe auch der in der rabbinischen Literatur wiedergegebenen Bezeichnung bedient hatte.

Hemerobaptisten als jüdische Sekte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kurt Rudolph zufolge gab es etwa vom 2. vorchristlichen bis 2. nachchristlichen Jahrhundert und schwerpunktmäßig in Palästina jüdische Einzelpersonen und Gruppen, bei denen das im Judentum übliche Tauchbad besondere Bedeutung gewann. Die von der Tora geforderte Reinheit wurde radikaler verstanden.[9] Tauchbäder waren Teil einer asketischen Praxis und konnten magisch-sakramental aufgewertet werden. Genaueres lässt sich über diese jüdische Täuferbewegung nicht aussagen.[10]

In der Untersuchung von Marcel Simon (1964)[11] wird u. a. darauf hingewiesen, dass der frühchristliche Kirchenschriftsteller Hegesipp sowohl zwischen den Hemerobaptisten, als auch Masbothäern unterschieden habe, da er beide in seinen Texten unterschiedlich benannt und kontextuell erwähnt.

Ein Teil dieser Täuferbewegung waren die nur in christlicher häresiologischer Literatur genannten „Baptisten“ (Βαπτισταί) und die mit diesen vorsichtig gleichzusetzenden „Masbothäer“ (Μασβώθεοι), außerdem die „Hemerobaptisten“ (Ἡμεροβαπτισταί). Die ältesten Quellen bieten die Namen und keine weitere Information; dass es sich um häresiologische Konstrukte handelt, ist auch möglich. Epiphanios von Salamis weiß dann über die Hemerobaptisten, dass sie im täglichen Tauchbad, vorzugsweise in fließendem Wasser, die Bedingung für Reinheit und Heiligkeit sahen, die dann auch zum ewigen Leben erforderlich sei.[12] Möglicherweise übertrug Epiphanios Informationen über Elkesaiten und Ebioniten auf die Hemerobaptisten, ohne zu letzteren eigene Informationen zu besitzen. Die Apostolischen Konstitutionen (IV,6) schreiben den Hemerobaptisten Reinheitsriten zu, die Mk 7,3–4 EU als pharisäische Praxis genannt werden. Tertullian behauptete sogar, alle Juden praktizierten das tägliche Tauchbad. So verstand er offenbar Mk 7, 3-4.[13] Von den Hemerobaptisten unterscheidet Rudolph, die in der rabbinischen Literatur genannten hebräisch טובלי שׁחרית tovelei shaḥarit, deutsch ‚Frühmorgens Untertauchenden‘, da es sich bei letzteren nicht um eine Gruppe gehandelt habe, sondern um einzelne Rigoristen, deren morgendliches Tauchbad durch Dtn 23,12 EU motiviert war: die Sorge, infolge einer nächtlichen Pollution kultisch unrein geworden zu sein.[14]

Das wichtigste Merkmal der Hemerobaptisten war der von jedem Einzelnen durchgeführte, kollektive Akt des täglichen Eintauchens in Wasser (Tevila) bzw. eines rituellen Bades (Mikwe). Das Bad wurde jeden Morgen vor dem Gebet durchgeführt, um den Namen Gottes mit einem reinen Körper aussprechen zu können. Unklar bleibt inwieweit Ansprüche an die rituelle Qualität, an das Tauchwasser gestellt wurden, ob es sich um „lebendiges Wasser“ (hebräisch מים חיים majim chajim[15]) handelte, es also „lebendiges, fließendes Wasser“ gewesen sein musste.[16]

Nach der Didascalia Apostolorum (VI. 6) würden die Hemerobaptisten keine Nahrung am Morgen zu sich nehmen, bis sie gebadet hätten, auch benutzten sie ihre Betten, Tische und Teller nicht, bis sie sich dergestalt gereinigt hätten.[17]

Epiphanios von Salamis (Panarion I. 17) erwähnte die Gruppierung als vierte Ketzerei unter den jüdischen Sekten und ordnet sie doktrinär den Pharisäern zu, von denen sie sich nur darin unterschieden, dass sie wie die Sadduzäer die Auferstehung der Toten leugneten. Nach eben diesem Epiphanios[18] wurden, neben den Hemerobaptisten, noch sechs weitere jüdisch-frühchristliche Sekten und Gruppierungen beschrieben, so:

Weitere Gruppierungen, etwa die Zeloten, Sikarier oder Samaritaner wurden von ihm in diesem Zusammenhang nicht erwähnt.

In den Pseudo-Klementinen (Homilien 2,23)[21] gilt Johannes der Täufer als extrem negative Gestalt und Lehrer des Simon Magus. Im Zuge seiner Verketzerung wird er in diesem Werk als Hemerobaptist diffamiert.[22]

Die Hemerobaptisten waren Teil weiterer kleinerer jüdischer Sekten, einschließlich der Bana'im auch „Meister, Bauleute“[23] genannt und der Maghāriya (hebräisch מג'ריה).

