Icaridin

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Strukturformel
Strukturformeln der vier Stereoisomeren von Icaridin
Mischung von vier Stereoisomeren
Allgemeines
Freiname Icaridin[1]
Andere Namen
  • 1-(1-Methylpropoxycarbonyl)-2-(2-hydroxyethyl)piperidin
  • HYDROXYETHYL ISOBUTYL PIPERIDINE CARBOXYLATE (INCI)[2]
  • Picaridin
Summenformel C12H23NO3
Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer
  • 119515-38-7 (Stereoisomerengemisch)
  • 875811-91-9 [(R,R)-Isomer]
  • 875811-93-1 [(S,S)-Isomer]
  • 875811-92-0 [(R,S)-Isomer]
  • 875811-90-8 [(S,R)-Isomer]
EG-Nummer 423-210-8
ECHA-InfoCard 100.102.177
PubChem 125098
ChemSpider 111359
DrugBank DB14074
Wikidata Q418792
Arzneistoffangaben
Wirkstoffklasse

Repellent

Eigenschaften
Molare Masse 229,32 g·mol−1
Siedepunkt

296 °C[3]

Löslichkeit
  • praktisch unlöslich in Wasser[4]
  • löslich in Aceton[4]
Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[5]
keine GHS-Piktogramme

H- und P-Sätze H: keine H-Sätze
P: keine P-Sätze[5]
Toxikologische Daten

3500 mg·kg−1 (LDLoRatteoral)[5]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Icaridin ist ein Repellent mit breitem Wirkspektrum gegen Insekten. Die Rechte besitzt die Lanxess AG.

Ursprünglich wurde für den Wirkstoff der Name Picaridin oder Hepidanin vorgeschlagen (und wird auch heute noch in verschiedenen Ländern benutzt), aber die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat als Internationalen Freinamen (INN) den Namen Icaridin festgelegt.[3]

Im Juli 2020 wurde Icaridin durch die EU-Kommission für die Verwendung in Repellentprodukten erneut zugelassen.[6] Die Zulassung trat am 1. Februar 2022 in Kraft und ist zehn Jahre gültig.

Gewinnung und Darstellung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Icaridin kann durch Reaktion von Carbonyldiimidazol mit 2-Butanol und 2-Piperidinethanol in einem Lösungsmittel wie Dichlormethan oder Acetonitril gewonnen werden.[7]

Eigenschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Icaridin ist chiral und enthält zwei Stereozentren. Der Wirkstoff wird als Gemisch der vier Stereoisomere eingesetzt, wobei das Racemat aus der (R,R)- und der (S,S)-Form einerseits und das Racemat aus der (R,S)- und der (S,R)-Form andererseits etwa im Verhältnis 1:1 vorliegen.[3]

Wirksamkeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Wirkstoffe Diethyltoluamid (DEET), Icaridin, Ethylbutylacetylaminopropionat und para-Menthan-3,8-diol zählen zu den effektivsten Wirkstoffen gegen Insektenstiche. Daher werden – vor allem für die Abwehr von krankheitsübertragenden Insekten – Produkte mit diesen Inhaltsstoffen empfohlen. Welcher Wirkstoff besser ist, ist aufgrund teilweise widersprüchlicher Quellenlage nicht eindeutig. Aufgrund der länger vorliegenden praktischen Erfahrung wird in Malariagebieten von der Stiftung Warentest DEET empfohlen.[8] In einer Konzentration von 30 bis 50 % ist der Wirkstoff DEET Icaridin laut Quelle überlegen.[9] Die WHO empfiehlt im Gegensatz dazu Icaridin als das Repellent der Wahl zur Vorbeugung einer Malariainfektion (KBR3023 = Icaridin).[10] In einer Feldstudie in Burkina Faso erwies sich Icaridin (KBR 3023) in der Vorbeugung von Stichen der Anopheles gambiae dem DEET überlegen.[11]

