Ilya Kaminsky

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Ilya Kaminsky (2018)

Ilya Kaminsky (* 18. April 1977 in Odessa, Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik) ist ein ukrainisch-US-amerikanischer Dichter, Herausgeber, Hochschullehrer und Übersetzer.

Leben und Werk[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ilya Kaminsky wurde 1977 in Odessa in der Sowjetunion in eine kulturell interessierte jüdische Familie geboren. Mit vier Jahren wurde er schwerhörig, nachdem ein Doktor eine Mumpsinfektion fälschlicherweise für eine Erkältung diagnostiziert und damit falsch behandelt hatte. Früh begann Kaminsky, Gedichte zu schreiben. Mit zwölf Jahren wurden erste Werke in einer lokalen Zeitung veröffentlicht, drei Jahre später publizierte er ein wenige Seiten langes Groschenheft (chapbook). Als kurz nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Unabhängigkeit der Ukraine sein 15 Jahre älterer Bruder mit seiner Ehefrau nach Rochester im US-Bundesstaat New York emigrierte, folgten ihm Kaminsky und seine Eltern wenig später.[1] Dort erhielten sie aufgrund des Antisemitismus im Ostblock politisches Asyl. Nur ein Jahr später verstarb Kaminskys Vater. Der Jugendliche begann darauf, englischsprachige Lyrik zu schreiben, obwohl er erst ein Jahr in den Vereinigten Staaten lebte. Wenig später begann er ein Studium, das er zunächst mit einem Bachelor of Arts in Politikwissenschaften von der Georgetown University und dann mit einem Juris Doctor vom University of California, Hastings College of the Law abschloss. Anschließend arbeitete er für das National Immigration Law Center und die Rechtshilfeorganisation Bay Area Legal Aid.[2] Diese Berufslaufbahn gab er zugunsten seiner Karriere als Schriftsteller und Hochschullehrer auf.[1] Später war er pro bono als Court Appointed Special Advocate for Orphaned Children für den Gerichtsdistrikt des südlichen Kalifornien tätig.[3]

Kaminskys lyrische Vorbilder sind russische oder russischstämmige Dichter wie Joseph Brodsky, Marina Iwanowna Zwetajewa oder Ossip Emiljewitsch Mandelstam, die in der Zeit des Stalinismus gelebt hatten. Kaminsky versucht, die Themen ihres Werkes in die moderne Zeit zu übersetzen. Gleichzeitig versucht er, „die Erfahrungen russischer Bürger unter der Herrschaft des Kommunismus für seine vorrangig US-amerikanische Leserschaft erfahrbar zu machen.“[4] Nachdem er 2002 mit Musica Humana sein Debüt veröffentlicht hatte,[5] gelang ihm im gleichen Jahr der Durchbruch, als er mit dem Manuskript für Dancing in Odessa den Dorset Prize der Tupelo Press gewann. Mit dem Preis verbunden war die Veröffentlichung des Manuskriptes durch den Verlag.[1] Dancing in Odessa war Kaminskys erster langer Gedichtband. Er enthält neben dem Titelgedicht über seine Geburtsstadt Odessa mehrere Elegien unter anderem auf Brodsky und Zwetajewa.[4] 2019 erschien sein Gedichtband Deaf Republic, das formal als Drama aufgebaut ist. Es handelt von einem Konflikt zwischen Soldaten und Einwohnern des fiktiven Dorfes Vasenka. Nachdem die Soldaten einen tauben Jungen aus dem Dorf erschossen hatten, verweigern die Dorfbewohner zunächst das Sprechen und entwickeln eine Zeichensprache, ehe sie aktiv Widerstand gegen die Soldaten leisten. Kaminsky deutet dabei Analogien zwischen dem Leben in der stalinistischen Sowjetunion und dem modernen Amerika mit seinen regelmäßigen Fällen von Polizeigewalt an, bleibt aber vage, inwiefern solche Vergleiche wirklich zulässig sind.[4] Damit stellte sich Kaminsky in eine Linie von jüdischen Schriftstellern aus Odessa, die sich politische Themen vornahmen.[6] Kaminsky hatte etwa zehn Jahre an dem Werk gearbeitet. Das Buch wurde vielfach ausgezeichnet und war unter anderem Book of the Year der New York Times. Drei Jahre nach der Veröffentlichung erhielt das Auftaktgedicht der Deaf Republic vor dem Hintergrund des russischen Überfalls auf die Ukraine verstärkte Aufmerksamkeit.[7]

