Klaus Thurau

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Klaus Walther Christian Thurau (* 14. Juni 1928 in Bautzen; † 1. November 2018 in München) warein deutscher Physiologe und Hochschullehrer. Er gilt als ein Nestor der deutschen Nierenphysiologie.[1]

Familie und Ausbildung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Klaus Thurau wurde in Sachsen als Sohn von Helene Thurau, geborene Engel, und des evangelischen Orgelbaumeisters Walther Thurau geboren und besuchte in Norden (Ostfriesland) das Gymnasium. Nach dem Medizinstudium in Erlangen und Kiel und der Dissertation mit Promotion zum Dr. med. 1955 in Kiel arbeitete er am Physiologischen Institut der Göttinger Georg-August-Universität zunächst an der Atmungsregulation, bevor er sich der innovativen Göttinger Nierengruppe um Kurt Kramer anschloss.[2] Nach der Habilitation in Göttingen, wo er 1961 seine Lehrtätigkeit begann, wechselte er (zusammen mit Kurt Kramer) an die Universität München, wo er seit 1968 als ordentlicher Professor für Physiologie wirkte. Ab 1957 war er mit Antje Thurau, geborene Wiese, verheiratet. Er hatte zwei Söhne (Stephan und Matthias).

Wissenschaftliches Wirken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Klaus Thurau war ab 1973 Mitglied der Exekutiv-Komitees mehrerer internationaler wissenschaftlicher Gesellschaften. Er hat die physiologischen Grundlagen der Nierenfunktion erforscht und dabei wegweisende Erkenntnisse gewonnen, die Eingang in die Lehrbücher fanden. Das tubuloglomeruläre Feedback (TGF; auch juxtaglomerulärer Feedback genannt), ein Rückkopplungs-Mechanismus, mit dem die Filtration der einzelnen Nephrone in der Niere reguliert werden, wird auch als „Thurau-Hypothese“ oder als „Thurau-Mechanismus“ nach ihm benannt.[3] Ebenso haben seine Arbeiten zur renalen Hämodynamik und zur Autoregulation der Nierendurchblutung bis heute eine grundlegende Bedeutung.[4]

Von 1968 bis 1998 war er Vorstand des Instituts für Physiologie an der medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Thurau-Hypothese[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Thurau-Hypothese beschreibt die kausale Entwicklung einer Oligurie oder einer Anurie im Rahmen des akuten ischämischen Nierenversagens. Eine ischämisch bedingte Störung der Natriumrückresorption im proximalen Tubulus führe zu einem (intratubulären) Anstieg der Natriumkonzentration in der Tubulusflüssigkeit. Dieser Anstieg werde im distalen Tubulus von natrium-sensitiven Sensoren registriert, die dann das Renin-Angiotensin-System aktivieren. In der Folge komme es zu einer Vasokonstriktion der Vasa afferentia und damit zu einem verlängerten Abfall der glomerulären Durchblutung und der glomerulären Filtration.[5]

Ausführlicher beschreibt Volkmar Heinze 1976 diese unbewiesene Thurau-Hypothese mit dem Thurau-Mechanismus[6] aus dem Jahre 1971 als Erklärungsmodell für die Anurie: Nephrotoxine schädigen die Nieren und bewirken eine Tubulusläsion und einen Glomerulusschaden. Das „energetische Potential“ des Tubulusapparates verschlechtere sich. Die glomeruläre Filtration werde „herabgesetzt oder sogar völlig gestoppt.“ So komme es zur „Oliganurie“. Dann werden die Tubulusepithelien repariert mit Wiederherstellung ihrer „Reabsorptionsfähigkeit“. Die glomeruläre Filtration werde wieder freigegeben. Heinze lässt offen, wie die „nur geringfügigen pathologisch-anatomischen Veränderungen“ und das „fehlende morphologische Korrelat“ mit dieser spekulativen Hypothese in Übereinstimmung gebracht werden können. Bei betroffenen Patienten beschrieb er intakte Glomerula und unveränderte Tubuli; „die akute renale Parenchymschädigung fehlt“.

Ungefähr seit 1965 wird dagegen nach umfangreichen Forschungen (auch von François Reubi) wohl nicht mehr an der fast „totalen Rückresorption des Glomerulumfiltrates“ in den Tubuli (unabhängig von der glomerulären Filtration) gezweifelt.[7] Diese Aussage gilt (bis zum Beweis des Gegenteils bei völliger Zerstörung einer Niere) sowohl für die einseitige wie auch für die doppelseitige Anurie. Trotzdem ist diese Erkenntnis noch nicht allgemeine Lehrmeinung.

Volkmar Heinze geht bei seiner Beschreibung der Thurau-Hypothese auf Reubis Darstellungen nicht ein, obwohl er sie dreimal im Literaturverzeichnis erwähnt.[8]

Deutlich plausibler als Klaus Thuraus Hypothese erscheinen diese Darstellungen von François Reubi (ebenfalls aus dem Jahre 1971 im selben Buch wie Thuraus Arbeit): Die Glomeruli und die Tubuli werden durch die körpereigenen Nephrotoxine oder durch eine Ischämie kaum geschädigt. Die Tubuli erhöhen bei einem Rückgang des Herzzeitvolumens (unabhängig von den Glomeruli) kompensatorisch ihre Rückresorptionsquote. So komme es zur Anurie oder zur Oligurie (zusammengefasst als Oliganurie).

Damit gelten Thuraus Hypothese als widerlegt und sein Postulat eines ebenfalls unbewiesenen juxtaglomerulären Feedback als überflüssig.