Icaridin wurde in seiner Wirksamkeit gegen verschiedene Ektoparasiten untersucht und mit dem klassischen Repellent DEET verglichen. Dabei zeigte sich wie bei DEET ein breites Wirkspektrum unter anderem gegen Anopheles-Mücken, Aedes-Stechmücken, Culex-Stechmücken und den Gemeinen Holzbock. In nicht malariagefährdeten Gebieten wie Deutschland und Europa ist laut Stiftung Warentest der Wirkstoff Icaridin vorzuziehen. Auch der Testsieger von Stiftung Warentest von Mai 2017 im Bereich der Kombiprodukte enthält Icaridin.[12][13]

Im Gegensatz zu dem Lösungsmittel DEET greift Icaridin keine Kunststoffe an.[14][15]

Ökotoxikologie in Gewässern[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine Veröffentlichung von Almeida et al. aus dem Jahr 2018, die über die extreme Giftigkeit eines icaridin-basierten Repellents gegenüber Larven des Flecken-Querzahnmolches (Ambystoma maculatum) berichtete,[16] erregte großes mediales Interesse.[17][18]

In dieser Studie zeigte ein in den USA vermarktetes Repellent mit einem Icaridingehalt von 20 % eine hohe Toxizität gegenüber den exponierten Lurchlarven. In dem Laborversuch über 25 Tage verursachte bereits die niedrigste Icaridin-Testkonzentration (entsprechend 0,02 µg/l) Mortalität und eine Deformation des Schwanzes. Die Autoren diskutieren, dass das Repellent mit den Lurchen natürliche Fressfeinde der Mückenlarven dezimiere und damit einer stärkeren Ausbreitung von Stechmücken Vorschub leiste.

Jedoch gibt es auch Kritik an der Methodik der Almeida-Studie. So wurde die Studie von der dänischen Umweltschutzbehörde, die Icaridin federführend in der EU bewertet hat, wegen gravierender methodischer Mängel (kein Wechsel des Testsubstrats, nur neun Individuen pro Testkonzentration, nicht-validierter Testorganismus, keine analytische Kontrolle der tatsächlichen Testkonzentrationen, unbekannte Zusammensetzung der getesteten Mischung) nicht zur Bewertung von Icaridin herangezogen.[19][20] Die Effekte zeigten zudem keine Dosisabhängigkeit, d. h. trotz einer Erhöhung der Testkonzentration um den Faktor 100 verstärkten sich weder die Effekte, noch setzten sie früher ein.

Weil die Larven einem Gemisch und nicht reinem Icaridin ausgesetzt wurden, ist es nicht ohne weiteres möglich, die beobachteten Effekte Icaridin zuzuschreiben. Icaridin selbst war in den OECD-Standardtests ungiftig für Wasserorganismen (Algen, Wasserflöhe, Fische). Der empfindlichste Endpunkt war ein 32-Tage-Test an frühen Lebensstadien von Zebrafischen nach OECD-Richtlinie 210. In diesem Test ließen sich bei einer Konzentration von 3140 µg Icaridin/L keinerlei Effekte auf die Entwicklung von Laich und Fischlarven nachweisen; der empfindlichste Endpunkt war das Wachstum der Fischlarven, das erst bei der höchsten getesteten Konzentration von 9540 µg/L beeinträchtigt war.[21] Die Effekte an Lurchlarven traten erst nach einer Expositionsdauer von 4 Tagen auf. Die von den Autoren angebrachte Kritik an den Standardtests, durch deren Testdauer von maximal vier Tagen könnten sie solche verzögert auftretenden Effekte nicht nachweisen,[16] ist im konkreten Fall nicht stichhaltig, da sich Icaridin auch in Tests über 21 Tage an Wasserflöhen[22] und über 32 Tage an frühen Lebensstadien des Zebrafischs[21] als ungiftig erwies.