Der Literaturwissenschaftler Colin Burrow urteilte in einem Porträt für das London Review of Books, dass Kaminskys Poesie „energiegeladen ist und manchmal innere Spannungen aufzeigen kann, die die Textur [der Gedichte] verdrehen und verlagern.“[4] Die American Academy of Arts and Sciences, die 2023 Kaminsky als Mitglied aufnahm, beschrieb die Poesie des Dichters als literarisches Pendant zu den Gemälden von Marc Chagall: „die Gesetze der Schwerkraft sind aufgehoben worden und die Farben neu zugewiesen worden, aber nur, um eine alltägliche Realität zu erschaffen, die umso unauslöschlicher ist.“[5] Häufig arbeitet Kaminsky mit Künstlern anderer Branchen zusammen; beispielsweise veröffentlichte er 2022 zusammen mit der Fotografin Jelena Jemtschuk das Fotobuch Odesa, zu dem Kaminsky Gedichte beisteuerte.[3] Daneben arbeitet er auch als Herausgeber und Übersetzer von Werken anderer Autoren. 2010 gab er zusammen mit Susan Harris die Ecco Anthology of International Poetry heraus, im gleichen Jahr fungierte er als Herausgeber und Co-Übersetzer von Polina Barskowas This Lamentable City.[2] 2012 publizierte er zusammen mit Jean Valentine unter dem Titel Dark Elderberry Branch ein Band von englischsprachigen Übersetzung von Gedichten Marina Zwetajewas, das von einer CD mit den auf Russisch eingesprochenen Originalen begleitet wurde.[4] 2023 gab er zusammen mit der Schriftstellerin Carolyn Forché die Anthologie In the Hour of War heraus, die vor dem Hintergrund von Russlands Angriff auf die Ukraine englischsprachige Übersetzungen von Gedichten ukrainischer Lyriker versammelte.[8] Ferner ist er Herausgeber des Onlinemagazines In Posse Review;[2] ebenso ist er Lyrik-Redakteur für die Online-Literaturzeitschrift Words Without Borders.[9]

Zusätzlich war und ist Kaminsky auch als Hochschullehrer für kreatives Schreiben tätig, unter anderem an der San Diego State University, am Georgia Institute of Technology und am Lewis Center for the Arts der Princeton University.[5] Daneben war er von 2010 bis 2013 Direktor des Harriet Monroe Poetry Institute der Poetry Foundation, als welcher er die Buchserie Poets in the World begründete.[10] Ferner gründete er gemeinsam mit Paloma Capanna die Wohltätigkeitsorganisation Poets for Peace, die Lyriklesungen zu wohltätigen Zwecken organisiert.[2] Kaminsky ist mit der US-amerikanischen Dichterin und Schriftstellerin Katie Farris (* 1983) verheiratet.[1]

Ehrungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die BBC nahm Kaminsky nach der Veröffentlichung von Deaf Republic in ihre Liste von „12 artists who changed the world in 2019“ (12 Künstler, die 2019 die Welt verändert haben) auf.[20] Ferner erhielt Kaminsky Stipendien diverser Organisationen, darunter eine Guggenheim Fellowship (2018)[21] eine Creative Writing Fellowship des National Endowment for the Arts (2019) und eine United States Artists Fellowship (2023).[5]