Deswegen forderte Klaus Thurau zusammen mit seinem Mitautor John W. Boylan „weitere Forschungen“. Beide Nephrologen bezeichneten ihre eigene Theorie über das Versagen des Feedback-Mechanismus des juxtaglomerulären Apparates als „spekulativ“.[9]

Berufspolitik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Thurau war Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Nephrologie (GfN). Er setzte sich für die Stärkung der Grundlagenwissenschaften ein.

Ehrungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Er wurde 1997 mit der Franz-Volhard-Medaille der GfN geehrt. 1990 zeichnete ihn die American Society of Nephrology (ASN) mit dem Homer Smith Award aus, 2008 die Georg-August-Universität Göttingen mit der Jacob-Henle-Medaille. Er war Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN). Außerdem erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, Ehrenmitgliedschaften, Gastprofessuren und ein medizinisches Ehrendoktorat. Er übernahm Vorstandsaufgaben in nationalen und internationalen Gremien.[10] Er war Träger des Verdienstkreuzes 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland.

Mitgliedschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von 1987 bis 1990 war Klaus Thurau Präsident der International Society of Nephrology (ISN). 1991 wurde er zum Mitglied der Academia Europaea gewählt.[11]

Veröffentlichungen (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • mit John W. Boylan: Acute Renal Success – The Unexpeted Logic of Oliguria in Acute Renal Failure, in: The American Journal of Medicine, Volume 61, September 1976.
  • Fundamentals of renal circulation, Göttingen, 1961.
  • Hämodynamik des Nierenkreislaufes, Göttingen, 1961.
  • Kinematographische Untersuchungen am Warmblüternephron, Göttingen, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, 1961.
  • Über das Hyaluronsäure-Hyaluronidasesystem und seine Bedeutung bei der endokrinen Behandlung des Prostatakarzinoms, Kiel 1954.
  • Die Diurese bei arteriellen Drucksteigerungen, in: Pflügers Archiv, Band 274, 1. November 1962, Nr. 6, Seiten 567–580, Online Ressource.
  • mit H. Müller und H. Bräuer: Exempla hypertonica, Band 1, Bildatlas zur Physiologie und Pathophysiologie des Blutdrucks, München 1989, Medical Service, ISBN 3-926506-03-2.
  • Zur Lokalisation der autoregulativen Widerstandsänderungen in der Niere, in: Pflügers Archiv, Band 274, 1. November 1962, Nr. 6, Seiten 553–566, Online Ressource.
  • als Hrsg. mit Hans Jahrmärker: Renaler Transport und Diuretica, Internationales Symposium Feldafing, 21.–23. Juni 1968, Leitung Kurt Kramer und Herbert Schwiegk, Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg / New York 1969.
  • mit Peter Deetjen und Kurt Kramer: Hämodynamik des Nierenmarks, in: Pflüger’s Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere, Band 270, Mai 1960, Seiten 270–285, doi:10.1007/BF00583424.
  • mit Markus Hohenfellner: Pathophysiologische Aspekte des akuten Nierenversagens – Zellulärer Schaden, funktionelle Folgen, therapeutische Perspektiven, in: Deutsches Ärzteblatt, Jahrgang 89, Heft 1/2, 6. Januar 1992, Seiten A 33 – A 40.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Thuraus, Klaus. In: Walter Habel (Hrsg.): Wer ist wer? Das deutsche Who’s who. 24. Ausgabe. Schmidt-Römhild, Lübeck 1985, ISBN 3-7950-2005-0, S. 1250.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Nachruf der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie.
  2. Detlef Schlöndorff, Walter Schulz, Jürgen Schnermann: Nachruf Professor Dr. med. Klaus Walther Christian Thurau.
  3. Hans-Joachim Anders, John M. Davis, Klaus Thurau: Nephron Protection in Diabetic Kidney Disease. In: The New England Journal of Medicine. Band 375, 24. November 2016, S. 2096–2098. DOI: 10.1056/NEJMcibr1608564.
  4. Handbuch der inneren Medizin. 5. Auflage. 8. Band (Nierenkrankheiten), 1. Teil (bearbeitet von Eberhard Buchborn, Karel Čapek, Peter Deetjen, J. Eigler, Konrad Federlin, Robert Heintz, J. Heller, Hans Jesserer, Arnold Kleinschmidt, Friedrich Krück, J. Martinek, Ernst-Friedrich Pfeiffer, Roland Richterich, Gerhard Riecker, Klaus Walter Christian Thurau, F. Wahlig, H. Wirz, Hans Ulrich Zollinger), Springer-Verlag, Berlin 1968, ISBN 978-3-642-95038-4.
  5. DocCheck: Flexikon, Stichwort Thurau-Mechanismus.
  6. Klaus Thurau: Intrarenale Mechanismen zur Einstellung der NaCl-Ausscheidung, in: Karl Klütsch, Ernst Wollheim, Hans-Jürgen Holtmeier (Hrsg.): Die Niere im Kreislauf, Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1971, ISBN 3-13-468201-X, S. 70–79.
  7. François Reubi, Chr. Vorburger, R. Sander: Nierendurchblutung und renale Cr51 EDTA- und Na24-Verteilungsräume bei der akuten Anurie des Menschen, in: Karl Klütsch, Ernst Wollheim, Hans-Jürgen Holtmeier (Hrsg.): Die Niere im Kreislauf, Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1971, ISBN 3-13-468201-X, S. 86–89.
  8. Volkmar Heinze: Akutes Nierenversagen. In: Hans Joachim Sarre (Hrsg.): Nierenkrankheiten. 4. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1976, ISBN 3-13-392804-X, S. 425–469, hier: S. 432–435.
  9. Klaus Thurau, John W. Boylan: Acute Renal Success − The Unexpected Logic of Oliguria in Acute Renal Failure. In: The American Journal of Medicine. Volume 61, September 1976, S. 314.
  10. Nachruf der Universität München.
  11. Eintrag auf der Internetseite der Academia Europaea