Handelsnamen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Substanz: Saltidin, Bayrepel
  • Fertigpräparate mit Icaridin: Autan, Doctan, Viticks, S-quito free, Anti Brumm und Zeckito

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. INN Recommended List 48, World Health Organisation (WHO), 9. September 2001.
  2. Eintrag zu HYDROXYETHYL ISOBUTYL PIPERIDINE CARBOXYLATE in der CosIng-Datenbank der EU-Kommission, abgerufen am 28. Dezember 2019.
  3. a b c WHO: WHO SPECIFICATIONS AND EVALUATIONS FOR PUBLIC HEALTH PESTICIDES: ICARIDIN. (PDF; 150 kB) S. 18, archiviert vom Original am 16. August 2009; abgerufen am 9. August 2009 (englisch).
  4. a b Anna Wypych, George Wypych: Databook of Biocides. Elsevier, 2015, ISBN 978-1-927885-04-8, S. 392 (englisch, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  5. a b c CaymanChem: Picaridin, abgerufen am 27. Dezember 2019
  6. Durchführungsverordnung (EU) 2020/1086 der Kommission vom 23. Juli 2020 zur Genehmigung von Icaridin als alten Wirkstoff zur Verwendung in Biozidprodukten der Produktart 19, abgerufen am 26. August 2020
  7. Jordan Moats, Dr. Martin Hulce: Increase in the rate of the synthesis of (P)icaridin (Memento vom 6. August 2017 im Internet Archive), Department of Chemistry, Creighton University, 2008.
  8. Stiftung Warentest: Insektenabwehrmittel, Juni 2014, abgerufen am 14. Oktober 2015.
  9. Kursbuch Reisemedizin. Beratung, Prophylaxe, Reisen mit Erkrankungen. Georg Thieme, 2012, ISBN 978-3-13-167171-4, S. 76 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  10. World Health Organization: Report of the fourth WHOPES working group meeting : WHO/HQ, Geneva, 4-5 December 2000 : review of : IR3535; KBR3023; (RS)-Methoprene 20 % EC, Pyriproxyfen 0.5% GR; and Lambda-Cyhalothrin 2.5% CS. 2001 (englisch, who.int [abgerufen am 6. Januar 2019]).
  11. Edith Ilboudo-Sanogo, Athanase Badolo, Carlo Costantini: Field evaluation of the efficacy and persistence of insect repellents DEET, IR3535, and KBR 3023 against Anopheles gambiae complex and other Afrotropical vector mosquitoes. In: Transactions of The Royal Society of Tropical Medicine and Hygiene. Band 98, Nr. 11, 1. November 2004, S. 644–652, doi:10.1016/j.trstmh.2003.12.015 (englisch, oup.com [abgerufen am 6. Januar 2019]).
  12. Insektenabwehrmittel (05/2017), abgerufen am 12. März 2018.
  13. Zecken und Mücken: Diese Mittel helfen gegen Blutsauger (05/2017), abgerufen am 12. März 2018.
  14. Ralf Goebel, Martin Schulz: Insekten erfolgreich abwehren. In: Pharmazeutische Zeitung. Nr. 32, 2006 (pharmazeutische-zeitung.de [abgerufen am 14. Oktober 2015]).
  15. zecken-und-insektenschutz.de (HERMES Arzneimittel): Icaridin – effektiver Insektenschutz und sehr gut hautverträglich, abgerufen am 14. Oktober 2015.
  16. a b Rafael M. Almeida, Barbara A. Han, Alexander J. Reisinger, Catherine Kagemann, Emma J. Rosi: High mortality in aquatic predators of mosquito larvae caused by exposure to insect repellent. In: Biology Letters. Band 14, Nr. 10, Oktober 2018, S. 20180526, doi:10.1098/rsbl.2018.0526 (englisch).
  17. Die dunkle Seite der Mückenabwehrmittel. In: wissenschaft.de. 31. Oktober 2018 (wissenschaft.de [abgerufen am 27. August 2020]).
  18. Mücken und Zecken: Wie gefährlich sind Insektensprays? In: Sendung: Markt, Erstausstrahlung 17.08.2020, 20:15 Uhr. NDR, abgerufen am 27. August 2020.
  19. ECHA – Information on biocides. S. 3, abgerufen am 27. August 2020 (britisches Englisch).
  20. ECHA Biocidal Products Committee: Opinion on the application for approval of the active substance Icaridin, Product type: 19. 10. Dezember 2019, abgerufen am 26. August 2020 (englisch).
  21. a b ECHA – Information on biocides. S. 220–229, abgerufen am 27. August 2020 (britisches Englisch).
  22. ECHA – Information on biocides. S. 231–245, abgerufen am 27. August 2020 (britisches Englisch).