Hyperrealismus

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Fruttiera di cristallo con meloni (1999), ein hyperrealistisches Gemälde von Mauro David (1949–2007)

Der Hyperrealismus, auch Superrealismus, ist eine Kunstrichtung, die Malerei und Skulptur, aber auch Fotografie und Film umfasst. Der Realismus war immer ein wichtiges Element in der Reihe der Stilrichtungen in der Kunst.[1] Der Hyperrealismus ist eine Weiterentwicklung des Realismus und benachbart zur Pop Art. Sein Ideal ist nicht unbedingt eine exakte lebenstreue Nachbildung, wie sie typisch für den Realismus ist, sondern eine fotorealistische Übersteigerung der Wirklichkeit, eine „überschärfte Realität“.[2] Die Abstraktion wird zurückgewiesen.

Wesentliches Element des Hyperrealismus ist der Verzicht auf subjektive Interpretation durch den Künstler.[3] Der Hyperrealismus nutzt Ausdrucksmittel des Fotorealismus, bei dem Bildinhalte mit einer an eine Fotografie erinnernden Detailgenauigkeit gemalt werden.[4] Während der Fotorealismus durch die brillante, realistische Darstellung vor allem schön sein will, stellt der Hyperrealismus in der Darstellung kühl und profan „überspitzt verstörender“[5] Wirklichkeit die Frage nach dem Wesen der Dinge in einen fast schon ironischen, existentialistischen Kontext. So sind beispielsweise die Landschaftsgemälde von Gottfried Helnwein größtenteils Werke des Fotorealismus, da sie in erster Linie „schön“ sind, aber nicht den verstörenden Charakter seiner Porträts aufweisen. Diese sind dagegen aufgrund der durch den Künstler sichtbar gemachten Narben und Wunden eher dem Hyperrealismus zuzuordnen; die Grenzen sind fließend, wobei es „irrelevant ist, ob diese Bilder fotografiert oder gemalt sind“.[6]

Entwicklung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Tendenzen und Absicht des Hyperrealismus sind jedoch keineswegs neu. Bereits in der Plastik der Antike lässt sich die Absicht feststellen, (Götter-)Figuren so realistisch wie möglich zu gestalten und entsprechend zu bemalen, dass ein „unheimlicher“ Eindruck wirklicher Gestalten entsteht. In der Antikenrezeption des ausgehenden 19. Jahrhunderts – gerade nach der Entdeckung der „bemalten“ antiken Figur – hat sich für einige Jahrzehnte eine Stilrichtung der Plastik herausgebildet, die auf diesen Wirkungseffekt hinzielt. So hat etwa Wilhelm von Rümann (1850 Hannover – 1906 Korsika), ein Bildhauer der Münchner Schule solche Plastiken in speziell gefärbter Bronze, vor allem aber in dafür besser geeignetem Ton und Terracottamaterial geschaffen, realistisch bemalt, in der stofflichen Struktur, aber auch im Inkarnat „materialecht“ erscheinend, mit verblüffenden Effekten, die dem späteren amerikanischen Kunststil kaum nachstehen. Bekannt dafür wurde sein „Wassertragender Römer“. Auch die Manufaktur Goldscheider-Wien war für die Fertigung hyperrealistischer Oberflächenbearbeitung bei vielen der dort aufgelegten Plastiken – vor allem in Ton – bekannt. Die Beispiele des 19. Jahrhunderts haben allerdings altersbedingt durch Patina-Einfluss die ehemals naturhafte Wirkung oft weitgehend eingebüßt. Hyperrealistisch arbeiteten vor allem nordamerikanische Künstler in der Zeit von 1965 bis 1970 (u. a. Chuck Close,[7] Don Eddy, Richard Estes und Malcolm Morley).[8] Bildhauer wie John de Andrea, Edward Kienholz oder Duane Hanson schufen aus Wachs oder Kunststoffen Nachbildungen von z. B. Obdachlosen oder Museumsbesuchern (siehe Environments), deren Realismus so beeindruckend war, dass Besucher der entsprechenden Ausstellungen vor dem Anblick der vermeintlichen Wirklichkeit erschraken. Aufsehen erregte ebenfalls die Ausstellung dreier lebensgroßer, wie ausgestopft wirkender Kamele der Künstlerin Nancy Graves im Whitney Museum 1969. Die Werke von Ron Mueck,[9] den der Kunstkritiker Bülent Gündüz mit Maurizio Cattelan und Patricia Piccinini zum „Triumvirat des Hyperrealismus“ zählt[10], lassen sich in diese Tradition der hyperrealistischen Figuren einreihen.

In der Künstlerszene der so genannten Leipziger Schule entwickelten sich zu DDR-Zeiten neben zahlreichen anderen Stilformen auch Ausprägungen des Hyperrealismus, wodurch die Leipziger Malerei auch für den westdeutschen Kunstmarkt interessant wurde.[11] Realistische und hyperrealistische Tendenzen zeigen sich auch in der modernen Kunst zu Beginn des 21. Jahrhunderts (Neue Leipziger Schule).

