Jens-Peter Hanßen

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Jens-Peter Hanßen, auch Jens Hanssen (* 31. März 1969) ist ein deutscher Orientalist. Seit 2010 ist er außerordentlicher Professor für die Geschichte des Nahen Ostens und des Mittelmeerraums an der University of Toronto.[1] Seit 2023 ist er Direktor des Orient-Instituts Beirut.[2]

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ausbildung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hanßen studierte Arabistik und Islamwissenschaften an der Eberhard Karls Universität Tübingen, an der Universität Alexandria und an der Durham University, wo er 1993 den Bachelor in Arabistik und Islamwissenschaften erwarb. 1995 schloss er mit dem Master in Orientalistik am St. Anthonys College der University of Oxford ab.[3] 2001 promovierte er in Moderner Geschichte bei Eugene L. Rogan und Robert Ilbert an der University of Oxford mit dem Thema „The Effect of Ottoman Rule on Fin de Siècle Beirut. The Province of Beirut, 1888-1914“.[4]

Als Doktorand erhielt er Forschungsstipendien am Institut de Recherches et d'Etudes sur les Mondes Arabes et Musulmans (IREMAM) in Aix-en-Provence, an der Amerikanischen Universität Beirut und bei der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft in Beirut und Istanbul. Als Postdoktorand forschte er mit einem Stipendium der Fritz Thyssen Stiftung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zur arabischen Renaissance. Er war Mitglied des akademischen Beratungsausschusses des libanesischen Ministeriums für Kultur und Hochschulbildung, im Rahmen der Ernennung Beiruts zur Kulturhauptstadt der arabischen Welt 1999.[1]

Wissenschaftliche Karriere[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seit 2010 ist Hanßen außerordentlicher Professor für Geschichte des Nahen Ostens und des Mittelmeerraums an der University of Toronto.[1] Von 2017 bis 2018 war er Gastprofessor am Lehrstuhl für Arabische Studien an der Georg-August-Universität Göttingen und von Januar 2020 bis Juni hatte er ein Visiting fellowship in Global Intellectual History an der Freien Universität Berlin.[5]

Seit 2023 ist er Direktor des Orient-Instituts Beirut (OIB) der bundesunmittelbaren Max Weber Stiftung (MWS).[2] Im Stiftungsrat sind das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) vertreten.[6]

Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf postnationalen Geschichten der Moderne, der spätosmanischen Herrschaft in den arabischen Provinzen, dem Antikolonialismus, den anti-autoritären Revolutionen in Nordafrika und dem Nahen Osten und aktuell zur Verschränkung deutsch-jüdischer und arabischer Geistes- und Theoriegeschichte in Palästina.[2]

Die Khalidi-Bibliothek in der Jerusalemer Altstadt

Engagement[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hanßen ist Mitglied der Middle East Studies Association of North America (MESA) und war von 2022 bis 2023 deren Vorstandsmitglied.[7]

Er ist außerdem Mitglied im internationalen Beirat der Khalidi-Bibliothek in der Jerusalemer Altstadt, die eine der größten Sammlungen palästinensischer Literatur und Geschichtsdokumente beherbergt.[8]

Kontroverse[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hanßens Berufung als Direktor an das Orient-Institut Beirut (OIB) hat wegen seines Aufrufs zum akademischen Boykott Israels und seiner Nähe zur BDS massive mediale[9][10][11] und politische Diskussionen ausgelöst.[12]

Vorgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hanßen wurde vorgeworfen, dass er 2010 an der Universität Toronto als Moderator den Vortragenden Omar Barghouti herzlich begrüßte. Barghouti, ist Mitbegründer von BDS.[10]

Im August 2014 trat Hanßen mit über 100 Wissenschaftlern im Nahen Osten in einem offenen Brief für einen Boykott von israelischen Einrichtungen und Universitäten ein, da die israelischen Wissenschaftler zu den militärischen Interventionen Israels in Gaza meist schwiegen. Palästinensische Terroristen hatten Israel mit 3000 Raketen beschossen und Israel antwortete mit Raketen und dem Einsatz von Bodentruppen in Gaza. Bei diesen Gefechten kamen 73 Israelis und über 2000 Palästinenser zu Tode.[6]

Im März 2022 veröffentlichte die MESA, dass ihre Mitglieder mehrheitlich für Unterzeichnung der Resolution „In Solidarity With Palestinians Seeking Education Rights“ des Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) stimmten. Daraus ergab sich ein Aufruf zum akademischen Boykott israelischer Einrichtungen. Zur Begründung wurden folgende Punkte aufgeführt: „Einschränkung der Bewegungsfreiheit für Palästinenser; Isolierung, Unterminierung oder anderweitige Angriffe auf palästinensische Bildungseinrichtungen; Schikanierung palästinensischer Professoren, Lehrer und Studenten; Schikanierung israelischer Professoren und Studenten, die die israelische Politik kritisieren; Zerstörung, Beschlagnahmung oder anderweitige Unzugänglichmachung palästinensischen Archivmaterials; Aufrechterhaltung der Ungleichheit bei den Bildungsressourcen zwischen Palästinensern und Israelis.“ Dennoch stehe es den Mitgliedern offen, sich nach Gutdünken zu verhalten.[13]