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Wilhelm Brandt: „Fünfter Teil. Der Baptismus mit dem Tauchbad zur Sündenvergebung bei den vom Judentum ausgegangenen Sekten“. Die jüdischen Baptismen oder das religiöse Waschen und Baden im Judentum mit Einschluß des Judenchristentums. De Gruyter, Berlin/Boston 1910, S. 50; 86–122. [11]
  • Samuel Posnański: Geschichte der Sekten und der Halacha. In: Abraham Geiger (Hrsg.): Leben und Lebenswerk. De Gruyter, Berlin/Boston 1910, S. 352–387.
  • Marcel Simon: Die jüdischen Sekten zur Zeit Christi. Aus dem Französischen von Egon Wilhelm, Benziner, Einsiedeln/Zürich/Köln 1964
  • Adolf Hilgenfeld: Die Ketzergeschichte des Urchristentums. Fues's Verlag, Leipzig 1884, S. 144
  • Joshua Ezra Burns: Essene Sectarianism and Social Differentiation in Judaea After 70 C.E. Harvard Theological Review, (2006) 99(3), 247-274. doi:10.1017/S0017816006001246
  • Kurt Rudolph: Antike Baptisten. Zu den Überlieferungen über frühjüdische und frühchristliche Taufsekten. In: Gnosis und spätantike Religionsgeschichte. (= Nag Hammadi and Manichean Studies. Band 42). Brill, Leiden 1996, S. 569–606.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Martin Goodman: A History of Judaism. From Its Origins to the Present. Princeton University Press, Princeton/Oxford 2018, S. 201: “The Essenes practised daily ablutions, as did presumably the Hemerobaptists (‘Daily Bathers’), a Jewish group in the first century known only from references in later Christian texts.”
  2. Vgl. Yonder Moynihan Gillihan: Art. Sectarianism. In: Loren T. Stuckenbruck, Daniel M. Gurtner: T&T Clark Encyclopedia of Second Temple Judaism Volume Two. Bloomsbury-Verlag, 2019, ISBN 978-0-567-66095-4, S. 719, auf booksgoogle. de [1]: “In some instances, scholars include so-called ‘minor sects’ for which there is less reliable evidence, such as those to which sources refer to as Ḥavurot, Bana'im, Hypsistarians, Hemerobaptists, and Maghāriya.”
  3. Tosefta Yadayim 2:9, 2:20 [2]
  4. Judith R. Baskin: Ablution. Encyclopaedia Judaica 2008 [3]: “The tovelei shaḥarit ("morning bathers") mentioned in Tosefta Yadayim 2:20 perhaps may be identified with the latter [= hemerobaptists] but more likely were an extreme group within the general Pharisaic tradition”
  5. Herbert W. Basser, Marsha B. Cohen: The Gospel of Matthew and Judaic Traditions. A Relevance-based Commentary. Koninklijke Brill, Leiden 2015, ISBN 978-90-04-29178-2, auf mis.kp.ac.rw [4] hier S. 73, Fußnote 3
  6. Saul Lieberman: Light on the Cave Scrolls from Rabbinic Sources. Proceedings of the American Academy for Jewish Research, (1951) 20, 395, doi:10.2307/3622176 hier S. 401
  7. Elliot N. Dorff, Arthur Rossett: Living Tree. A: The Roots and Growth of Jewish Law. Suny Press, New York 1987, S. 179, mit Verweis auf: Tosefta Jadajim, Ende; Berachot, 22a.
  8. Norbert Copray: Der Messias, die fromme Szene und das Reich Gottes. Z. kritischer Christen 4 (1995), S. 23.
  9. Arnold Angenendt: Reinheit und Unreinheit. Anmerkungen zu „Purity and Danger“. In: Peter Burschel, Christoph Marx (Hrsg.): Reinheit. Böhlau, Wien/Köln/Weinmar 2011, S. 48–73.
  10. Kurt Rudolph: Antike Baptisten. Zu den Überlieferungen über frühjüdische und frühchristliche Taufsekten. Leiden 1996, S. 571 f.
  11. Marcel Simon: Die jüdischen Sekten zur Zeit Christi. Benziger Verlag, Einsiedeln/Zürich/Köln 1964, S. 86 f, 88
  12. Epiphanios: Panarion 1,17,1-5.
  13. Kurt Rudolph: Antike Baptisten. Zu den Überlieferungen über frühjüdische und frühchristliche Taufsekten. Leiden 1996, S. 574 f.
  14. Kurt Rudolph: Antike Baptisten. Zu den Überlieferungen über frühjüdische und frühchristliche Taufsekten. Leiden 1996, S. 575.
  15. Lexicon: Strong's H4325 - mayim, auf blueletterbible.org [5]
  16. Michael Rosenkranz: Mikwe – Das Eintauchen in lebendiges Wasser. 31. März 2014, auf talmud.de. [6]
  17. Kaufmann Kohler: Hemeobaptists (lit. „morning bathers“). JewishEncyclopedia [7]
  18. Epiphanios von Salamis: The Panarion of Epiphanius of Salamis. Book I (sects 1-46), Brill, Leiden 2009, ISBN 978-90-04-17017-9, auf booksgoogle.de [8] hier S. 32 f.
  19. zitiert aus James Parkes: The Conflict of the Curch and the Synagogue. A study in the origins of antisemitism. Meridian Books, Cleveland / New York, The Jewish Publication Society of America, Philadelphia 1961, auf ia802605.us.archive.org [9] hier S. 168–170
  20. Dianne Bergant: Israel's Story. Part II, Liturgical Press, Collegeville Minnesota 2006, ISBN 978-0-8146-3046-4, S. 94
  21. Homilien. Hrsg. von Bernhard Rehm, 1953; verb. Aufl. von Georg Strecker. 1992. ISBN 3-05-000575-0
  22. Kurt Rudolph: Antike Baptisten. Zu den Überlieferungen über frühjüdische und frühchristliche Taufsekten. Leiden 1996, S. 575.
  23. Emanuel Oskar Deutsch: Der Talmud. Aus der siebenten englischen Auflage ins Deutsche übertragen. Ferdinand Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin 1869, auf diss-duisburg.de [10] hier S. 22