Hyperrealismus in der Malerei[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Malerei stehen für diese Richtung insbesondere Chuck Monroe, Don Eddy, Claudio Bravo, Chuck Close, Richard Estes, Ralph Goings, Audrey Flack, Vija Celmins, Franz Gertsch, Rudolf Häsler oder Gottfried Helnwein. Zeitgenössische Künstler, die unter anderem mit hyperrealistischen Mitteln arbeiten, sind Jeff Koons, Ron Mueck und Luigi Rocca sowie die Airbrusher Hajime Sorayama, Gerard Boersma und Dru Blair und zahlreiche weitere Künstler (in Deutschland beispielsweise Maximilian Pfalzgraf, Jochen Görlach,[12] Günther Hermann,[13] Lars Reiffers,[14] Dietmar Gross oder Roland H. Heyder[15] mit seinem „Phantastischen Realismus“[16]). Der Schwede Tommy T.C. Carlsson arbeitet mit hyperrealistischen Stilmitteln in seiner Objektkunst („Modern Illusion Art“). Ein eigenwilliger Vertreter zwischen Hyperrealismus und dem heutigen postmodernen Pluralismus ist der 1942 in Brüssel geborene Roland Delcol.[17][18]

Kritik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine kritische Sicht des Hyperrealismus betont die Phantasielosigkeit der Darstellung: „Der Hyperrealismus verschenkt die Möglichkeiten, die die Malerei hat, zugunsten eines simplen Witzes innerhalb des Wettstreits zwischen Malerei und Fotografie.“[19] Der amerikanische Hyperrealismus der 1960er und 1970er Jahre wurde in Europa als „amerikanisch bis hin zur Karikatur“ beschrieben: „Dieser weiterentwickelte und weiterverbreitete Hyperrealismus von Pop Art der 60er Jahre war hyper-provozierend und hyper-oberflächlich und hyper-kommerziell.“[20]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Raimund Ilg: Kunstgeschichte im Überblick, Stark-Verlag
  • Peer Kriesel: Mehr als nur hyperrealistisch – Psychologischer Realismus geprägt durch Ron Mueck, Kunst- und Kulturgeschichte, FH Potsdam 2007
  • Harald Berendt: Werner Tübkes Panoramabild in Bad Frankenhausen, Verlag Ludwig, Kiel 2006
  • Peter Pakesch u. Bernhard Mendes Bürgi (Hrsg.): Painting on the Move, Schwabe Verlag, Basel 2002
  • Ritvan Sentürk: Postmoderne Tendenzen im Film, München 1998
  • Axel Hinrich Murken: Zwischen Surrealismus und Hyperrealismus, Dr. Schilke Medizinischer Verlag
  • Michael Freeman, Frank Baeseler: Die fotografische Idee: Bildkomposition und Aussage, Markt + Technik 2010
  • John Russell Taylor, Maggie Bollaert: Exactitude – Hyperrealist Art Today. Thames & Hudson, 2009, ISBN 978-0-500-23863-9.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Hyperrealismus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Künstlerverzeichnis Schlichtholz
  2. Kulturserver Niedersachsen: Realistische Malerei
  3. Prestel, Online-Künstlerlexikon
  4. Kulturserver Niedersachsen: Fotorealismus
  5. Künstlerverzeichnis Schlichtholz
  6. Rainhold Misselbeck, Kurator Museum Ludwig, Köln
  7. Raimund Ilg, Kunstgeschichte im Überblick, Stark-Verlag (Memento des Originals vom 10. Juni 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.stark-verlag.de (PDF; 60 kB)
  8. Prestel, Online-Künstlerlexikon
  9. Peer Kriesel: Peer Kriesel, Mehr als nur hyperrealistisch – Psychologischer Realismus geprägt durch Ron Mueck, Kunst- und Kulturgeschichte, FH Potsdam 2007@1@2Vorlage:Toter Link/www.peerk.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im April 2018. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  10. Maurizio Cattelan in Bregenz (Memento des Originals vom 14. April 2017 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/artblog-saarlorlux.de
  11. Harald Berendt, Werner Tübkes Panoramabild in Bad Frankenhausen, Verlag Ludwig, Kiel 2006, S. 63 und 65
  12. http://www.silosgallery.com/de/phantastischer-hyperrealismus.html
  13. Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 12. Mai 2012 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.andreasbaumgartl.de
  14. Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 2. November 2010 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.kunstakademie-muenster.de
  15. Archivlink (Memento des Originals vom 6. März 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.artoffer.com
  16. http://wuppertal.informer-magazine.de/people/roland-h-heyder@1@2Vorlage:Toter Link/wuppertal.informer-magazine.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im April 2018. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  17. Axel Hinrich Murken, Zwischen Surrealismus und Hyperrealismus, Dr. Schilke Medizinischer Verlag (Memento des Originals vom 2. März 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.dr-schilke.de
  18. Archivlink (Memento des Originals vom 27. Februar 2010 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.museum-wiesbaden.de
  19. Antje Majewski in: Peter Pakesch u. Bernhard Mendes Bürgi (Hrsg.), Painting on the Move, Schwabe Verlag, Basel 2002, S. 202–230 (Memento des Originals vom 1. Juli 2011 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.antjemajewski.de
  20. Ritvan Sentürk, Postmoderne Tendenzen im Film, München 1998, S. 112.