Ergebnis[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Max Weber Stiftung (MWS) räumte auf Nachfrage ein, gewusst zu haben, dass sich Hanßen als Universitätsprofessor kritisch gegenüber Israel geäußert habe. Die Stiftung gab aber auch zu bedenken, dass Boykott-Aufrufe im angelsächsischen Raum zu einem üblichen Mittel der akademischen Auseinandersetzungen gehörten. Nach weiteren Rückfragen durch das BMBF erklärten die MWS-Präsidentin Ute Frevert und Jens Hanßen in einer gemeinsamen Erklärung schriftlich, sich von einem Boykott Israels zu distanzieren. Hanßen bekannte sich darin als Repräsentant der Bundesrepublik Deutschland zur Wissenschaftsfreiheit und werde mit jüdischen und israelischen Wissenschaftlern zusammenarbeiten.[14]

Aufgrund der kleinen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag nahm die Bundesregierung über das Auswärtige Amt Stellung. Die Bundesregierung sehe sich in der Pflicht sicherzustellen, „dass die Leitung eines Instituts in der öffentlichen Beurteilung von politischen Konflikten, sofern diese überhaupt geboten ist, mit Augenmaß und unter Würdigung aller Positionen vorgeht“. Sie betonte, dass die Max Weber Stiftung die Zusammenarbeit mit israelischen und jüdischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern immer gepflegt habe. Schließlich verwies sie auf das Schreiben der MWS, in dem sich die Stiftung und Direktor Hanßen ausdrücklich in diesem Sinne geäußert hätten.[15]

Schriften (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im folgenden sind die Monografien aufgelistet. Darüber hinaus veröffentlichte Hanßen zahlreiche Artikel.

  • The effect of Ottoman rule on Beirut, The Wilaya of Beirut, 1888-1900. Masterarbeit an der University of Oxford, Faculty of Oriental Studies. 1995, OCLC 863398293 (englisch).
  • The effect of Ottoman rule on fin de siecle Beirut. The province of Beirut, 1888-1914. Dissertation. University of Oxford, 2001, OCLC 557443208 (englisch).
  • Jens-Peter Hanßen (Hrsg.): The empire in the city. Arab provincial capitals in the late Ottoman empire. Konferenzschrift. Ergon-Verlag, Würzburg 2002, ISBN 978-3-935556-89-7 (englisch).
  • Fin de Siècle Beirut. The making of an Ottoman provincial capital. überarbeitete Fassung der Dissertation. Oxford University Press, New York 2005, ISBN 0-19-928163-7, doi:10.1017/S0020743811000201 (englisch). Rezension
  • Mit Max Weiss (Hrsg.): Arabic Thought against the Authoritarian Age. Towards an Intellectual History of the Present. Cambridge Univ. Press 2018. ISBN 978-1-107-19338-3
  • Mit Amal Ghazal (Hrsg.): The Oxford handbook of contemporary Middle Eastern and North African history. Oxford 2021, ISBN 978-0-19-967253-0.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c Jens Hanssen | Department of Historical Studies. University of Toronto, abgerufen am 10. März 2024 (englisch).
  2. a b c Jens Hanssen wird Direktor am Orient-Institut Beirut. Max Weber Stiftung, 2023, abgerufen am 10. März 2024.
  3. The effect of Ottoman rule on Beirut. The Wilaya of Beirut, 1888–1900. Dissertation von Jens-Peter Hanssen. University of Oxford, 1995, abgerufen am 10. März 2024 (englisch).
  4. Curriculum vitae von Jens-Peter Hanßen. Universität Göttingen, 2017, abgerufen am 10. März 2024.
  5. Jens-Peter Hanßen, director Orient Institut Beirut, abgerufen am 5. März 2024
  6. a b Kevin Culina: Historiker Jens Hanssen: Bundesregierung fordert Aufklärung nach Aufrufen zu Israel-Boykott. Welt, 24. Juli 2023, abgerufen am 10. März 2024.
  7. Previous Boards. Middle East Studies Association, abgerufen am 11. März 2024 (englisch).
  8. Jocelyn M. Ajami: A Hidden Treasure. In: Aramco World. Band 44, Nr. 6, 1993 (englisch, aramcoworld.com [abgerufen am 19. Januar 2015]).
  9. Boykott gegen Juden als legitime Streitkultur? : Dämonisierende „Israel-Kritik“ ist stets antisemitisch. In: Der Tagesspiegel Online. ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 10. März 2024]).
  10. a b Kevin Culina: Max Weber Stiftung: Israelboykott mit deutschen Steuergeldern? Welt, 24. Juni 2023, abgerufen am 11. März 2024.
  11. Umstrittener Wissenschaftler übernimmt Orient-Institut. Zentralrat der Juden in Deutschland, 3. Juli 2023, abgerufen am 10. März 2024.
  12. Drucksache 20/7947. Sachverhaltsaufklärung zur Berufung des neuen Direktors des Orient-Institutes Beirut der Max-Weber-Stiftung. Deutscher Bundestag, 23. August 2023, abgerufen am 11. März 2024.
  13. Middle East Scholars Vote to Endorse BDS. Middle East Studies Association, 23. März 2022, abgerufen am 11. März 2024 (englisch).
  14. Neue Leitung am Orient-Institut Beirut. 30. Juni 2023, abgerufen am 12. März 2024.
  15. AHE: Vorwürfe gegen Direktor des Orient-Instituts Beirut. Abgerufen am 12. März 2024.