Hypercholesterinämie

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Klassifikation nach ICD-10
E78.0 Reine Hypercholesterinämie
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Unter Hypercholesterinämie versteht man einen zu hohen Cholesterinspiegel im Blut. In der Literatur wird es auch in manchen Fällen gleichbedeutend mit Hyperlipoproteinämie verwendet.[1] Im Allgemeinen wird ab einem Gesamtcholesterin im Blut von 200 mg/dl, dem zurzeit empfohlenen Grenzwert, von einer Hypercholesterinämie gesprochen. Abhängig von der Bestimmungsmethode wird das Blut bei Nüchternheit (12 Stunden nach der letzten Mahlzeit) oder auch bei nicht nüchternen Patienten untersucht. Die Hypercholesterinämie wird als relevanter Risikofaktor insbesondere für Arteriosklerose betrachtet. Eine wesentliche Rolle für den Wert als eigenständiger Risikofaktor kommt dabei der ergänzenden Bestimmung der Unterkategorien HDL und LDL zu. Die Empfehlungen zu den Ober-, aber auch Untergrenzen der Messwerte im Hinblick auf die Risikokonstellation wurden in den vergangenen Jahrzehnten aufgrund neuer Studienergebnisse mehrmals angepasst. Sie sind zudem abhängig von ergänzend vorhandenen Risikofaktoren sowie dem Alter und Vorerkrankungen betroffener Patienten. In Europa werden zum Beispiel die Leitlinien der European Society of Cardiology (Europäische Fachgesellschaft für Kardiologie), abgekürzt ESC und der European Atherosclerosis Society (Europäische Atherosklerosegesellschaft), abgekürzt EAS zur Behandlung einer Dyslipidämie angewandt. Diese beschreiben die Risikofaktoren, Risikoeinschätzung und Behandlungsmöglichkeiten einer Hypercholesterinämie.[2]

In 2019 hat die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie die Leitlinie der ESC weitgehend übernommen.[3][4]


Ursachen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es gibt vielerlei Ursachen eines erhöhten Cholesterinspiegels im Blut: erbliche Erkrankungen, aber auch Diabetes, Schilddrüsenunterfunktion, Bauchspeicheldrüsenentzündung, nephrotisches Syndrom, gewisse Lebererkrankungen, Übergewicht, Alkoholismus, Schwangerschaft, die Einnahme bestimmter Medikamente (zum Beispiel Verhütungsmittel, Kortikosteroide und antiretrovirale Wirkstoffe bei HIV-Therapie)[5] und Essstörungen.[6] Hohe Cholesterin-Aufnahme über die Nahrung kann den LDL-C-Wert steigern.

Bedeutung als Risikofaktor[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Hypercholesterinämie gilt als ein Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder periphere arterielle Verschlusskrankheit. Die anzustrebenden Zielwerte sind abhängig vom Vorhandensein weiterer Risikofaktoren und Vorerkrankungen. Allgemein sollte bei einem Gesamtcholesterinspiegel im Blut von über 200 mg/dl eine weitere Aufschlüsselung in LDL- (Low Density Lipoprotein) und HDL- (High Density Lipoprotein) Cholesterin erfolgen, da das LDL-Cholesterin als Risikofaktor gilt (in der Laiensprache als „schlechtes Cholesterin“ bekannt). HDL-Cholesterin wird manchmal als „gutes Cholesterin“ bezeichnet.

Prävention kardiovaskulärer Ereignisse

Besondere Bedeutung kommt der Hypercholesterinämie als Risikofaktor für kardiovaskuläre Ereignisse zu (z. B. Herzinfarkt), sowohl bei jüngeren als auch älteren Erwachsenen.[7][8][2]

Primärprävention des Schlaganfalls
Eine medikamentöse Lipidsenkung ist bei der Primärprävention vom LDL-Wert und individuellem Risikoprofil abhängig zu machen. Bestehen keine zusätzlichen Risikoindikatoren sollte der LDL-Wert unter 130 mg/dl liegen (oder therapeutisch unter diesen Wert gebracht werden). Liegen ein Diabetes mellitus, ein erhöhtes vaskuläres Risiko oder eine KHK vor, sollte er unter 100 mg/dl liegen,[1] und bei Höchstrisikopatienten sogar unter 70 mg/dL.[2] Dieser Wert gilt auch als Risikofaktor für eine Subarachnoidalblutung.[9]

Sekundärprävention des Schlaganfalls
Eine Hypercholesterinämie wird hier zwar als ursächlich für das Voranschreiten einer Arteriosklerose betrachtet, welches zu einem Schlaganfall führen kann – oft in Kombination mit Hypertonie und anderen Risikofaktoren. Als Sekundärprävention eines Schlaganfalls (d. h. nach erlittenem Schlaganfall) und Hinweisen für eine manifeste Atherosklerose gibt es laut der Deutschen Gesellschaft für Neurologie Evidenz für einen niedrigen LDL-Zielwert. So sei eine intensive LDL-C-Senkung auf Werte < 70 mg/dl einer moderaten LDL-C-Senkung unter 100 mg/dl überlegen (Konsensstärke: 88,8 % in 2022).[10]

Aneurysmen
Die Hypercholesterinämie wird als „minor Risk factor“ für die Entstehung von Bauchaorten- und Beckenarterienaneurysmen eingestuft.[11]

Weitere Bedeutung
Die Hypercholesterinämie gilt als relative Kontraindikation für den Einsatz von Ovulationshemmern.[12] Für die ketogene Diät (kohlenhydratarme, energie- und proteinbilanzierte sowie extrem fettreiche Diät – imitiert den metabolischen Zustand des Fastens)[13] gilt die Hypercholesterinämie als Kontraindikation.