Werke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Herausgeberschaften

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Ilya Kaminsky – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c d Claire Armitstead: Interview: 'I will never hear my father's voice': Ilya Kaminsky on deafness and escaping the Soviet Union. In: theguardian.com. The Guardian, 19. Juli 2019, abgerufen am 7. Oktober 2023 (englisch).
  2. a b c d Ilya Kaminsky. In: poetryfoundation.org. Poetry Foundation, abgerufen am 6. Oktober 2023 (englisch).
  3. a b c Ilya Kaminsky. In: amacad.org. American Academy of Arts and Sciences, abgerufen am 6. Oktober 2023 (englisch).
  4. a b c d e Colin Burrow: „On Ilya Kaminsky.“ In: London Review of Books, Band 41, Nummer 20, 20. Oktober 2019, ISSN 0260-9592, Seitenzahlen unbekannt (online).
  5. a b c d e Ilya Kaminsky. In: poets.org. Academy of American Poets, abgerufen am 7. Oktober 2023 (englisch).
  6. Aviya Kushner: Ilya Kaminsky: A Poet At The Height Of His Powers, Questioning Everything. In: forward.com. The Forward, 10. März 2019, abgerufen am 7. Oktober 2023 (englisch).
  7. Michael Braun: Ilya Kaminskys „Republik der Taubheit“: Glück in Zeiten des Krieges. In: tagesspiegel.de. Tagesspiegel, 1. Juni 2022, abgerufen am 7. Oktober 2023.
  8. Christopher Spaide: In the Hour of War. In: poetryfoundation.org. Poetry Foundation, 2023, abgerufen am 7. Oktober 2023 (englisch).
  9. Countributor: Ilya Kaminsky. In: wordswithoutborders.org. Words Without Borders, abgerufen am 7. Oktober 2023 (englisch).
  10. The Poetry Foundation’s Harriet Monroe Poetry Institute Launches Its Poets in the World Series. In: poetryfoundation.org. Poetry Foundation, 5. März 2014, abgerufen am 7. Oktober 2023 (englisch).
  11. College Undergraduate Poetry Competition Winners. In: nfsps.com. National Federation of State Poetry Societies, abgerufen am 6. Oktober 2023 (englisch).
  12. Dorset Prize Tip #2: Less is More by Ilya Kaminsky. In: tupelopress.org. Tupelo Press, 14. Dezember 2018, abgerufen am 6. Oktober 2023 (englisch).
  13. Awards. In: artsandletters.org. American Academy of Arts and Letters, abgerufen am 6. Oktober 2023 (englisch).
  14. Edward Wyatt: Whiting Awards Honor 10 Writers for Promising Talent. In: The New York Times. 28. Oktober 2005, ISSN 0362-4331, S. E44 (nytimes.com).
  15. Poetry Magazine Prizes. In: poetryfoundation.org. Poetry Foundation, abgerufen am 6. Oktober 2023 (englisch).
  16. Dorany Pineda: Coronavirus is topic one among newly announced L.A. Times Book Prize winners. In: latimes.com. Los Angeles Times, 17. April 2020, abgerufen am 6. Oktober 2023 (englisch).
  17. National Jewish Book Awards: 2019. In: jewishbookcouncil.org. Jewish Book Council, abgerufen am 7. Oktober 2023 (englisch).
  18. Winners: 2020, Poetry – Deaf Republic. In: anisfield-wolf.org. Anisfield-Wolf Book Awards, abgerufen am 6. Oktober 2023 (englisch).
  19. Bandi di Concorso. (PDF) In: premiopoesiabonannibperbanca.it. Segreteria organizzativa del Premio Letterario “L’Aquila” - BPER BANCA, Mai 2023, abgerufen am 13. Oktober 2023 (italienisch).
  20. 12 artists who changed the world in 2019. In: bbc.co.uk. BBC World, abgerufen am 7. Oktober 2023 (englisch).
  21. Ilya Kaminsky. In: gf.org. The John Simon Guggenheim Memorial Foundation, abgerufen am 6. Oktober 2023 (englisch).