Behandlung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vorrangige Maßnahmen sind Gewichtsreduktion und sportliche Aktivität.[14] Begleitend können eine cholesterinarme, fettreduzierte, kalorienangepasste und ballaststoffreiche Diät hilfreich sein.

In Interventionsstudien wurde untersucht, ob eine Umstellung auf eine vegetarische/vegane Ernährung geringere Cholesterinspiegel mit sich bringt. Eine Review von 14 Interventionsstudien kommt zu dem Schluss, dass sich der LDL-Spiegel bei vegetarischer Ernährung um 10–15 % verringert, bei veganer um 15–25 %.[15] Eine Meta-Analyse aus 30 Beobachtungs- und 19 Interventionsstudien bestätigt diese Beobachtung und kommt zu dem Schluss, dass vegane Kostformen den größten Effekt zeigen.[16] Die Lebensstilmedizin von bspw. Dean Ornish, Caldwell Esselstyn, Neal D. Barnard oder John McDougall macht sich diesen Effekt in der Behandlung zunutze.

Reduziert sich der Cholesterinspiegel trotz dieser Maßnahmen nicht ausreichend, kann eine zusätzliche medikamentöse Behandlung mittels Statinen notwendig werden.[14] Wie stark der Cholesterinspiegel gesenkt werden soll, ist von den oben genannten individuellen Faktoren abhängig und wird in den ESC/EAS-Leitlinien genau erläutert.

Zur Senkung kommen sogenannte CSE-Hemmer (Cholesterin-Synthese-Enzym-Hemmer) vom Typ der HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren in Frage, die zur Verminderung des LDL-Cholesterins führen, indem sie unter anderem dessen Neubildung in der Leber hemmen. Diese Arzneistoffe sind als Statine bekannt. Weitere LDL-senkende Medikamente sind die Austauschharze (Colestyramin, Colesevelam). Des Weiteren gibt es die Wirkstoffgruppen der Fibrate und Nikotinsäurederivate, die aber in der Praxis nach den neueren Studien an Bedeutung verloren haben. [ESC Leitlinie] Nikotinsäurederivate sind sogar in den meisten Ländern nicht mehr zugelassen.[2] Zudem gibt es auch Ezetimib, ein selektiver Cholesterinresorptionshemmer, der nach den ESC/EAS-Leitlinien als Zweitlinien- oder Kombinationstherapie zur zusätzlichen LDL-Cholesterin-Senkung angewandt werden kann. Für therapieresistente Fälle mit hohem kardiovaskulärem Risiko oder bei einer erblich bedingten Störung des Fettstoffwechsels stehen seit Ende 2015 zwei vollhumane Antikörper gegen das Protein Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9 zur Verfügung, die PCSK9-Hemmer Alirocumab und Evolocumab. Sie senken das LDL-Cholesterin um durchschnittlich 57 %.[17] Als Ultima Ratio kann bei progredienter kardiovaskulärer Erkrankung unter maximaler lipidsenkender Therapie auch die LDL-Apherese eingesetzt werden. Eine US-Studie der Georgetown University ergab, dass Chrom(III)-nicotinat mit oder ohne der gemeinsamen Einnahme von Traubenkernextrakt zu einer Senkung des Cholesterinspiegels führen kann.[18]

Kritik über Therapieziele[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) übt Kritik und stellt 2023 die Frage „Lipidtherapie: „Je niedriger desto besser“ – und was nützt das den Patienten?“[19] Die AkdÄ unterbreitet ihren eigenen Leitfaden zur Cholesterinsenkung.[20]

Prävention kardiovaskulärer Ereignisse
Eine Reduktion der Rate kardiovaskulärer Ereignisse durch Verminderung einer bestehenden Hypercholesterinämie konnte in verschiedenen Altersgruppen festgestellt werden und auch bei Patienten mit Typ II Diabetes mellitus.[2]

Die Bundesärztekammer (BÄK) erklärt in einer Patienteninformation zur Frage „Ich habe Diabetes, aber keine Herz-Kreislauf-Erkrankung: Brauche ich ein Statin?“, dass sich ein Teil der Herzinfarkte und Schlaganfälle durch Statine verhindern lässt: Wenn 1000 Menschen mit Diabetes (aber ohne Herz-Kreislauf-Erkrankung) 4 Jahre lang ein Statin einnehmen, gibt es 8 Todesfälle weniger, 9 Schlaganfälle weniger und 12 Herzinfarkte weniger.[21]

Primärprävention des Schlaganfalls
Der Nutzen von Statinen ist für Hochrisikopatienten insbesondere zur Vorbeugung einer Atherothrombose statistisch belegt und wird daher auch für diese Gruppe von Patienten empfohlen.[2]

Sekundärprävention des Schlaganfalls
Nach einem ischämischen Schlaganfall wird eine Statintherapie auch bei normalem Cholesterinspiegel empfohlen.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke – Teil 1: Plättchenhemmer, Vorhofflimmern, Hypercholesterinämie und Hypertonie. (PDF 4,75 MB);
    Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke – Teil 2: Lebensstil, arterielle Stenosen, andere Antithrombotika-Indikationen, Hormone, Diabetes mellitus, Schlafapnoe. (PDF 4,88 MB); Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), 4. Juli 2022; abgerufen am 2. Februar 2024
  2. a b c d e f Pocket-Leitlinie: Diagnostik und Therapie der Dyslipidämien (Version 2019). (PDF; 8 MB) Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e. V. (2020) ESC/EAS Pocket Guidelines. Diagnostik und Therapie der Dyslipidämien, Version 2019. Börm Bruckmeier Verlag, Grünwald, ISBN 978-3-89862-995-9. Kurzfassung der „2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk“. European Heart Journal, 2019 (englisch); doi:10.1093/eurheartj/ehz455; academic.oup.com (PDF; 2,4 MB); abgerufen am 2. Februar 2024
  3. Oliver Weingärtner: Kommentar zu den Leitlinien (2019) der ESC/EAS zur Diagnostik und Therapie der Dyslipidämien. (PDF; 822 kB) In: Kardiologe, 2020, 14, S. 256–266; doi:10.1007/s12181-020-00399-9, 9. Juni 2020; abgerufen am 3. Februar 2024.
  4. leitlinien.dgk.org
  5. S1-Leitlinie Empfehlungen zur antiretroviralen Therapie bei HIV-infizierten Kindern. In: AWMF online
  6. S1-Leitlinie Essstörungen. In: AWMF online
  7. Diagnostik und Therapie von Herzerkrankungen bei Diabetes mellitus. (PDF; 1,2 MB) awmf.org
  8. Leitlinie Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im Alter. (Memento des Originals vom 1. Oktober 2013 im Internet Archive; PDF)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de deutsche-diabetes-gesellschaft.de
  9. S1-Leitlinie Subarachnoidalblutung. In: AWMF online
  10. Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke – Teil 1: Plättchenhemmer, Vorhofflimmern, Hypercholesterinämie und Hypertonie (PDF; 4,8 MB) Herausgeber: Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), Leitlinie AWMF-Registernummer: 030/113, 20.05.2022, (PDF 4,75 MB). Abgerufen am 29. März 2024
  11. S2-Leitlinie Abdominelles Aortenaneurysma (AAA). In: AWMF online
  12. S1-Leitlinie Empfängnisverhütung. In: AWMF online
  13. S1-Leitlinie Ketogene Diät. In: AWMF online
  14. a b S1-Leitlinie Primär- und Sekundärprävention der zerebralen Ischämie. In: AWMF online
  15. Claus Leitzmann, Markus Keller: Vegetarische und vegane Ernährung. 4., überarbeitete Auflage. UTB, 2020, ISBN 978-3-8252-5023-2, S. 165.
  16. Claus Leitzmann, Markus Keller: Vegetarische und vegane Ernährung. 4., überarbeitete Auflage. UTB, 2020, ISBN 978-3-8252-5023-2, S. 167.
  17. M. J. Lipinski, U. Benedetto, R. O. Escarcega u. a.: The impact of proprotein convertase subtilisin-kexin type 9 serine protease inhibitors on lipid levels and outcomes in patients with primary hypercholesterolaemia: a network meta-analysis. In: Eur. Heart J. 2015, doi:10.1093/eurheartj/ehv563, PMID 26578202.
  18. Effects of niacin-bound chromium and grape seed proanthocyanidin extract on the lipid profile of hypercholesterolemic subjects: a pilot study. PMID 11508317 (englisch).
  19. Michael Zieschang: Lipidtherapie: „Je niedriger desto besser“ – und was nützt das den Patienten? (PDF; 93 kB) In: Arzneiverordnung in der Praxis, Ausgabe 1/2023, Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Bundesärztekammer; abgerufen am 15. Januar 2024.
  20. Leitfaden „Medikamentöse Cholesterinsenkung zur Vorbeugung kardiovaskulärer Ereignisse“. 1. Auflage, Version 2.0 (Juli 2023). Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), Bundesärztekammer, abgerufen am 22. Januar 2024
  21. Information der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft für Patientinnen und Patienten. (PDF) Bundesärztekammer 2023. Informationsblatt für Patientinnen und Patienten basierend auf dem Leitfaden der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Medikamentöse Cholesterinsenkung zur Vorbeugung kardiovaskulärer Ereignisse. akdae.de (PDF; 61 kB) Stand 22. Februar 2024. 1. Auflage, Version 2.0. Berlin, Juli 202; abgerufen am 20. Februar 2024